Hilfe zur Selbstliebe

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Warum es unrealistisch ist, dass die ARD-Anstalten zu größeren Einheiten fusionieren. Warum die großen US-TV-Sender Donald Trump während des Wahlkampfs „bereitwillig eine breite Bühne geboten haben“. Und die Frage des Tages lautet: „Seid ihr dazu bereit, in euren Redaktionen Menschen zu beschäftigen, die zusammengenommen viele Sprachen dieser Welt sprechen, viele Kulturen leben und viele Religionen kennen?“ Nicht zuletzt steht die Forderung nach einem „neuen, neuen Journalismus“ im Raum. Und es gibt jetzt ein „Männer-Magazin fürs Wesentliche“.

Von einem „dicken Hund“ in Sachen ARD war am vergangenen Freitag hier die Rede, den die Pressestelle des Senderverbunds freilich schnell als Ente klassifizierte, sinngemäß jedenfalls. Um konkreter zu werden: Die Bild-Zeitung hatte berichtet, man denke in der ARD über eine Megareform nach, an deren Ende vier große Anstalten - ARD Nord, ARD West, ARD Ost und ARD Süd - stehen könnten. Wichtiger als die Frage, ob es in der ARD tatsächlich Menschen gibt, die sich derzeit mit solchen Gedankenspielchen beschäftigen, ist natürlich jene, ob eine derartige Neuordnung erstens realistisch und zweitens sinnvoll wäre. Damit beschäftigt sich Dietrich Leder im „Journal“ der Medienkorrespondenz:

„Fusionspläne bezüglich der ARD-Anstalten (werden) schon seit vielen Jahren immer wieder gewälzt. Tatsächlich gelang es nur zweimal, zwei angestammte Sender miteinander zu fusionieren. So verschmolzen 1998 der Südwestfunk (SWF) und der Süddeutsche Rundfunk (SDR) zum Südwestrundfunk (SWR) und fünf Jahre später der Ostdeutsche Rundfunk Brandenburg (ORB) und der Sender Freies Berlin (SFB) zum Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) (...) Dass Fusionen der ARD-Rundfunkanstalten so schwer vonstatten gehen, hat (…) auch eine Ursache, die bei jenen liegt, die sie vorwärtstreiben müssten. Gemeint sind die Ministerpräsidenten der Länder. Doch gerade die der kleineren Bundesländer (Bremen, Saarland) befürchten mit der Preisgabe ihrer bislang autonomen Landesrundfunkanstalten so etwas wie den Verlust ihrer medialen Präsenz. Denn Landespolitik kommt doch zu weiten Teilen allein in den regionalen Medien vor. Gerade die Landesminister erlangen nur durch die Fernseh- und Hörfunksendungen der jeweiligen Landesrundfunkanstalt einen gewissen Bekanntheitsgrad. Das möchte keine Landesregierung so schnell preisgeben, es sei denn zugunsten der Garantie einer weiterhin ausführlichen Berichterstattung über ihr Land auch durch den potenziellen neuen großen Sender, was aber die Kostenreduktion, die durch Fusionen erbracht werden soll, gen Null tendieren lässt.“

Zusammengefasst: Dass es zu Fusionen im großen Stil kommt, ist äußerst unwahrscheinlich. Hinzu kommt: Solche Großanstalten wären nicht nur nicht im Sinne vieler führender Landespolitiker (deren Sorgen mir in der Regel nicht den Schlaf rauben), sondern auch fatal angesichts dessen, dass die hiesigen Verlage im Bereich Lokaljournalismus massiv sparen. Womit jetzt nicht gesagt sein soll, dass es an den lokalen und regionalen Formaten der ARD nichts zu verbessern gäbe. 

