Wenn man eines aus der Entscheidung des Kölner Oberlandesgerichts vom vergangenen Freitag lernen kann, dann, dass es nie zu spät ist, um über eine im Juni vor fünf Jahren gescreenshotete und ausgedruckte App zu sprechen. Die der „Tagesschau“ zu diesem Zeitpunkt war unzulässig, urteilte das Gericht, was auf Seite der einmal nicht über, sondern gegen die öffentlich-rechtlichen Angebote klagenden Verleger als Gewinn verbucht werden kann, der mal so gar nichts bringt. Was ihre Autoren offenbar nur noch mehr anstachelte, sich härtere Beschränkungen für ARD und ZDF und damit mehr Abgrenzung zu ihrem bedrohten Geschäftsmodell zu wünschen.
„Unser persönlicher Vorschlag für einen außergerichtlichen Vergleich würde lauten: Reduktion auf das, was der Deutschlandfunk mit seinen drei Kanälen online auf die Beine stellt. Das reicht für alle anderen Sender mit.“
Ganz recht, dieser Brücken bauende Vorschlag kann nur von Michael Hanfeld stammen (FAZ am Samstag), der damit nahezu allen öffentlich-rechtlichen Online-Redakteuren die Arbeitslosigkeit wünscht, damit er diese nicht mehr so zu fürchten hat.
Ihm an die Seite stellen kann man Christian Bommarius' Kommentar, der ebenfalls am Samstag in der Berliner Zeitung erschien und gleich das gesamte öffentlich-rechtliche System zusammenzuschmelzen vorschlug.
„Eine Forderung wird nicht allein dadurch populistisch, weil sie vom bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer (CSU) geteilt wird. Und sie verliert nichts von ihrer Plausibilität, weil alle im Bundestag vertretenen Parteien sie unisono ablehnen“,
lautete seine, ähm, interessante Hinführung zu dem eineinhalb Jahre alten Vorschlag zweier Wissenschaftler der Uni Friedrichshafen. Bommarius:
„Sie haben eine digitale Plattform im Sinn, die weiterhin Fernsehen und Hörfunk anbietet, ,erweitert um diverse Sparten- oder Zielgruppenangebote mit einer umfassenden regionalen Berichterstattung’. Der neue Sender würde deutlich weniger Sport- und Unterhaltungssendungen zeigen, auf Werbung müsste er komplett verzichten. Am Ende stünde die Senkung des Rundfunkbeitrags.“
Nun wird eine Forderung nicht dadurch unsinnig, dass sie eineinhalb Jahre braucht, um aus der Süddeutschen Zeitung, wo sie zuerst veröffentlicht wurde, zum Rande des Universums aka Berliner Zeitung zu gelangen. Und ich persönlich finde es z.B. durchaus eine Überlegung wert, zugunsten der angesprochenen „umfassenden regionalen Berichterstattung“ auf beispielsweise „Die tollsten Disko-Stars der 70er“, „Die 30 schönsten Liebeslieder der 70er“ oder Folge 230 von „Panda, Gorilla & Co“ zu verzichten. Von den eingesparten Produktionsmitteln könnte man richtig viel guten Lokaljournalismus bezahlen, den Berlin durchaus zusätzlich vertragen könnte. Aber wenn es so käme, wären die Berliner Zeitung und DuMont doch die Ersten, die dagegen vor Gericht zögen! (Wenn es die Zeitung dann noch gibt, siehe auch die aktuellsten Spekulationen im Altpapierkorb am Freitag.)
Woraus man lernen kann: Manche Verlage und Autoren sind angesichts bröckelnder Auflagen und Geschäftsmodelle mittlerweile so nervös, dass sie blind um sich schlagen und dabei auch mal sich selbst treffen. In seinem Blog nennt Christian Jakubetz den Kampf der Verlage gegen die „Tagesschau“-App aus diesem Grund einen „Stellvertreterkrieg“, der nur vom eigentlichen Problem ablenken solle, das Jakubetz im Fremdeln mit dem Digitalen sieht.
„Mit Leidenschaft ins Digitale investieren, das erlebt man eher selten. Müssen halt die Printredaktionen mehr machen und ab und auch mal was ins Netz stellen. Vieles von dem, was in Verlagen passiert, ist nicht völlig falsch. Es ist nur häufig inkonsequent und eher einer Pflicht als einer Lust geschuldet.“
Das zu sagen, ist ja nie verkehrt. Was man allerdings auch selten sieht, sind coole, digitale Projekte, mit denen sich Geld verdienen lässt, und das erscheint mir doch bei aller Freude am Lästern über schläfrige Verlage das größere Problem.
