Janz Balin oder zumindest fast ganz Digital-Berlin ist zurzeit re-publica.com.
"Das klingt ja schon fast nach Mainstream", entfährt es dem Tagesspiegel im Tanja & Johnny-Haeusler-Interview zum Programm. Und dass die beiden re:publica-Organisatoren im Gegenzug ausgerechnet auf Sascha Lobo verweisen, den "Internet-Erklärbar", "der quasi zum Inventar gehört" (BLZ jeweils) und auch wieder dabei ist, spricht keineswegs dagegen.
"Es gibt aber auch wieder Absurdes. Ein Wissenschaftler hat Milchkühe mit Sensoren ausgestattet, um ihre Vorlieben beim Grasen auf der Wiese und beim Melken herauszufinden" (Johnny Haeusler)
Unzweifelhaft ist eine Veranstaltung, auf der inzwischen die Maus
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und der Sandmann vom RBB
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sowie Claus Kleber vom ZDF performen,
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der auf einer der Bühnen mit ein paar Kollegen vom ZDF diskutierte, Mainstream. Was kein Vorwurf ist: Ewig in der Nische zu verharren, kann ja längst nicht für alle die Lösung sein.
Wichtige Politiker sind natürlich ebenfalls dabei, zum Beispiel Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller, der die Gelegenheit der Eröffnung nutzte, um an eine gute alte Volksparteien-Politiker-Tradition anzuknüpfen, und eine mittelfristige Stärkung der Medienkompetenz in die Diskussion warf:
"Die anstehende Bundestagswahl in Deutschland im September ist für ihn 'vielleicht ein Testfall, wie wir uns gemeinsam auseinandersetzen mit dieser Debatte um Lügenpresse und Fake News', sagte Müller. Sie werde aber auch ein Startpunkt sein, 'wie wir mittelfristig die politische Bildung und die Medienkompetenz in unserem Land stärken'" (Standard).
Die noch fast frischgebackene Bundeswirtschaftsministerin stellte eine der für die Netz- und Medienpoilitik der Bundesregierung besonders aufschlussreiche Frage:
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Und wenn am Mittwoch Innenminister de Maiziére auf den kurzzeitig offiziell anerkannten Landesverräter Markus Beckedahl trifft, dürfte es sogar unmittelbar interessant werden.
Zusammenfassungen des ersten Tages gibt's unter anderem bei futurezone.at futurezone.de:
"Zum re:publica-Auftakt war besonders eines spürbar, nämlich Kampfgeist. Denn eine harmonische Netzkultur könne nur dann funktionieren, wenn Zivilcourage auch im digitalen Raum gelebt werde, so der Tenor. 'Wir müssen vor allen denen zur Seite stehen, die Opfer von Bedrohungen und anderen Hassbotschaften sind', mahnte Blogger, Autor und Mediendesigner Johnny Haeusler bei der Eröffnung ...",
in der elektronischen Presse des Deutschlandfunks und auf der FAZ-Medienseite (derzeit nicht frei online):
"Um so erwachsener allerdings klingt das, was die Veranstalter ihrem aus allen Nähten platzenden Gemischtwarenevent in diesem Jahr auf die Fahnen geschrieben haben: So hemdsärmelig-harmlos-bunt das Motto 'Love Out Loud' auch klingen mag, hinter ihm steht nichts weniger als der Aufruf zu digitaler Zivilcourage. ... Nach dem stolzen Hinweis, die Veranstalter hätten ihr Ziel, ebenso viele Frauen wie Männer auf die Bühnen zu bringen, nur um drei Prozent verfehlt, und einem Grußwort des Regierenden Bürgermeisters Michael Müller ... gehörte die Bühne in ihren Heimatländern Verfolgten, die von persönlichen Erlebnissen mit staatlicher Repression berichteten."
Höhepunkt des Abends war dann Sascha Lobos Grußwort, das wieder vielfältigen Widerhall im Internet fand, von Sabine Sasse für den Tagesspiegel aber auch in klassischer Form zusammengefasst wurde:
"'Wenn wir etwas gelernt haben' gibt er seinen Jüngern am Schluss mit auf den Heimweg, 'dann, dass die Macht des Wortes noch immer Bestand hat. Dass Worte Wirkung haben und Debatten Macht. Also geht raus, um die Insel der Demokratie wieder so groß zu machen, dass die Mehrheit der Leute darauf trockenen Fußes stehen kann.' Begeisterter Applaus."
