Am Wochenende diente das Foto, das zeigt, wie der geflüchtete Syrer Anas Modamani mit seinem Telefoniergerät ein Foto von sich und Angela Merkel aufnimmt, bei welt.de noch zur Illustration der spektakulären Welt-am-Sonntag-Geschichte "Fast hätte Merkel die Grenze geschlossen". (Der Bericht darüber, wie zufällig im Herbst 2015 die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung entstanden sei, wird weiter rechts stark diskutiert, z.B. bei tichyseinblick.de, sonst kaum ...).
Jedenfalls hat welt.de die Online-Bebilderung dazu dann geändert. Nun sieht sie so aus. Jeder Bericht muss bebildert werden, und an Agenturfotos zum Themenfeld Flüchtlinge/ Selfies herrscht schließlich kein Mangel. Gewiss haben sie bei welt.de bemerkt, dass dasselbe Foto in dieser Woche noch in ganz anderen Kontexten wieder wichtig werden wird: Heute soll in Würzburg vorm Landgericht das Urteil im Fall Modamani gegen Facebook (siehe Altpapier) fallen. Darin geht es darum, dass das Foto auf Facebook massiv missbraucht worden ist und Facebook zu wenig dagegen tat und weiter tue, wie die Kläger finden.
Und es wird ein Urteil fallen, denn zum vom Richter bevorzugten Ausgang des Verfahrens ist es nicht gekommen:
"Versuche des Landgerichts, die Parteien zu einem außergerichtlichen Vergleich zu bewegen, waren bis Montagabend gescheitert",
berichtet die lokale Mainpost und glaubt stolz:
"Der Ausgang des Verfahrens wird auch von der Bundesregierung mit Spannung erwartet. Kommen die Richter zu der Überzeugung, dass die derzeitigen gesetzlichen Regelungen nicht ausreichen, um Verleumdungen auf Facebook zu verhindern, könnte dies die politische Debatte beschleunigen."
Wobei das Scheitern außergerichtlicher Vergleiche schon darauf deutet, dass der Facebook-Konzern, für den viel auf dem Spiel steht, in die nächsten Instanzen gehen wird, falls das Urteil ihm nicht gefällt. Modamanis engagierter Anwalt Chan-jo Jun, der hier ein FAQ zu seinen Zielen publiziert hat, ginge wahrscheinlich, hoffentlich mit, wenn er seine Ziele nicht erreicht sieht.
Heute bereits ins große Kino ein steigt die FAZ. In einem superlativreichen Kommentar auf der Medienseite schreibt Uwe Ebbinghaus von "einer der klaffendsten Wunden des größten sozialen Netzwerks", eines "der smartesten Unternehmen der Welt", und schließt:
"Es geht in der Würzburger Verhandlung um vieles, um vieles aber auch nicht: Nicht darum, zartbesaitete Nutzer von der freien Meinungsäußerung anderer abzuschotten, nicht um die Einrichtung einer wie auch immer gearteten Wahrheitsinstanz gegen Fake-News aller Art. All diese oft zu lesenden Vorwürfe verunsachlichen nur die Debatte. Es geht rein darum, deutsches Recht in dem bestbesuchten sozialen Netzwerk des Landes durchzusetzen, auf der Höhe der digitalen Zeit. Das ist überfällig."
Schon weil die Haltung der Bundesregierung beim Umgang mit global agierenden Daten-Konzernen sich auf gespanntes Abwarten beschränkt, ist ziemlich wahrscheinlich, dass das Landgericht oder höhere Instanzen eher zeitgemäßes Recht setzen. Die Bedeutung des Würzburger Falls lässt sich tatsächlich kaum überschätzen.
Wovon die Mainpost im o.g. Artikel auch noch berichtet: von anonymen telefonischen Morddrohungen gegen Anwalt Jun und seine Familie, falls der "den Prozess gegen Facebook" nicht beende.
[+++] Zum Meta-Thema Fake-News. Auch dazu liest sich Juns schon verlinkte FAQ-Seite instruktiv. Dort heißt es z.B.:
"Warum werden Seiten, die Fake-News verbreitet haben nicht verklagt, der AfD-Funktionär aber schon?
Auf Facebook gibt es viele Seiten, die sich auf die Verbreitung von Fake-News und Hetze geradezu spezialisiert haben. Den Seiten fehlt typischerweise ein Impressum und selbst die Moderatoren werden von Facebook nicht bekannt gegeben. Wir wissen schlicht nicht, wen man verklagen kann."
