Im Fahrstuhl mit Donald Trump

Im Fahrstuhl mit Donald Trump
Die ganze Welt und ganz besonders deutsche Journalisten reden über das stunning Titelbild des aktuellen Spiegel. Hat das renommierte Magazin wieder alles richtig gemacht? Eindeutig ja und eindeutig nein, lauten die Antworten. Außerdem: Facebook schraubt am Algorithmus und muss heute nachmittag vorm Landgericht Würzburg erscheinen.

Stecken wir mitten in den Debatten um die spektakulärste deutsche Zeitschriften-Titelseite seit ... 1962, .... 1971, ... 1982, oder was gab es jenseits der Titanicen und der Bild-Zeitungen, deren Gurken- und Papst-Titelschlagzeilen natürlich jeder im Hinterkopf hat, noch?

Übrigens versteckte sich die legendär gewordene "Bedingt abwehrbereit"-Titelgeschichte von '62 hinter einem (in einer Zeit, in der Eiserne Kreuze vor Militär-Brüsten noch geläufig waren ...) verdammt unspektakulären Titelblatt.

Hier wirkt das irre spektakuläre Cover der aktuellen Spiegel-Ausgabe jedenfalls noch einen Tick spektakulärer. Da tropft das in der reinen Print-Version unbewegte Blut aus dem Kopf der Freiheitsstatue animiert in attraktiv zeitgemäßer GIF-Anmutung. Leider ist kein Sound fürs Aufplatschen der Tropfen enthalten, obwohl das im mp4-Format technisch möglich sein sollte.

An Reaktionen-Zusammenfassungen auf den Titel herrscht kein Mangel. Eine frühe mit viielen Tweets hat meedia.de gestaltet. Agenturmäßige deutschsprachige gibt's etwa bei den Dumont-Medien ("'Spiegel'-Cover mit Trump als Henker sorgt für Diskussionen") und im Standard ("Trump als IS-Enthaupter: 'Spiegel'-Cover entsetzt US-Medien", es ist aber die gleiche Übersicht). Einen individuellen Akzent setzte der Tagesspiegel hinein:

"'Ich finde die Cover-Zeichung etwas übertrieben', sagt Tagesspiegel-Zeichner Klaus Stuttmann. So eine Karikatur sollte doch immer auch eine Option in der Zukunft offen lassen, auch bei Trump. Das sei mit dem abgeschlagenen Haupt der Freiheitsstatue eben nicht mehr gegeben. Er habe aber auch schon an eine ähnliche Karikatur gedacht - die Freiheitsstatue, noch unversehrt, liegend neben Trump."

Der Künstler, der es mit seiner Übertreibung auf den Spiegel schaffte, sammelt in seinem Twitteraccount @edelstudio jede Menge internationaler Fotos mit seinem Einfall in weiteren Kontexten. So attraktiv "edelstudio" auf Deutsch auch klingt: Edel Rodriguez ist, wie in jeder der verlinkten Zusammenfassungen erwähnt wird, ein in den USA lebender Exilkubaner.

Eine schöne englischsprachige Reaktionen-Zusammenfassung hat die BBC zusammengestellt und sich darin den Spaß gestattet, deutschsprachige Schweizer vorm Brandenburger Tor vor der Kamera zu befragen, was sie denn davon halten ("What people in Berlin say about controversial cover"). Wichtiger: Das Video ist in einem Original-"Der Spiegel"-Rahmen im originalen Spiegel-Rot in den Online-Artikel eingebunden. Für den Spiegel ist das schöner als etwa die NYT/ Reuters-Meldung, in der er überhaupt nicht zu sehen ist.

Jedenfalls klar: Die Medienfüchse vom Spiegel haben die Reaktionen natürlich eingepreist. Die aus Spiegel-Sicht atemberaubendste, das "Stunning" der Washington Post (DPA/ APA-Übersetzung: "atemberaubend"), hat Chefredakteur Klaus Brinkbäumer gleich in seinem Samstags-Morgennewsletter verlinkt.