Es gäbe noch viiiel mehr re:publica-Stoff. Aber anderswo ist ebenfalls was los, und dass Teile Digital-Berlins dazu neigen, sich selbst mit wenigstens der deutschen Gesellschaft zu verwechseln, ist außer Teil der Lösung ja auch Teil der Probleme
[+++] Mittelbar im re:publica-Zusammenhang dürfte eine Initiative "führender deutscher und europäischer Unternehmen" stehen,
"eng miteinander zu kooperieren und eine gemeinsame branchenübergreifende Registrierungs-, Identitäts- und Datenplattform zu schaffen" (Daimler, Deutsche Bank, Allianz, Axel Springer),
die gestern bekannt gegeben wurde. Die zwischen hochrangigen Managern börsennotierter Konzerne sichtlich gründlich abgestimmten Formulierungen, in denen das Wort "Generalschlüssel" ein Schlüsselwort darstellt, versuchen nun diverse Medien zwischen heise.de ("Deutsche Konzerne bauen Datenplattform gegen Google & Co"), zeit.de ("... der neueste Versuch, einen Gegenpol zur Marktmacht" "der US-Technologiekonzerne" aufzubauen) und faz.net ("... um in der Digitalisierung nicht komplett von den amerikanischen Internet-Giganten abhängig zu werden") aufzuschlüsseln. Vielleicht am besten gelingt es der Süddeutschen in ihrer Titelseiten-Meldung "Ein Passwort, viele Dienste" und im Meinungsseiten-Kommentar "Ein Passwort für alles":
"Bestellen im Netz kann so einfach sein: Man meldet sich auf den Webseiten mit seinen Facebook-Daten an, bezahlt wird übers Amazon-Konto. Für den Kauflustigen ist das bequem, er muss sich nicht zahllose Kombinationen von Benutzerkennung und Passwort merken. Doch manchmal beschleicht einen schon ein mulmiges Gefühl. Denn die Daten fließen automatisiert von einem Anbieter zum anderen. Das ist bislang der Preis dieser Bequemlichkeit",
die bald also auch anders bequem, dem künftigen europäischem Datenschutzrecht entsprechend, zu haben sein soll. Die Idee sei "zu begrüßen. Zu früh kommt der Vorstoß nicht", findet Helmut Martin-Jung.
Die FAZ weiß in o.g. Artikel, was die beteiligten Partner alles noch nicht wissen:
"Wie genau der Generalschlüssel aussieht – ob sich die Nutzer also etwa über ein Passwort oder vielleicht per Fingerabdruck einloggen werden – muss erst noch erarbeitet werden. Auch ein Name ist noch nicht gefunden. Unter den Beteiligten hat das Projekt bislang den Arbeitstitel DIPP."
Uneingeschränkt optimistisch zeigt sie sich im Wirtschaftsressort-Kommentar dann nicht: "Das hat Wumms", schreibt Tim Kanning, doch:
"Die deutschen Verbraucher warten nicht gerade sehnsüchtig darauf, dass ihnen deutsche Firmen vermeintlich sicherere Angebote zusammenzimmern."
Außerdem scheint die Sache auch mit dem neuen Posten des ehemaligen Springer-Frühstücksdirektor/ Außenministers Christoph Keese bei der neu formierten "Axel Springer hy GmbH" (in der die vormalige "hy! GmbH" aufgeht ...) zu tun zu haben. Deren Internetauftritt hy.co:
"The Axel Springer Ecosystem Company. Bringing 21st Century Technologies to Industries and Government."
macht schon jetzt gespannt. Oder Angst, Lust, Mut? ...
[+++] Harter Schnitt. Der österreichische "Nahost-Thinktank" Mena-Watch kam zuletzt im März hier vor, als er auf den "antisemitischen, vom Sender offiziell natürlich nicht für antisemitisch gehaltenen WDR-Film 'Holland in Not – Wer ist Geert Wilders?'" (Altpapier) hinwies.