Einen „letzten Zweifel“ formuliert Leder dann auch noch: 

„Die Vorstellung, dass größere Systeme kostengünstiger seien als kleine, hat sich längst als eine Chimäre herausgestellt. Was man an direkten Kosten spart, gibt man für die Koordination wieder aus.“

[+++] Nicht uninteressant ist es, darüber zu spekulieren, wie in den USA während des Wahlkampfs die TV-Berichterstattung über Donald Trump ausgefallen wäre, wenn dort das öffentlich-rechtliche Fernsehen eine stärkere Rolle spielte und nicht bloß „ein Schattendasein“ fristete, wie es Daniel Leisegang in der Dezember-Ausgabe der Blätter für deutsche und internationale Politik formuliert, die gerade 60 Jahre alt geworden sind (siehe Altpapier sowie einen Beitrag aus dem Blog Zweite Aufklärung). Dass CNN, CBS und Co. „Trumps Inszenierung bereitwillig eine breite Bühne geboten haben“ (Leisegang), war, so seine These, wirtschaftlichen Motiven geschuldet und nicht journalistischen Kriterien. Womit wiederum, um gleich mal wieder eine Differenzierung einzuschieben, jetzt nicht der Eindruck erweckt werden soll, dass sich das hiesige öffentlich-rechtliche Fernsehen stets an journalistischen Kriterien orientiert. Wie auch immer, Leisegang schreibt:

„(Die Sender) haben, so die Journalistin Anne Curry, ‚Trump gebraucht wie ein Crack-Süchtiger seinen Stoff‘. Tatsächlich sprangen die Einschaltquoten, wann immer Trumps Gesicht auf der Mattscheibe erschien, nach oben. So verzeichnete CNN im vergangenen Jahr zur Hauptsendezeit (...) durchschnittlich 170 Prozent mehr Zuschauer als 2014. Auch die Werbeeinnahmen schossen in die Höhe (...) Die Droge Trump zerstreute dabei offensichtlich sämtliche Bedenken: Leslie Moonves, Geschäftsführer des Medienkonzerns CBS, räumte bereits im März ein, der ‚Zirkus‘ um Donald Trump ‚mag nicht gut für Amerika sein, er ist aber verdammt gut für CBS‘. Es bereits ihm großes Vergnügen dabei zuzusehen, wie das Geld hereinfließe. CNN-Chef Jeff Zucker geriet kurz vor dem entscheidenden Wahlabend ebenfalls ins Schwärmen: Das laufende Jahr werde als das ertragreichste in die Geschichte des Kabelfernsehens eingehen. CNN wird voraussichtlich 100 Mio. Dollar mehr an Werbeumsatz machen als 2015.“

Zucker ist, das zur Erinnerung, einer jener TV-Hierarchen, der sich dann rund 14 Tage später (siehe Altpapier) von Trump beschimpfen lassen durfte („Ich hasse deinen Sender“).

Ein Teaser zum Leisegang-Text findet sich hier, ebenso wie ein Link zum kompletten Artikel, der für einen Euro zu haben ist.

[+++] Bleiben wir vorerst in den USA, wo Journalisten gerade darüber diskutieren, inwiefern es sinnvoll ist, den Begriff „alt-right“ zu verwenden.  

“In the past we have called such beliefs racist, neo-Nazi or white supremacist“,

sagt zum Beispiel John Daniszewski, der bei der Nachrichtenagentur AP als „vice president for standards“ firmiert (siehe Poynter). Unter anderem geht es in der Debatte darum, ob „alt-right“ nicht ähnlich harmlos klingt wie etwa „Alt-Country“ (i.Ü. auch ein eher diffuser Begriff). Die New York Times hat unterschiedliche Meinungen von den zuständigen Redakteuren verschiedener Medien eingeholt, die interessanteste Position formuliert dabei Rich Lowry vom konservativen National Review:

From where we sit, the alt-right is kind of a motley collection of white supremacists and neo-Nazis.”

Jelani Cobb vom nicht so konservativen New Yorker formuliert es für sein Magazin noch drastischer: 

„It seems apparent at this point that the term ‚alt-right‘ is designed to produce just enough moral distance to allow people to forget that in 2016 fascism has become a viable element of our national politics.“

Wer nun moniert, das Altpapier sei heute etwas zu US-lastig, dem ließe sich entgegnen, dass die aufgegriffene Debatte auch für hiesige Journalisten instruktiv sein kann, denn die Fragen, wie konkret man werden darf/soll/muss bei den Leutchen von rechts und welche Begriffe eher der Vernebelung oder der Verharmlosung dienen, steht ja auch in Deutschland auf der Agenda. Aus hiesiger Perspektive wäre den eben zitierten Passagen noch hinzuzufügen: Ich bin nicht vertraut mit dem US-amerikanischem Medienrecht, aber wenn man hier zu Lande jemanden als Nazi oder Faschisten bezeichnet, der es selbst vorzieht, nicht so genannt zu werden, kann das eine teure Angelegenheit werden.

