Jeder spielt seine Rolle

Jeder spielt seine Rolle
Was wäre anders gewesen, wenn es sich bei den Tätern von Köln nicht um „nordafrikanische“, sondern um „urdeutsche“ Männer gehandelt hätte? Sollte man sich schämen, wenn man jemals für Cicero geschrieben hat? Wecken ARD und ZDF „überzogene Erwartungen“ an die „Handlungsfähigkeit“ des Rechtsstaats? Außerdem: die universitäre „Journalistenausbildung taugt inzwischen als Fallstudie organisierter Unverantwortlichkeit“.

„Was wissen wir“ und „was wissen wir nicht“ lauten die Zwischenüberschriften eines aktuellen Zeit-Online-Artikels, und erst einmal ist es zu loben, dass es Situationen gibt, in denen Medien zu erkennen geben, was sie alles nicht wissen. Angesichts der Eskalation der Interpretationen und sogenannten Meinungen zu den Übergriffen auf Frauen am Kölner Hauptbahnhof in der Silvesternacht ist das allemal angebracht.

Wie unübersichtlich die Lage ist, zeigt folgende unter der Zwischenüberschrift „Was wissen wir nicht“ stehende Passage:

„Der WDR berichtet, die Polizei gehe von mehreren Hundert Tatverdächtigen aus, laut Kölner Stadt-Anzeiger zählt die Polizei etwa 40 Tatverdächtige, die polizeibekannt seien und sich untereinander kennen würden. ‚Die bisherigen Hinweise gehen deutlich in Richtung polizeibekannte Intensivtäter, mit Flüchtlingen haben die nichts zu tun‘, sagte ein Ermittler am Wochenende. Es ist weder bekannt, welche Staatsbürgerschaft die Verdächtigen haben, noch, ob sie in Köln oder anderswo leben.“

Spezialisiert haben sich diese „polizeibekannten Intensivtäter“ auf den Trickdiebstahl. Jörg Diehl (Spiegel Online) verweist in diesem Zusammenhang auf einen Spiegel-TV-Beitrag von 2014:

„Diese Art von Seriendiebstählen ist ein massives Sicherheitsproblem in der Stadt am Rhein. ‚In Köln haben wir 12.000 Delikte im Jahr‘, sagte Kriminalhauptkommissar Günther Korn zu Spiegel TV. ‚Das sind 5000 mehr als 2007.‘"

Bemerkenswert ist, dass die Zahlenangaben der beiden in Köln ansässigen Medien, die in dem Zeit-Online-Text zitiert sind, so stark voneinander abweichen. Das kann etwas damit zu tun haben, dass der KSTA-Artikel zwei Tage älter ist als der WDR-Bericht - aber auch damit, dass unterschiedliche Redaktionen unterschiedliche Quellen bei der Polizei haben und der Polizeiapparat heterogen ist.

Was bedeutet all das für die Einordnung? Antje Schrupp (Fisch + Fleisch, siehe dazu auch ein Interview im Deutschlandfunk am gestrigen Abend) schreibt:

„(Die) wenigen Fakten genügen mir, ehrlich gesagt, nicht, um zu wissen, wie ich das, was (...) geschehen ist, einordnen soll – abgesehen davon natürlich, dass so eine Gewalt schrecklich ist und nicht toleriert werden kann. Aber zum Beispiel ist mir nicht klar, wieso die Polizei, die doch vor Ort war, von den sexuellen Übergriffen nichts gemerkt hat. Was eigentlich die anderen Leute gemacht haben, konnten oder wollten sie nicht eingreifen? Deshalb weiß ich auch nicht, wer (außer den Tätern selber natürlich) die Schuld trägt und was nun zu tun sei. Der Rest des Internets ist da offenbar schlauer als ich.“

Als einer der Schlauesten erwies sich der Alexander Marguier, der stellvertretende Chefredakteur von Cicero:

„Was in Köln passiert ist, kann nicht einmal mehr von den linksideologischen Willkommens-Medien und einem sich selbst gleichschaltenden öffentlich-rechtlichen Rundfunk unter den Teppich gekehrt werden.“

Ganz großes Spinner-Kino also. Oder, um es mit Patrick Bahners zu sagen:

„‚Sich selbst gleichschaltender Rundfunk‘? Dafür die Erdogan-Medaille für verharmlosende NS-Vergleiche.“

Obwohl ich mich prächtig beömmeln kann über Marguiers Formulierungen: Man kann es gewiss auch bedauern, dass ein Magazin, das man vor einigen Monaten noch liberal-konservativ nennen konnte, in eine Welt abgedriftet ist, in der es nur noch Schränke ohne Tassen gibt.

Marguiers Beitrag brachte den Autor Robin Detje dazu, auf Facebook (nur für seine dortigen Kontakte sichtbar) Folgendes zu posten: 

„Ich möchte mich hier ausdrücklich dafür entschuldigen, für dieses Blatt geschrieben zu haben. Ich schäme mich.“

Kann man Marguier noch toppen? Schwarzers Alice ist ein Top-Kandidatin:

„Die Männer sollen im Alter von 15 bis 35 gewesen sein. Sie haben sich auf dem Kölner Bahnhofsvorplatz aufgeführt wie auf dem Tahrir-Platz in Kairo (...) Die Mehrheit sind Flüchtlinge von gestern bzw. Migranten und ihre Söhne. Die träumen davon, Helden zu sein wie ihre Brüder in den Bürgerkriegen von Nordafrika und Nahost – und spielen jetzt Krieg mitten in Europa.“

Schwarzer nun auch in der Rolle der weitgereisten Bürgerkriegsexpertin, derber kann‘s fürs Erste nicht mehr werden.  

Und was sagt eigentlich Heribert Prantl? Die SZ erscheint zwar heute nicht, weil im katholischen Bayern gefeiert wird, aber online muss er natürlich ran:

„Es ist dies ein katastrophaler Jahresauftakt. Es ist dies auch deswegen eine Katastrophe, weil die Silvester-Massenkriminalität für rechtsextremistische Hetze missbraucht wird, weil viele Pegidisten sich nun stolz in die Brust werfen und sich in ihrem Hass gegen Flüchtlinge bestätigt fühlen. Die Häme und die Gemeinheiten, die in den unsozialen Netzwerken nun über Flüchtlinge insgesamt ausgeschüttet wird, ist ekelhaft.“

Dem ist nicht zu widersprechen, siehe auch der Post der „Tagesschau“ auf Facebook, in dem die Rede ist von „einer kaum noch beherrschbaren Flut an Kommentaren“, darunter „eine Unmenge rassistischer Pöbeleien und wilder Spekulationen“. Aber: Mich bekümmert eher die Berichterstattung der professionellen Journalisten bzw. sie bringt mich zum „Seufzen“, um es mit Elke Wittich (Prinzessinnenreporter) zu sagen.

Wir müssen da ja keineswegs nur über Marguier und Schwarzer reden. So war eine Zeitlang in Headlines von 1.000 Tätern die Rede, obwohl man die kllickträchtige Zahl 1.000 durchaus auch in nicht unsinnigen bzw. inhaltlich korrekten Überschriften unterbringen kann. 

„Der Eindruck, dass 1000 Flüchtlinge in Köln Frauen mindestens belästigten, ist das, was bleibt. Für immer, egal, wie viele erklärende Artikel jetzt nachgeschoben werden“,

schreibt die schon erwähnte Elke Wittich.

