Eines der Themen, das medieninteressierte Nischen und Blasen vermutlich durchs Jahr 2017 durchgehend begleiten wird, machte der vorletzte Spiegel des Jahres 2016, der am für den Einzelverkauf ungünstigen 23. Dezember an die Kioske musste, publik:
"Innenministerium will Abwehrzentrum gegen Falschmeldungen einrichten",
meldete Spiegel Online mit einem extrem imposanten Thomas-de-Maizière-Foto unter der Spitzmarke "Fake News" vorab. Offizieller solle diese Einrichtung "Abwehrzentrum gegen Desinformation" heißen. Zu den natürlich aus dem Altpapier bekannten Plänen zitierte SPON aus einem "aktuellen Vermerk, der dem Spiegel vorliegt. Darin heißt es weiter: 'Da der Schwerpunkt bei der Öffentlichkeitsarbeit liegt, sollte die Federführung für diese zu schaffende Bündelungseinheit beim Bundeskanzleramt (Bundespresseamt) angesiedelt werden'".
Klar, dass außer Wolfgang Kubicki (FDP, via Funke-Presse) und Michael Hanfeld (FAZ) auch die eher linken Hacker vom Chaos Computer Club – also ungefähr alle, die aktuell nicht selbst beim Bundespresseamt angesiedelt sind – sarkastisch-polemisch vom geplanten "Wahrheitsministerium" sprechen.
"Die CDU befürwortet seit Neuestem einen Staftatbestand für Desinformationskampagnen oder 'Fake-News-Abwehrzentren', 'liebevoll Wahrheitsministerium genannt', so Karolin Schwarz in Anspielung auf eine entsprechende Institution in George Orwells dystopischem Roman '1984'",
heißt's im FAZ-Bericht vom CCC-Kongress unter Bezug auf die hoaxmap.org-Macherin.
Der traditionell zwischen den Jahren stattfindende, rund 12.000 Teilnehmer starke CCC-Kongress in Hamburg befasste sich wie gewohnt ausführlich mit solchen Themen. "Ein Großteil der Menschen im Internet erlebt Zensur nicht mehr in der klassischen Form der gesperrten Webseite. Stattdessen werden einzelne Inhalte in sozialen Netzwerken intransparent gelöscht oder der Zugang zu Webseiten gedrosselt", fasst netzpolitik.org etwa den "Stand der Internetzensur 2016" (gemäß einem Vortrag der US-Amerikaner Will Scott und Philipp Winter) zusammen.
Aufmerksamkeit verdient auch ein (Audio-)Interview, das das Inforadio des RBB zum Kongress sowie zur Fake-News-Frage mit netzpolitik.org-Macher Markus Beckedahl führte. Wobei die (Online-)Überschrift "Viele Sender, wenig Kompetenz" wohl nicht anprangern wollte, wie zwischen Krimi- und Schmonzetten-Doppelfolgen, Pflaume, Lanz und gründlich formatierten Nachrichten-Häppchen öffentlich-rechtliche Informationskomeptenz flöten geht, sondern vielmehr Beckedahls vielleicht leicht Brecht-inspirierte These aufgreift, dass "sehr vielen Menschen gar nicht bewusst ist, dass sie mittlerweile eine Senderfunktion eingenommen haben".
Es geht im Interview dann um Medienkompetenz, die "in die Gesellschaft getragen" werden müsse, und um Journalistenausbildung. Der Moderator, der auch nicht ewig Zeit hat, sondern in seinem Sender den aktuellen Stand der Weltlage alle 20 Minuten von vorn durchzugehen hat, fragt, ob "man der gesamten Bevölkerung sozusagen einen Journalistenkurs aufdrücken" kann. Da erinnert Beckedahl an die Reihe "Der siebte Sinn", die einst im Fernsehen zur Bekanntheit sinnvoller Regeln für Sicherheit im Straßenverkehr beitrug. "Vergleichbare Formate für Informations- und Medienkompetenz" könnten nun "vielen Menschen ein klein wenig Orientierung" bieten, sagt er.
