Wenn es gut läuft zwischen Journalisten und Politikern machen beide Seiten frustrierende Erfahrungen. So wollen Politiker gerne ihre Botschaften loswerden, selbst wenn sich niemand für sie interessieren sollte. Und Journalisten wollen möglichst exclusiv eine knackige Meldung produzieren, die aber Politiker bisweilen nicht liefern wollen. Insofern wäre die wechselseitige Frustration über die jeweils andere Seite ein Teil dessen, was zu einem funktionierenden Verhältnis zwischen beiden Seiten gehören sollte. Das ist wenigstens besser als jenes herzliches Einvernehmen, wo sich beide Seiten so sehr wohlfühlen, dass es beim Publikum früher oder später als Kumpanei erscheinen muss. Insofern war gestern das Interview in der FAS mit Kurt Beck bemerkenswert zu nennen. In der folgenden Passage mit dem früheren SPD-Vorsitzenden und langjährigen Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz wird deutlich, was dieses Konkurrenzverhältnis zwischen beiden Seiten ausmacht.
„In der „Süddeutschen Zeitung“ war vor einigen Wochen zu lesen: „Ein großer, immer wieder kolportierter Irrtum über die Vorsitzendendebatten der SPD besteht darin, dass die Medien sie sich ausdenken würden.“ Sie zum Beispiel hätten nicht deswegen eine schlechte Presse gehabt, weil den Berliner Journalisten Ihre Krawattennadeln nicht gefallen hätten, sondern weil Ihre Parteifreunde herumerzählt hätten, dass Sie sonderbare Krawattennadeln trügen.
Für mich ist das die Frage, wer zuerst da war – die Henne oder das Ei? Beides stimmt und stimmt nicht. Vor vielen Jahren, als ich in der SPD in der zweiten oder dritten Reihe stand, verging kaum ein Wochenende, an dem nicht irgendein Journalist angerufen hat, um mir ein vorgefertigtes Zitat vorzulegen. Meistens sollte ich die SPD-Spitze kritisieren. Wenn ich dann gesagt habe, ich sage es so nicht, aber ich sage es anders, dann wurde das Zitat eben nicht gedruckt.
Manche Politiker benutzen Hintergrundgespräche, um den Anschein von Aufrichtigkeit zu erwecken und so ihre Botschaften besser an den Mann zu bekommen.
Das gab es und gibt es, nicht einmal selten. Ich selbst habe aber versucht, ehrlich zu spielen. Bis ich dann die Missbräuche erlebt habe. Hinzu kam, dass ich von einigen Ihrer Kollegen als Tölpel dargestellt wurde, weil ich in solchen Runden auch mal gesagt habe: Ich weiß es nicht. Irgendwann habe ich dann nur noch das gesagt, was ich sagen wollte. Aber das ist natürlich nicht Sinn der Übung.“
Ehrlichkeit gilt zwar mit guten Gründen als Tugend, aber ist in diesem von Beck genannten Kontext von Politikern nicht zu erwarten. Man kann sich nämlich schon fragen, ob es wirklich der Sinn politischen Handelns ist, wenn Politiker ihre Ratlosigkeit zum Ausdruck zu bringen. Das ist etwas anderes als beim Lügen erwischt zu werden, was zurecht immer noch am Beginn jedes politischen Skandals steht. Deswegen wirkt die in den vergangenen Wochen zu hörende Kritik von Journalisten an dem „Wir schaffen es“ der Bundeskanzlerin recht seltsam. Sie kann schlecht ihre Irrtümer eingestehen, selbst sie ihre Politik der vergangenen Monate ebenfalls für einen Fehler halten sollte. Wenigstens dann nicht, wenn sie noch die kommenden Bundestagswahlen gewinnen will. Ob sie es geschafft hat, oder nicht, und was sie noch schaffen könnte, oder wen sie schaffen wird, ist vielmehr Teil der politischen Kontroverse. Darüber werden die Wähler ihr Urteil fällen. Die Medien müssen darüber berichten, aber dürfen keine falschen Erwartungen über Politiker erzeugen. Diese Form der Ehrlichkeit wäre wohl nichts anderes als politischer Selbstmord.
