Editor-in-chief of the fake news movement

Editor-in-chief of the fake news movement
Das wäre immerhin auch ein Job. Nur auch für einen zukünftigen US-Präsidenten? Daran hat wohl nicht nur die "Journalistenlegende" Carl Bernstein Zweifel. Aber auch in Deutschland verirrt sich schon einmal ein Pistenbully nach Schleswig-Holstein. Auf dieser Irrfahrt machten viele Medien mit. In solchen Zeiten wirkt die Bundespressekonferenz dafür fast schon als ein Stabilitätsfaktor.

Die Bundespressekonferenz ist eine ehrwürdige Institution. Die Regierungs- und Ministeriumssprecher bemühen sich dort um die Vermittlung der Politik der Bundesregierung. Wo ansonsten alle Akteure vor allem ihre eigene Sicht der Dinge formulieren, etwa in Interviews und Hintergrundgesprächen, tritt hier die Bundesregierung als Einheit auf. Offene Konflikte zwischen den Ministerien sind entsprechend selten. Daher bemühen sich alle um jene Sprache, die möglichst wenig von den Konflikten verrät, die hinter den Kulissen der Bundespressekonferenz zu finden sind. Entsprechend hören sich viele Stellungnahmen auch an. Tilo Jung hat es zu einer gewissen Meisterschaft gebracht, diesen Mechanismus durch kritische Nachfragen offenzulegen. Am vergangenen Freitag gab es einen jener seltenen Momente des offenen Dissens zwischen den beteiligten Minsterien. Es ging um die Finanzierung der Angleichung der Ostrenten an das Westniveau. Der Sprecher des CDU-geführten Bundesfinanzminsteriums widersprach der Darstellung der Kollegin aus dem Bundessozialministeriums. Allerdings war am Abend vorher noch von einer Einigung innerhalb der Koalition die Rede gewesen. Auslöser dieses Disputs waren die Fragen des Kollegen Arnd Henze vom ARD-Hauptstadtstudio gewesen.

Das Video des „Bericht aus Berlin“ wurde ein viraler Hit. Es löste „in vielen Kommentaren sichtbare Häme oder pauschale Verachtung gegenüber der Politik im Allgemeinen oder den beteiligten Pressesprechern im Besonderen“ aus, so formulierte es Henze am Sonntag im Blog des ARD-Hauptstadtstudios. Er nahm das zum Anlass, um in drei Punkten die Mechanismen des Berliner Politik zu erläutern. Politik und Journalismus spielten dabei unterschiedliche Rollen. Henze versucht so Verständnis für die Situation der Politik herzustellen. Schließlich erzeuge die Große Koalition damit den „Eindruck von Handlungsunfähigkeit und Chaos.“ Aber in Henzes Argumentation fehlt ein Punkt vier. Dort werden solche Konflikte von Parteien bewusst inszeniert, um etwa im heraufziehenden Wahlkampf entsprechende Akzente zu setzen. Dagegen ist auch nichts einzuwenden, wenn die Parteien gerade in Großen Koalitionen überhaupt noch unterscheidbar sein wollen. Man kennt ja die „hämischen Kommentare“, wenn die Parteien in solchen Koalitionen nur noch als monolithischer Block wahrgenommen werden. Vielleicht sind hier also weder die Politik, noch der Journalismus das Problem, sondern die Kommentare der Leser und Zuschauer? Widerspruchsfreiheit in der eigenen Argumentation ist nicht unbedingt deren Stärke.