Die Kritik der deutschen Kollegen, die zwischen FAZ und TAZ in ihren jeweiligen Jargons unisono mit der Stuttmann'schen Frage argumentieren ("Wie will der Spiegel aufmachen, wenn ... ... Journalisten eingesperrt werden? Wenn Lesben und Schwule gegängelt werden? Was will der Spiegel der Freiheitsstatue dann abschneiden?", fragt Malte Göbel/ taz.de; dann hat er "sein Pulver als Trump-Kritiker früh und vollständig verschossen", antwortet Michael Hanfeld/ faz.net), lächelt Brinkbäumer gewiss weg.

Wortgewaltiger und mit mehr Zeilen in die gleiche Kerbe hauen Clemens Wergin, der USA-Korrespondent von Springers Welt, und Detlef Esslinger auf der Medienseite der Süddeutschen, der wie alle genannten auch kein Trump-Fan ist.

"Wer sein Publikum mit Klötzen wie IS und Hitler zustellt, der ... geht dessen Medientricks immer von Neuem auf den Leim. Gleichsetzungen und Dämonisierungen erleichtern ihm sogar das Handwerk. Er kann sie als Beleg für seinen angeblich 'laufenden Krieg mit den Medien' nehmen",

schreibt Esslinger und wirft dem Spiegel vor, mit seinen Gleichsetzungen "die Abstumpfung der Öffentlichkeit" zu betreiben. Wergin hat noch ein weiteres Argument:

"Tatsächlich beschädigt solch ein Cover nicht etwa den neuen US-Präsidenten, es beschädigt den Journalismus. Weil es das Vorurteil vieler Bürger bestätigt, dass die 'Mainstream-Medien' nicht unvoreingenommen berichten und dass viele Journalisten lieber ihr eigenes Weltbild promovieren, als neutral Zeugnis über das abzulegen, was ist. Wem angesichts der trumpschen Maßlosigkeit die eigenen Maßstäbe verrutschen, steht dem von Trump verkörperten Zeitgeist tatsächlich näher, als er glaubt."

Wobei es Donald Trump und denen, die auf dem von ihm am heftigsten verkörperten "Zeitgeist" surfen, ja nicht schlecht geht. Sondern, zumindest zurzeit, eher den anderen. Im vielleicht treffendsten Kommentar zur Sache kommt der Spiegel gar nicht vor. Ursula Scheer hat ihn fürs Glossen-Plätzchen im FAZ-Feuilleton am Samstag geschrieben. Es geht um die mexikanische Vanity Fair und andere internationale Medien mit klangvollen Namen und spektakulären Ideen rund um die Trumps.

"... Geschadet hat das Trump nicht. Aber dagegen, dass er auch diejenigen groß macht, die er kleinhalten will, kann er ebenfalls nichts tun. Seit Alec Baldwin in 'Saturday Night Live' den Trump gibt, macht die Satireshow satte Quote, je mehr sich der Präsident auf Twitter an dem Schauspieler abarbeitet, desto besser für diesen. Am raffiniertesten hat Megyn Kelly den Trump Bump als Karrierebooster genutzt. Erst legte sie sich als Moderatorin von Fox News mit dem Kandidaten Trump an, der tat ihr den Gefallen, sie sexistisch zu beschimpfen, prompt galt Megyn Kelly als Jeanne d’Arc des Journalismus. Es folgte ein Versöhnungsinterview – und nun wechselte sie für zwanzig Millionen Dollar den Sender. So wird der Trump Bump zur cash machine."

Und da wäre ja nur fair, wenn auch der renommierte Spiegel von solchen Win-Win-Konstellationen profitiert.

Als, wie Werber gerne sagen, starke Marke hat der Spiegel also alles richtig gemacht. Er hat genug routinierte Vermarkter an Bord, um die aktuelle, auch internationale Aufmerksamkeit zu monetarisieren. Und wird auch noch davon zehren, wenn er in ein paar Wochen, Monaten  oder Jahren wieder ein spektakuläres Cover haben wird. Es geht für klassische, traditionsreiche Medien mit noch klingenden Namen ja nicht mehr darum, die Nase vor der Berliner Zeitung oder der Frankfurter Rundschau vorn zu haben. Im Ringen bis um Geifern um Aufmerksamkeit müssen sie mit globalen Playern wie nicht nur Vanity Fair und "Saturday Night Live", also anderen, aber viel internationaleren Medien-Marken mitzuhalten, sondern auch mit Marken, die gar keine Medien sind, nicht als solche Geld verdienen müssen und dennoch Abermillionen zufriedene Follower haben. Wie, nur zum Beispiel, islamistische Terroristen und der neue US-amerikanische Präsident.

