Der Super-Wahltag ist absolviert. Es geht's erst mal ähnlich weiter wie bisher, in Bundesländern mit großen oder Großen Koalitionen. "Schulz-Zuweisungen" (Robert Ide im Checkpoint) könnte das Wortspielchen der Stunde lauten.
Und die Fernsehberichterstattung war, zumindest ihrem Umfang nach, in Ordnung: Die ARD hat, was sie nach der ersten Wahl in Frankreich "wiedergutzumachen" hatte, wiedergutgemacht (Antonie Rietzschel, sueddeutsche.de). Joachim Huber vom Tagesspiegel hat sogar "den Fernseher geküsst" ob der Verbindung von "Analyse mit Empathie", die er gestern darin sah und selbst impressionistisch-empathisch beschreibt.
[+++] Noch ein Blick nach Frankreich lohnt. Denn unterhalb des nicht dickhodig-breitbeinigen, sondern bloß strunzdummen (wohl kaum vom eigentlichen Autor verfassten) Klischee-Vorspanns bleibt der correctiv.org-Beitrag "Wahlkampf in den Zeiten der Post-Vérité" lesenswert. Schließlich werden in Frankreich sog. Fake-News, die die Franzosen natürlich nicht mit dem Trend-Anglizismus bezeichnen, sondern mit einem eigenen Wort, schon länger so gecheckt, wie es das Correctiv gerne in Deutschland einführen möchte.
Jacques Pezet nennt exemplarische "intoxs", die zuletzt kursierten, von angeblichen Rolex-Uhren über angebliche Homosexualität bis zu angeblicher Wahlkampf-Finanzierung durch Drogengelder bzw. Saudi-Arabien, und referiert die These, dass "Wähler aus dem konservativen bis rechtsradikalen Lager" Falschmeldungen deutlich öfter teilen würden als andere. Außerdem macht er so deutlich, wie es hierzulande noch selten formuliert wird, dass "Fact-Checking" und "Fake-News" halt "Label" sind und von allen Seiten gegen die meisten übrigen Seiten verwendet werden:
"Die Wahlkampfteams der vier Hauptkandidaten hatten außerdem eigene Abteilungen, um die Argumente von Gegnern oder die Berichterstattung der Medien zu kritisieren. Und spielten mit dabei mit dem Label Fact-Checking. Obwohl das, was sie machten, mit Fact-Checking herzlich wenig zu tun hatte. ..."
[+++] Der Rundfunkrat des Hessischen Rundfunks hat am Freitagnachmittag ein neues Mitglied begrüßt. Es ist nicht dasjenige, das auf dem Foto über der Pressemitteilung zu sehen ist (das ist der grüßende Rundfunkratsvorsitzende). Vielmehr ist es Selcuk Dogruer, der "Vertreter des DITIB-Landesverbandes Hessen e.V.", also einer der Regierung des nett formuliert: autokratischen türkischen Staatschefs Erdogan unmittelbar unterstellten islamischen Organisation.
Zufällig taucht diese Ditib gleich nochmal in Medienmeldungsspalten auf, weil sie am selben Freitag mit einem BigBrotherAward des Vereins Digitalcourage e.V. ausgezeichnet wurde – wegen "handfesten Bespitzelns ... im Rahmen einer religiösen Gemeinschaft". Dieser Negativpreis steht, wie der Veranstaltungsort Bielefeld bereits andeutet, nicht im ganz großen Licht der Öffentlichkeit. Die Ditib selbst trug mit ihrer Reaktion aber dazu bei, dass die Öffentlichkeit größer wurde (vgl. z.B. TAZ) und der Ausrichter einen stattlichen Medienspiegel zusammenstellen konnte.
Wobei auch eine kritische Anmerkung von netzpolitik.orgs Markus Reuter zu einem anderen Ausgezeichneten Aufmerksamkeit verdient:
"Weiterer Preisträger ist dieses Jahr verdient der Industrieverband Bitkom, der für sein beständiges Lobbyieren gegen den Datenschutz mit dem Negativpreis in der Kategorie 'Wirtschaft' ausgezeichnet wird. Bitkom fördere Big Data und 'Datenreichtum' und setze sich gegen Datensparsamkeit sowie eine Zweckbindung von Daten ein, heißt es in der Begründung der Jury. Als hätten die Herausstellung der datenschutzfeindlichen Positionen und des Lobbyeinflusses auf die Bundesregierung nicht gereicht, wird der Verband in der Laudatio etwas unglücklich als 'Tarnorganisation großer US-Konzerne' bezeichnet, obwohl dieser seine Mitglieder offenlegt."
