Deniz Yücel schreibt aus der Haft. Leider erschien der Brief erst ein paar Stunden nach Ende des Tags der Pressefreiheit, denn da hätte er gut hingepasst, aber immerhin ist er überhaupt angekommen. Und während Giovanni di Lorenzo in der neuen Ausgabe Medium-Magazins mehr Haltung von Journalisten fordert, demonstriert Deniz Yücel in seinem Brief, was damit gemeint ist.
„Als ich vor zwei Jahren meine Stelle als Türkei-Korrespondent der „Welt“ antrat, waren die hiesigen Bedingungen allein und ausschließlich im Vergleich zu heute „milde“, also rechtsstaatlich und freiheitlich. Damals hingegen erschienen sie keineswegs als in diesem Sinne „milde“. Mir war bewusst, welchen Preis man immer schon in diesem Land für würdevollen Journalismus mitunter bezahlen musste. Diese Möglichkeiten habe ich in Kauf genommen, als ich diese Aufgabe übernahm. Darum kann der Staatspräsident beruhigt sein: Ich möchte nirgendwohin ‚ausgeliefert‘ werden und habe dergleichen niemals gewünscht.“
Oder um es auf einen Satz zu bringen.
„Ich werde nirgendwohin ‚ausgeliefert‘ werden und dieses Gefängnis nicht durch eine Hintertür verlassen, sondern durch jene Vordertür, durch die ich es betreten habe.“
Der Brief wird die Wahrscheinlichkeit, dass die Situation im Gefängnis (Isolationshaft, Besuch nur einmal die Woche) sich verbessert, eher kleiner als größer machen. Und wer das beim Lesen noch nicht verstanden hat, erfährt es in den einleitenden Zeilen der Welt-Redaktion, die irgendwie unter den Brief gerutscht sind.
„Es gehört zu den gängigen Regeln des Medienbetriebs, dass sich Betroffene zu einem laufenden Verfahren nicht äußern. Bei Deniz Yücel wäre das umso verständlicher, als seine Strafsache von starken Spannungen zwischen Europa und der Türkei überschattet wird. Aber Deniz will sich äußern, und er hat ein Recht darauf.“
Mittlerweile müsste eigentlich auch Erdogan klar sein, dass die Absicht, Deniz Yücel mundtot zu machen vielleicht noch etwas aussichtsloser ist als die, in absehbarer Zeit Mitglied der EU zu werden. Lauter und für noch mehr Menschen deutlicher vernehmbar könnte Yücels Stimme jedenfalls kaum werden. Sein mündlich über die Anwälte übermitteltes Grußwort wurde am Mittwoch beim Solidaritätskonzert vor dem Brandenburger Tor verlesen. Die taz hat es dokumentiert.
Die Botschaft auch hier:
„Sie haben uns als Geiseln genommen. Ihr Ziel war, über uns die Gesellschaft einzuschüchtern. Doch in den letzten Wochen haben wir gesehen: Es ist ihnen nicht gelungen. Wir haben keine Angst. Und Hundertausende Menschen in diesem Land haben ebenfalls keine.“
Der Brief kam also möglicherweise absichtlich einen Tag später, um nicht zwischen den übrigen Aktionen unterzugehen.
Ein erster Schritt, um zu einem vernünftigen Umgang miteinander zurückzukehren, wäre wohl, dass Erdogan endlich von den Nazi-Vergleichen loskommt. Aber die Hoffnung hat inzwischen sogar sein Anwalt verloren. Michael Hubertus von Sprenger hat sein Mandat niedergelegt und das damit begründet, dass sein Vater beinahe in einem Konzentrationslager gelandet wäre, wie Marvin Schade bei Meedia schreibt.
In dem Zusammenhang erinnert Schade noch einmal daran, wie man Erdogan nun nicht mehr bezeichnen darf, nämlich als „Ziegenficker“. Gut, dass das noch einmal erwähnt wird, bevor sich nachher nur noch Google daran erinnert. Dort ist Erdogan mittlerweile so ziemlich die einzige Assoziation, die der Suchmaschine dazu auf ihrer ersten Ergebnisseite einfällt.
Kurz abgeschweift. Nun aber zurück zum Anwalt. Der Law-Blogger Udo Vetter bezweifelt, dass es eine gute Entscheidung war, die Mandatsniederlegung öffentlich zu begründen.
