Fake News als Handlungsauftrag der Großen Koalition

Fake News als Handlungsauftrag der Großen Koalition
Die Politik sieht in den Fake News eine Bedrohung. Allerdings müssen sich Journalisten mittlerweile fragen, ob dieser Handlungsauftrag der Politik nicht für sie selbst zu einer Bedrohung wird. Denn es ist keineswegs geklärt, wer damit eigentlich gemeint ist. Zudem sind die Überlegungen der Politik von unklaren Rechtsbegriffen bestimmt.

Es wirkt wie eine konzertierte Aktion. Im Spiegel fordert der Fraktionsvorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion neue gesetzliche Grundlagen zur Sanktionierung von Fake-News. Die Bild am Sonntag berichtet ebenfalls über entsprechende Gesetzsvorhaben des Bundesjustizminister Heiko Maas. Und im sonntäglichen Berlin Direkt des ZDF äußert sich der der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Michael Grosse-Böhmer, in vergleichbarer Weise. Das entsprechende Gesetz soll noch vor dem Beginn des Bundestagswahlkampfs in Kraft treten. Dabei ginge es keineswegs um die Aushebelung der Meinungsfreiheit, so Oppermann. Vielmehr sollen soziale Netzwerke mit einer „markt- und meinungsbeherrschende Stellung“ wie Facebook oder Twitter gesetzlich dazu verpflichtet werden, „auf deutschem Boden eine an 365 Tagen im Jahr 24 Stunden erreichbare Rechtsschutzstelle einzurichten.“ Dorthin könnten sich Betroffene wenden, „um zu belegen, dass Sie Opfer von Fake News oder Hassbotschaften geworden sind. Sie müssen das in geeigneter Weise glaubhaft machen, so wie das etwa bei Unterlassungsforderungen üblich ist. Zudem sollte die Rechtsschutzstelle Behörden bei strafrechtlichen Ermittlungen unterstützen.“

Damit ginge es also lediglich um einen Stärkung der Persönlichkeitsrechte von Betroffenen, so könnte man den Eindruck haben. Facebook und Twitter kämen damit in eine vergleichbare Situation, wie die dem Presserecht unterliegende Verlage. Bisher galten sie als Anbieter einer Infrastruktur zur Veröffentlichung von Informationen. Mit dieser neuen Regelung werden sie aber zu Urhebern, vergleichbar mit Medienunternehmen. Oppermann verdeutlicht das an einem Beispiel.

„Wenn beispielsweise kurz vor der Bundestagswahl die unwahre Behauptung auftauchte, dass Wladimir Putin den Wahlkampf eines deutschen Politikers finanziert habe und das über soziale Medien massiv Verbreitung fände, hätte niemand bislang eine echte Chance, sich rechtzeitig und effektiv gegen diese Falschbehauptung zu wehren. Das muss sich dringend ändern.“

Nehmen wir einen vergleichbaren Fall aus analogen Zeiten. Der Spiegel machte im Jahr 1987 kurz vor der Landtagswahl in Schleswig-Holstein die Barschel-Affäre öffentlich. Nach dieser Logik hätte der damalige Ministerpräsident aus Kiel nur bei einer Rechtsschutzstelle der deutschen Druckindustrie „in geeigneter Weise glaubhaft machen“ müssen, Opfer von Fake-News gewesen zu sein, um die gesamte Auflage des Spiegel sofort aus dem Verkehr zu ziehen. Diese Rechtsschutzstelle hätte Barschel auch bei den strafrechtlichen Ermittlungen gegen den Spiegel unterstützen müssen. Etwas in „geeigneter Weise glaubhaft zu machen“, ist ein Rechtsbegiff, der erst in jedem Einzelfall geprüft werden muss. Das geht wohl kaum in 24 Stunden. Theoretisch wäre das ein Einfallstor, um jede umstrittene journalistische Berichterstattung zu verhindern.

Oder soll in diesem Gesetz zwischen Journalismus und Nicht-Journalismus unterschieden werden? Darf der Spiegel in Zukunft auf Grundlage von Recherche weiterhin so handeln wie vorher, während das Max Mustermann aus Pusemuckel verboten wird? Darf sich Julian Assange gegen Aussagen von Mustermann wehren, er wäre mit Wikileaks zum verlängerten Arm des russischen Geheimdienstes geworden? Während er die gleiche Meldung in einem journalistischen Umfeld hinzunehmen hat? Reicht der Hinweis auf die Erkenntnisse amerikanischer Geheimdienste für die Annahme der Glaubwürdigkeit dieser Information, obwohl diese nachweisbar auch schon Desinformation betrieben haben? Und darüber soll tatsächlich in 24 Stunden entschieden werden.