Dass, was Fake ist, zu einem gewissen bzw. dummerweise: ungewissen Anteil im Auge bzw. an der Haltung der jeweiligen Betrachter liegt, arbeitet u.v.a. der oben verlinkte FAZ-Text heraus (natürlich anhand der bekannten Hanfeld-Haltung). Und eine Nachricht über syrische Flüchtlinge, die in einer U-Bahnstation in Berlin-Neukölln zu Weihnachten einen Obdachlosen anzünden wollten, hätten vermutlich selbst ganz weit rechts stehende Zeitgenossen für zu krass erfunden gehalten, um echt zu sein. Auch das gehört zur Lage in Deutschland im Winter 2016/ 17.
[+++] "Das Land geht, auch wenn darüber fast nie gesprochen wird, durch eine schwierige Phase, das Grundrauschen aus beunruhigenden Nachrichten wird lauter. So viel Argwohn, so viel Hass gegen die Macht und die die Mächtigen war nach dem Krieg kaum je, höchstens Ende der Sechzigerjahre. Damals endete eine Epoche. Und eine neue begann."
Mit fast kämpferischer Vorfreude angesichts solch "vorrevolutionärer Stimmung", wie es im selben Text heißt, steigt Ullrich Fichtner aus der Titelgeschichte im letzten Spiegel des Jahres 2016 aus (kostenpflichtig, bei Blendle 1,99 Euro).
Dieser Spiegel ist der aktuelle und was ganz Besonderes:
"Weil der Spiegel am 4. Januar einen runden Geburtstag feiert, ist dies ein besonderes Heft geworden. Die Redaktion schaut zurück und blickt nach vorn",
heißt's gratis im Editorial, das ferner "eine dreiteilige Serie mit Beiträgen zu der Spiegel-Sprache, den Spiegel-Kritikern und der Wirkung des Spiegel" ankündigt, sowie "natürlich ... auch ein Buch: Klaus Brinkbäumer, Hauke Janssen und Cordt Schnibben spiegeln deutsche Gesellschaft und den Weltenlauf in der Erfolgsgeschichte des Magazins, seinen wichtigsten Scoops, Essays und Storys". Das Heft widmet 66 von 176 Seiten dem Jubiläum, u.a. um Fragen zu beantworten, die noch in den 1990ern brennend interessiert hätten ("Warum waren Spiegel-Gründer Rudolf Augstein und CSU-Politiker Franz Josef Strauß eigentlich zerstritten?").
Ob die ausgiebigen Selbstfeierlichkeiten zum 70. Geburtstag (heißt: Wer das Buch zu kaufen erwägt, könnte überlegen, lieber noch das zum dezimalsystemgemäß größeren Geburtstag 2021 abzuwarten) den Glanz des Magazins wieder aufzupolieren helfen, wird sich zeigen.
Ein in seiner Superlativik mindestens angemessenes Geburtstagsgeschenk gab es jedenfalls beim bereits erwähnten CCC-Kongress. "So tickt Deutschlands größte Nachrichtenseite", fasst netzpolitik.org die Analyse von "knapp einhunderttausend Artikeln", die SPON in den letzten beiden Jahren veröffentlichte, zusammen. Der Informatiker David Kriesel hat sie unter dem Stichwort "SpiegelMining" mit "Keword-Graphen", "gefilterten Knoten" und so etwas, also schwer datenjournalistisch, aber im Fließtext schön erklärt, untersucht. Hier etwa gibt's "die Artikellandschaft der letzten zwei Jahre" bei SPON "zum selberforschen".
Ein zugespitztes Ergebnis lautet, wiederum laut netzpolitik.org:
"Es wird sichtbar, dass 'Panorama', 'Politik' und 'Sport' zusammen etwa die Hälfte aller veröffentlichten Artikel in dem erfassten Zeitraum von 2014 bis heute waren".
Vor dem Hintergrund könnte die Ende 2016 teilweise heftigst (u.v.a. hier drunter) geführte Diskussion, auf was SPON noch mal gepolt ist, wiederbelebt werden.
