Der Journalismus ist und bleibt sehr wichtig. Richtig gut geht es ihm jedoch nicht, zumindest was die wirtschaftlichen Perspektiven derer betrifft, die ihn betreiben. Das ist hier im werktäglichen Altpapier im Schnitt viereinhalb Mal pro Woche ein Thema, bleibt wie gesagt aber wichtig.
Bevor wir zum Frankfurter Tag des Online-Journalismus schalten, wo gestern u.a. Richard Gutjahr, der wohl krasseste Elch diesbezüglicher Diskussionen hierzulande, frischen digitalen Wein ausschenkte, aber erst mal ein kontemplatives Gegenprogramm.
"Was wir vielleicht tun können, damit der Journalismus gut bleibt oder besser wird?"
Darüber räsoniert auf vertrauenerweckend ausgeruhte Art der Münchener Professor Alexander Filipovic in "Journalismus - Dienst an der Gesellschaft" - der Startfolge der neuen ARD-alpha-Reihe "Medienethik". Dieses ARD-alpha zählt zu den weniger bekannten Digitalfernsehsendern des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Seine Sendungen sind wie eigentlich alles aber auch im Internet zu finden.
Am Ende der 15-minütigen, Bogen zwischen einer aktuellen Straßenumfrage und Immanuel Kant schlagenden Vorlesung hat Filipovic das "Skandal- und Empörungskarussell", das den vorvorigen Bundespräsidenten Horst Köhler zum Rücktritt veranlasste, als eines der Probleme des Journalismus identifiziert. Wir alle hätten es in der Hand, "über unsere Nutzung von Journalismus zu bestimmen, welcher Journalismus dann tatsächlich auch funktioniert", lautet sein Fazit. Sein Video besitzt "durchaus Unterhaltungspotenzial (wenn auch eher unfreiwillig)", findet Kathrin Maurer bei netzpolitik.org. Das nur als Beispiel, an welchen Ecken inzwischen um die Rettung des Journalismus gerungen wird.
Damit nach Frankfurt. Hier sind fast alle Veranstaltungen des Onlinejournalismus-Tags zu sehen und hören. Falls Sie lieber in individuellem Tempo lesen wollen, fasst Markus Bechtold für den Mitveranstalter evangelisch.de den Tag zusammen:
"'Analogen Wein in digitale Schläuche zu kippen, das wird nicht klappen', sagt der Journalist und Blogger Richard Gutjahr. Sein Rezept heißt: 'Make it snackable', mach es leicht konsumierbar und erzähle die Geschichte in sich geschlossen und verbreite sie auf mehreren digitalen Kanälen. Es gilt: Inhalte müssten immer 'likeable' und 'searchable' sein, denn: 'Wir befinden uns mitten in der digitalen Revolution' ..."
Gutjahr hat sich ja bereits nachhaltig und gruselig in die globale Mediengeschichte eingeschrieben und -gefilmt. Der offene, fröhliche junge Mann aus Bayern ergatterte einst das allererste iPad (und dass seine gewisse Distanzierung vom Apple-Konzern später in einer erheblich kleineren Öffentlichkeit stattfand, so dass weite Teile der globalen Youtube-Community niemals davon erfahren werden, sagt ebenfalls viel über die Medien der Gegenwart aus ...). Jedenfalls, Gutjahr "gilt als unverbesserlicher Optimist in der Medienbranche". So leitete Ingrid Brodnig von profil.at noch vorgestern ihren kleinen Porträttext unter dem knapp zehn-minütigen Videointerview mit ihm ein. Im "Was wird aus dem Journalismus?"-Interview musste sie dann allerdings hören, dass er allerhand Optimismus verloren hat.
"Wir, die Seriösen, gehen immer mehr zum Katzencontent, aus Verzweiflung heraus, weil wird die Menschen nicht mehr erreichen",
sagt er ab Min. 5.15. Der Zug, das Ruder rumzureißen, sei abgefahren, umreißt er so bildgewaltig wie finster die Lage des Journalismus gegenüber Google, Facebook & Co. Nur am Ende dieses Videos lässt er einen kleinen Lichtblick aufblitzen:
"Wir haben einen großen Vorteil, das ist unsere Sprache."