Als journalistisches Medium, als das der Spiegel ja auch eine atemberaubende Tradition besitzt, hätte er sich das aktuelle Cover besser verkneifen sollen. Nicht unwahrscheinlich, dass es künftig oft, vielleicht sogar international als eines der prominenteren Beispiel für die Entwertung des Journalismus und dafür, dass daran unter anderem auch Journalisten selbst schuld waren, zitiert werden wird. Aber diese Entwertung läuft auf vielen Ebenen ohnehin. Und wahrscheinlicher werden sich die meisten an einzelne Beispiele kaum lange erinnern. Wenn sogenannte Populisten und die, die ihnen auf Augenhöhe (zum Teil enorm kritisch) begegnen, im Fahrstuhl nach oben fahren, wer würde dann unten weiter vor sich hin differenzieren wollen?

[+++] Es ist übrigens, wie immer, auch Journalismus im aktuellen Heft mit dem typisch rot umrandeten Cover enthalten. "Der gefährlichste Mann Amerikas" ist doch gar nicht Donald Trump, erfährt man da. Leider funzt Stephen Bannon ikonisch nicht. Wenn er wenigstens einen breiten Bart trüge ...

[+++] Müssen die genannten starken Medien- und anderen Marken im Wettkampf um idealerweise verwertbare Aufmerksamkeit auch noch mit den milliardenschweren Konzernen Facebook, Google usw. konkurrieren? Oder sind das bloß unparteiische Infrastrukturen, durch die Inhalte aller Art so transportiert werden wie durch Telefon- und Fernsehkabelnetze und so was? Das ist eine mindestens so entscheidende und spannende Frage wie die nach einer Zukunft des Journalismus. Weder Politiker noch Chefs der Konzerne könnten wahrscheinlich zurzeit eine befriedigende Antwort geben.

Wo zeitnah ein Stückchen Antwort gefunden werden muss: vorm Landgericht Würzburg. Dort wird ab heute nachmittag ab 15.00 Uhr über die Frage "In welchem Ausmaß muss Facebook selbst tätig werden, um unzulässige Inhalte von seiner Plattform zu tilgen" verhandelt. Das meldet die Mainpost, die zuvor schon stolz vom "Interesse von Dokumentarfilmern und Fernsehsendern bis nach Tschechien, Japan, Arabien und Amerika" berichtete.

Es geht um den Fall, den der Syrer Anas Modamani, dessen Selfie-Aufnahme mit Bundeskanzlerin Angela Merkel in diversen Zusammenhängen auf Facebook missbraucht worden ist, und sein Anwalt Chan-jo Jun (siehe Altpapier vom Mittwoch; das darin erwähnte FAZ-Porträt Juns steht inzwischen frei online) gegen das größte der sog. sozialen Netzwerke aufgemacht haben. Eine aktuelle Zusammenfassung aus überregionalerer Sicht haben Tagesspiegel/ DPA.

Einlass ist in Würzburg um 14.30 Uhr. Wer sich bisher nicht akkreditiert hat bzw. es wurde, braucht wohl nicht vorbeizukommen. "Für Filmaufnahmen wurde eine Pool-Lösung angeordnet. Die Pool-Führer haben sich schriftlich bis spätestens 30.01.2017 anzuzeigen", informierte justiz.bayern.de (PDF).

Da treffen wirklich Welten aufeinander


Altpapierkorb

+++ Wahrscheinlich beeinflusst nichts Mediennutzung insgesamt noch mehr als wenn bei Facebook an einer Stellschraube eines Algorithmus gedreht wird. "Seit irgendjemand rausgefunden hat (und das auch von Facebook bestätigt wurde), dass Videos im großen Algorithmus-Würfelspiel bessere Chancen haben als andere Inhalte, wird die Timeline des durchschnittlichen Users geflutet von Videos", und diese Videos sollen oder müssen nun jedenfalls länger werden, hat Christian Jakubetz läuten gehört (blog.br24.de). +++