[+++] Aber das muss natürlich auch nicht sein. Den Fame, "Deutschlands größte Nachrichtenseite" (netzpolitik.org) zu sein, kann SPON niemand nehmen. Oder höchstens, je nach Berechnung, der klar unsympathischere "Trendsetter des digitalen Journalismus", als den die Axel Springer SE bild.de bezeichnete. Mit der Hammer-Personalie des späten Medienjahrs 2016, Kai Diekmanns überraschendem Abschied von der Bild-Zeitung, hinein in den ...
Altpapierkorb
+++ "Der Bekanntgabe von Kai Diekmanns Abschied bei Bild (zum Ende Januar 2017) am Freitag folgte nur wenige Minuten später die Nachricht, dass Peter Tamm gestorben ist" (noch mal Ulrike Simon, nun im "BZ-Porträt Diekmanns", wobei das B für Badische Zeitung steht). +++ Eigentlich überall gab's so oder so eingeschränktes Lob à la "Diekmann war und ist in seiner Facettenhaftigkeit für viele Überraschungen gut" (Joachim Huber, Tagesspiegel). +++ Die TAZ witzelte tazzig. +++ Im Deutschlandradio nante Brigitte Baetz ihn "eine Art 'Leader of the Pack der deutschen Medienszene'". +++ "Mit dem ihm eigenen Selbstbewusstsein vertrat Diekmann den Standpunkt, dass der Vorsprung, den 'Bild' - die mit der gedruckten Auflage dieselben Probleme hat wie andere Blätter -, als Marke durch die Abstimmung mit der Zeitung und dem Online-Auftritt habe, uneinholbar sei. Das kann man für übertrieben halten, wird aber feststellen müssen, dass Springer die Herausforderungen der digitalen Welt verstanden und angenommen hat", schrieb Michael Hanfeld in der TFAZ. +++ Szenisch mit dem zehnminütigen "letzten großen Auftritt von Kai Diekmann in der Bild-Redaktionskonferenz" stieg die Süddeutsche ein, um dann u.v. a. gespannt darauf zu machen, ob Diekmann selbst ein Medien-Unternehmen gründet. +++ Falls Sie lieber einen Tamm-Nachruf lesen wollen: "Tamm, der Frau und fünf Kinder hatte, hat seine Zeit genutzt und der Welt eine Menge hinterlassen" (Hans Leyendecker, ebd.) +++
[+++] Auch verwickelt: die Vorgeschichten zum ersten Sonntagskrimi des jungen Jahres. "Jede Begründung ist besser als gar keine, doch über diese muss man sich als Kritiker nach Ansicht von 'Angst heiligt die Mittel' wundern. Das Erste hatte sich aus 'Rücksicht auf die Opfer, ihre Angehörigen, Betroffene und das Empfinden von Zuschauern' entschieden, den Dortmund-'Tatort' erst später zu zeigen, weil darin ein islamistischer Terroranschlag gezeigt wird. Nach dem LKW-Anschlag auf Besucher des Weihnachtsmarktes auf dem Berliner Breitscheidplatz ... erschien der ARD die Ausstrahlung dieser Folge nicht mehr opportun. Doch dieser 'Polizeiruf' ist kaum besser geeignet zur Einstimmung der ARD-Zuschauer auf das neue Jahr" (Kurt Sagatz im Tagesspiegel). +++ Allerdings, vielleicht war der zuvor erst ein-, dann zweimal verschobene Krimi noch schlechter geeignet. "Dann ereilte den eilends vorgezogenen Saarbrücker „Tatort“ das gleiche Schicksal – weil den Saarländern plötzlich einfiel, dass sie Devid Striesows neue Ermittlung ja auf dem Saarbrücker Ophüls-Festival uraufführen wollten. Was, wenn es geplatzt wäre, für das Saarland eine echte Erleichterung gewesen wäre, weil man nach dem Film beinahe alles gesteht, so furchtbar ist er" (Elmar Krekeler, welt.de). +++
+++ Was die ARD heute abend zeigt: "Frank Hennings (Heiner Lauterbach), der bei einem Bombenanschlag in Berlin Frau und Tochter verliert, reist auf eigene Faust nach Marokko, dem mutmaßlichen Drahtzieher des Attentats hinterher" (Süddeutsche). +++ Oliver Jungen in der FAZ: "Der ARD-Zweiteiler macht viel richtig: Er spielt an glaubhaften Schauplätzen, wagt lange dialogfreie Sequenzen, setzt Untertitel ein, wo Arabisch oder Französisch gesprochen wird (auch wenn alle Hauptfiguren zufällig perfektes Deutsch beherrschen). Sogar schmutzig darf es zugehen, der Held etwa muss unschön schwitzen.