+++ Die Debatte über Fake-News (siehe auch das Altpapier von Freitag) hat auch das Wochenende unbeschadet überlebt. Das ist unter anderem Donald Trump zu danken. Er reagierte auf die Neuauszählung der Stimmen in drei amerikanischen Bundesstaaten mit der Vermutung, dass seine Gegenkandidatin Millionen illegaler Stimmen bekommen hätte. Hier wird rekonstruiert, wie diese These Trumps überhaupt ihren Weg in die Medien gefunden hat. Die „Journalismuslegende“, so die FAZ, Carl Bernstein vergleicht den zukünftigen US-Präsidenten schon mit Richard Nixon. Letzterer hätte aber keineswegs so paranoid wie Trump argumentiert, wenn es damals schon Twitter gegeben hätte. Bernstein hatte zusammen mit Bob Woodward in der Washington Post den Watergate-Skandal aufgedeckt. Trump nutzt die sozialen Netzwerke in der bewährten Weise. Er geht sofort in den Gegenangriff über, wenn er politisch unter Druck gerät. Wobei er sich in diesem Fall noch vor den Wahlen die juristische Anfechtung der Wahlergebnisse vorbehalten hatte. Von einer juristischen Überprüfung der von ihm behaupteten illegalen Stimmen ist bei ihm aber nicht die Rede. Insofern kann man ihn jetzt durchaus als „editor-in-chief of the fake news movement“ charakterisieren.

+++ Trotzdem ist Skepsis angebracht, wenn es um den logischen Umkehrschluss geht. Die Kritik an Fake-News sollte nicht dazu verleiten, den Journalismus mit der Verkündung ewiger Wahrheiten zu verwechseln.

„Ist man selbst die Wahrheit, muss alles andere Lüge sein. Mit Fake News lässt sich eine Niederlage erklären, ohne dass man sich selbst und die eigene Rolle hinterfragen müsste. Facebook soll die Leser nicht mehr zu den Fake News schicken, was freundlicher klingt als die damit implizierte Aufforderung, dass es uns und unserer Wahrheit die Leser schicken soll. Es ist ein guter Zweck. Politik und Medien sind sich einig, dass sie wissen, welche Nachrichten gut und richtig sind, und welche das Volk besser nicht erfahren sollte.“

So Don Alphonso in seinem FAZ-Blog.

+++ Wie Fake-News es immer noch in die Medien schaffen, wurde auch ohne Donald Trump deutlich. So gab es das Gerücht auf CNN wäre ausgerechnet zu Thanksgiving dreißig Minuten lang ein Porno zu sehen gewesen. Der Standard beschreibt, wie es diese Ente in den Mainstream schaffte.

„Es dauerte nicht lange, und die Meldung landete in den Schlagzeilen, wie The Verge dokumentiert. Als erstes größeres Medium dürfte der britische Independent vom angeblichen Porno-Hoppala berichtet haben, das als Tatsache hingestellt wurde. Über soziale Medien verbreitete sich der Artikel freilich wie ein Lauffeuer. Das Amüsement der Leser über den "Fail" des Newskanals war groß. Auch andere Medien konnten nicht widerstehen. Es folgten Mashable, die New York Post, die Daily Mail und zahlreiche andere reichweitenstarke Portale. Auch im deutschsprachigen Raum kursierte die Nachricht kürzlich noch, etwa am Schweizer Portal "20 Minuten". Dort ist sie mittlerweile gelöscht, auch einige andere Publikationen haben die Meldung entfernt oder stark abgeändert. Denn der Vorfall hat so wohl nie stattgefunden.“

Wir haben es hier mit einem Klassiker aus dem Krimkrieg im 19. Jahrhundert namens Tatarenmeldung zu tun. Die Urheberin dieser Meldung hatte aber immerhin eine originelle Begründung für ihren Tweet.

„Sie räumt allerdings ein, dass es sich um ein Problem gehandelt haben könnte, das nur bei ihr aufgetreten sei. Auf Twitter habe sie es gepostet, um herauszufinden, ob es noch andere Betroffene in der Region gäbe.“

+++ Nun ist der unfreiwillige Pornokanal CNN offensichtlich eine so schöne Meldung, dass sie sogar falsch sein darf. Wie Falschmeldungen es in deutsche Medien schaffen, war aber an diesem Wochenende zu erleben. In der vergangenen Woche hatte sich angeblich ein „Pistenbully“ verfahren und war statt in Seefeld (Tirol) in Seefeld (Schleswig-Holstein) gelandet. Viele Medien berichteten darüber, weil diese Geschichte ebenfalls zu schön ist, um nicht wahr zu sein. Mittlerweile ist aber klar, dass es sich um eine PR-Aktion handelte. Die lief aber „aus dem Ruder“, wie der verantwortliche Tourismusverband (TVB) aus dem österreichischen Seefeld gegenüber dem NDR eingestehen musste.