Gerade wies mena-watch.com, wohl im Anschluss an einen Götz-Aly-Artikel in der BLZ, auf eine ebenfalls vom WDR verantwortete, allerdings für den deutsch-französischen Kultursender Arte hergestellte und offenbar sehenswerte Dokumentation hin, in der es ausdrücklich um Antisemitismus geht. Der 90-minütige Film "Auserwählt und ausgegrenzt – der Hass auf Juden in Europa" der Autoren Joachim Schroeder und Sophie Hafner von der Münchener Firma Preview Production (PDF) ist fertig und vom WDR auch abgenommen, also für sendefähig erklärt worden. Er wird aber wohl nicht gesendet werden. Und zwar weil Arte
"sich nun entgegen seiner Zusage weigert, die Dokumentation auszustrahlen. Zur Begründung heißt es in einem kurzen Schreiben des Arte-Programmdirektors Alain Le Diberder vom 27. Februar dieses Jahres, der Film entspreche 'in wesentlichen Punkten' nicht dem von der Programmkonferenz des deutsch-französischen Senders genehmigten Projekt. Weder gebe er 'den angekündigten Überblick zur Situation in Europa' noch sei eine Mitarbeit von Ahmad Mansour zu erkennen, der die 'Ausgewogenheit des Projektes garantieren' sollte und dessen Koautorenschaft ausschlaggebend für die Genehmigung gewesen sei."
Mansour, der sozusagen israelisch-palästinensisch-deutsche Autor, "habe zwar aufgrund starker beruflicher und privater Beanspruchung nicht wie vorgesehen als Co-Autor zur Verfügung stehen können, als Berater aber die Inhalte eng mit Schroeder und Hafner abgestimmt", heißt es auf mena-watch.com. Zum Projekt gestoßen war Mansour, weil zuvor der niederländisch-jüdische Autor Leon de Winter von Arte als "islamophob" abgelehnt worden sei. Dem Blog zufolge habe das Problem der französischen Arte-Seite mit dem Film damit zu tun, dass es darin zu stark um Antisemitismus der palästinensischen Hamas geht.
Handelt es sich also darum, dass Kritik an islamischem Antisemitismus lieber unterlassen wird, weil es ja auch anderen, bequemer kritisierbaren Antisemitismus gibt? "Autor Schroeder vermutet auf französischer Seite 'schlichte Angst', den muslimischen Teil der Bevölkerung zu provozieren - im zweiten Jahr des Ausnahmezustands nach mehreren islamistischen Anschlägen", schreibt Claudia Kornmeier, die den Film ebenfalls gesehen hat und auch ein paar tatsächlich provozierende Momente darin benennt, bei digitalfernsehen.de.
"Als Alain Le Diberder die Ausstrahlung schriftlich ablehnt, wendet sich Schroeder an den WDR-Intendanten Tom Buhrow, der die Antwort an seinen Fernsehdirektor Jörg Schönenborn delegiert. Schönenborn schreibt knapp, der WDR sei nicht zuständig, im Übrigen respektiere er die Entscheidung des Arte-Programmdirektors. Auch Matthias Kremin, der Leiter der WDR-Abteilung Kultur und Wissenschaft, stellt sich in einer E-Mail an Schroeder hinter Le Diberder: Der Film sei zwar gewiss interessant, entspreche aber nun mal nicht der Vereinbarung, einen Überblick über den Antisemitismus in Europa zu geben. Zudem lehnt Kremin es ab, die Dokumentation ersatzweise ins Programm des WDR zu übernehmen" (noch mal mena-watch.com).
Es handele sich um "getrennte finanzielle und programmliche Kreisläufe" bekam Torsten Wahl von der Berliner Zeitung (nachdem deren Kolumnist Aly "Zensur - sei es aus Wurstigkeit, Feigheit oder 'antizionistischem' Ressentiment" beklagt hatte) von den Sendern zu hören.
Wie auch immer: Raum dafür, auch diskussionswerte Sendungen, die womöglich misslungen sind, zu zeigen, müsste die Vielzahl der öffentlich-rechtlichen Kanäle eigentlich bieten. Misslungenes Konsens-Fernsehen wird schließlich ebenfalls mehr als genug ausgestrahlt.
Nachtrag am Vormittag: einen zweiminütigen Trailer gibt's nun auf mena-watch.com zu sehen.