In seinem Blogbeitrag schreibt er:
„Grundsätzlich muss der Anwalt (…) über sein Mandat schweigen. Und das eisern. Die Enttäuschung von Sprengers über seinen Mandanten ist wohl keine ‚offenkundige‘ Tatsache. Denn das Gefühlsleben des Anwalts in Bezug auf den Mandanten, mit dem er seinen Rückzug begründet, kennen wir ja erst seit seiner Äußerung. Sonst könnten wir nur darüber spekulieren, warum er nicht weiter macht.“
Laut Vetter könnte es nun passieren, dass Erdogan jetzt auch gegen von Sprenger vorgeht.
„Genau darin liegt mutmaßlich auch das juristische Risiko. Erdogan ist als klagefreudig bekannt. Ob er neben den Gerichten auch noch eine deutsche Anwaltskammer beschäftigt, dürfte für ihn kaum eine Rolle spielen.“
Zu dieser Einschätzung finden sich in den Kommentaren sehr unterschiedliche Meinungen im Spektrum von „hanebüchen“ bis „So unrecht hat er nicht“. Die Diskussion ist übrigens nicht nur für Menschen interessant, die sich für den Fall interessieren, sondern mindestens genauso sehr für all jene, die gerade an einer Juristen-Parodie arbeiten.
Inzwischen hat also sogar schon Erdogans Anwalt oder eben Ex-Anwalt durch seine Mandatsniederlegung im Umfeld des Pressefreiheits-Tags deutlich gemacht, dass an dieser Stelle kein Komma mehr ausreicht, sondern man wohl unweigerlich einen Punkt setzen muss. Und wenn jetzt noch ein türkischer Minister mit der Begründung abtritt, seine Tätigkeit sei mit demokratischen Werten nicht mehr vereinbar, wird man sich auch bei der ARD überlegen müssen, ob man den offenen Brief nicht doch noch nachreicht. Der war, wie man gestern im Altpapier lesen konnte, an der unvollständigen Übermittlung eines Zitats von Hanns Joachim Friedrichs gescheitert. Dabei beschäftigt die ARD doch inzwischen eine Anti-Fake-News-Einheit. Aber anscheinend funktioniert die auch nicht viel besser als jene Instanz, die dafür zuständig ist, dass die öffentlich-rechtlichen Beiträge nicht von kriminellen Mitarbeitern abgezweigt werden (ebenfalls im Altpapier vom Donnerstag).
Auf der heutigen SZ-Medienseite beschäftigt Klaus Ott sich mit der Frage (für 75 Cent bei Blendle), ob ARD und ZDF es hätten verhindern können, dass ihr Patentanwalt sie um bis zu 200 Millionen erleichtert. In dem Zusammenhang erinnert er auch daran, dass man schon nach dem großen Kika-Betrugsfall im Jahr 2011 (nicht 2001, wie in Otts Text steht. Danke an René Martens für den Hinweis!) beteuert hatte, in Zukunft müsse man wohl etwas besser aufpassen. Und nun sind die Dimensionen noch etwas größer.
Klaus Ott:
„Hätte sich irgendjemand im Technik- Institut die im Internet offen einsehbaren Zahlen dieser GmbH mal angeschaut, dann wäre wohl schon viel früher der Verdacht aufgekommen, man sei ausgenommen worden.“
Das war aber offenbar nicht so leicht. Der Bayerische Rundfunk nimmt sich und die angeschlossenen Funkhäuser mit der der Erklärung in Schutz
„
dazu hätte man ja ins Internet gehen müssenda kein Verdacht gegen den Patentanwalt vorgelegen habe, seien die Geschäftsberichte von dessen GmbH auch nicht überprüft worden. Hinzu kommt: Die Gesellschaft ist nicht unter dem Namen des Patentanwalts, sondern unter dem seiner Frau eingetragen; also nicht ohne Weiteres zu finden.“
Der letzte Absatz ist eigentlich am witzigsten.
„Dem BR zufolge wird ‚mit Hochdruck geprüft‘, ob beim IRT und dessen Trägern ‚Fehler bei der Beurteilung des Potenzials der Patente‘ gemacht worden seien. Für die Zukunft wolle man sicherstellen, dass sich Vergleichbares nicht wiederhole. Das hatten ARD und ZDF schon nach dem Malheur beim Kika erklärt.“
Und dann war da ja noch die Sache mit den Rundfunk-Gebühren (Altpapier vom Mittwoch). ARD und ZDF kommen mit ihrem Geld nicht aus. Und das, obwohl die Sender sich nach eigenen Angaben nur noch von Brot und Wasser ernähren. Der ARD fehlen in den kommenden vier Jahren 139 Millionen Euro. Eine spontane Idee wäre, erst einmal die Frauen der übrigen Patentanwälte zu googeln. Aber es gibt noch eine andere. In vier Jahren sollen die Gebühren ordentlich steigen.