Doch es gibt eine ganze Reihe dramaturgischer Probleme, zu viele selbst für ein auf Spannung und satte Emotionen setzendes Genre-Stück mit einem knalldummem Titel. ... Regelrecht albern aber wird es, wenn ein eben noch eiskalter Killer beim Blick in die Mündung einer Waffe plötzlich redselig mit seinen Taten prahlt oder wenn gute wie böse Protagonisten dasselbe Lieblingsgedicht haben: Rilkes 'Panther' ..." +++ Tilmann P. Gangloff beweist hier nebenan nicht nur sein großes Herz für deutsche Fernseh-90-Minüter, sondern hat auch noch was zum Drehbuchautoren-Pseudonym "Klaus Burck" zu erzählen. +++
+++ Die Idee, "das Recht zum Kommentierten ... mit einem kleinen Quiz zum Text freischalten" zu müssen: "Drei Fragen zum Inhalt, bei drei richtigen Antworten darf man wüten" wirft Ex-Spiegel Online-Netzwelt-Chef Konrad Lischka in seinem Blog noch mal in die Debatte. Dann blieben viele Hass-erfüllte Kommentare ungeschrieben, denn nachweislich hätten viele von ihnen "nur die Überschrift gelesen" und würden solch eine Mühe scheuen. +++
+++Zurück ins Fernsehen: "Beim ZDF glauben sie neuerdings an Glückskekse: Zum Jahresauftakt lässt der Sender zur Überschrift 'Großer Unterschied zwischen seriöser Astrologie und Unterhaltung' einen Sterndeuter ('professionell') nicht nur über sein persönliches Uranus-Erlebnis salbadern. Der Mann, vorgestellt als 'Vorsitzender des Astrologenverbandes', erklärt herkömmliche (also nicht von ihm stammende) Horoskope für Hokuspokus und empfiehlt statt dessen die Website astrodata.com - eine Jahresvorschau gibt’s dort für 59 Euro (Gegenwert: 3 Monate öffentlich-rechtliche Rundfunkabgabe)" (Lorenz Maroldt im Tagesspiegel-Checkpoint). +++ Eine instruktive Silvester-Fernsehkritik unter der Überschrift "Böller, Bono und Blondinen" (wobei mit letzteren Andrea Kiewel und Johannes B. Kerner gemeint sind) hat Harald Keller für die Frankfurter Rundschau verfasst. +++
+++ "Eine völlig andere Fernsehwelt als die des quotenoptimierten Hauptprogramms", die nun 50 Jahre alt wird und in digitalen Randzonen noch besteht, ist noch ein Thema der SZ-Medienseite: Benedikt Frank stellt das "Telekolleg" vor. +++
+++ Sibylle Boden-Gerstner war Gründerin der "wichtigsten Zeitschrift für Mode und Kultur in der DDR", der 1995 eingestellten Sibylle. Nun ist sie gestorben. Einen Nachruf hat Anja Maier für die TAZ verfasst. Bei der BLZ gab's online die DPA-Meldung. +++
+++ Der Tagesspiegel freut sich über Unterstützung seiner Auskunftsklage gegen das Auswärtige Amt durch Entertainer Jan Böhmermann, der nämlich "auf die Rechte aus seiner gesetzlichen Unschuldsvermutung, die der Freigabe von Informationen entgegenstanden", verzichtete ... (Tsp.). +++
+++ "Der Journalist macht aus allem sein eigenes Schauspiel" ist nur einer der großen Sätze, die Georg Stefan Troller, 95, im Tagesspiegel-Interview sagt. +++
Neues Altpapier gibt's wieder am Dienstag.