Cobb will im zitierten New-Yorker-Artikel aber noch auf etwas anderes, wesentlich Wichtigeres hinaus, nämlich die Gefahr für die Pressefreiheit, die mit der Präsidentschaft Trumps verbunden ist:

„There’s a reason authoritarians typically begin by assailing the press. Given that the incoming Administration has lauded the strongman tactics of Vladimir Putin, it seems wise for American journalism to pay closer attention to the best practices gleaned from journalists in places like Turkey (a hundred and fifty-first on the Press Freedom Index) and Russia (a hundred and forty-eighth).“ 

Der Autor greift dabei einen Gedanken auf, den Katja Kullmann kürzlich für den Freitag formuliert hat - siehe dazu dieses Altpapier, in dem es darüber hinaus kurz um Abonnentenzugewinne ging, über die sich der New Yorker unmittelbar nach der Wahl freuen durfte. Eine ähnliche Meldung kommt aktuell von CNBC. Die New York Times freut sich ebenfalls, denn:

„From the election on Nov. 8 through Saturday, the Times has seen ‚a net increase of approximately 132,000 paid subscriptions to our news products‘, the media giant said in an exclusive statement to CNBC.“

Dieser Anstieg fiel zehnmal so hoch aus wie im Vorjahrsvergleichszeitraum. Zugespitzt formuliert: Die TV-Sender haben vor der Wahl von Trump profitiert, die Trump-kritischen Verlagshäuser tun es jetzt. Wobei letzteren ein anderer Wahlausgang gewiss lieber gewesen wäre als der jetzige warme Regen.

[+++] Harte Schnitte haben wir hier ja manchmal ganz gern, also schauen wir uns doch jetzt mal an, was die zu 50 Prozent zu Gruner + Jahr gehörende Deutsche Medien-Manufaktur ausgeheckt hat. „Ein noch nie dagewesenes Männermagazin“ (Pressemitteilung) ist’s geworden, gemacht für jene 68 Prozent der Männer, die - so steht’s im Editorial - in „einer Befragung des Meinungsforschungsinstituts YouGov vom Oktober 2016“ ihren Wunsch nach „Entschleunigung“ kundgetan haben. Wolf heißt das Ding, und dieses „Männer-Magazin fürs Wesentliche“ (Untertitel) ist ein Spin-Off der Zeitschrift Flow, die sich an weibliche Entschleunigungsfans richtet. Alexander Becker (meedia.de) meint:

„Das Zeitschriftenregal (ist) schon voll von Männermagazinen. Sie heißen nur nicht so, sondern sind Special-Interest-Titel für Angler, Modellbauer oder Rennradfahrer. Viele große Jungs finden nämlich schon heute ihre Entschleunigung und Entspannung in ihrem Hobby oder neudeutsch Nerdtum. Aus diesem Bereich kaufen sie dann auch entsprechende Fachmagazine.“

David Denk bemerkt in der SZ:

„In Wolf wird Hesse zitiert und Genügsamkeit propagiert, andererseits aber auch nicht mit Kaufempfehlungen für Boots, Fernseher und Designersessel gegeizt.“

Auch mit „eskapistischen Gimmicks“ werde nicht gegeizt:

„Der ersten Ausgabe liegen ein ‚Retro-Quartett‘ mit Filmautos bei, ein ‚Longread‘-Büchlein mit einer Seenot-Reportage aus dem New York Times Magazine und vier Postkarten mit Sprüchen wie dem Willy-Brandt-Zitat ‚Lasst euch nicht zu Lumpen machen‘ und ‚Was würde Colt Sievers tun?‘, wobei ein Schreibfehler Seavers, den ‚Colt für alle Fälle‘, in die Nähe des ZDF-Moderators Christian Sievers rückt.“ 

Dieser Fehler könnte auch daher rühren, dass die früheren Profifußballspieler Jörg und Ralf Sievers einst den Spitznamen Colt verpasst bekamen. Die Leserschaft von Wolf kann man sich vielleicht so vorstellen: Bei 1980er-Jahre-Serien wie „Ein Colt für alle Fälle“ können sie ein bisschen mitreden, und von Fußball haben sie auch ein bisschen Ahnung. Ein weiteres Indiz für die Zusammensetzung der Zielgruppe liefert folgender Vorspann:

„Die LP ist zurück. Und mit ihr das Gefühl eines Samstagsmorgens in einem vollen Plattenladen. Die Nadel senkt sich in die Rille: Fwump. Der Wahnsinn.“

Mein lieber Herr Gesangsverein! Um mich diesem „Wahnsinn“ nicht auszusetzen bzw. keinem Wolf-Leser zu begegnen, kaufe ich meine Platten künftig wohl lieber unter der Woche. Hinzuzufügen wäre noch, dass das Wolf-Konzept nicht innovativ ist, sondern „total innovativ“. Das sagt G+J-Hierarch Frank Stahmer. Wie die Leute in einem Irgendwas-mit-Sprache-Laden halt so reden. 

Falls sie bei der Deutschen Medien-Manufaktur irgendwann einmal daran denken sollten, ihre beiden entschleunigten Hefte zu fusionieren: Ein Magazin namens Flow Wolf gibt es bereits, und zwar in Wolfsburg.

[+++] Da wir das Stichwort Longread im Zusammenhang mit Wolf heute schon hatten. Die beiden Longreads, die aktuell zu empfehlen sind, setzen sich aus unterschiedlichen Blickwinkeln mit der Berichterstattung zu Flüchtlingsbewegungen auseinander. Übermedien dokumentiert eine Festrede, die Mely Kiyak bei der Verleihung des Otto-Brenner-Preises gehalten hat. Sie macht, sehr profan formuliert, zwei Verbesserungsvorschläge:

„Das wirksamste Gegenmittel gegen die vergiftete Stimmung dieser Tage ist, den Kern aus den Worten zu schälen.“

In diesem Zusammenhang nennt sie „zwei Beispiele aus der Flüchtlingsberichterstattung“:

„Das Wort ‚Rückstau‘ meint die Grenzschließungen innerhalb Europas, die dafür sorgen, dass sich immer mehr Flüchtlinge in Flüchtlingslagern in Griechenland oder anderswo ansammeln. Sie können weder aus- noch weiterreisen. Rückstau ist aber ein sehr ungenaues Wort für eine Maßnahme, die genau genommen aus Flüchtlingen Gefangene macht, weil man sie am Fliehen hindert. Oder die Verwandlung von der Flüchtlingskrise, also jener Krise, die die Flüchtlinge betrifft, hin zur europäischen Krise, also eine Krise, die die Europäer betrifft, weil sie sich zunehmend als Leidtragende von Krieg und Verfolgung betrachten (…) Wenn man einfach mal das Wort öffnet und reinguckt, was drin ist, braucht man sich mit Moraldebatten gar nicht lange aufhalten. Es reicht zu entgegnen: Flüchtlinge verlieren ihre Heimat. Deutsche behalten ihren Wohnsitz.“

Außerdem wiederholt Kiyak eine Forderung, die sie in ihrem beruflichen Umfeld schon öfter formuliert hat:

„Ich frage überall, wo ich schreibe, na, wie reagiert ihr auf das alles? Seid ihr endlich bereit andere Leute einzustellen, um aus Minderheiten Mehrheiten zu machen? Seid ihr dazu bereit, in euren Redaktionen Menschen zu beschäftigen, die zusammengenommen viele Sprachen dieser Welt sprechen, viele Kulturen leben und viele Religionen kennen? Und im Zweifel mit guten Argumenten das rechtsextreme, völkische und antidemokratische Denken, das selbstverständlich in unserer Mitte Platz genommen hat, wieder zur Anormalität zu erklären und die Verachtung auf eine vielfältige und durchlässige Gesellschaft unermüdlich als Regelwidrigkeit zu beanstanden? Und weigert ihr euch endlich nicht mehr die Berichte zu veröffentlichen, weil das alles bei euch nicht angekommen ist, oder immer erst später? Die Minderheiten unter den Journalisten erkennen die Kontinuitäten, Strukturen und Mechanismen von Diskreditierung und Demokratiefeindlichkeit nämlich schneller. Weil sie ihnen nicht zum ersten Mal begegnet.“

Man kann hier an dieser Stelle durchaus selbstkritisch konstatieren, dass auch die Zusammensetzung des Altpapier-Autorenteams in Sachen Diversity nicht Kiyaks (nachvollziehbaren) Wünschen entspricht.