Ein Verlag, bei dem sich diese Sorgen in Grenzen halten, auch weil die verlegerischen Tätigkeiten im Unternehmen eher an den Rand gerückt sind, trägt den Namen Springer. Vielleicht ist das mit ein Grund, warum Christian Meier in Der Welt so versöhnliche Töne anschlagen kann.
„Aber wie wäre es, die ARD würde ihre erheblichen Ressourcen einfach mal in die Entwicklung einer Nachrichten-App stecken, die klar erkennbar vom Bewegtbild her gedacht ist? Da liegt schließlich ihr Auftrag und ihre Kernkompetenz.
Konkurrenz machen sich Verlage und Öffentlich-Rechtliche im Internet so oder so. Weil es immer um den Aufmerksamkeitswettbewerb geht. Der ist gar nicht zu vermeiden. Das zu akzeptieren und innerhalb dieses Rahmens vernünftig differenzierte Angebote zu machen, mit denen eine Koexistenz möglich ist – das wäre es doch mal.“
Ob im Gegenzug sämtliche verbliebene Redaktionen des Springer-Verlages aufhören müssten, mit Bewegtbild zu experimentieren, um sich auf ihre Kernkompetenzen Schreiben und Ausdrucken zu konzentrieren, klären wir dann nach der nächsten Maus.
[+++] Tun wir so, als ginge es versöhnlich weiter, nämlich mit etwas, das Journalisten aller Medien dieser Tage eint. Ob On- oder Offline, ob Print-, Fernseh- oder Radioredakteur: auf Misstrauen bei ihren Lesern, Hörern und Zuschauern stoßen sie dieser Tage alle. In der NZZ referiert Stephan Russ-Mohl, dass die Medien diesen Verfall an Wertschätzung bereits seit den 1960er Jahren hätten beobachten und darauf reagieren können.
„Während viele Redaktionen von Empörungskommunikation leben und Mücken gerne zu Elefanten aufblasen, haben sie vor diesem Jahrhundertthema, das sowohl ihre eigene Existenz als auch unser demokratisches Gemeinwesen gefährdet, lange Zeit kollektiv die Augen verschlossen“,
meint er, um dann im Folgenden darzulegen, wie Aufmerksamkeitsökonomie („Weil Aufmerksamkeit knapp ist und sich in Geld oder Macht ummünzen lässt, wurde und wird immer mehr investiert, um sie zu generieren.“) und die Nähe der Journalisten zur Elite („Die Medien scheinen ,mehr Anpasser als Aufpasser, mehr Regierungsversteher als Anwalt der Regierten zu sein’“) diese grundlegende Tendenz in der jüngeren Vergangenheit noch verschärften. Sein fatalistischer Blick auf die Medienwelt klingt so:
„Algorithmen verdrängen Journalisten, und Social Bots ersetzen inzwischen zunehmend leibhaftige Trolle, die im Netz im Sinne ihrer Auftraggeber Stimmung machen. Sie schüren Hass, sorgen durch tausendfach variierte Kommentare, vor allem aber durch Likes und Shares dafür, dass ihre Botschaften im Netz mithilfe der Algorithmen verbreitet werden und so die Schwarmdummheit gegenüber der Schwarmintelligenz die Oberhand gewinnt.“
Da wünscht man sich doch sofort den schnuckligen Streit um die „Tagesschau“-App als Problem zurück.
Doch zum Glück ließ sich dem über das Wochenende auch eine wesentlich positiverere Sicht auf die Folgen des Internets für den Journalismus entgegensetzen - Alan Rusbridger in einem Interview mit der Schweiz am Sonntag:
„Zuerst einmal: da ist viel Hässliches, Rassistisches, Dummes und Hasserfülltes zu finden, das wissen wir alle. Davon abgesehen, sind soziale Medien aus meiner Sicht ein Segen. Ich lebe lieber in einer Gesellschaft, in der sich alle am öffentlichen Diskurs beteiligen können und nicht einige wenige Verleger oder Journalisten bestimmen, was die relevanten Themen sind. Umsomehr, als die traditionellen Medien auch immer kontrolliert, zum Schweigen gebracht oder sogar vernichtet werden konnten: durch Gesetze, Regierungen, Konzerne oder ökonomische Zwänge. Die heutige Zeit mag für Journalisten und Reporter komplizierter geworden sein, aber ich bin ziemlich optimistisch, dass sie für die Meinungsfreiheit positiv ist.“
Ein Journalismus, dessen oberste Priorität nicht der eigene Erhalt ist, sondern eine positive Entwicklung der Gesellschaft – das wäre es doch mal.