Vielleicht sollten Lobbys, und wer dazu gehört, einfach grundsätzlich öfter benannt werden ... Jedenfalls gibt das breite Feld der vielen, prominenten Negativ-Preisträger, zu denen ferner Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, eine renommierte Universität sowie ein Hersteller von Software, die es ermöglicht, "dass zwei Menschen unterschiedliche Preise für die gleiche Ware bezahlen müssen", gehören, einen guten Überblick über die multiple Überwachungs- bis Ausspähungs-Lage.
Was den HR betrifft: Der Pressemitteilung zufolge zog die Ditib ins Gremium "mittels eines Losverfahrens" unter drei muslimischen Glaubensgemeinschaften, so wie es das hessische HR-Gesetz von 2016 vorsieht (siehe Medienkorrespondenz damals), ein. Der neue Gremiengremlin Dogruer beherrscht bürokratischen Tonfall bereits gut ("Dies wird zur Beheimatung der Muslime und des Islams in Hessen elementar beitragen"). Wenn er sich demnächstmal, falls nicht zur Medienfreiheit in der Türkei, dann einfach zur Deniz-Yücel-Frage äußern könnte, wäre das zweifellos hilfreich.
[+++] Hessen liegt mitten in Deutschland und ist vielleicht sogar typisch fürs ganze Land. Zumindest testet der Spiegel-Verlag seine neue Fernsehzeitschrift (siehe Altpapier, im Korb oben), indem er sie einstweilen "nur an hessischen Kiosken" zum Verkauf anbietet. Das steht z.B. hier in der spiegel.de-Meldung, die das Nora-Tschirner-Interview daraus zusammenfasst.
Erste Spiegel Fernsehen-Besprechungen gibt's bei meedia.de (Alexander Becker: "ein großer, kluger und ruhiger Mantelteil und ein uninspirierter Programm-Bereich, der ohne Bewertung und Einordnung daherkommt") und bei horizont.net (David Hein: "sehr hilfreich bei Formaten, die im klassischen linearen Fernsehen zu sehen sind: Neben dem konkreten Ausstrahlungstermin ist auch immer ersichtlich, wie lange die Sendung in der jeweiligen Mediathek des Senders abrufbar ist oder auf welchen Plattformen das Format noch zu finden ist").
Allerdings stimmt es gar nicht ganz, dass Spiegel Fernsehen allein in Hessen zu haben ist. In einer Ortschaft in Rheinhessen, das seinen Namen aus Gründen des 19. Jahrhunderts trägt, jedoch seit den 1940ern zu Rheinland-Pfalz gehört, begegnete ich zufällig auch einem Stapel der Hefte und erwarb ein Exemplar. Daher auch hier eine kleine Besprechung:
Spiegel Fernsehen blättert sich hochwertig durch und sieht gut aus. In der Bebilderung des erwähnten, siebenseitigen Gesprächs posiert und grimassiert Nora Tschirner, als seien die "Sagen Sie jetzt nichts"-Interviews des SZ-Magazins noch immer nicht auserzählt. Die ausführlich Spiegel-Reportage über den Lidl-Gründer und seine Heimatstadt Heilbronn aus dem April gleich noch mal nachzudrucken, ist legitim oder könnte zumindest dann sein, sofern der Anlass, die ZDF-Sendung "Das Lidl-Imperium - Der Discounter im Qualitäts-Check", nicht bloß eine weitere Aldi-Lidl-"Check"-Billigproduktion mit "Meister-Köchen" (ZDF) darstellt. Ob die Spiegel Fernsehen-Leute diese Sendung gesehen haben, bleibt unklar – so wie das ganze Heft eine Menge fundierte Fernsehkritiken, aber auch eine Menge reine Sendungs-Ankündigungen in merkwürdiger Mischung enthält.
Vielleicht enthält es überdies für Leser, die sich schon denken konnten, was Nils Minkmar von der bereits überall gelobten Dunja Hayali hält, oder nicht unbedingt wissen wollten, was Spiegel-Redakteur Alexander Kühn tun würde, falls er "eine Fortsetzung von 'Hart aber herzlich' drehen müsste", ein bisschen viel Kolumnen.