Petra Sorge - das ist, der dialektische Schlenker in Sachen Cicero sei gestattet, die Stimme der Vernunft beim Ringier-Monatsblatt - knüpft direkt daran an

„Vor allem, weil die (gefährlichen Falschmeldungen) nun sogar in deutschsprachigen Auslandsmedien übernommen werden: ‚1.000 Männer stecken hinter Sex-Attacke zu Silvester‘, heißt es beim österreichischen Fernsehsender OE24 noch einigermaßen vage. ‚1000 Männer belästigen unzählige Frauen‘, beim Schweizer Tages-Anzeiger dann ganz falsch. Dort ist die Überschrift zwar inzwischen geändert, bei Google News und im Link findet sich diese Falschaussage jedoch noch immer.“

Und Wittich fragt:

„Könnt ihr Pegida, die AfD und so weiter und so fort lachen hören, wie schön die Lügenpresse ihr Geschäft besorgte?“

Pegida lacht, seit es Pegida gibt, denn es waren ja die öffentlich-rechtlichen Nachrichten- und Talkshowredaktionen, die - tja, wie formuliert man das nun so wenig verschwörungstheoretisch wie möglich? - nicht unbeteiligt daran sind, dass Pegida halbwegs groß wurde, weil sie dieses „Phänomen“ in einem Ausmaß berücksichtigt haben, das anfangs in keinem Verhältnis zu der Zahl der Demonstranten stand. Dies nur als kurzer Exkurs, darum kümmern sich vielleicht bald mal die Otto-Brenner-Stiftungen dieser Welt. 

Um noch einen anderen, eher allgemeineren Aspekt anzureißen, sei noch einmal Schrupp zitiert:

„Es kotzt mich an, (...) dass die Sicherheit von uns Frauen immer und immer wieder instrumentalisiert wird. Ich hasse diese Scheinheiligkeit, mit der unser potenzielles Leid und unsere Gefährdung für die kleinen oder großen Ränkespiele irgendwelcher Idioten herhalten müssen. Damit will ich keinesfalls die Gefährdung von Frauen kleinreden oder relativieren, was den Opfern in Köln geschehen ist, ganz im Gegenteil.“

Schrupps „immer und immer wieder“ bezieht sich u.a. darauf, dass - wie es der Soziologe Armin Nassehi für die Ausgabe 1/16 des vierteljährlich erscheinenden taz-Spinoff-Magazins zeozwei formuliert hat - im Zuge der Debatte über die Flüchtlingsbewegungen plötzlich viele Zeitgenossen „Frauenrechte und die Rechte sexueller Minderheiten“ beschwören, „denen diese Fragen zuvor nicht unbedingt ein Herzensanliegen waren, um es vorsichtig zu formulieren“.

Nassehi wiederum hat sich im Interview mit NDR Kultur zu den Übergriffen am Kölner Hauptbahnhof geäußert:

„Man muss sich erst einmal ein Bild machen, das noch nicht ganz klar ist. Für mich als Soziologen ist interessant an dieser Situation, dass die Leute ihre Rollen spielen, wie man das erwartet: Politik wird Handlungsfähigkeit darstellen und simulieren; die Polizei wird bestimmte Strategien in den Vordergrund stellen; Anti-Rassisten warnen davor, Vorurteile zu schüren; diejenigen, die gerne Vorurteile schüren, tun das. Aus der Distanz betrachtet findet dort ein Spiel statt, für das es fast ein Skript im Hintergrund gibt. Alle reden, wie man es von ihnen erwartet, und am Ende kommt wahrscheinlich nicht viel dabei heraus.“

Das könnte bereits ein Schlusswort in Sachen #koelnhbf für heute sein, aber Nassehi sagt auch noch Folgendes:

„Es ist eine interessante, eine sehr schwierige Gemengelage. Man kann daran sehr gut sehen, dass unsere öffentlichen Diskussionen sehr vergiftet sind. Selbstverständlich muss man über die Herkunft der Täter etwas sagen, (...) aber selbstverständlich kann man mit den kulturellen Differenzen auch nicht alles erklären. Das Thema der sexuellen Übergriffe Frauen gegenüber hat keineswegs nur etwas mit nordafrikanischen Kulturen zu tun - das ist ein gesellschaftliches Problem. Aber auch dieser Satz hört sich so an, als wollte ich die anderen relativieren, und so sieht man, dass diese Kommunikation sich permanent selber infrage stellt - und das macht die Situation im Moment so kompliziert.“