Offenkundig geht Oppermann von einer Annahme aus: Die Wahrheit, neumodisch Fakten genannt, steht immer schon fest. Das ist bisweilen der Fall: Etwa bezüglich der Annahme, es bei der Queen mit einem Reptil zu tun zu haben, oder die Mondlandung habe es nie gegeben. Derartiger Unfug ist weit verbreitet, aber lediglich eine verschwindende Minderheit nimmt das ernst. Das hat vor allem einen Grund: Es gibt keine seriöse Quelle, die das behauptet. Ein solches Gesetz verwischte allerdings endgültig die Grenzen zwischen Journalismus und nicht journalistischer Meinungsäußerung. Es gibt nämlich genügend rechtliche Möglichkeiten (via Arnd Diringer) um sich gegen die Verleumdungen oder üble Nachreden der Mustermanns nicht nur aus Pusemuckel zu wehren. Das Gesetz gegen Fake-News könnte aber zum Einfallstor werden, um auch gegen seriöse Berichterstattung vorzugehen.

+++ Wie sehr sich die Berichterstattung innerhalb einer Woche ändern kann, zeigen übrigens die Wikileaks-Veröffentlichungen mit Materialien aus dem NSA-Untersuchungsausschuss. Noch vor einer Woche berichtete die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung von einer „hohen Plausibilität, dass die Akten aus dem Cyber-Angriff Russlands auf den Bundestag im Frühjahr 2015 stammen.“ Sie berief sich auf einen „hohen Sicherheitsbeamten.“ Nur eine Woche später sind laut Spiegel (ebenfalls via FAZ) die „Sicherheitsbehörden des Bundes überzeugt, dass nicht Hacker die Anfang Dezember von der Internetplattform Wikileaks veröffentlichten 2420 Dokumente entwendet haben. Erst recht gebe es keinen Hinweis darauf, dass das Material 2015 bei dem Cyberangriff auf den Bundestag gestohlen worden sei, heiße es in Sicherheitskreisen.“ Beide Zeitungen beriefen sich auf ein polizeiliches und geheimdienstliches Umfeld, deren Informationen sich allerdings in der Regel nicht verifizieren lassen. Ansonsten müssten diese nämlich ihre eigenen Quellen offenlegen, wovor sie aus nachvollziehbaren Gründen zurückscheuen.

Nun ist es noch nicht einmal ungewöhnlich, dass innerhalb des besagten Umfeldes widersprechende Einschätzungen über den gleichen Sachverhalt existieren. Aber müsste man jetzt die Meldung der FAS vom 11. Dezember nicht als Fake-News klassifizieren? Oder die des Spiegel von Samstag? Die russische Regierung könnte sogar mit Hinweis auf den Spiegel die Löschung des FAS-Berichts verlangen, weil dieser dessen Unwahrheit „in geeigneter Weise glaubhaft“ gemacht hat. Es gibt eigentlich keinen Grund, warum das mit einem Fake-News Gesetz nicht möglich sein sollte. In Wirklichkeit wird hier aber vor allem ein kategorialer Irrtum deutlich. Im FAS-Bericht geht es nämlich nicht um die Wahrheit eines vermeintlichen oder tatsächlichen russischen Hackerangriffs, sondern lediglich um die Einschätzung eines „hohen Sicherheitsbeamten“. Der Artikel bildet damit die Diskussionen in den Sicherheitsbehörden ab, genauso wie es jetzt der Spiegel aus einer anderen Perspektive praktiziert. Mit dem FAS-Bericht wurde gerade nicht die „Wahrheit“ über die Herkunft der Wikileaks-Veröffentlichung gemeldet.

Aber die Rezeption nahm das nicht mehr zur Kenntnis. Dort fühlten sich alle bestätigt, die Russland für alles Üble in der Welt verantwortlich machen. Während die Spiegel-Meldung jetzt alle die bestätigen wird, die die eigenen Sicherheitsbehörden für notorische Lügner und Russland dagegen für ein Unschuldslamm halten. Beide Sichtweisen haben aber mit den entsprechenden Berichten nichts zu tun. Sie belegen lediglich die Neigung vieler Mediennutzer, jede Information bloß noch zur Bestätigung des jeweiligen Weltbildes zu nutzen. In Wirklichkeit kennt immer noch niemand die Quelle, die Wikileaks mit den Materialien aus dem NSA-Untersuchungsausschuss versorgte. Es kennt also niemand die Fakten, oder gar die Wahrheit. Genau das macht aber traditionell den Journalismus aus: Häufig auf Grundlage unvollständiger Informationen trotzdem Licht in das Zeitgeschehen bringen zu müssen. Die Leser können daraus ihre Schlussfolgerungen ziehen. Sie waren dabei noch nie eine homogene Masse, wo alle die eine Wahrheit kannten. Daran wird auch ein Fake-News Gesetz nichts ändern.

+++ Das war mein letztes Altpapier als regelmäßiger Autor. Es war in den vergangenen Jahren eine spannende Zeit, den Medienwandel zu verfolgen. Er wird sich auch in meinen Beiträgen nachvollziehen lassen, so hoffe ich. Das schließt die eigenen Irrtümer mit ein. So hätte ich es mir vor Jahren noch nicht vorstellen können, dass etwa die deutsche Politik ein Gesetz gegen Fake-News planen könnte. Darin drückt sich der Bedeutungsverlust des klassischen Journalismus aus. Früher wurde noch fast selbstverständlich zwischen seriösen und unseriösen Quellen unterschieden. Das ist offensichtlich selbst in den Augen des Gesetzgebers kein Argument mehr. Dafür tragen nicht zuletzt die klassischen Medien selbst die Verantwortung. Sie haben bei zu vielen Themen den Eindruck eines homogenen Blocks erzeugt. Beispiele waren etwa die Berichterstattung über die Ukraine-Krise oder im vergangenen Jahr der Umgang mit der Flüchtlingskrise.