Doch der Versuch, die Fülle des linearen Fernseh-Angebots mit der wachsenden Fülle des nichtlinearen Angebots, für das es unter anderem die zwölfseitige Rubrik "Streaming" gibt, zusammenzudenken, ist spannend. Und allein der revolutionären Reihenfolge im Programme-Listing wegen, das nach ARD und ZDF erst mal die öffentlich-rechtlichen Kultursender Arte und 3sat aufführt, bevor es mit RTL und Pro Sieben am Ende der Doppelseite weitergeht, ist aller Ehren wert.
Wenn Sie also in oder um Hessen leben, oder dort vorbeikommen sollten: Kaufen Sie mal so ein Heft! Dem deutschen Zeitschriftenmarkt, der außer durch Titelvermehrung bei gleichzeitigem Auflagenrückgang ja auch durch insgesamt ansteigende Irrelevanz gekennzeichnet ist, würde es gut tun, wenn Spiegel Fernsehen in Serie geht.
"Fernsehen ist längst nicht mehr das ungeliebte Geschwisterchen des Kinos", schreiben die Fernsehkritik-Veteranen Markus Brauck und Christian Buß mit der Cinephilie der 1970er oder 80er Jahre im Editorial. "Es ist das Medium Nummer eins, das Medium unserer Zeit ..."
"Zwar wurde die Vielfaltsicherung vom Bundesverfassungsgericht damit begründet, dass gerade dem Fernsehen eine besondere 'Breitenwirkung, Aktualität und Suggestivkraft' zukommt. Die zunehmende Konvergenz der Medien führt aber dazu, dass neben das Fernsehen in großer Zahl weitere mediale Angebote treten, deren Bedeutung sich dem Fernsehen mehr und mehr annähert. Deshalb ist es notwendig, ein medienübergreifendes Vielfaltsicherungsrecht zu schaffen",
schreibt Dieter Dörr, ein Veteran der Medienaufsichtsgremien, in der aktuellen epd medien-Ausgabe (derzeit nicht frei online). Da geht es um eine womöglich bevorstehende Kooperation der Konzerne Liberty und Vodafone auf dem deutschen Markt, die Dörr "wettbewerbsrechtlich ... höchst bedenklich" fände. Folgendes Szenario malt er aus:
"Vodafone und Liberty würden ihre Aktivitäten bei der Infrastruktur für Medienverbreitung (vor allem die Kabelnetze, daneben Mobilfunk und DSL) vereinen und in das durch den Zusammenschluss entstehende Unternehmen ihr Engagement bei Medieninhalten (Fernsehsender,Pay-TV- Pakete, Sportrechte, Film-, TV- und Games-Produktion) mit einbringen".
Dass die britische Vodafone sich mit Kabel Deutschland den größten deutschen Kabelnetzanbieter einverleibt hat, ist bekannt. Dass die "Medienaktivitäten von Liberty" jenseits des Unitymedia-Kabelnetzes "etwa Eurosport, Discovery Channel, DMAX und den Verkaufs-Fernsehsender QVC, aber auch die Fernsehproduktion von Me, Myself & Eye" umfassen, also mit Discovery die für ARD und ZDF zu teuren Olympia-Fernsehrechte, ist es weniger, schon weil dieser US-amerikanische Konzern (der in der aktuellen Medienkonzerne-Rangliste Platz 14 belegt), hierzulande gar nicht unter seinem Namen agiert.
Liberty besitzt überdies nicht bloß Fernsehrechte an einer weiteren, nicht-olympischen ... äh, Sportart, sondern die ganze Veranstaltung selbst:
"Der Größenvorsprung hätte zur Folge, dass alle Wettbewerber bei exklusiven Inhalten, beispielsweise Sportrechten, nahezu chancenlos wären. Die Dimensionen werden schon jetzt sichtbar, nämlich beim Kauf der Formel 1 durch Liberty Media für berichtete acht Milliarden Dollar."
Ob die vielen kleinen deutschen Medienaufsichts-Behörden und -Kommissionen auf so etwas gefasst wären, ob das "konvergente Medienkonzentrationsrecht ..., das die zuständigen [Bundes-]Länder derzeit vorbereiten", rechtzeitig fertig würde, oder ob ohnehin europäische Stellen zuständig wären, scheint unklar. Als Urgestein der Kommission namens KEK, die in 100en Sitzungen immer wieder Anteilseigner-Veränderungen an obskursten Medienangeboten überprüft, aber noch niemals irgendetwas verhindert hat außer einmal den Springer-ProSiebenSat.1-Zusammenschluss (was rückblickend keine sehr sinnvolle Entscheidung war ...), ist Dörr in der Materie bestens drin. Seine Zweifel verdienen, ernst genommen zu werden.