Zum selben Thema erscheint heute auf der FAZ-Medienseite ein großer Gastbeitrag der Grünen-Medienpolitikerin Tabea Rößner und Karl-Eberhard Hains vom Kölner Institut für Medienrecht und Kommunikationsrecht. Falls Sie nicht erwarten können, bis faz.net ihn frei online stellt: Für 45 Cent wäre der Text bei Blendle zu haben.
Rößner und Hain schreiben erst mal alles auf, was zum Thema gesagt werden muss: dass es sowohl um "Freiheiten der Meinungsäußerung, der Medien und der Information" wie auch um "die Persönlichkeitsrechte Betroffener" geht, dass das Internet enorm missbrauchbar ist, aber weiterhin eine großartige Sache bleibt, dass "Fake-News" ein unscharfer Begriff ist, es Vergleichbares aber schon immer gab und ein staatliches "Wahrheitsministerium" im Kampf dagegen keine gute Lösung wäre. Am Ende gelangen sie zu einem schön hehren Fazit, wenn nicht Kategorischen Imperativ:
"... Insoweit bleibt er [der freiheitlich-demokratische Staat] auf das kommunikative Ethos der Diskursteilnehmer verwiesen. Die Einsicht in die innere Verpflichtung zur Wahrheit und die Entschlossenheit der Bürgerinnen und Bürger, Fake News mit den Mitteln der Vernunft als Lügen zu entlarven: Beides wird dringend benötigt zur Aufrechterhaltung eines freiheitlichen und demokratischen Meinungsbildungsprozesses, der diesen Namen verdient."
Ein großer Wurf also, dieser FAZ-Gastbeitrag? Nö, dazu scheinen zwischendurch die Dilemmata der deutschen Medienwächter-Bürokratie zu stark auf, die Rößner/ Hain sogar noch verstärken möchten. Z.B.:
"Was die Telemedienaufsicht anbelangt, so ist diese grundsätzlich subsidiär gegenüber der Möglichkeit privater Rechtsverfolgung. Sie greift auch nicht gegenüber der Presse ein, soweit diese der Selbstregulierung durch den Pressekodex und der Beschwerdeordnung des Deutschen Presserates unterliegt, bei dem auch Beschwerden im Hinblick auf Telemedien der Presse mit journalistisch-redaktionellen Inhalten eingereicht werden können. An diesen Beschränkungen des Wirkungskreises der Telemedienaufsicht sollte nichts geändert werden.
Erwägenswert erscheint jedoch die Klarstellung der Handlungsbefugnis der Aufsichtsbehörden bei Verletzungen journalistischer Sorgfaltspflichten zur Prüfung von Nachrichten auf Inhalt, Herkunft und Wahrheit durch journalistisch-redaktionell gestaltete Telemedien, wozu auch kontinuierlich und dauerhaft redaktionell betreute journalistische Blogs und Laienangebote zählen können. Wer mit solchen Angeboten auf die öffentliche Meinungsbildung einwirkt und dabei ohnehin journalistischen Sorgfaltspflichten unterworfen ist (Paragraph 54 Abs. 2 Rundfunkstaatsvertrag), sollte gegebenenfalls auch durch Aufsichtsmaßnahmen, die selbstverständlich den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren haben, zur Beachtung dieser Pflichten angehalten werden können."
Was die Staatsferne der Landesmedienanstalten anbelangt, muss man Parteipolitikern nicht unbedingt glauben. Und was die Idee anbelangt, dass diese Bundesländer-Anstalten "kontinuierlich und dauerhaft redaktionell betreute journalistische Blogs und Laienangebote" definieren sollen, gegenüber denen sie dann Handlungsbefugnisse für verhältnismäßige Pflichteinhaltungsaufsichtsmaßnahmen erhalten – hmpf.
Was Rößner/ Hain zu Facebook sagen, das sie außer als "Intermediär" (vielleicht ein sinnvoller Begriff als "Telemedien", allerdings ein noch weniger gebräuchlicher) auch als "Netzwerk" bezeichnen (wie sie allerdings correctiv.org ebenfalls nennen ...):
"Strafrechtlich ist es nicht ausgeschlossen, dass auch Mitarbeiter sozialer Netzwerke, auf denen Lügen gepostet werden, sich als Beihelfer strafbar machen, wenn sie Kenntnis (der Umstände) von Rechtsverletzungen erlangen und gleichwohl untätig bleiben."