[+++] Damit hinterher niemand sagt, über der Analyse allgemeiner Entwicklungen seien die aktuellen Ereignisse des vergangenen, langen Wochenendes in Vergessenheit geraten: Am Sonntag moderierte Thomas Roth das letzte Mal die „Tagesthemen“, wobei er „einen dunkelblauen Anzug mit hellblauer Krawatte trug“, was laut dpa eine wichtige Information zu sein scheint.
Die ganze Sendung nachzusehen gibt es hier; die Abschlussformel verschriftlicht hat DWDL (insert irgendeinen Witz mit „fernsehähnlich“ here), woraus an dieser Stelle zitiert sein soll:
„Vieles war schön, manches war schwierig und wieder anderes da draußen war auch gefährlich – aber gut, das gehört eben zu unserem Beruf als Journalisten.“
Was normalerweise ebenso dazu gehört, ist die Fähigkeit, seine Zähne auseinanderzubekommen, aber sich über Roths Nuschelei zu beschweren, ist jetzt natürlich müßig. Schließen wir stattdessen lieber mit den Worten Christian Nitsches im „Tagesschau“-Blog:
„Seine Texte schärfen den Blick, aber der Blick ist weiter nach vorne gerichtet, nicht nach unten. Thomas Roth nimmt den Zuschauer mit, ohne ihn zu verstören, ohne ihn allein zu lassen mit den Problemen dieser Welt. Seine ruhige, unaufgeregte Tonlage lässt zu, dass der Zuschauer sich einer Thematik ebenso analytisch nähert wie Roth. Nicht die Emotion gewinnt Überhand. Es ist ein distanzierter Überblick, den Thomas Roth seinen Zuschauern ermöglicht. Er hat seine eigene Emotionalität den Grundsätzen des Nachrichtenjournalismus untergeordnet. Thomas Roth überhöht nicht das Geschehen zugunsten der Aufmerksamkeit. Er spitzt nicht der Quote wegen zu. Er schichtet ab, verdeutlicht die Konturen, regt zum Nachdenken an.“
Was Nitsche damit sagen will, glaube ich: Thomas Roth war ein guter Journalist und Nachrichtenvorleser. Happy Ruhestand.
+++ BREAKING +++ BREAKING +++ BREAKING +++ Die Staatsanwaltschaft Mainz wird voraussichtlich bis Ende des Monats entscheiden, was denn nun wird aus RT Erdogans Klage gegen Jan Böhmermann. #schmähkritik #dpa/Meedia +++BREAKING +++
+++ Wirklich wichtig: In der Türkei wurden schon wieder Fernseh- und Radiosender von der Regierung dicht gemacht; einen unabhängigen Sender auf kurdischer Sprache gibt es jetzt nicht mehr. Jürgen Gottschlich berichtet für die taz. +++
+++ „The major challenge was authenticating the three pages and placing them in the proper context to understand Trump’s tax strategy at the time, said Dean Baquet, the newspaper’s executive editor. The documents ,looked real,’ he said. ,But who knew?’“ Die Washington Post hat die Hintergrundgeschichte zur Story der New York Times über Donald Trumps Steuer-Strategie. +++
+++ Nicht jede Enthüllung ist eine Sternstunde des investigativen Journalismus. Auf die Recherche, an deren Ende u.a. in der FAS gelüftet werden konnte, wer hinter dem Schriftstellerinnen-Pseudonym Elena Ferrante steckt, hätte man durchaus verzichten können. Dirk Knipphals in der taz: „Richtig ärgerlich ist die Art und Weise, wie sie es taten. Der Journalist Claudio Gatti ist an seine Enthüllung mit großer detektivischer Energie herangegangen. Er hat sich Honorarlisten verschafft und Grundbücher durchgesehen. Als ob es um die Aufdeckung eines Berlusconi-Komplotts ginge, um WikiLeaks oder Mafiamachenschaften!“ Für die Medienwoche ärgert sich Lothar Struck über Gatti: „Er sei dafür da, Antworten auf Fragen zu finden und das grösste Geheimnis Italiens sei nun einmal die Identität von Elena Ferrante gewesen, so lautet seine Rechtfertigung. In Wirklichkeit dürfte es ihm weder um die Literatur Ferrantes noch um das Informationsbedürfnis eines Publikums gegangen sein. Die Aktion dient einzig dazu, seinen Ruhm zu steigern. +++