„Muss“ man „über die Herkunft der Täter etwas sagen“, wie Nassehi sagt? Daniel Bax (taz) fragt in dem Zusammenhang:

„Was wäre anders gewesen, wenn es sich bei den Tätern nicht um ‚nordafrikanische‘, sondern um urdeutsche Männer gehandelt hätte? Für die betroffenen Frauen nicht viel. Aber die öffentliche Reaktion wäre anders ausgefallen. Viele hätten den betroffenen Frauen nicht geglaubt, den Vorfall bagatellisiert oder ignoriert oder gar den Frauen selbst die Schuld gegeben. Diejenigen, die den Vorfall tiefer gehängt hätten, sind die gleichen, die jetzt besonders empört tun.“

Worüber man auch noch sprechen kann: die etwas wunderlichen Forderungen nach einem neuen #aufschrei. Wer diese formuliere, meint Hannah Lühmann (Die Welt), übersehe

„absichtlich, wie politische Aktionen im Internet funktionieren. Nämlich in erster Linie erst einmal strategisch und nicht moralisch. #aufschrei hatte nicht eine einzige, deutliche politische Message, sondern war ein Instrument, ein Sammelbecken für Erfahrungsberichte aller Art. Es ging dabei um das, was man in Aktivistenkreisen ‚Sichtbarmachung‘ nennt: also darum, einem Leiden, von dem man glaubt, dass es nicht genug gesellschaftliche Beachtung erfährt, ein Schlagwort zu verpassen, mit dem die Betroffenen politisch handlungsfähig werden.“

Erwähnen ließe sich des weiteren die von der bereits zitierten Petra Sorge aufgegriffenen Vorwürfe „aus den sozialen Netzwerken, die überregionalen Medien hätten erst sehr spät über die Übergriffe berichtet“ bzw. „zu spät“. Sorge stellt klar

„Der Kölner Stadt-Anzeiger berichtete schon am 1. Januar über den Gewaltexzess in der Silvesternacht. Das war ein Tag, bevor überhaupt die erste erste Polizeimeldung veröffentlicht wurde. Dass die Fälle erst am 4. Januar einem deutschlandweiten Publikum bekannt wurden, hat dennoch nichts mit Mutwilligkeit zu tun. Und schon gar nichts mit linksgerichtetem Gutmenschentum. Der Grund ist möglicherweise viel einfacher: Es war für viele Journalisten der erste Arbeitstag nach ihrem Weihnachtsurlaub. Auch hat die Polizei Köln ihre Pressekonferenz erst für Montag angesetzt. Da kamen die Medien dann auch – und berichteten.“

Das taten am Dienstagabend dann auch ZDF und ARD in Spezial-Sendungen - am frühen Abend bzw. nach den „Tagesthemen“. Altpapier-Autor Frank Lübberding hat sie sich für die FAZ angeschaut:

„Es wäre ein polizeiliches Wunder von Köln, ließe sich Tage später noch die personale Identität von Tatverdächtigen ermitteln. Genau so wenig sind angesichts der Umstände Strafverfahren oder Verurteilungen zu erwarten.“ 

Beim Stichwort „Umstände“ kann man noch mal kurz zurückblenden zum oben zitierten Spon-Artikel (siehe etwa die Äußerung eines Polizisten, der von der „Suche nach der Nadel im Heuhaufen" spricht). Lübberding weiter:

„Das hätten ARD und ZDF in ihren Spezial-Sendungen thematisieren können. Stattdessen begnügten sie sich mit der Wiedergabe von Politiker-Statements, die das Gegenteil suggerierten. Politiker aller Parteien fanden starke Worte, sprachen etwa von ‚widerwärtigen‘ und ‚widerlichen‘ Ereignissen (...) Es wäre die Aufgabe eines kritischen Journalismus, die Substanzlosigkeit solcher politischen Stellungnahmen sichtbar zu machen – und den Rechtsstaat vor überzogenen Erwartungen an seine Handlungsfähigkeit zu schützen.“

[+++] Und nun aber wirklich zu einem ganz anderen Thema: Für knackige Abrechnungen haben wir hier ja immer mal was übrig, und der knackigste Satz einer aktuellen Abrechnung Stephan Russ-Mohls lautet so:

„Journalistenausbildung taugt inzwischen als Fallstudie organisierter Unverantwortlichkeit“,

Es geht in dem Beitrag fürs European Journalism Observatory um den Zustand von Medienforschung und Journalistik hier zu Lande.

„Der Lehrbetrieb an den meisten Hochschulen frustriert, die überfüllten Seminare erlauben in der Regel (...) kein minutiöses Feedback, das Studierende bräuchten, um Journalismus zu erlernen und zu erforschen. Die meisten Studis, die ‚irgendwas mit Medien‘ studieren wollen, gehören auch gar nicht an die Universität. Sie wollen eine Ausbildung, es fehlt ihnen an wissenschaftlicher Neugier. Die ‚Crème de la crème‘ der Bewerber wird ohnehin von den privaten, konzernnahen Journalistenschulen abgeschöpft, die ihren Trainees eine Ausbildungsbeihilfe zahlen, eine Berufsperspektive bieten und obendrein die Auseinandersetzung mit wissenschaftlichen Erkenntnissen weitgehend ersparen. Dort gibt es allerdings auch keine Dozenten mit Professorentitel, die noch nie einen Zweispalter geschrieben haben und dennoch meinen, dem Nachwuchs Journalismus beibringen zu können.“ 

Falls Russ-Mohl seinen Unbeliebtheitsstatus im Milieu noch steigern möchte, möge er doch ein bisschen Butter bei die Fische geben: Welche Journalismus-Professoren haben „noch nie einen Zweispalter geschrieben“ oder gaukeln möglicherweise vor, sie hätten nennenswerte praktische Erfahrung? Wir bleiben dran.


Altpapierkorb

[+++] Obwohl das Jahr 2016 noch jung ist, ist bereits jetzt wieder das Phänomen zu beobachten, dass ein Thema - also #koelnhbf und die Berichterstattung darüber - vielerlei Relevantes zu überlagern droht. Ein Beispiel: Es gab am gestrigen Abend nicht nur zwei kurzfristige Sondersendungen zu den Übergriffen in Köln. Aufgrund brisanter, auch aktuell relevanter Recherchen des zuletzt in diesem Altpapier gewürdigten Filmemachers Daniel Harrich schob arte kurzfristig die Dokumentation „Waffen für den Terror“ in einen Themenabend ein. Mit der Headline „Breivik hätte vielleicht gestoppt werden könnenwies die Abendzeitung am Dienstag auf den Film hin, der darlegt, dass deutsche Behörden geschlampt haben - nämlich bei bzw. nach einer Durchsuchung von Breiviks Auto, als dieser in Hessen mit Munition und Waffenteilen unterwegs war. An normalen Tagen - aber was sind schon normale Tage? - hätte dies wohl weitaus mehr Aufmerksamkeit erfahren.

[+++] Weitaus mehr Beachtung verdienen aus ganz anderen Gründen auch die Erkenntnisse des niedersächsischen LKA, denen zufolge es nun noch mehr Zweifel an der vom Spiegel seit Jahrzehnten erbittert verfochtenen These gibt, der Reichstagsbrand sei die Tat ein Einzelnen gewesen. Angelika Henkel hat für ndr.de am Wochenende darüber geschrieben. Siehe dazu auch den unteren Teil dieses Spezial-Altpapiers, das Ende Dezember 2014 erschienen ist.

