Die Aufklärung des islamistischen Mordanschlags auf einen Weihnachtsmarkt in Berlin läuft weiter, oder präziser formuliert: Die Bemühungen vieler staatlicher Stellen um Aufklärung tun es. Parallel dazu verlaufen die Berichterstattung darüber sowie medienkritische Bewertungen dieser Berichterstattung. All das lässt sich selbst beim besten Willen, den nicht alle besitzen und erst nicht alle bei denen mit anderer Meinung unterstellen, nicht auseinanderdividieren. All das nimmt abenteuerliche Wendungen.
Gewiss sind große Teile der deutschen Medien im Umgang mit Terroranschlägen professioneller geworden (Altpapier vorgestern). Die im Rückblick auf den Amoklauf in München im Juli peinliche Untervorsicht haben die meisten Medien nun vermieden. Damals musste Fernsehzuschauern, die zwischen Liveberichterstattungs-Bemühungen vieler Sender wählen konnten, die Tat stundenlang wie eine Variation der islamistischen Massenmorde in Paris erscheinen, bevor sie als individuelles, zum Berichterstattungs-Zeitpunkt schon beendetes Einzeltäter-Verbrechen erkannt wurde und weiter hinten/ unten in den für solche Verbrechen vorgesehenen Ressorts rasch verschwand.
Vielleicht werden Medien bei ihrer künftigen Professionalisierung erkennen, dass Übervorsicht, die stundenlang die hypothetische Chance aufrecht erhalten möchte, die Fahrt eines unbeleuchteten Lkw über dutzende Weihnachtsmarktsbesucher hinweg könnte kein Anschlag nach dem Muster des islamistischen Massenmords in Nizza gewesen sein, sondern ... etwas anderes (wer nicht so weit gehen will, "Unfall" zu sagen, müsste wohl einen Begriff dafür bilden), auch noch nicht den letzten Schluss der Weisheit darstellt.
Die Verunsicherung der Berichterstatter ist jedenfalls an allen Enden spürbar. Nur zum Beispiel meldete tagesschau.de gestern (in diesem, nach späteren Wendungen völlig veränderten Artikel; Fotobeweis):
"Zwar reklamierte die Terrormiliz 'Islamischer Staat' (IS) den Angriff auf den Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche für sich. Allerdings steht bislang nicht fest, ob wirklich eine so weit verzweigte Organisation hinter dem Anschlag steht oder der Täter auf eigene Faust handelte. Der IS hatte über sein Sprachrohr Amak verbreitet, der Angriff sei eine Reaktion auf Aufrufe gewesen, die Bürger von Staaten der Anti-Terror-Koalition anzugreifen. Sollte sich bestätigen, dass der IS hinter der Tat steht, wäre es der erste islamistische Anschlag mit einer Vielzahl von Todesopfern in Deutschland."
Denn islamistische Anschläge mit vielen Todesopfern scheinen ohne offizielle Beglaubigung durch die allerbekannteste islamistische Terrorgruppe (der deutsche öffentlich-rechtliche Medien immer den Gefallen tun, sie mit ihrer Eigen-Werbebezeichnung zu benennen) doch keine islamistischen Anschläge zu sein, sondern erneut etwas anderes. Präzise Sprache lässt sich von den Redakteuren der elektronischen "Tagesschau"-Presse nicht mehr unbedingt erwarten, dafür Kenntnis des öffentlich-rechtlichen Idioms. Der Begriff "auf eigene Faust" mag im wirklichen Leben eine geringe Rolle spielen, im fiktionalen Angebot der ARD (wie des ZDF) spielt er eine große.
Es ginge wahrscheinlich viel zu weit, zu fragen, warum in Sätzen wie "Der Beifahrer war nach der Tat tot im Führerhaus gefunden worden" (in der aktuellen Fassung des tagesschau.de-Artikels) nicht einfach steht, dass auch dieser Mann ermordet wurde. Daran bestand bereits gestern keinerlei Zweifel. Doch in der Flut der Berichterstattung einzelne Sätze auf die Goldwaage zu legen, hilft kaum weiter. Berichten unter Echtzeit-Bedingungen – unter denen über etwas nicht zu berichten, worüber auf jeder Menge anderer Kanälen jede Menge zu erfahren ist, ebenfalls eine Aussage darstellt – ist verdammt schwierig.