+++ "... Eine Bitte, eine Bitte an die staatlichen Sender, also an die zumindest, die nicht an existenzielle Verpflichtungen mit Werbeträgern gebunden sind. Bitte, nehmen Sie die Menschen, die mit Engagement, mit Hingabe, in unserem Metier für das Fernsehen arbeiten, ernst. Der rasend durchgezogene Abspann auf der rechten Seite des Bildschirms, ein kleiner Streifen in Rot, mit kleinstgeschriebenen Buchstaben, bei gleichzeitiger Ankündigung des nächsten Programmpunkts, ist eine – sicher nicht beabsichtigte – Missachtung unserer Arbeit. Räumen Sie bitte Zeit ein, um die Mitarbeiter unserer Filme den Zuschauern vorstellen zu können", bat Senta Berger letzte Woche bei der Verleihung des Deutschen Fernsehpreises (medienkorrespondenz.de). Nicht nur, dass sie mit der Abspann-Rettungs-Bitte absolut recht hat. Dass die öffentlich-rechtlichen Sender von Schauspielern, die bei ihnen gut im Geschäft sind, als "staatliche" bezeichnet werden, geschieht auch nicht alle Tage ...+++

+++ Über den Stand der befürchteten Ausbreitung breitbart.coms nach Deutschland berichtet Johannes Drosdowski in der TAZ (mit vielen Links). Die Domain breitbartnews.de hat sich ein engagierter Gegner des US-amerikanischen Portals gesichert. Den deutschsprachigen Facebookauftritt facebook.com/breitbartnewsDE betreiben offenkundig die, vor denen er gesichert wurde ... +++

+++ Lob, das Martin Schulz vielleicht nicht uneingeschränkt gerne so hört: "Martin Schulz ist authentisch und spricht eine klare Sprache. Das funktioniert immer gut – wie wir auch bei Donald Trump sehen". Der Kontext, dem das Zitat entstammt, ist ein ausführliches Tagesspiegel-Interview mit dem Shootingstar des linguistischen Framing-Erklärens, der (deutschen) Berkeley-Forscherin Elisabeth Wehling. Aussagen wie "Ich werbe dafür, nicht jeden sprachlichen Köder der AfD zu schlucken und breitzutreten" können kaum breit genug getreten werden ... +++

+++ Das von Can Dündar geleitete, vom an vielen Fronten (darunter der bei Facebook) engagierten Correctiv zunächst finanzierte türkische Onlinemedium ozguruz.org hat in seinem deutschsprachigen Bereich einen interessanten Pressespiegel. +++

+++ Das "Roulette um die Gunst des Fernsehpublikums" in den USA dreht sich ebenfalls rasant, berichtet Franz Everschor in der Medienkorrespondenz (nun frei online). Er erkennt "den Beginn einer Strategie von Apple, selbst mehr wie ein Medienunternehmen auszusehen als wie der Distributor von anderer Leute Medien." +++

+++ Booster für den "Tatort" am 19. März: Ist's der letzte mit Sibel Kekilli als Co-Kommissarin? Ja, ist die SZ überzeugt. Nein, glaubt die Bild am Sonntag (dwdl.de). +++

+++ "Hier können sie das Interview noch einmal nachlesen", steht über der nun frei online erschienenen Version des großen Rücktritts-Interview mit Sigmar Gabriel aus dem Stern vor anderthalb Wochen (Altpapier). +++

+++ Neues zur Spiegel-Geschäftsidee "Daily": Es sei "als in sich geschlossenes Angebot mit festem Redaktionsschluss konzipiert" und es "sollen ... bereits fünfstellige Verkäufe ausreichen, um mit 'Spiegel Daily' kostendeckend zu arbeiten" (Ulrike Simon, horizont.net). +++

+++ Findet eigentlich kein bekannter deutscher Nicht-Spiegel-Journalist das aktuelle Spiegel-Cover gut? Doch! Sogar "überdurchschnittlich gelungen", findet es der stern.de-Chef. +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Dienstag.

weitere Blogs

In einer Kirche hängt links neben dem Altar ein Schild mit der dreisprachigen Aufschrift No pasar - Überholverbot - no passing
In Spanien gibt es ein Überholverbot am Altar.
G*tt ist Körper geworden. Was für eine Gedanke! Birgit Mattausch geht ihm nach.
Heute erscheint der sechste und vorerst letzte Beitrag unserer Themenreihe Polyamorie. Katharina Payk fragt: Wo kommt Polyamorie im Kontext von Kirche und Pfarrgemeinde vor?