"Wir wollten eigentlich nur einen netten Film für Facebook produzieren", sagte TVB-Chef Elias Walser am Sonntagabend im Gespräch mit NDR.de. … . Er und die zuständige Spedition wollten am Donnerstag keine kritische Nachfragen beantworten. "Es gab aber auch kaum welche", sagte Walser. "Das hat uns sehr überrascht." Nach seinen Angaben hätten lediglich Journalisten von einer Tiroler Lokalzeitung und vom NDR Zweifel gehabt und mehrfach nachgefragt.“

Wer eine solche Geschichte erfolgreich im Mainstream platzieren will, muss vor allem die erste Hürde überwinden. Sobald eine als seriös geltende Quelle sie publiziert, wird sich kaum noch jemand die Mühe machen, sie nicht einfach abzuschreiben. Darauf verzichten, will aber auch niemand. Sie generieren bekanntlich Aufmerksamkeit. Solche Possen haben nämlich für das Publikum einen hohen Unterhaltungswert, ebenso wie für Journalisten. Man erzählt sie sich gerne am Mittagstisch oder beim Abendbrot. Insofern sollte man wohl nicht erwarten, dass alle Medien solche Geschichten selber recherchieren. Es reicht aber schon, wenn es wenigstens einer macht. In diesem Fall war es der NDR.


Altpapierkorb

+++ Facebook hat offensichtlich ein Problem mit seinen Nutzerzahlen, wie hier zu lesen ist. Trotzdem wird über seine Rolle bei den amerikansichen Präsidentschaftswahlen weiter diskutiert. Götz Hamann hat auf Zeit online einen beruhigende Mitteilung zu machen. Seiner Meinung nach wird der Einfluß von Facebook und der Fake-News überschätzt. Auch bei diesen Wahlen „blieb die Glotze, nicht Facebook, ... die wichtigste mediale Plattform im US-Wahlkampf“, so Hamanns gut begründete These. Trotzdem fordert er eine Facebook-Debatte. „Digitale Nachrichtenportale und Soziale Netzwerke sind unter den Jugendlichen und jungen Erwachsenen längst die Informationsquelle Nummer eins. … . Und aus der Sicht der Jungen sind die erfundenen Nachrichten-Storys schon jetzt ins Zentrum ihrer Medienöffentlichkeit vorgedrungen.“ Interessant ist zudem Hamanns historischer Exkurs. Die westlichen Gesellschaften kehrten „damit zu einem Zustand zurück, der im vergangenen Jahrhundert über weite Strecken normal war. Die politischen Parteien und Lager hatten ihre eigenen Medienöffentlichkeiten, politische Lügen waren an der Tagesordnung und aufklärerischer Journalismus ein steter Kampf gegen dieselben. Der nimmt nun wieder an Härte zu, und er war und ist ein nie endendes Ringen.“

+++ Vergleichbar argumentiert Johannes Vetter im Standard. Er ist der Kommunikationschef des österreichischen Konzerns OMV und befasst sich mit dem Content-Marketing. „Man könnte ja meinen, dass das, was hier entsteht, für die Konzernkommunikation eine Art Schlaraffenland sei. Aber in Wahrheit ist dieser Zustand auch für uns Unternehmen eine Katastrophe: Denn wenn die eigentliche Aufgabe des Journalismus – objektive Berichterstattung, Analyse, Kommentierung und Einordnung – immer mehr ins Hintertreffen gerät, verlieren wir Ansprechpartnerinnen und -partner in den Medien, die uns herausfordern und hinterfragen, Fakten checken und einzuordnen wissen.“ Die Folgen wären desaströs, so Vetter. „Wir müssen handeln! Sonst wachen wir eines Tages in einer Welt auf, in der jedes Unternehmen sein eigenes Pseudomedienunternehmen mit eigenem Corporate TV und eigenem Newsroom ist, das den Content produziert, den es eins zu eins gegen Einwurf von Münzen in Medien platziert: zu einem weit höheren Preis – dem der eigenen Glaubwürdigkeit.“

