Wer schweigt und wer nie sprach

Wer schweigt und wer nie sprach
Roger Moore war nicht an jedem Interview mit Roger Moore beteiligt. Die Lead Awards brauchen dringend Geld, aber bitte nicht von Google. Deutsche Medienunternehmen betreiben ein Schweigekartell zur finanziellen Situation von Journalisten. ARD und ZDF wünschen sich Index-Gebühren. Der Mann, der bei Russia Today Praktikant war.

Die Freizeitwoche ist nicht das Magazin der Süddeutschen Zeitung. Sie gehört zu den Zeitschriften, die sich jede Woche hunterttausendfach verkaufen, aber keine vernünftige Website haben (bzw. nur eine, auf der ein Artikel mit der Überschrift „Bodenfrost in Deutschland 2016“ unten den meist gelesenen rangiert), womit sie unter Ausschluss der Öffentlichkeit agieren, die Medieninhalte kritisch hinterfragt – zumindest fast.

Denn neben den 400.000 Frauen über 40, die jede Woche zur Freizeitwoche greifen, obwohl sie sicher ahnen, dass Florian Silbereisen und Andrea Berg sich nicht so nahe gekommen sind, wie die Titelschlagzeile vermittelt, gehört auch Mats Schönauer zu den regelmäßigen Lesern. Gerade erst ist er mit seinem Watchblog für die Regenbogenpresse zu Übermedien umgezogen; nun schreibt er dort (sowie, frei verfügbar, bei Spiegel Online), die Zeitschrift habe vermutlich Interviews erfunden:   

„Mehr als 150 Hollywoodstars und weltberühmte Musiker will das Blatt schon zum Exklusiv-Gespräch getroffen haben. Die meisten davon sogar zwei-, drei-, vier-, fünf- oder sechsmal. So sind in der ,Freizeitwoche’ in den vergangenen zwölf Jahren mehr als 300 Interviews mit internationalen Superpromis erschienen. Andere Medien brauchen Jahre, um nur einen einzigen Interviewpartner dieses Kalibers zu bekommen. (...) Wir haben einige Interviews übersetzt, an die Managements der Interviewten geschickt und gefragt, ob die Gespräche stattgefunden haben.“

Meine Lieblingsantwort ist die vom Management Rooger Moores:

„Roger Moore sei daran ,nicht beteiligt’ gewesen, sagt seine Sprecherin.“

An diesem Interview mit Roger Moore war Roger Moore nicht beteiligt. Aber dafür unser Autor doppelt, der schon in der Grundschule im kreativen Schreiben Bestnoten erzielte.

Die Zeitschrift bestreitet vehement, dass im großen Stil gekummert wurde, und Schönauer formuliert diesen Vorwurf sehr, sehr zurückhaltend. Die Sorge, von den für die Freizeitwoche verantwortlichen Regenbogenmachern Bauer und Klambt in Grund und Boden geklagt zu werden, ist wohl sehr groß. Andererseits geben neben Moore auch noch Sean Connery, Catherine Deneuve und Sandra Bullock zu Protokoll, diese Interviews nicht geführt zu haben.

Nein, die Freizeitwoche ist nicht das Magazin der SZ. Aber die Anzahl der Fälle, in der die „aktuelle und seriöse Berichterstattung über deutsche und internationale Stars“ wohl nicht ganz so aktuell und seriös war, wie von Klambt versprochen, ist doch bedenklich. Schließlicht gilt dieser Spaß immer noch als Journalismus und nicht als Fan-Fiction.

Noch verstörender ist nur, dass ausgerechnet dieses Zeitschriftensegment wächst. Gregory Lipinski bei Meedia:

„Denn die Bauer Women KG hat sich die Namensrechte für acht neue Zeitschriften gesichert. Darunter sind Namen wie das ,Beste Revue’, ,Pause Exklusiv’, ,Schöne Revue’, ,Freizeit Extra’, ,Freizeit Treue’, ,Goldene Freizeit’, ,Premium Freizeit’ sowie ,Freizeit Stars’. Eine Bauer-Sprecherin hierzu: ,Bei der Sicherung der Namensrechte handelt es sich um ein gängiges branchenübliches Verfahren’. In diesem Jahr hatte der Bauer-Verlag zwölf Titel eingeführt – darunter Tina schmeckt, Tina Gesund & Fit, Tina Weekend, Pflege & Familie, Play-Doh, Totz, Kochen & Genießen Mini-Kochbuch, Shape Mom sowie Lecker Einladen.“