Prixa Basil geht in der Zeit-Online-Kolumne „10 nach 8“ auf die bildlichen Darstellungen von Flüchtenden ein. Anlass ist Heike Steinwegs Ausstellung "Ich habe mich nicht verabschiedet. Frauen im Exil“, die bis Mitte Januar in Berlin zu sehen ist. Aus medienkolumnistischer Sicht interessant ist vor allem die Vorgeschichte dieser Ausstellung: 

„Wie lässt sich ein Foto machen, das etwas anderes sagt, etwas Bedeutsames und Bleibendes? Vor diese Herausforderung sah sich Heike Steinweg gestellt, als sie im Herbst 2015 beschloss, den Menschen, die nach Deutschland geflüchtet sind, ein Fotoprojekt zu widmen. Monatelang war sie damit beschäftigt, die richtige Herangehensweise zu finden. Sie untersuchte, wie geflohene Menschen früher und heute dargestellt wurden (…) Werden geflohene Menschen einzeln abgebildet, sind sie meist unterwegs, eine Decke in den Händen oder mit anderen sichtbaren Merkmalen einer beschwerlichen Reise. Eine solch exemplarische Zeichnung lässt Individuen zu einem Typus verschwimmen, zum Klischee eines Flüchtlings. Ab und zu bekommt das Bild eines Einzelnen symbolischen Wert, weil es etwas Skandalöses darstellt. Daher erinnern wir uns alle an Alan Kurdi, der an einem griechischen Strand lag, oder den blutüberströmten kleinen Jungen in einem Krankenwagen in Aleppo. Bilder wie diese bieten eine Abkürzung zu einer Idee oder einem Moment, erweitern jedoch nicht unbedingt unser Verständnis.“

Einer der Schlüsse, die die Autorin zieht, gilt nicht nur für Fotografie zum Thema Flüchtlinge oder Fotografie im allgemeinen, sondern auch darüber hinaus:

„Problematisch wird es, wenn ein Ausschnitt das Ganze nur deswegen repräsentiert, weil er in der Arena heutiger Berichterstattung am meisten Aufmerksamkeit auf sich zieht.“


Altpapierkorb

+++ „If the ’70s brought, via Tom Wolfe, Joan Didion and Norman Mailer, what was called ‚the New Journalism,‘ I suggest we now need a New New Journalism, meint Margaret Sullivan in der Washington Post - und verbindet mit dieser Forderung sieben teilweise thesenartige Ratschläge. „New New Journalism“ mag ja noch ganz hübsch klingen, „neuer, neuer Journalismus“ klingt dagegen leider bekloppt, aber dafür kann Sullivan ja nix.

+++ Mit dem „Mythos Filterblase“ beschäftigt sich aktuell SZ.de. Carta tat es kürzlich auch.

+++ Einen amerikanischen Blick auf die deutsche Debatte zum Thema Facebook und Hate Speech bzw. eine Erörterung der Frage, inwiefern „Germany has become an important test case globally for how the social network polices what may be published online, and how it should respond to inappropriate and illegal content“ - den liefert die New York Times in einem Bericht aus Berlin.

+++ „Um den Fortbestand des dualen Systems mit öffentlich-rechtlichen und privaten Sendern zu gewährleisten und ‚Fehlentwicklungen‘ zu bremsen, so heißt es in den ‚Top 7 zur Transformation der Hörfunkverbreitung ins digitale Zeitalter‘, die der Privatsenderverband VPRT formuliert hat, brauche es zunächst einen ‚Radio-Staatsvertrag‘, der die Verhältnisse regelt.“ Das berichtet Michael Hanfeld heute in der FAZ. Die Überschrift „Der Staat soll es regeln“ lässt zumindest die Deutung zu, dass die FAZ das Vorgehen des VPRT, dessen Forderungen die Zeitung sonst ja manches abgewinnen kann, nicht unkritisch sieht.

+++ Über eine Verfassungsbeschwerde gegen die Vorratsdatenspeicherung, an der auch der DJV beteiligt ist, berichtet die Deutsche Welle.