+++ "Warum nur vergleichen deutsche Fernsehmacher ihre Serien ständig mit den Vorbildern aus den USA? Matthias Schweighöfer wollte, dass sein 'You are Wanted' das deutsche 'House of Cards' wird (hat nicht geklappt), Bastian Pastewkas 'Morgen hör ich auf' wurde vom ZDF-Programmdirektor als ''Breaking Bad' auf deutsch' angekündigt (war es nicht); und 'Hindafing', in diesem Monat im BR-Fernsehen zu sehen, soll den Machern zufolge die bayerische Antwort auf 'Fargo' sein. Mal sehen", fragt Karoline Meta Beisel auf der SZ-Medienseite. "'Hindafing' ist die deutsche Antwort auf 'Fargo'", schreibt Christian Buß übrigens in Spiegel Fernsehen. Beisel geht es aber eigentlich um noch 'ne deutsche Serie, "4 Blocks": "Dass '4 Blocks', die Neukölln-Mafiaserie des Pay-Kanals TNT Serie, das deutsche Äquivalent der Sopranos werden soll, hat so zwar niemand behauptet. Aber ..." +++ "Die Referenz an die US-Mafia-Serie 'Sopranos' trägt Clanchef Ali 'Toni' Hamady sogar im Namen. Der wird vom arabischstämmigen Kreuzberger Kida Khodr Ramadan gespielt" (Tagesspiegel). +++ Und Spiegel Fernsehen ist von dieser Serie und erst recht Ramadan auch ganz begeistert. +++
+++ Stoff für "Streaming"-Ressorts erscheint immer noch mehr. Facebook "will angeblich sowohl hochwertige Serien mit großem Budget als auch kurze Shows im YouTube-Stil, die günstig produziert werden können, in sein Angebot aufnehmen ... es gibt Berichte über die Verpflichtung von Hollywood-Stars für einige der Serien" (futurezone.at). +++ Und Youtube "drängt mit Eigenproduktionen auf den digitalen TV-Markt", es habe "altbekannte Stars sowie hippe, junge Promis akquirieren können" (wired.de). +++
+++ Ganz wichtig für alle, die in diesem Internet Klicks brauchen: "Nacheiern, was im Netz steht". Allerdings, "Journalismus ist das nicht", leitet Anne Fromm in der TAZ aus dem Onlinejournalismus-Subgenre Böhmermann-Nacherzählung ab. Wobei sie den Zeitspar-Faktor, der im Fall verlässlicher Zusammenfasser immerhin in ca. Minute Lesezeit die Entscheidung erleichtert, ob man sich deutlich längere Video ansieht, vielleicht einen Tick zu gering einschätzt. +++
+++ "Das RBB-Fernsehen solle dreistufig verbessert werden" und fängt an mit dem neuen "Wirtschafts- und Verbrauchermagazin 'Super.Markt'" an (Tagesspiegel). +++
+++ "Der Sport-Journalist, der "die moderne Art der Fußballpräsentation wie kaum ein anderer" prägte und dank Matthias Opfenhövel keineswegs mehr das größte Übel darstellte, hat seine letzte "Sportschau" absolviert (ebd.). "Jetzt ist es so weit, ich mach hier nicht den Seehofer - keine Angst, kein Rücktritt vom Rücktritt", soll Reinhold Beckmann noch gesagt haben ... +++ Dagegen: "Fast vier Jahre nach dem Abschied aus dem Hamburger Kommissariat spielt Wolfgang Stumph wieder Wilfried Stubbe. Der beliebte ZDF-Ermittler kehrt zurück ins TV – für einen Abend. ... 'Stubbe ist wohl Kult geworden, die Zuschauer drängen auf ein Wiedersehen', sagte der 71-Jährige der Deutschen Presse-Agentur in Dresden" (DPA/ Funkes). +++
+++ "Wer WDR 2 einschaltet, bekommt die perfekte Begleitmusik zur Regierungspolitik in NRW geboten", schrieb Andreas Rossmann unter der Print-Überschrift "NRWDR" am Samstag in der FAZ. +++
+++ Und die noch junge Wissenschaft namens Psychoinformatik hat "Zusammenhänge zwischen der Facebooknutzung auf dem Smartphone und neuroanatomischen Strukturen im 'Belohnungssystem' des Gehirns gefunden" (idw-online.de). +++
Neues Altpapier gibt's wieder am Dienstag.