Ich wiederhole: Es gibt eine Zeitschrift namens Lecker Einladen, die eventuell bald Gesellschaft namens Freizeit Treue erhält. Irgendwie haben diese Verlage doch auch die Print-Krise bekommen, die sie verdienen. [Geht kopfschüttelnd ab... kommt wieder.] Da wir gerade davon sprechen:

[+++] „Markus Peichl, Gründer der legendären Zeitschrift Tempo, leitet seit 16 Jahren die Lead Academy, und wer in diesen Tagen mit ihm spricht, spürt, dass da einer um sein Lebenswerk fürchtet. Peichl hat einen höheren fünfstelligen Betrag aus der eigenen Tasche investiert, damit die diesjährige Preisverleihung und die dazugehörige Ausstellung in den Deichtorhallen überhaupt stattfinden können. ,Bei der Finanzierung’, sagt er, ,müssen wir zu einer anderen Form kommen, sonst können wir die Veranstaltung in der jetzigen Form nicht aufrechterhalten.'“

So berichtet Katharina Riehl heute auf der Medienseite der SZ über die Krise bei den Lead Awards, die gestern verliehen wurden (die „wichtigsten Gewinner des Jahres“ (DWDL) lassen sich eben dort sowie bei Meedia nachlesen).

„Es wäre ein Verlust für die deutsche Medienbranche, die an Preisen natürlich nicht arm ist und der weniger Selbstbespiegelung durchaus guttäte. Und dennoch fragt sich, wer sich in der immer schneller drehenden Medienwelt eigentlich noch intensiv mit den tatsächlichen Texten, Fotografien, Illustrationen und inhaltlichen Innovationen beschäftigt“,

meint Christian Meier in Der Welt.

Man mag sich gar nicht ausmalen, was passierte, wenn all die Texte, Fotografien und inhaltlichen Innovationen nur noch von Lesern wahrgenommen würden. Schrecklich! Zumal damit ein Preis zu Grunde ginge, der „das Netz allerdings eher als ergänzendes Medium betrachtet“ (Meier) und sich von Verlagen eine Finanzierung über Google weglobbyieren ließ.

Tja. Oder, um es mit Stefan Niggemeier zu sagen:

„Jo dann.“

[+++] Um noch eine Sekunde bei den sympathischen Eigenschaften deutscher Medienunternehmen zu bleiben, folgt ein kurzer Zwischenstopp bei Carta, wo Laurent Joachim diverse traurige Beispiele für Lohndumping im Journalismus und die Stimmungsmache gegen den Mindestlohn durch Verlage zusammengetragen hat.

„Im Rahmen der Recherchen für diesen Artikel ließen übrigens mehrere voneinander unabhängige Quellen erkennen, warum sich weder investigative Sendungen des öffentlichen Rundfunks noch die renommierten Federn des Landes dieses äußerst skandalösen Themas annehmen: Inzwischen ist Lohndumping überall so verbreitet, dass keine Krähe einer anderen ein Auge aushacken kann, ohne sich selbst in Verlegenheit zu bringen. Eigentlich ein perfektes Machtsystem samt Schweigekartell.“

Zum Glück müssen wir hier in unserer schnuckeligen Medienecke bei evangelisch.de dabei nicht mitmachen, weshalb ich Ihnen gerne erzähle, dass Carta mich für einen Text zu diesem Thema angefragt hatte. Ein Honorar konnte man mir nur leider nicht anbieten, und umsonst über prekären Journalismus zu schreiben, war mir dann doch zu viel des Klischees.

[+++] Bei den öffentlich-rechtlichen Sendern ist die Finanzierung zwar umstritten, aber noch gesichert. Die Art, wie der Beitrag an den Bedarf angepasst wird, hätten sie aber gerne reformiert. Hans Hoff in der SZ:

„Um ein wenig aus der Schusslinie der Beitragskritiker zu kommen, würde die ARD den Beitrag gern nicht, wie bislang von der Kef empfohlen, zum 1. Januar 2017 auf 17,20 Euro absenken, sondern ihn bis 2020 auf der bisherigen Höhe von 17,50 Euro belassen. Danach solle sich der Beitrag dann am Bruttoinlandsprodukt (BIP) orientieren. Dadurch würden große Sprünge bei der Beitragshöhe vermieden und die Transparenz verbessert. ,Der aufwendige bürokratische und parlamentarische Prozess der Beitragsanpassung würde verschlankt’, heißt es."