+++ Plötzlich wieder voll im Fokus der vielen Politik-Experten: Hubert Burdas Bunte! Ein (online wohl nicht verfügbares) Interview, das der wahrscheinlich nicht mehr lange amtierende Ministerpräsident Torsten Albig der Illustrierten gab, könnte an seiner Wahlniederlage mit schuld sein. Das hatte SZ-Redakteurin Ulrike Heidenreich schon gleich geahnt, und jetzt glauben es viele. "Manch verärgerte Holsteiner Hausfrau mag sich ebenfalls nicht mehr auf Albigs Augenhöhe gefühlt haben" (Johanna Dürrholz, FAZ). Experten-Interviews zum Interview gibt's etwa wiederum bei sueddeutsche.de (Andrea Römmele, "Professorin für politische Kommunikation an der Hertie School of Governance": "Im Sport spricht man von 'unforced errors' - von unnötigen Fehlern. Dieses Interview war genau das") und bei SPON (Michael "Keiner kennt sich besser aus im Boulevard" Graeter ganz cool: "Aber das würde ja bedeuten, dass alle Leute die 'Bunte' gelesen haben. Das glaube ich nicht. Der hat bei dem ein oder anderen Kaffeehausleser vielleicht eine Überraschung ausgelöst. Aber die Wahl hat es nicht entschieden.") +++
+++ Wohl nicht mehr Mainstream: Xavier Naidoo. Differenzierte Erklärungsversuche der neue Entwicklung des bei der ARD immer weiter ausgelandenen Sängers, aber auch Privatfernseh-Moderators haben knapper, aber komplex das SZ-Feuilleton (Jens-Christian Rabe: "berühmtester Vertreter dessen, was man vielleicht paranoische kritische Vernunft nennen muss"; "Naidoo also als bloßen Spinner abzustempeln, wie es gerne geschieht, ist zwar einerseits sehr verständlich, aber leider auch gefährlich bequem") und ausführlicher, aber einfacher formuliert ein zwei-bis-vier-Autoren-Team vom Tagesspiegel ("Er sieht es einfach nicht"). +++
+++ Noch mal was aus der BLZ: "Zuschauer sollen bald für bisher kostenloses Satelliten-TV zahlen", so wie sie in Kürze auch für privates digitales Antennenfernsehen bezahlen müssen. "ARD, ZDF sowie die RTL Gruppe und ProSiebenSat.1 haben dafür eine Arbeitsgruppe eingerichtet, berichtet das Branchenmagazin 'InfoDigital'". Dieses. +++
+++ Eine Zeitschrift, die "eine gelungene Bereicherung im Kioskregal und 7,90 Euro allemal wert" ist? Das Magazin namens Süddeutsche Zeitung Familie (Ellen Nebel, epd medien). +++
+++ Die neue BR-Serie "Hindafing", die ja auch schon als "die deutsche Antwort auf 'Fargo'" bezeichnet wird (APkorb gestern) "ist so hinterfotzig wie brillant", freut sich Kathrin Hollmer in der bayerischen SZ. +++ "Wer nun ein fulminantes Feuerwerk erwartet, das ein Klischee nach dem anderen in die Luft jagt und in satirischer Zuspitzung ein grelles Licht der Wahrheit auf die südwestdeutsche Provinz wirft, muss allerdings eine ganze Weile warten, bis 'Hindafing' zündet. Und selbst dann erweisen sich viele Gags doch eher als Knallfrösche" (Ursula Scheer auf der FAZ-Medienseite dazu). +++
+++ Die deutsche Pay-TV-Sender-Serie "4 Blocks" lobt nun auch die TAZ aus beinahe dem Kiez, in dem sie spielt. +++
+++ Spotify und weitere europäische Firmen, darunter deutscherseits Rocket Internet und United Internet, "fordern von der EU die Einführung strengerer Regeln für große Online-Plattformen". Das bezieht sich auf die Appstore-Regeln von Google und Apple (heise.de). +++
+++ Und "ein Platz als Standort im 'Tatort' und in der Bundesliga ist für viele mittlere Städte in Deutschland eine der wenigen Gelegenheiten, überregional bemerkt zu werden" (FAZ-Sportkorrespondent Christian Eichler). +++
Neues Altpapier gibt's wieder am Mittwoch.