+++ Die SZ geht im Medienressort heute ausführlich auf die deutsche Ausgabe von Charlie Hebdo ein, die morgen erstmals erscheint: „Ein Arte der Lachkultur soll (es) nicht werden. Das Wochenblatt bleibt eine französische Zeitung mit dem ihr eigenen Humor aus Unverfrorenheit, undogmatischem Engagement, Zügellosigkeit bis zur Schamlosigkeit und manchmal auch einem Schuss Blödelei (…) Ein Massenpublikum kann das Blatt in Deutschland nicht erwarten. Das tut es aber auch nicht - dazu ist das Projekt mit seinen übersetzten Beiträgen zu sehr von der französischen Redaktion und deren Themen dominiert.“

+++ Des weiteren schreibt die SZ heute über „Tempel“, die am Dienstag mit einer Doppelfolge gestartete ZDFneo-Serie (siehe Altpapier): „Die sechs halbstündigen Folgen greifen genug Themen für sechs Staffeln auf. Die Gentrifizierung eines Berliner Kiezes bildet den Hintergrund. Es geht aber etwa auch um Sterbehilfe, darum, wie ein Unfall und eine daraus resultierende Behinderung eine Beziehung verändern, um eine Teenager-Schwangerschaft - und das alles nur neben einer Geschichte in der Szene der organisierten Kriminalität. Das der Themenfülle entsprechend rasante Tempo wirkt wie ein Befreiungsschlag gegen das sonst oft so gemächliche öffentlich-rechtliche Fernsehen.“ Mit Einschränkungen - „Beinahe ein großer Wurf“ lautet die Headline - lobt Harald Keller in der Medienkorrespondenz die Serie. „Stellenweise“ gleiche sie „mehr dem stilisierten Kiezkitsch eines Dieter Wedel (‚Der König von St. Pauli‘, Sat 1) als den grimmigen Milieustudien, wie sie beispielsweise britischen und US-amerikanischen Serien-Schaffenden des öfteren gelingen und auch lange vor den ‚Sopranos‘ schon gelungen sind. Einen wohltuenden Unterschied gibt es hingegen zu manchen skandinavischen Serien: ‚Tempel‘ ist nicht resignativ, ergibt sich nicht in Mankell-Manier einer behaupteten und dann durch blutrünstige Schilderungen opportunistisch ausgebeuteten Brutalisierung der Gesellschaft, sondern hat einen erfreulich widerständigen Unterton, ohne dabei in allzu idealistischen Übermut auszuarten. Es geht hier also bei ZDFneo einen Schritt voran in der deutschen Serien-Produktion.“

+++ Überhaupt mangelt es heute nicht an Serienbesprechungen: Auch Barbara Sichtermann, die große Veteranin der deutschen TV-Kritik, ist im Einsatz, für den Tagesspiegel schreibt sie über Amazons „Goliath“, erschaffen von „David E. Kelly, dem das weltweite Publikum ‚Ally McBeal‘ und ‚Boston Legal‘ verdankt, Klassiker des Serienwesens, die mit einzigartigem Witz die Vielfalt der menschlichen Schrullen ebenso wie die der anwaltlichen Winkelzüge vorführten". „Goliath“ sei „die zur Zeit in den USA am häufigsten per binge-watching, deutsch: Koma-Glotzen, konsumierte filmische Kost".

+++ Die regelmäßige SZ-Serienrezensionsdosis wird heute im Feuilleton verabreicht. Peter Richter schreibt in der Rubrik „Trumptown“ über  "Designated Survivor" (ABC). Hier gibt Kiefer Sutherland einen Politiker, „der völlig unvermutet in das Amt des Präsidenten der USA katapultiert wird und zunächst hoffnungslos überfordert ist mit den tausend Bürden des Jobs, den Intrigen und den Risiken (…) Und über allem schwebt bisher die Gefahr, dass der designierte Vizepräsident die gefährlichste Figur von allen ist. Ohne zu viel verraten zu wollen: Es ging Mitte September mit einem gehörigen Bumms los und wurde jetzt von den echten Nachrichten über den echten designierten Präsidenten und seinen Vizepräsidenten gewissermaßen eingeholt“. 