Dass Facebook vermutlich auch aus solchen Gründen gar keine inhaltlich verantwortlichen Mitarbeiter in Deutschland beschäftigt, sondern nur Anzeigen-Verkäufer und PR-Kräfte, ist Teil des reellen Problems. Nicht des FAZ-Gastbeitrags.
[+++] Thema #FreeDeniz!
"Unpräzise Übersetzungen aus dem Deutschen", in dem Deniz Yücel schreibt, z.B. des Wortes "PKK-Chef" wurden in der Türkei als Argumente dafür verwendet, den Reporter in Untersuchungshaft zu nehmen. So argumentieren Yücels Rechtsanwälte in ihrem Widerspruch, berichtet die Welt.
Auch sonst gibt es viel neuen Lesestoff zur finsteren Lage von Journalisten in der Türkei. Aktuell im Fokus steht etwa die frühere CNN Türk-Reporterin und jetzige Hürriyet-Hauptstadtbüro-Leiterin Hande Firat, die während des (mutmaßlichen) Putschversuchs im Juli 2016 live als "Retterin Erdogans" bekannt wurde, nun aber wegen eines Artikels in Ungnade fiel. Es berichten die TAZ und ausführlicher Frank Nordhausen in der Frankfurter Rundschau:
"Sie gewann den 'Goldenen Schmetterling', einen renommierten türkischen Medienpreis, und wurde vor wenigen Tagen zur 'besten politischen Journalistin der Türkei' gewählt. Hande Firat schien eine steile Karriere vor sich zu haben – bis zum vorvergangenen Sonnabend ..."
[+++] Da ist es, auch wenn Welten dazwischen liegen, nur ein Flügelschlag zur "Goldenen Kamera". In der am Samstag mit bescheidenem Publikumserfolg ausgestrahlten ZDF-Show hat es im "Nachhinein betrachtet" doch einen "Höhepunkt" gegeben: "Am Samstag nahm ein Doppelgänger von Ryan Gosling vor einem verdutzten Publikum den Preis für den 'Besten Film International' entgegen. Dabei waren die Veranstalter dem Team von 'Circus Halligalli' auf den Leim gegangen" (horizont.net), also den beliebten Bahlsen-, Rügenwalder- und Gillette- Influenza "Influencer"n (ebd.) Joko und Klaas vom Privatsender Pro Sieben.
"Wie ProSieben erklärte, hat das 'Circus HalliGalli'-Team zur Vorbereitung die Booking-Agentur Conrad, Hertz & Gravemann (CHG) gegründet, die angeblich Hollywood-Stars vermittelt. In einem Newsletter und auf der nur zu diesem Zweck angelegten Homepage habe die Fake-Agentur darauf hingewiesen, dass Ryan Gosling am Samstag für einen Dreh in Hamburg sein würde. Das scheint glaubwürdig genug geklungen zu haben",
damit die Organisatoren des Preises halt als Empfänger Gosling buchten, berichtet welt.de mit diversen Links (zu conradhertzgravemann.com, aber auch zur "Doppelgängeragentur Florstedt aus Mülheim an der Ruhr", bei der sich der Gosling-Doppelgänger tatsächlich buchen lässt). Wie die Funke-Mediengruppe dann darauf reagierte, steht ebd. in einem weiteren Artikel.
Und dass gerade Springers Welt so gerne darauf herumreitet, wie die "Funke Mediengruppe ..., die den Preis vergibt und zu der beispielsweise die Fernsehzeitschrift 'Hörzu' gehört", ist natürlich auch vor dem Hintergrund unterhaltsam, dass die Goldene Kamera ja eigentlich ein Springer-Preis war und nur, weil Springer die Hörzu mit den meisten gedruckten Medien abgestoßen hatte, bei den Funkes gelandet ist.
Ein weiterer Grund für die Berichte ist aber, dass heute um 22.10 Uhr eine "Circus HalliGalli"-"Spezialsendung detailgenau illustriert", wie das "#GoslingGate" ins Werk gesetzt wurde.