Ein Grund, die KEF aufzulösen, wäre das natürlich nicht (Hoff: „Sie soll auch weiterhin prüfen. Um eine Überkompensation zu vermeiden und eine Überlastung der Beitragszahler zu vermeiden, sagt die ARD.“). Eine Kommission kann man schließlich immer brauchen.

Der Vorschlag liegt nun bei der AG „Auftrag und Strukturoptimierung des öffentlichen-rechtlichen Rundfunks“ der Bundesländer, die sich einige Begriffe teilt – Achtung, Überleitung! - mit dem Titel der Studie „Legitimation und Auftrag des öffentlich-rechtlichen Fernsehens in Zeiten der Cloud“, die bereits am Freitag in einem weiteren öffentlich-rechtlichen Gremium, dem ZDF-Fernsehrat, vorgestellt wurde.

Das über 100seitige Original aus der Feder des Experten-Konsortiums aus Dieter Dörr (Medienrechtler, Uni Mainz), Bernd Holznagel (Jurist, Uni Münster) und Arnold Picot (Betriebswirtschaftler, Uni München) lässt sich hier nachlesen. Ich habe es nur bis zur Überschrift und dem ersten Satz des Vorworts von Thomas Bellut geschafft, die da lauten „Unverzichtbar“ bzw. „Die Dynamik der Medienentwicklung ist unaufhaltsam in vollem Gange“.

Vielleicht könnte Wolf Schneider kurz einschreiten und darlegen, welche Begriffe alleine in diesem Einstiegssatz durchaus verzichtbar gewesen wären? Vielen Dank.

Zum Glück bietet das Presseportal des ZDF eine Zusammenfassung, aus der sich die Empfehlungen entnehmen lassen, noch mal über die Praxis des Depublizierens in den Mediatheken nachzudenken, dort auch angekaufte Produktionen zu zeigen und sich mit Inhalten im Netz weniger streng auf Sendungen zu beziehen.

Die Entscheidung zur „Tagesschau“-App (Altpapier vor einer Woche) noch im Hinterkopf, kann man sich die Freude bei nicht-öffentlich-rechtlichen Medienunternehmen vorstellen, wenn sie Sätze wie diesen aus der Pressemitteilung lesen:

„Eine angemessene Vielfaltsicherung sei durch Subventionierung privater Marktakteure kaum zu erreichen.“

Auch im Fernsehrat kam das nicht bei allen gut an, wie dessen Mitglied Leonhard Dobusch bei Netzpolitik.org fernsehratigst dokumentiert:

„Nicht alle waren mit allen Aspekten der Studie glücklich, was zu Diskussionen führte, ob die Studie ,zustimmend zur Kenntnis’ oder nur ,zur Kenntnis’ genommen werden solle. Mit 8 Enthaltungen angenommene Kompromissformulierung: Die Studie wird ,als wichtige Grundlage für weitere Diskussion zustimmend zur Kenntnis genommen’.“

Womit wir vor dem Korb das Zwischenfazit ziehen können, dass dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk vor allem eins gut täte, nämlich eine Kommission zur Ermittlung sprachlicher Fehlentwicklungen innerhalb ihrer Kommissionen und Gremien, kurz KEF KG.