Michael Hanfeld musste sich für seinen Text dazu auf der FAZ-Medienseite nicht mal Wut ansaufen. Die war eh schon da. Aber was soll man sagen, er hat ja Recht.
„Das große Rätsel ist und bleibt derweil, warum der Beitrag überhaupt steigen ‚muss‘. Denn die Sender verfügen über mehr Geld denn je.“
Dass die Gebühren tatsächlich so gut wie vollständig in die Programmgestaltung fließen, wie MDR-Verwaltungsdirektor Ralf Ludwig behauptet hatte („Mehr als 96 Prozent der Gesamtaufwendungen sind dem Programm zuzuordnen“) mag Hanfeld jedenfalls nicht so recht glauben.
„Wenn das stimmte, wäre die ARD wohl das fitteste, schlankeste und effizienteste Unternehmen der Welt. Alles zur höheren Ehre des Programms! Vom Kugelschreiber bis zum Intendantengehalt (bis zu 360 000 Euro vom Jahr), bis zur sündhaft teuren Sportübertragung (hier stimmt es tatsächlich), bis zur Alterversorgung, für die ARD und ZDF dank phantastischer Mitarbeiterverträge, welche die Gewerkschaften ausgehandelt haben, die in den Sendern die eigentliche Macht sind, Milliarden vorhalten müssen. Die ARD kalkuliert in der laufenden Beitragsperiode bei der Altersversorgung mit einer Summe von mehr als drei Milliarden Euro.“
Und letztlich bleibt es dann doch bei der ernüchternden Erkenntnis:
„(…) eine Erklärung, warum immer mehr Geld für ARD, ZDF und Deutschlandfunk dann doch wiederum nur dazu führt, dass sie sich so arm gerechnet haben, dass die nächste ‚Anpassung‘ des Rundfunkbeitrags unausweichlich erscheint, gibt es nicht.“
Vielleicht müsste man einfach mal den Patentanwalt fragen.
+++ Hinein in die vermeintliche Gewissheit, dass Prinz Philip längst keine öffentlichen Auftritte mehr absolviert, platzte gestern die Nachricht, dass Prinz Philip in Zukunft keine öffentlichen Auftritte mehr absolvieren wird. Mit 95 Jahren ist das nicht so überraschend und für die Sun vielleicht auch zu langweilig. Dort drehte man die Geschichte gleich weiter und meldete, Prinz Philip sei gestorben, wie der Independent hier dokumentiert hat, was aber möglicherweise auch einfach daran lag, dass der Text schon so lange in der Schublade lag, dass die langsam verblassende Tinte kaum noch zu lesen war.
+++ Den Eindruck, dass es Prinz Philip wahrscheinlich nicht helfen würde, tatsächlich noch zu leben, wenn die Sun die Todesmeldung auch weiterhin verbreiten würde, legt eine Reportage in der New York Times nahe, die Katrin Bennhold geschrieben hat. Sie hat die Sun in London besucht, um zu verstehen, wie es zum Brexit kommen konnte und welche Rolle die Tabloids dabei gespielt haben. In die Redaktionskonferenz, in der Redakteure und Anwälte zusammen die Headlines bauen, durfte sie zwar nicht, aber sie traf sich mit „Mr. MacKenzie“, dem „unchallenged king of ‚creative headlines‘“. Und das verlief so: „I had met Mr. MacKenzie a week earlier to ask about those headlines. ‚Your front pages were sometimes funny and sometimes outrageous,‘ I began, at which point he interrupted and said, ‚And sometimes untrue!‘“ Womit ein großer Teil des Brexits wahrscheinlich schon erklärt wäre.
+++ Die vielleicht am wenigstens überraschende Meldung des Tages: Paid-Content-Nutzer sind bereit für Inhalte zu zahlen, aber die Qualität muss stimmen. Stefan Winterbauer berichtet für Meedia über eine Studie des American Press Institute, die den Zusammenhang mit Zahlen belegt. Man hätte allerdings auch einfach in anderen Branchen fragen können, um zu erfahren: Kunden sind bereit für Brötchen zu zahlen, aber nur wenn die Qualität stimmt. Oder generell: Kunden sind bereit zu zahlen, wenn die Qualität stimmt. Aber vielleicht ist es ja doch ganz gut, es jetzt noch einmal schwarz auf weiß zu haben. Ein flüchtiger Blick auf die Lokalseiten vieler regionaler Tageszeitungen zeigt, dass man dort immer noch einer anderer Vermutung nachhängt, die sich vielleicht mit den Worten umschreiben ließe: Paid-Content-Nutzer sind bereit, für jeden Schwachsinn Geld auszugeben.