+++ So gab es gestern auch in der NZZ ein interessantes Interview, allerdings mit dem amerikanischen Medienexperten Michael Wolff. Es geht um Donald Trump und seinen für viele Beobachter schwer nachzuvollziehenden Erfolg bei Teilen der amerikanischen Wählerschaft. Trump betrachtet Politik als ein Unterhaltungsprogramm, wie es Wolff formuliert. Er appelliert zudem an die Ressentiments der Wähler. Das alles ist nicht neu. Aber seine Wirkung beruht auf etwas anderes, so Wolff. Er spielt mit den Erwartungen des Publikums, die von Politikern eines bestimmt nicht erwarten: Eine Ehrlichkeit, die kein Wässerchen trüben kann.
„Politjournalisten glauben an Politik und halten Sachfragen für bedeutsam. Wenn Trump sagt: «Grenzt Muslime aus!» – dann nehmen Journalisten das für bare Münze. Ein grosser Teil der Wähler hört dabei aber nur, dass Trump hart gegen Terroristen vorgehen will. Er drückt sich nicht in politischen Begriffen aus, sondern in Symbolen. Die Presse nennt Trump dann einen Lügner. Hillary Clinton ist das absolute Gegenteil. Sie diskutiert mit Experten und spricht am liebsten über Fakten und Sachfragen. Gleichzeitig bemüht sie sich nach Kräften, keine Blössen zu zeigen. Damit wirkt sie unglaublich machiavellistisch. Und das ist Clinton auch. Sie ist berechnend in allem, was sie tut. Bei Trump ist dagegen alles spontan. Er redet einfach daher. Auf eine kuriose Weise wirkt er damit viel ehrlicher als Clinton. Und womöglich ist er das auch.“
„Journalisten neigen zu Selbstverherrlichung. Der Presse ging es immer schon primär um Auflage und Umsätze. Schon 1968 hat der Klassiker über amerikanische Wahlkämpfe, «The Selling of the Presidency», gezeigt, dass die Kontrolle über die öffentliche Wahrnehmung – also die Berichterstattung – der Schlüssel zum Weissen Haus ist. Kandidaten gehen dabei planvoll und strategisch vor. Und nun erscheint dieser Donald Trump und wird damit zur Sensation. Ihm kommt zugute, dass viele Amerikaner den Medien generell nicht mehr trauen und der traditionellen Berichterstattung überdrüssig sind.“
So vermittelt dieses Interview interessante Hinweise über die Rolle der Medien, die den üblichen Sichtweisen durchaus widersprechen. Allerdings erwartet Wolff trotzdem keinen Wahlsieg Trumps, weil er den meisten Wähler doch zu weit ginge. Dieser „bricht mit ihrem Grundverständnis von Politik und Gesellschaft. Wer je Staatskundeunterricht an der Schule genossen hat, kann sich einen Präsidenten Trump nicht vorstellen.“ Aber es wäre schon von Vorteil, wenn die Medien den Machiavellismus in der Politik nicht mehr moralisch verdammten, um damit beim Publikum Illusionen über die Funktionsweise von Politik zu erzeugen. Davon leben nämlich offenkundig die Trumps dieser Welt.
+++ Jenseits dessen geht die Debatte darüber weiter, wie Medien mit der Berichterstattung über Terroranschläge oder Amokläufe umgehen sollen. Im aktuellen Spiegel beschäftigt sich Cordula Meyer in einem Essay mit dieser Frage.
„Die Kenntnis der Fakten ist außerdem das beste, ja fast das einzige Korrektiv zu den simplen Erklärungsmustern, die viele sofort bei der Hand haben, wenn es darum geht, eine Bluttat zu erklären. Schuld sind dann, je nach politischem Hintergrund: Killerspiele, Fremdenfeindlichkeit in Deutschland, Mobbing, Angela Merkels Flüchtlingspolitik, Nebenwirkungen von Psychopharmaka oder die Perspektivlosigkeit der Abgekoppelten in der Gesellschaft. Wer soll dieser weltbildgetriebenen Mutmaßerei entgegentreten, wenn nicht Journalisten mit ihrer Suche nach der Wahrheit und ihren Informationen?“
An Informationen wird es in den kommenden beiden Wochen nicht fehlen. In Rio finden schließlich die Olympischen Spiele statt. ARD und ZDF sind rund um die Uhr im Einsatz, damit das interessierte Publikum nichts verpasst. Ob das immer der Wahrheitsfindung dient? Es ist durchaus auffällig, was in den deutschen Medien in diesem Zusammenhang selten diskutiert wird. Ob das russische Staatsdoping einen Generalverdacht gegen jeden russischen Athleten begründet, um ihn von den Spielen auszuschließen. Selbst auf die Gefahr hin, damit unter Umständen einen unschuldigen Sportler zu treffen. Diese Sichtweise bestimmt aber die Berichterstattung und somit auch die Kritik am IOC.