Altpapierkorb

+++ RT Erdogan ist nicht zufrieden, dass die Staatsanwaltschaft Mainz das Ermittlungsverfahren gegen Jan Böhmermann eingestellt hat, und hat dagegen nun Beschwerde eingelegt. „Die Ermittlungsakten würden nun nach Koblenz übersandt. Die Generalstaatsanwaltschaft wird nach eigenen Angaben nun die Akten sichten. Wann mit einer Entscheidung zu rechnen ist, war zunächst nicht klar“, informiert Joachim Huber im Tagesspiegel. Dass auch andere berichten, können Sie sich sicher denken. Eine Stellungsnahme des DJV liegt natürlich auch schon vor. +++

+++ „Niemand käme auf die Idee, seinen Audi einem Mann anzuvertrauen, der eine Nockenwelle nicht von einer Zylinderkopfdichtung unterscheiden kann, nur weil er toll redet. Selbst bei einem Fleischereifachverkäufer erwarten wir noch eine solide Kenntnis der Waren, die er anbietet. Ausgerechnet bei der Beurteilung von Politik hat sich die Meinung festgesetzt, dass Erfahrung etwas ist, das verdächtig macht. Erfahrung heißt jetzt: Zugehörigkeit zur Elite. Elite bedeutet: korrupt.“ Jan Fleischhauer in seiner aktuellen Spiegel-Online-Kolumne mal wieder über „Lügenpresse“-Rufer sowie deren mangelnde Kenntnis deutscher Grammatik. +++

+++ „An den Schreibtischen in Berlin-Adlershof soll Wahrheit produziert werden. Russische Wahrheit. Ich möchte herausfinden, wie sie entsteht.“ Martin Schlak hat sich als Praktikant bei Russia Today eingeschleust und berichtet darüber in der gestern erschienenen Neon (Blendle-Link). Spoiler: „Der Konferenztisch im ersten Stock, hier in der Redaktion in Berlin, ist nicht der Ort, an dem Lügen entstehen. Es ist der Ort, an dem Zweifel gestreut werden. Hier entsteht keine Wahrheit, hier wird Wahrheit aufgelöst.“ +++

+++ Auf der mal wieder gut gefüllten Medienseite der FAZ geht es um den US-Wahlkampf, der auch in Wikipedia-Einträgen tobt; um die Schließung der ungarischen Zeitung Népszabadság (siehe Altpapierkorb gestern); um die kanadische Serie „The Killer Inside“, die nun bei ZDF neo läuft. +++

+++ Dass manche Österreich als „Medien-Albanien“ bezeichnen, ist nur ein Aspekt, den man im Text von Timo Niemeier bei DWDL über den österreichischen Medienmarkt lernen kann. +++

+++ Auch, aber ganz andere Probleme haben griechische Medien. Für das Europäische Journalismus Observatorium berichtet Vas Panagiotopoulos: „Die angeschlagene Glaubwürdigkeit der Medien und die in Scherben liegende Wirtschaft macht es griechischen Medienpraktikern schwer. ,Regeln der Ethik und Standards werden oftmals nicht eingehalten’, sagt Nick Malkoutzis, Gründer und Herausgeber der englischsprachigen Informationsplattform Macropolis.“ +++

+++ Dem französischen Fernsehen ist es wichtig, dass es vor der Präsidentschaftswahl enthüllt, welchen Kuchen Marine Le Pen gerne backt und welche Gedichte Bruno Le Maire vor dem Schlafengehen liest. Manche finden das verzichtbar, schreibt Rudolf Balmer in der taz. +++

+++ „Auf dem Höhepunkt des Serien-Hypes florieren deshalb auch die Hitlisten.“ Das steht natürlich im Mekka des Serien-Hypes, also auf der Medienseite der SZ, wo Benedikt Frank eine Übersicht an Listen liefert, sowie die Einschätzung, dass diese sich an ihren Zielgruppen orientieren und demnach subjektiv sind (crazy shit). +++

+++ Liebeserklärungen an den Lokaljournalismus sind eher selten. Daher darf die folgende von Anna Mayr heute noch erwähnt werden, obwohl sie bereits in der vergangenen Woche bei den Ruhrbaronen erschien. „Ich will niemals überheblich werden, niemals von Lokaljournalist_innenstil sprechen, mich niemals lustig machen, denn ich bin verliebt in diesen Job und ich schätze diejenigen, die ihn machen und mögen. Ich habe Angst vor denen, die ihn aufgegeben haben für sich und für andere. Diejenigen, die jetzt schon dafür sorgen, dass es in zehn Jahren nur noch Scheißcontentredaktionen und dpa-Mäntel und zusammengelegte Lokalausgaben gibt, denn alles andere wäre auch übertrieben für ein Produkt, das immer weniger Menschen haben wollen.“ +++

Das nächste Altpapier erscheint am Mittwoch.

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