[+++] Von verständlicher, menschlicher Verunsicherung zeugen viele Details aus der aktuell gelaufenen Berichterstattung. Nur zum Beispiel: Am Tweet
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dürfte nur Prinzipienreiter stören, dass zwei mal "stehen" nebeneinander steht. Die im Antworten-Strang darunter gestellte Frage, wem genau so eine "Meldung" nützt, ist dennoch sinnvoll. Nützt sie DPA-Kunden, deren Leser schon einmal gespannt gemacht werden und später noch einmal nachgucken wollen könnten, welche Maßnahmen denn stattgefunden haben?
Die Veröffentlichung großer Fahndungsfotos mit schwarzen Balken über der Augenpartie, mit der gestern ausgerechnet Springer-Medien zeitweise überraschten
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dürfte ihren Vorteil, persönlichkeitsrechtlich ziemlich unbedenklich zu sein, durch die Gefahr zunichte machen, dass mehr völlig Unschuldige mit dem tatsächlichen Verdächtigen verwechselt werden als nötig.
Ebenfalls Erwähnung verdient ein Tweet des Bundesinnenministerums, den v.a. ein ebenfalls getwitterter Screenshot des Die Zeit-Journalisten Mohamed Amjahid publik machte. Womöglich wissen sie im Bundesinnenministerium derzeit nicht sehr gut für Sicherheit zu sorgen. Doch wie man mit Breitenwirkung in laufende Diskussionen in sog. sozialen Medien einsteigt, wissen sie.
Weitere absurde Wendungen (z.B. laut Tsp.-Zusammenfassung: "Ausgerechnet der Pegida-Gründer Lutz Bachmann wusste möglicherweise schon Montagabend, dass ein Tunesier den Anschlag verübt haben könnte") werden gewiss auch noch beleuchtet werden. Die Antworten werden kommen, aber nicht heute (Altpapier gestern). Die Frage, wen solche Antworten, wenn sie tatsächlich gekommen sind, angesichts zirkulierender neuerer Fragen noch interessieren (oder überhaupt erreichen) werden, zählt zu denen, die Berichterstattung zurzeit so schwierig machen.
[+++] Mehr zum Thema im Schnelldurchlauf: Der Tagesspiegel beschreibt "mit dpa", um was noch mal es sich bei der von den ISIS-Terroristen "Nachrichtenagentur" genannten Organisation Amak handelt. +++ Tage nach Anschlägen gehören, so wie Tage nach Fußball-Weltmeisterschafts-Siegen, zu den nicht mehr sehr häufigen Zeitpunkten, an denen Zeitungs-Titelseiten Beachtung erfahren. Das gilt dann ganz besonders für die Bild-Zeitung. Deren gestrige Ausgabe mit der sehr großen Schlagzeile "Angst!" kritisieren (Überraschung!) der sonst nicht sehr Springer-kritische Mediendienst meedia.de und (noch größere Überraschung!) ein von Michael Hanfeld co-verfasster faz.net-Artikel. Ich würde dazu sagen, dass die Bild-Zeitungs-Titelseite circa werktäglich absurdere Schlagzeilen als eine mit "Angst" am Tag nach einem Massenmord in Berlin bringt (siehe auch hier nebenan). +++ Dann ist da noch die "Tatort"-Frage, aufgeworfen von Christian Buß, der bei Spiegel Online die nächsten "Tatorte" immer früher thematisiert als die anderen. Wenn er und die Fernsehfilm-Freunde vom Tagesspiegel das Ende einer "Tatort"-Folge spoilern, muss es ernst sein. +++ Elegant ums Spoilern herum drückt sich die Süddeutsche, die mit Hilfe des DJV-Sprechers Hendrik Zörner das vorgestern hier erwähnte Online-Video der Berliner Morgenpost ("hat ihren Sitz unweit des Berliner Breitscheidplatzes") kritisiert und nur am Ende für einen Satz nach Dotmund schlenkert. +++ Und zum wiederum gestern hier erwähnten Facebook-Angebot namens "Safety Check" kommentiert André Kramer bei heise.de:
"Je mehr Leute das Gefühl haben, dass sie ohne Facebook das echte Leben verpassen, indem sie Partyeinladungen und Veranstaltungen versäumen, desto besser für Facebook. Auch Angst kann dabei helfen. Der Sicherheitscheck ist ein weiteres Instrument, mit dem Facebook sich als unverzichtbar inszeniert."