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+++ Welches Interesse die Olympischen Spiele beim Publikum finden, ist bei Meedia und DWDL nachzulesen. Dort wird von einer gewissen Ernüchterung berichtet: „Das gilt auch für die 14- bis 49-Jährigen: Dort hatte die Eröffnung in London vor vier Jahren noch mehr als 30 Prozent Marktanteil erzielt - nun waren zu nächtlicher Stunde mit 600.000 Zuschauern nur 20,8 Prozent drin. Allerdings ist freilich davon auszugehen, dass die Werte in den bislang noch nicht ausgewiesenen Stunden eher noch steigen werden. Etwas ernüchternd sind die bislang vorliegenden Zahlen aber allemal. Bei der Vorberichterstattung mit Gerhard Delling und seinen Gästen waren unterdessen ab 23:40 Uhr im Schnitt bereits 1,68 Millionen Zuschauer dabei, die dem Sender beim Gesamtpublikum einen guten Marktanteil von 14,7 Prozent bescherten.“
+++ Über die Situation von Journalisten in Brasilien berichtet der DLF in „Markt und Medien“. In der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen steht Brasilien auf Platz 104 von 180. Das sei „für ein Land, in dem es keine Diktatur gibt und in dem kein Krieg geführt wird, … ein besonders schlechter Wert. Die Stimmung in Brasilien ist aufgeheizt. Der Staat ist praktisch zahlungsunfähig, gegen die suspendierte Präsidentin Dilma Rousseff läuft ein Verfahren, im Interimskabinett sitzen mehrere Minister, die unter Korruptionsverdacht stehen. Korruption ist zweifellos ein großes Problem im Land. Die Berichterstattung darüber allerdings auch.“ So finden sich hier kritische Töne über das Selbstverständnis brasilianischer Journalisten. Viele von ihnen "werden nicht deshalb Opfer von Gewalt, weil sie mutig recherchieren und unbequeme Wahrheiten äußern. Sondern weil sie sich in einem schmutzigen Kampf um Macht auf eine Seite stellen und denunzieren, statt zu recherchieren.“
+++ Mittlerweile ist allerdings der Rechtepoker um die Übertragungsrechte für die kommenden Olympischen Spiele in vollem Gang. Nachdem ein privater Anbieter vom IOC den Zuschlag bekommen hat, geht es jetzt um die Weiterverwertung dieser Rechte an die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten. Darüber berichtet ebenfalls DWDL. Dort ist von den lukrativen Vermarktungsmöglichkeiten der olympischen Wettbewerbe die Rede, wenn sich etwa ARD und ZDF verweigern sollten: „Für Discovery hält sich der Druck in Grenzen, schließlich ließen sich exklusive Übertragungen der Olympia-Wettbewerbe ganz sicher lukrativ vermarkten. >>Wenn es zu keiner Übereinkunft kommt, dann machen wir Olympia zu 100 Prozent selbst bei Eurosport<<, betonte Perrette in dieser Woche schon mal und fügte hinzu, dass man bereits begonnen habe, sich auf dieses Szenario darauf vorzubereiten. Sportfans müssen sich ohnehin keine Sorgen machen, dass die Olympischen Spiele komplett ins Pay-TV abwandern. Bei den Winterspielen müssen nämlich mindestens 100 Stunden auch im frei-empfangbaren Fernsehen zu sehen sein, bei den Sommerspielen mindestens 200 Stunden.“ Wie lukrativ es für die werbetreibende Wirtschaft sein wird, bei den Spielen in Tokio mitten in der mitteleuropäischen Nacht Fernsehwerbung zu buchen, wird sich noch erweisen. Und wie lukrativ es für den Fernsehzuschauer sein wird, sich zu dieser Zeit lauter Werbespots anzusehen, bleibt ebenfalls ein noch zu lösendes Rätsel. Wahrscheinlich wird dieser vorher eingeschlafen sein. Angesichts dessen spricht viel dafür, dieses Experiment zum Thema „Lukrativität“ auf Eurosport tatsächlich zu wagen.