Das hat sicherlich auch etwas mit der Mentalität im Journalismus zu tun, sich von den Auswüchsen der Digitalisierung zu distanzieren. Dabei geriet die immer noch notwendige Verteidigung journalistischer Standards bisweilen auch nur noch zur Rechtfertigung eigener Meinungen. Es ist nämlich nicht die primäre Aufgabe des Journalismus, den eigenen politischen Standpunkt zu verteidigen. Er soll vielmehr den Lesern über Berichterstattung die Meinungsbildung zu ermöglichen. Über deren politischen Schlussfolgerungen können Journalisten zwar auch eine Meinung haben und sie entsprechend artikulieren. Aber darüber entscheidet in einer Demokratie der Wähler. Und Journalisten haben am Wahltag keine größere Bedeutung als andere Berufsgruppen auch. In dem Sinne wünsche ich dem Altpapier weiterhin viel Erfolg als kritischen Medienblog, der zuverlässig über den Medienwandel informiert. Meinen Co-Autoren Juliane Wiedemeier, Christian Bartels und René Martens möchte ich vor allem für die Solidarität danken, die ich im Frühjahr diesen Jahres nach dem Tod meiner Ehefrau Andrea erfahren durfte.


Altpapierkorb

+++ Über die Fallstricke eines Fake-News Gesetzes Hendrik Wieduwilt in der FAZ. "Die Forderung hat einen großen blinden Fleck: Viele der empört gemeldeten Beiträge sind rechts, manche rechtsextrem, aber längst nicht alle rechtswidrig. Wer entscheidet innerhalb von 24 Stunden, ob eine Meinungsäußerung rechtmäßig oder rechtswidrig ist? Wie hoch muss die Löschquote sein? Welche Rolle spielt das Wetter und der aktuelle Flüchtlingsstrom? Der für Grundrechte zuständige Bundesjustizminister selbst hatte eingeräumt: Eine Soforteinschätzung ist juristisch unmöglich. Doch Feinheiten wie Meinungsfreiheit und Rechtsstaat interessieren nicht mehr – es ist Wahlkampf."

+++ Im Guardian ist etwas über den Bedeutungsverlust des Fernseh-Nachrichten zu lesen. "Indeed, the big news for TV news came in June when media watchers from the University of Oxford found that social media had overtaken TV as young people’s main source of news. Of the 18- to 24-year-olds surveyed by the Reuters Institute for the Study of Journalism, 28% cited social media as their main news source, compared with 24% for TV. TV news audiences are in freefall (in the UK, they’ve declined by 3% to 4% a year on average since 2012). … . However, in 2016, that didn’t happen – and the future is even grislier. “There are no reasons to believe that a generation that has grown up with and enjoys digital, on-demand, social and mobile video viewing across a range of connected devices will come to prefer live, linear, scheduled programming tied to a single device just because they grow older,” says the Reuters Institute’s Rasmus Kleis Nielsen. What is the solution? The Reuters Institute argues TV news must reform or die, but it is sketchy about how."

+++ Im Deutschlandfunk hat sich "Markt und Medien" mit dem Begriff der "postfaktischen Gesellschaft" beschäftigt. Ein Schwerpunkt ist die Entwicklung in den USA nach der Wahl Donald Trumps und die Situation in Russland. Im WDR und auf NDR Info sind dagegen die Löschteams von Facebook in Interviews mit einem der beiden SZ-Autoren Till Krause das Thema. Zum Hintergrund auch das Altpapier von Freitag.

+++ Über die Proteste gegen das neue Mediengesetz in Polen erfährt man dagegen etwa in der taz und der NZZ.

+++ Gibt es ein Weihnachtsverbot in einer deutschen Schule in der Türkei? Darüber informiert uns die Tagesschau und Spiegel online. Es handelt sich natürlich nicht um eine deutsche Schule, sondern um die von Deutschland finanzierte deutsche Abteilung in einer türkischen Schule. Aber offensichtlich hat die Berichterstattung doch eíne Grundlage, selbst wenn der AKP-Abgeordnete Mustafa Yenero?lu in einer Pressemitteilung etwas anderes behauptet.

+++ Trump wirkt: Vanity Fair verzeichnet einen Abo-Rekord. Damit muss Trump heute nur noch von den Wahlmännern zum amerikanischen Präsidenten gewählt werden, um den grassierenden Bedeutungsverlust der amerikanischen Medien zu beenden. Weniger optimistisch stimmt allerdings diese Meldung von Reporter ohne Grenzen.

+++ Was in Zukunft fehlt? Jürgen Domian im WDR. Er hatte Freitag Nacht seine letzte Sendung.

Das Altpapier gibt es wieder am Dienstag.

 

 

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