[+++] Abhängig vom Anschlag in Berlin wie auch unabhängig davon geht die politische Diskussion über Sicherheit und Überwachung vor dem mehr oder weniger ausgesprochenen Hintergrund der Flüchtlingspolitik weiter. Aktuelle, vom Anschlag initiierte Äußerungen fasst netzpoltik.org zusammen:
"Der grundrechtsfeindliche Überbietungswettkampf hat gerade erst begonnen. Er ist unverantwortlich, unseriös und sinnlos. Es geht nicht um evidenzbasierte Sicherheitspolitik. Es geht nicht um Effektivität. Es sind Placebos, die sie uns vorschlagen, aktionistische Symbolpolitik auf Kosten des Grundgesetzes."
An diesem Beitrag muss vielleicht nicht der flaue Symbolbild-Namensscherz irritieren, der zur Bebilderung herhält, aber doch, wie unbeirrt Markus Reuter über richtige eigene Prämissen ("Keine 48 Stunden sind seit dem Vorfall von Berlin vergangen. Es steht noch kein Täter fest. Die Hintergründe sind weiter unklar ...") hinweggeht, um keine 48 Stunden nach dem Anschlag schon mal mindestens so resolut wie die von ihm kritisierten Innenpolitiker festzustellen, was alles keinesfalls geholfen hätte. Wer vehement Abwarten einfordert, wirkt glaubwürdiger, wenn er es selber ebenfalls tut.
Unabhängig vom Anschlag erging das Urteil des Europäischen Gerichtshofs zur großen, in allen Staaten Europas durch oft viele Instanzen gegangenen Frage der Vorratsdatenspeicherung:
"Der Zeitpunkt könnte nicht komplizierter sein. Zwei Tage nach dem Anschlag von Berlin, der wahrscheinlich wieder Diskussionen über Ermittlungsbefugnisse anheizen wird, verfügt der Europäische Gerichtshof weitreichende Einschränkungen der Regeln zur Vorratsdatenspeicherung. Das massenhafte Sammeln der Daten gänzlich Unverdächtiger, das vieltausendfache Speichern von Telekommunikations- und Standortdaten ohne jeden Anlass - es verstößt gegen europäische Grundrechte",
fasst Wolfgang Janisch in der Süddeutschen zusammen. Im konkreten Fall ging es um die Gesetze in Schweden und Großbritannien. Doch "eine gewisse Ironie des Urteils liegt darin, dass auch Deutschland seine Regeln zur Vorratsdatenspeicherung wird überarbeiten müssen", so Janisch.
"Kaum vorstellbar, dass die deutsche Version im Rahmen des Erlaubten liegt", findet auch Patrick Beuth (zeit.de). Wiederum bei netzpolitik.org begrüßt Constanze Kurz das Urteil:
"Anders als es derzeit politischer Zeitgeist ist, setzt das Diktum in klarer Sprache deutliche Grenzen und erinnert die Verantwortlichen im Nachdruck daran, dass die Grundrechte der Europäer keine Verhandlungsmasse, sondern schlicht zu beachten sind."
SZ-Redakteur Janisch indes findet die geltenden deutschen Gesetze "sehr zurückhaltend" und glaubt, dass der EuGH eigentlich die "rapide Erosion des Rechtsstaats" in "einigen ostmitteleuropäischen Staaten" vor Augen gehabt habe und daher so geurteilt habe. "Urteil gegen Autokraten" heißt die Print-Überschrift auf der SZ-Meinungsseite,
Das ist ein seltener Akzent. Wie sehr die Europäische Union insgesamt erodiert, gehört schließlich zu den Themen, die deutsche Medien in ihrer engen Übereinstimmung mit Blickwinkeln der deutschen Bundesregierung selten beachten.