+++ Darüber gibt es interessanten Anschauungsunterricht aus Österrreich. In der Medienkorrespondenz beschäftigt sich Dietrich Leder mit „Servus TV“ und einem Abschied in drei Akten: „Der Abschied von Servus TV hatte sich schon in diesem Frühjahr angedeutet, als der Sender auf die Übertragungsrechte an der deutschen Eishockey-Bundesliga verzichtete, die für viele Zuschauer hierzulande die größte Attraktion des Programms darstellte. Mit dem wöchentlich gezeigten Live-Spiel erreichte Servus TV denn auch stets mehr als den Durchschnittswert von 0,25 Prozent aller Zuschauer. Die Werbewirtschaft, die den Sender lange Zeit ignoriert hatte, so dass man in den Werbepausen nur Autopromotion-Spots und Reklame für das Ferienland Österreich sah, hatte in den letzten Monaten verstärkt die Werbeinseln genutzt. Aber das reichte angesichts der weiterhin niedrigen Zuschauerzahlen in Deutschland nicht, die hohen Defizite abzubauen. Es ist halt sehr teuer, einen Fernsehsender zu betreiben, wenn man nicht auf einer Halde von Programm sitzt, die man abbauen und versenden kann. So erklären sich ja die vielen neuen Sender, die in letzter Zeit als Beiboote von RTL, Sat 1, Pro Sieben oder Kabel 1 gegründet wurden und die Rechte beispielsweise an alten Serien ohne große Kosten weiterverwerten.“ Soviel Realismus könnte jetzt wiederum die Verhandlungsposition von Discovery schwächen. Aber es kann ja auch sein, dass dort die Berichterstattung über die kommenden Olympischen Spiele unter Idealismus firmieren wird. Nur als Vorschlag, wenn sich Lukrativität nicht einstellen sollte.
+++ Was dazu passt. Die Kritik an der Kommerzialisierung der Olympischen Spiele durch die Diskuswerferin Julia Fischer. Turi zitiert die Bild wie folgt: „Die einzigen olympischen Momente, die es noch für mich gibt, sind die, wenn wir im Stadion sind. Denn das ganze olympische Dorf ist mit Werbung zugeklatscht."
+++ Über das Problem namens Tagesschau-App informiert die Welt. Kurios sei allerdings dieser Prozeß, so wiederum DWDL. Schließlich geht es „gar nicht um die App in ihrer aktuellen Form, sondern um die Version, die am 15. Juni 2011 zu sehen war. Und schon beim Urteilsspruch in erster Instanz im Jahr 2012 hatte der Vorsitzende Richter die Frage gestellt: "Wen interessiert schon, was das Landgericht Köln zur 'Tagesschau'-App vom 15.6.2011 meint?"
+++ Dafür hat ein Trainer namens Jürgen Klopp eine klare Meinung, wie Spiegel online berichtet: „>>Ich spreche nicht mehr mit der 'Sun'<<, sagte Klopp: >>Es ist nichts Persönliches, aber Sie arbeiten noch immer für die 'Sun', richtig? Sie können zuhören und schreiben, was Sie wollen. Das ist alles.<<. Über die Gründe für diesen Boykott machte Klopp lediglich vage Angaben. >>Es liegt nicht daran, dass ich für Liverpool arbeite<<, sagte er. Damit spielte der frühere Dortmunder Meistertrainer wohl darauf an, dass die "Sun" wegen ihrer Berichterstattung über die Hillsborough-Katastrophe von 1989 in der Stadt nicht sonderlich beliebt ist. Geheimnisvoll fügte der Coach des Europa-League-Finalisten hinzu: >>Es liegt an ein paar Dingen, die in den kommenden Tagen oder Wochen passieren werden.<<.“
+++ Das ist ein guter Anlaß, um auf den Unterschied zwischen „Hysterie und seriöser Berichterstattung“ im Deutschlandfunk hinzuweisen. Da lohnt sich zudem dieser Bericht in Töne, Texte, Bilder auf WDR 5 über die Geschichte des investigativen Journalismus im Sportjournalismus.
+++ Um Hysterie geht es dagegen im Standard. Und schließlich weist Henryk Broder auf ungeahnte Möglichkeiten für kritischen Journalismus hin: „Wir werden so etwas demnächst öfter erleben. Paare, die sich im Auto vergnügen, Familien, die während der Fahrt picknicken, Reporter, die ihre Texte zwischen den Abfahrten Bielefeld und Gütersloh verfassen, Schauspieler, die gestenreich ihre Rollen üben.“
Das Altpapier gibt es wieder am Dienstag.