+++ "Auf seinem Blog 'Universal Code' titelt der Online-Journalist Christian Jakubetz prophetisch: 'Was uns in einer 360-Grad-Welt erwartet' - und beantwortete diesen Cliffhanger mit keiner Silbe im darauffolgenden Text. Ich bekomme den Eindruck, dass das Spiel mit 360 Grad Selbstzweck für übereifrige Kollegen ist. Hauptsache 'innovativ'. Der Gegenstand? Egal. 'Wir zeigen dir in unserer 360-Grad-Video-Serie, wie schön Europa ist', titelt 'ze.tt'. Ist das eigentlich noch Journalismus oder schon PR?" (Elisa Makowski in epd medien über den "Hype um 360-Grad-Videos"). +++
+++ Immer noch im Gang, freilich unter geringer Medienaufmerksamkeit, sind NSU-Untersuchungsausschüsse. Welcher Aufmerksamkeit verdient: der in Potsdam. Denn dort ermächtigte die brandenburgische Parlamentspräsidentin Britta Stark vergangene Woche "die Staatsanwaltschaft, Ermittlungen wegen des Verdachts auf Geheimnisverrats aufzunehmen", und zwar wegen eines Berichts der Potsdamer Neuesten Nachrichten (einer Tagesspiegel-Schwester des Holtzbrincks-Konzerns). Es berichteten dieselben und der RBB. +++
+++ Noch mal Fake-News: "Zuletzt stellen die Wissenschaftler fest, dass Leser immer noch Quellen vergleichen und abwägen, welchen Artikeln sie glauben schenken. Jedoch schufen Fox News und insbesondere Breitbart den Nährboden für das, was Trump derzeit umsetzt: Desinformation". Bzw.: "gezielte Desinformation mit einem funken Wahrheit". Da fasst netzpolitik.org eine neue US-amerikanische Studie zu im dortigen Wahlkampf geteilten Artikeln zusammen. +++
+++ Neu von der deutschen Anti-Breitbart-Initiative schmalbart.de: der Blog beobachter-voelkischer.de. Erste Beiträge stammen von Detlef Gürtler und zeugen von weiterer Wortspielchen-Lust. +++
+++ Brandheiß auf der SZ-Medienseite: die Vermutung, dass die beliebte große Wochenzeitung Die Zeit ein kleineres, völlig anderes Zeitungsformat bekommen könnte, "ein ganz neuartiges ..., in dem die einzelnen Teile des Blattes von einer Art Schuber zusammengehalten werden". +++ Außerdem geht es um die neue Vogue Arabia ... +++
+++ ... und knapp um linksliberal-rechtskonservative Zeitungsgeschäfts-Gedankenspiele in der Schweiz. +++ Dazu die FAZ-Medienseite: "Der Milliardär und langjährige SVP-Politiker Walter Frey will die Boulevardzeitungen 'Blick', 'Blick am Sonntag' und 'Blick am Abend' kaufen und ist bereit, dafür 230 Millionen Franken zu bezahlen. Die Summe wird angesichts der Krise, unter der die Boulevardmedien ganz besonders leiden, als hoch bis exorbitant eingestuft", und der zurzeit dementierend Verlag Ringier "wandelt sich zusehends zum Unterhaltungskonzern". Wozu noch passen würde, dass er ja mit dem deutschen Ex-Verlag Springer verbandelt ist ... +++
+++ Außerdem bricht in der FAZ Michael Hanfeld eine Lanze für Gerhard Schröder! Zumindest gegen die heutige ZDF-Doku "Mensch Schröder", die "paradigmatisch alles vereint, was das Fernsehen an Oberflächlichkeiten zu bieten hat. Es gibt einen pompösen Soundtrack; es gibt Halbsätze von Wegbegleitern, politischen Gegnern und Experten, und es gibt ein Stakkato von Bildern und Klischees in der hundertsten Wiederholung". +++
+++ Der Tagesspiegel und Claus Kleber hielten es für nötig, über die zirkulierende Meldung von der Strafanzeige Altenburger Kleingärtner gegen den "heute-journal"-Moderator miteinander zu reden (nicht aber mit den Gärtnern; Kleber: "Eine Einladung zu einem Gespräch via Strafanzeige ist mir allerdings bisher noch nicht begegnet. ... Das ZDF verfügt über eine Post-Adresse und einen Briefkasten." +++
Neues Altpapier gibt's wieder am Mittwoch.