+++ In der Türkei ist man bekanntlich schon weiter. Oder ist man lediglich dort gelandet, wo man früher schon einmal war? Am Samstag war die WDR-Reporterin Hatice Kamer festgenommen worden als sie „nach Angaben ihrer Familie in der südosttürkischen Provinz Siirt … über ein Grubenunglück berichteten wollte“, so der WDR. Sie wurde später freigelassen, allerdings mit der Ankündigung, sie wegen Unterstützung der PKK anzuklagen. Solche Festnahmen und die Drohung mit Gerichtsverfahren sollen Journalistinnen wie Frau Kamer einschüchtern. Die offensichtliche Willkür soll eine Situation völliger Unsicherheit herstellen. Damit, so wohl das Kalkül, sollen die betroffenen Kolleginnen und Kollegen zermürbt werden. Entweder gehen sie ins Exil oder sie passen sich an. Die Pressefreiheit stirbt tatsächlich zentimeterweise.

+++ In der Süddeutschen Zeitung geht es um ein anderes Thema: Das Internet der Dinge als Angriff auf die Privatssphäre. Dazu passt dieser Artikel von Christian Jakubetz über nützliche digtale Tools für Journalisten. Es ist ja nicht alles schlecht. Klassisch sind dagegen folgende Meldungen. Die Mitarbeiter der Passauer Neuen Presse demonstrieren für eine faire Bezahlung, wie der Bayerische Rundfunk berichtet. In München ging der Konflikt um die Verwendung der Einnahmen der VG Wort dafür am Samstag in die nächste Runde. Eine Entscheidung wurde nicht getroffen. Es bleibt weiterhin in der Schwebe.

+++ Dafür haben die Fernsehsender aber immerhin die Lufthoheit erobert. Es geht um die in Mode gekommenenen Luftaufnahmen als eigenes Genre: „Wie nichtig das oft ist, kann man ermessen, wenn man sich nur mal vorstellt, die Offstimme würde dasselbe erzählen zu Aufnahmen aus einem fahrenden Auto. Ganz plötzlich würde dann die Inhaltsleere deutlich, würde klar, dass viele dieser „von oben“-Produktionen nicht viel mehr sind als eine in der Perspektive erweiterte Version der schönsten Bahnstrecken aus dem Nachtprogramm. Die „von oben“-Macher müssen aufpassen, dass sie nicht verkommen zu Schöpfern bewegter Touristikwerbekataloge. Sie sollten schon ein Thema haben, bei dem die Luftaufnahmen wirklich einen Sinn ergeben. Wenn man beispielsweise aufzeigen will, wie Städte oder Landschaften früher angelegt waren oder wie ihre Strukturen funktionieren, kann die Draufsicht eine Bereicherung sein. Wenn man nur fliegen will, weil man fliegen kann, wird es rasch langweilig.“ So Hans Hoff in seiner Kolumne auf DWDL.

+++ Was jetzt immer noch fehlt? So einiges: Vielen Kunden der Telekom die Verbindung zur weiten Welt. Außerdem ARD und ZDF die Übertragung der Olympischen Spiele zwischen 2018 bis 2024. Die Verhandlungen mit dem Rechteinhaber Discovery wurden abgebrochen, so berichtet DWDL.

Das Altpapier gibt es wieder am Dienstag.

weitere Blogs

In einer Kirche hängt links neben dem Altar ein Schild mit der dreisprachigen Aufschrift No pasar - Überholverbot - no passing
In Spanien gibt es ein Überholverbot am Altar.
G*tt ist Körper geworden. Was für eine Gedanke! Birgit Mattausch geht ihm nach.
Heute erscheint der sechste und vorerst letzte Beitrag unserer Themenreihe Polyamorie. Katharina Payk fragt: Wo kommt Polyamorie im Kontext von Kirche und Pfarrgemeinde vor?