+++ Heute im linearen Fernsehen, und zwar im Ersten Programm: der Irgendwas-mit-Politik-und-Medien-Thriller „Die vierte Gewalt“. „Um die Umbrüche in den Medienhäusern mit dem Geschacher zwischen Presse, Politik und PR kurzzuschließen, braucht es mehr als einen zotteligen Journalisten, der das Geld für die Privatschule seiner Tochter nicht zahlen kann“, moniert Axel Weidemann in der FAZ. Ulla Hanselmann kritisiert in der Stuttgarter Zeitung: „Man kann in dem Film durchaus einige stimmige Aussagen über die alte und neue Realität in den Verlagshäusern entdecken – der Medienforscher und langjährige Leiter des Grimme-Instituts, Lutz Hachmeister, hat als Fachberater zur Seite gestanden; zudem haben die Filmemacher in der Spiegel-Online-Redaktion hospitiert. Ja, es gibt den Auflageneinbruch, den Sparzwang, den Abbau von Redakteursstellen; es gibt die prekären Arbeitsverhältnisse von freien Journalisten, das Hecheln nach Klicks im Online-Zeitalter (…) Doch über dem wenigen ­an Wahrheit schütten Autor Bitzer und Regisseurin Bertele ein Füllhorn an Klischees aus.“ Was andere Kollegen schrieben, als der Film im August bei Arte lief, kann man im Altpapier nachlesen.

+++ Die Medienkorrespondenz hält online einen umfassenden Überblick über die Programme des ARD/ZDF-Jugendangebots Funk parat, der gedruckt auf vier Seiten in der vorigen Ausgabe erschienen ist. Charlotte Echterhoffs Fazit: „Es gibt sie, die guten YouTube-Formate. Sie sind nun besser zu finden, sehen schöner aus, werden professioneller vermarktet und erreichen hoffentlich mehr Zuschauer. Was noch fehlt ist das Arbeitsleben, das Nicht-Studentische und natürlich Musik (...) Wenn der Kontakt zur Zielgruppe gelingt und ein Dialog zu den gesetzten Themen stattfindet, dann ist das Projekt wohl seine 45 Mio Euro wert, die dafür als Jahresbudget zur Verfügung stehen.“

+++ Zu dem Aus für ARD und ZDF in Sachen Live-Berichterstattung von den Olympischen Spielen (siehe Altpapier) gibt es diverse Weiterdreher: einen von mir für Zeit Online, einen dpa/HAZ-Text zur Zukunft der Paralympics-Berichterstattung und einen Tagesspiegel-Text, der dem künftigen Olympia-Sender Eurosport zumindest eine gute Radsportberichterstattung attestiert (abgesehen davon, dass die Zuschauer dort mit dem Thema Doping „sehr viel zurückhaltender konfrontiert“ werden als bei den Öffentlich-Rechtlichen).

+++ Mehr Sportbezogenes: Was der Sportnachrichtensender Sky Sport News HD vorhat, der am Donnerstag anlässlich seines fünfjährigen Bestehens vom Pay-TV- zum Free-TV-Kanal mutiert - das berichtet die Abendzeitung mit Hilfe einer Meldung des Sportinformationsdienstes.

+++ Noch mehr Sport- bzw. Fußballbezogenes: Der nicht undubiose Noch-Zweitligist TSV 1860 München hat seinen Medienboykott gelockert: Journalisten dürfen wieder aufs Vereinsgelände, der Klub „boykottiert aber weiterhin Gesprächsanfragen“ (tz). Siehe auch kicker.de.

+++ Im aktuellen epd-medien-Tagebuch schreibt Ellen Nebel über die von der Bundeswehr produzierte Reality-Doku „Die Rekruten“ (siehe u.a. dieses Altpapier): „Im Vergleich der Produktionskosten pro Sendeminute bewegt sich ‚Die Rekruten‘ auf dem Niveau der ‚Krone der Volksmusik (MDR).‘“

+++ Ja, ist der katholischen Kirche denn gar nichts mehr heilig? Zum einen plant sie, die Druckausgabe des Filmdiensts einzustellen (u.a. Die Welt kürzlich). Und nun fragt der Deutschlandfunk: „Wird Radio Vatikan verschwinden? Wird es abgelöst? Und wenn ja, durch was?“

Neues Altpapier gibt es wieder am Donnerstag.

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