[+++] Seit einigen Tagen blicken die Medien voraus auf den morgigen ersten Jahrestag des Terroranschlags auf die Redaktion von Charlie Hebdo (siehe Altpapier von Dienstag). Zum am Donnerstag startenden Dokumentarfilm hat sich die NZZ bereits im alten Jahr geäußert. Die taz plant morgen anlässlich des Jahrestages eine Sonderausgabe mit Karikaturen, worüber bei arte bereits ein Bericht zu sehen ist.

+++ Seit Dienstag im Netz: der Blog Bildkorrektur, initiiert von Comic-Künstlern aus dem Umfeld des Avant-Verlages. Worum geht es? „Eine Gruppe bekannter deutscher Zeichner hat sich zusammen getan, um die Top15 der Besorgten-Bürger-Ängste zu illustrieren - und mit Fakten zu entkräften ...“

+++ Polen (I): Sonja Álvarez geht im Tagesspiegel darauf ein, was die regierungsseitigen Pläne für einen „Umbau der Medienlandschaft“ (sic!) für deutsche Verlage bedeuten könnte: „Wie angespannt die Lage derzeit offensichtlich ist, zeigen (...) die Reaktionen von Bauer (Bravo, TV Movie) und der Verlagsgruppe Passau (Passauer Neue Presse). Beide Unternehmen wollen sich nicht zum geplanten Umbau des polnischen Medienmarktes äußern, obwohl – oder gerade weil – sie dort zu den größten Playern gehören.“

+++ Polen (II): Rainer Stadler (NZZ) weist auf einen „fixfertigen“ Kommentar hin, den die regierungsnahe Plattform Niezalezna zu den aktuellen Maßnahmen in Sachen Pressefreiheit (siehe Altpapier) verfasst hat und zur weltweiten Verbreitung bereitstellt: „Den Text gibt es in polnischer, deutscher, englischer, französischer und spanischer Sprache. Dazu platzierte die Redaktion die E-Mail-Adressen zahlreicher Medienhäuser, auch jene der NZZ. Die Redaktion hat denn auch Mails erhalten, welche exakt den Text von Niezalezna enthalten. Eine kleine Online-Recherche zeigt, dass die Leserbrief-Hilfe durchaus einen gewissen Erfolg hatte. Die Kommentarschablone taucht etwa auf den Websites von welt.de, zeit.de (englische Version) und t-online.de auf.“

+++ Ebenfalls in der NZZ: Anja Knabenhans ärgert sich darüber, dass Äußerungen von Spitzensportlern in Interviews kurz nach dem Wettkampf gemeinhin als Indiz für deren „Dummheit“ gesehen werden.

+++ Wird Twitter zum „Langnachrichtendienst“ (Peter Ahrens)? Der Guardian setzt sich mit der auf den ersten Blick aprilscherzhaften Idee auseinander, dass Tweets bald 10.000 Zeichen lang sein könnten.

+++ Dass bei „Wer wird Millionär“ eine studentische Kandidatin bei einer 32.000-Euro-Frage zum Thema Paywall - im Detail ging es darum, wo man „eine sogenannte Paywall im Internet immer häufiger findet“, zur Auswahl standen: Universitäten, Supermärkte, Kreditinstitute, Zeitungen - ins Schleudern kam und ein Zusatzjoker-Student aus dem Publikum sie falsch beantwortete, bringt Tobias Gillen (Basic Thinking) zu der Erkenntnis, dass „unsere“ Welt (das heißt: auch die, in der diese Kolumne zirkuliert) noch kleiner ist als gedacht: „Die Tatsache, dass beim Zusatzjoker nicht mindestens das halbe Studiopublikum aufgesprungen ist, nein, sogar die Tatsache, dass diese Frage 32.000 Euro wert war, sollte uns wieder ins Bewusstsein rufen, dass wir zwar viel auf Podien, in Newslettern oder bei Mediendiensten über die Frage diskutieren können, wie unsere Inhalte monetarisiert werden. Dass das aber genau solange nichts bringt, solange nicht auch der letzte Leser verstanden hat, worum es eigentlich geht.“