+++ Wer etwa bei der ZDF-Gala für die Deutsche Krebshilfe am Samstag zum Spendentelefon griff, der finanzierte: Carmen Nebel, zumindest u.a., schreibt Alexander Kühn im Nachrichtenmagazin Der Spiegel (Blendle/0,75 €). „Denn die Krebshilfe muss das vermeintliche Geschenk des ZDF erheblich mitfinanzieren, als Produktionskostenzuschuss. Die Organisation bezahlt dem Sender für seine Großzügigzeit 600 000 Euro – und damit einen beträchtlichen Anteil der rund 1,5 Millionen Euro teuren Show, die von Nebels Firma TeeVee hergestellt wird. Weder Nebel noch ihre prominenten Gäste arbeiten für lau.“ +++
+++ Wer seine Gebühren für ARD und ZDF blecht, ermöglicht derweil Korruption bei FIFA und UEFA, argumentiert Hans Hoff in seiner DWDL-Kolumne. +++
+++ Die nächste Paywall startet am Donnerstag, und zwar bei faz.net, wo in Zukunft „besondere Hintergrundstücke, das Beste aus der Zeitung“ (Quelle: Der Standard) kostenpflichtig sein sollen. +++
+++ Einen überraschenden Print-Erfolg landete der Fachverlag Falkemedia mit einem Heftchen voller Thermomix-Rezepte. Meedia berichtet, während ganze Redaktionen voller Nachrichtenjournalisten entgeistert um die Wette facepalmen (Thermomix-Rezepte?! Seriously, Menschheit?!). +++
+++ Nach 129 Jahren schließt das Pariser Büro der International New York Times. Joseph Hanimann in der SZ: „Am Standort London wird daher derzeit ein digitaler Entwicklungspool für die International New York Times aufgebaut. Eine Einstellung der gedruckten Europa-Ausgabe stehe damit aber nicht bevor, heißt es beschwichtigend aus der amerikanischen Zentrale. Aber ein ganzes Redaktionsteam mit Pariser Esprit wird dafür nicht mehr gebraucht. Die Umsiedlung der Redaktion nach New York und Hongkong ist auch ein untrügliches Indiz dafür, dass Europa ein Stück weiter aus dem Medienwelthorizont rückt.“ +++
+++ Die Deutschlandradio-Familie bekommt nicht nur neue Namen, sondern auch einen neuen Intendanten. Willi Steul geht vorzeitig, berichtet die Bild am Sonntag (Vorabmeldung).
+++ Von seiner Arbeit als Auslandskorrespondent in Russland berichtet der freie Journalist Oliver Bilger bei DWDL. „Es geht so weit, dass westliche Journalisten für Spione gehalten werden – und das ist nicht immer als Spaß gemeint. Trotzdem, so Bilger, gebe es viele Menschen, die nach wie vor offen für Interviewanfragen sind. ,Eine tatsächliche Behinderung bei der Arbeit – abgesehen von manchmal hohen bürokratischen Hürden – habe ich indes nicht erfahren’, sagt der Journalist.“ +++
+++ „Ist das der älteste Einfall für eine Komödie? Womöglich, und doch man kann sich die Sache auch zum hundertsten Mal ansehen, wenn es sich um eine stimmige Variante handelt.“ Michael Hanfeld rezensiert in der FAZ die Sat1-Fußball-Komödie „Volltreffer“ (heute Abend, 20.15 Uhr). +++
+++ „Das Robotermädchen Dolores (Evan Rachel Wood) und ihr Vater, ihr Geliebter (James Marsden), die Lebedamen aus dem Saloon, die Bewohner der Westernstadt, sie alle – im 3-D-Drucker entstanden, perfekt bis in die Retina geformt – werden vom gottgleichen Park-Direktor (Anthony Hopkins) und einer skrupellosen Geschäftsführerin (Sidse Babett Knudesen, bekann aus „Borgen“) jeden Morgen neu in die Western-Kulisse gestellt.“ Falls Sie es bis hierhin geschafft haben, sollten Sie evtl. „Westworld“ auf Sky Go sehen. Markus Ehrenberg bespricht das Serien-Remake des Sci-Fi-Klassikers im Tagesspiegel. +++
Neues Altpapier gibt es am Mittwoch.