+++ Ein Medien-Thema im engsten Sinn, das allerdings selbst deutsche Medienressorts wenig interessiert (seitdem tief im letzten Jahrtausend das verschachtelte Firmengeflecht Leo Kirchs aufgedeckt worden war): wem genau die Unternehmen gehören, die all die Fernsehsendungen herstellen. Zu einem speziellen Fall hat Torsten Zarges für dwdl.de einen lesenswerten Artikel geschrieben. Er steigt ein mit diesem langen, ebenfalls lesenswerten Lutz-Hachmeister-Interview (medienkorrespondenz.de) mit dem Brainpool-Gründer Jörg Grabosch, das wegen eines Aserbeidschan-Aspekts für ein bisschen Wirbel sorgte (uebermedien.de). Außer um die bewegte Vergangenheit der Firma Brainpool geht's bei Zarges dann auch um deren Gegenwart und Zukunft. Haben Sie mitbekommen, dass inzwischen der französische Medienkonzern Vivendi, vierzehntgrößter der Welt und an einer mehr oder weniger feindlichen Übernahme von Silvio Berlusconis italienischem Medienunternehmen Mediaset dran, bei Brainpool mit im Boot ist? Jedenfalls würden "die Kölner ... ab sofort nicht mehr darum herumkommen, Formate aus dem Banijay-Zodiak-Katalog in Deutschland an den Mann zu bringen und mit ihrer verkleinerten Produktionsmannschaft umzusetzen. Die ersten Fälle für 2017, über die DWDL.de bereits berichtete, sind die interaktive Gameshow 'All Against 1' für Sat.1 und das Nackt-Dating-Format 'Undressed' für RTL II." Und das durch die Firma, deren Ruf einst Stefan Raab, Pastewka und Co geprägt haben. +++
+++ Stefan Zweig wird in der TAZ zitiert von Alper Canigüz, und zwar deshalb (ebd.): "Die Wahrheit kann man nicht töten. Die Wörter dürfen nicht verstummen. Daher war es nur folgerichtig, die Kolumne zu übersetzen und auch außerhalb der Türkei zugänglich zu machen. Heute machen wir den Anfang mit dem Text des Istanbuler Schriftstellers Alper Canigüz, dessen Bücher auch auf Deutsch erscheinen. Er war einer der Ersten, die sich an der Fortschreibung von Asl? Erdogans Kolumne beteiligten." Die Schriftstellerin und Journalistin Asli Erdogan sitzt weiter in einem türkischen Gefängnis. +++
+++ "In der Sache ... völlig berechtigt" sei eine Beschwerde des Madsack-Verlags über das "Schleswig-Holstein-Magazin" des NDR, schreibt Uwe Vorkötter bei horizont.net: "In dem Magazin-Betrag, der am 13. Dezember ausgestrahlt wurde, übernahmen die Autoren offenbar ungeprüft Falschbehauptungen aus einem Flugblatt der Gewerkschaft Verdi - etwa die, dass die 'Kieler Nachrichten' und die 'Lübecker Nachrichten" Madsack 'gehören'. Tatsächlich hält Madsack in Kiel nur eine Minderheitsbeteiligung." +++
+++ In der Sache noch umstrittener als bislang schon (APkorb vom Dienstag): das Talkshow-Falschaussagen-Ranking, das Frauke Petry ganz oben ansiedelte. "Es ist ein albernes, unwürdiges Gezerre, dessen Ursprung aber schon in der Idee des Rankings und der zweifelhaften Methodik des 'Faktenzoom'-Projektes liegt", findet Stefan Niggemeier in einem Fortsetzungs-Bericht bei uebermedien.de. +++
+++ "The German press is making many of the same mistakes the US media made in its coverage of the Trump campaign. The AfD started gaining ground as a political force in 2013, and hit its stride in the last year, but only now is the German media beginning to take the party more seriously" (Yardena Schwartz bei cjr.org, also der Columbia Journalism Review). +++
+++ Auf der SZ-Medienseite gehts es dann noch um Fox-News-Moderatorin Megyn Kelly und ihr[en] "Feind: Donald Trump". +++ Sowie um Franz Beckenbauers Ausstieg als (eher nicht wirklich: schreibender) Kolumnist der Bild-Zeitung. +++
+++ Die FAZ-Medienseite überrascht mit etwas Ungewöhnlichem: einer Nachkritik, zum überwiegend schlecht gefundenen ARD-Film vom Mittwoch (die in ähnlicher Form allerdings vor dessen Ausstrahlung online ging) +++ "Abgeklärtheit bestimmt die Reaktion der amerikanischen Nachrichten auf den Anschlag am Berliner Weihnachtsmarkt", berichtet ferner Nina Rehfeld. +++ Kurz geht's ebenfalls um den WDR-Tatort (sowie weiter vorn im Feuilleton um die für den WDR inwzischen doppelt peinliche Versteigerung anstaltseigener Kunstwerke, bei der sich die Anstalt "auf Kosten der deutschen Gebühren- und Steuerzahler" "mit ... Auslandsauktionen ziemlich verkalkuliert" hat (wie es im gestern hier erwähnten SZ-Artikel hieß). +++
+++ Nachdem "der WDR-Rundfunkrat ... dem Projekt am Montag, den 19.12.2016, zugestimmt" hatte, durfte nun auch verkündet werden, dass Heinrich Breloer, der große alte Mann des ambitionierten Dokudramas, nächstes Jahr ein solches über Bertolt Brecht drehen wird. +++
Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.