+++ Aus dem alten Jahr bzw. der noch aktuellen Medienkorrespondenz: ein Interview mit Heinz Fischer-Heidlberger, dem Vorsitzenden der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF). Der sagt: „Die finanziell bedeutendsten Programmbereiche sind zum Beispiel beim Ersten Programm der ARD der ‚Sport‘, gefolgt von ‚Politik und Gesellschaft‘, ‚Fernsehspiel‘, ‚Spielfilm‘ sowie ‚Unterhaltung‘. Im Gegensatz hierzu nimmt der kostenintensivste Bereich ‚Sport‘ bei den Erstsendeminuten nur den dritten Rang nach dem Ressort ‚Politik und Gesellschaft‘ sowie ‚Familie‘ ein. Auch beim ZDF beherrscht der Bereich ‚Sport“‘ den Programmaufwand.“ Dazu, dass „das meiste Geld“ in den Sport fließe, habe sich die KEF „kritisch“ geäußert. „Jedoch kann sie aufgrund der Programmautonomie der Anstalten keine Vorgaben und Begrenzungen machen. Die KEF kann nur transparent darstellen, wie viel Geld für den Sport ausgegeben wird und welchen Anteil dieser beim Programm einnimmt.“

+++ Wer feiert in diesen Tagen Geburtstag? Radio Bremen. Der Sender wird 70 Jahre alt. Siehe dazu Silke Burmester und Henning Bleyl (jeweils in der taz Nord vom Wochenende)

+++ Weitere Würdigungen des im Alter von 69 Jahren verstorbenen Achim Mentzel (siehe Altpapier): „Er war all das, was das quotenoptimierte Schlager-TV nicht mehr gebrauchen konnte“ (Jürn Kruse/taz). Und Stefan Locke schreibt auf der FAZ-Medienseite: „Möglich, dass es den Begriff ‚Stimmungskanone‘ schon vor Achim Mentzel gegeben hat, könnte aber auch gut sein, dass er extra für ihn erfunden wurde.“

+++ Franziska Augstein verreißt für die SZ die heute im Ersten zu sehende WDR-Doku „Deutschlands First Ladies“: „Dass Präsidentenfrauen sich über Politik nicht öffentlich äußern dürfen, bedeutet nicht, dass Filmemacher politische Zusammenhänge übergehen oder falsch darstellen müssen. Über Heinrich Lübkes Tätigkeiten während der NS-Zeit wird nur berichtet, ihm sei fälschlich nachgesagt worden, er habe Baupläne für KZs erstellt. Nicht gesagt wird, dass Lübke in Peenemünde für den Einsatz von KZ-Häftlingen zuständig war.“ Offenbar handelt es sich um eine Art Süßstoff-Doku: „Die ARD beglückt die Zuschauer um 20.15 Uhr mit banalen Arztgeschichten, Familiengeschichten und Musiksendungen. Dieser Film verbindet alles: Die Präsidentenfrauen haben sich für ärztliche Belange eingesetzt; ihre Familienumstände werden herzerwärmend geschildert; der Musikteppich ist befriedigend. Gleichwohl wird der Film erst um 23 Uhr ausgestrahlt.“

+++ Einen Überblick über frische bzw. bald startende (medien)journalistische Projekte liefert Daniel Fiene, u.a. geht es um das tendenziell hotte neue Ding von Niggemeier & Rosenkranz sowie die Mainzer Lokaljournalismus-Plattform Merkurist, die wiederum von t3n als „Deutschlands heißestes Journalismus-Startup, bei dem sogar die Konkurrenz schon abschreibt“, gefeiert wird.

Neues Altpapier gibt es wieder am Donnerstag.

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