+++ Der Late-Night-Talker Stephen Colbert hat es geschafft, Donald Trump so zu beschimpfen, dass sich eine mit Hashtags (#firecolbert) bewaffnete Bewegung formierte, um Colberts Absetzung zu fordern, wie unter anderem Meedia nachzeichnet. Am Ende gibt Colbert zu, vielleicht ein wenig zu scharf geschossen zu haben, im Grunde aber weiterhin hinter seinem Rant zu stehen, und er sagt den schönen Satz: „Ich habe die Gags, er hat die Raketencodes, also ist es ein fairer Kampf.“
+++ Lars Haider, Chefredakteur des Hamburger Abendblatts, und der FDP-Politiker Wolfgang Kubicki haben für ein Interview die Rollen getauscht. Und das ist möglicherweise einer der seltenen Fälle, in denen Amerikaner ein Format aus Europa übernehmen könnten, falls das nicht auch in diesem Fall längst umgekehrt passiert ist. Wenn ich einen Wunsch frei hätte für ein Interview mit vertauschten Rollen, keine Frage: Donald Trump und John Dickerson.
+++ In der taz schreibt Frederik Schindler über den von Correctiv enthüllten „Sexskandal“, der dann doch keiner war: „Correctiv attackiert hier eine Politikerin, die womöglich selbstbestimmt entschieden hat, sexuelle Dienstleistungen zu verkaufen – und übrigens nicht ‚ihren Körper’, wie der Teaser auf Twitter behauptet. (…) Wenn die sexuellen Vorlieben der Kandidatin uns nichts angehen, warum werden diese dann im Artikel boulevardesk aufgeführt? Der Tagesspiegel, der den Artikel kurzzeitig auf seinem Internetangebot übernommen hatte, hat ihn nach Kritik schnell wieder gelöscht. Correctiv sollte das auch tun.“
+++ ORF-Moderator Armin Wolf reagiert auf die Kritik an seinem Interviewstil (Altpapier), indem er im Interview mit dem Verbandsmagazin Journalist (kostenpflichtig, Zusammenfassung bei Standard.at) einfach noch mal erklärt, was Journalisten eben so machen. "Ich stelle ja keine Fragen, weil mir langweilig ist. Ich stelle Fragen, die ich mir lange vorher überlege. Wenn ich keine Antwort bekomme, versuche ich es noch mal.“ Politiker der ÖVP kann man, wie etwas weiter unten zu lesen ist, aber auch mit so einer Aussage noch überraschen.
+++ Washington-Post-Kommentator George F. Will bezweifelt, dass Donald Trump wirklich weiß, was es bedeutet, etwas zu wissen: „What is most alarming (and mortifying to the University of Pennsylvania, from which he graduated) is not that Trump has entered his eighth decade unscathed by even elementary knowledge about the nation’s history. As this column has said before, the problem isn’t that he does not know this or that, or that he does not know that he does not know this or that. Rather, the dangerous thing is that he does not know what it is to know something.“
+++ Der Youtube-Kanale Pietsmiet schaltet seine 24-Stunden-Live-Übertragungen ab, weil die Kommission für Zulassung und Aufsicht (ZAK) das Angebot als Rundfunk einstuft, und für den braucht es eine Zulassung (Altpapier). Die Videos mit identischem Inhalt nicht live ins Netz zu stellen, ist dagegen ohne Zulassung möglich. Und auch mit ganz viel Verständnis für die gegenwärtige Rechtslage ist doch auf den ersten Blick zu erkennen, dass die Menschen, in deren Köpfen diese Gesetze entstanden sind, den Text dazu wahrscheinlich mit einer Schreibmaschine verfasst haben.
+++ ProSiebenSat1-Vorstandschef Thomas Ebeling hält ein Comeback von Stefan Raab im Moment eher für unwahrscheinlich. Im Interview mit dem Handelsblatt hat er gesagt: "Ich glaube nicht, dass Stefan Raab in naher Zukunft zurück vor die Kamera will.“ Das ist keine gute Schlagzeile. Aber was könnte der Satz noch bedeuten? Die Bild-Zeitung hat drüber nachgedacht und kommt dem dem Schluss: „Heißt aber auch, dass ein Comeback nicht ausgeschlossen ist.“ Überschrift also: „Warum wir auf ein Raab-Comeback hoffen können.“ Man sieht, theoretisch wäre die Schlagzeile „Warum man mit der Pleite der Bild-Zeitung rechnen muss“ ganz leicht zu bekommen. Mathias Döpfner müsste eben nur irgendwo sagen: „Ich glaube nicht, dass wir in naher Zukunft finanzielle Probleme kriegen.“
Neues Altpapier gibt's am Montag.