Im deutschsprachigen "Mikrokosmos" sei die Konkurrenz durch englischsprachige Algorithmen, Inder und Chinesen noch nicht gar so hart wie in den USA, geht dieses Argument ungefähr. Also:
"Make it snackable!"
Ein Musterbeispiel solcher Snackability (sollte es diesen Fachterminus noch nicht geben, bilden wir ihn halt in unserem Mikrokosmos) gibt Gutjahrs Blog gutjahr.biz. Dort hat er den gestern in Frankfurt gehaltenen Vortrag mit lustigen GIF-Animationen und Kai-Diekmann-Witzbildern (Kai Diekmann geht immer in Was-mit-Medien-Umfeldern ...) sowie von sich selbst so illustriert, dass auch leseskeptische Nutzer zum Hinabscrollen bewegt werden könnten. Was steht so im Text dazwischen? Zum Beispiel:
"Du hast ein Problem, wenn Du Dein eigenes Produkt nicht liest. Und mal ehrlich: Wer von uns würde offen zugeben, dass er sein eigenes Programm nicht guckt. Dass er das eigene Web-Angbeot langweilig findet. Ich bin mir sicher: Wenn wir in fünf Jahren noch relevant sein wollen, dürfen wir nicht nur die Verpackung ändern, wir müssen auch an die Inhalte ran. Mittelmaß wird nicht dadurch besser, indem man ihn trimedial ausspielt ..."
Und:
"Und wenn du via Twitter dein Publikum nicht mehr erreichst, weil Lesen zu anstrengend ist, dann verliere keine Zeit, sondern geh’ dahin, wo die Menschen sind. Die Währung der Zukunft lautet Aufmerksamkeit. Und wer die nicht hat, der wird - egal ob privatwirtschaftlich oder gebührenfinanziert - unter die Räder kommen."
Wenn den Menschen das Lesen von bis zu 140 Zeichen umfassenden "Longreads" (auch Gutjahr) zu anstrengend ist, dann dürften wirklich alle Züge, die Ruder noch zu rumreißen, um nicht unter die Räder zu kommen, abgefahren sein. Dann tanzt der Katzencontent auf allen Tischen. Bei den tagesaktuellen Journalismuszukunfts-Prognosen könnte einem ganz schwummrig werden. Zum Glück gibt's ja evangelisch.de (selber Link wie oben), wo sie kundig eingebettet werden zwischen Jesus von Nazareth und Martin Luther, die nicht nur ihrer, sondern auch unserer Zeit voraus waren und sind, und Friedrich Küppersbusch, der am Ende des Frankfurter Tages auch optimistischere Akzente setzte.
[+++] Schauen wir rasch in die Praxis der Journalismusfinanzierung.
Die Westfälische Rundschau, eine der Pionier-Zombiezeitungen (Altpapier) aus dem Imperium der Funke-Mediengruppe, hat nun auch einen ihrer letzten Nicht-Zombies verloren, den Chefredakteur. Das berichtet kress.de, wo ja keine "Etepetete-Prinzesschen" (Jörg-Kachelmann-Longread bei Twitter) mehr am Werke sind, sondern Bülend Ürük, der sich in der Fläche der Zeitungskrisenherde gut auskennt (und die Geschäftszahlen der zwischen Ludwigshafen und Chemnitz Zeitungen ausliefernden, überdies kompliziert an der nicht gerade durch Werbeeinnahmen glänzenden Süddeutschen Zeitung beteiligten Medien Union außerdem studiert hat).
Eine Mütze gut gelaunter Döpfner-Zitate ("Die Bezahlbereitschaft ist extrem ermutigend", "Wir sind bei aller Vorsicht sehr enthusiastisch") bietet welt.de auch gratis. Und ein Döpfner-Video gäbe es natürlich auch ...
[+++] Damit endlich zum Aufreger der Woche, dem Privatfernseh-Skandal von Königs Wusterhausen (Altpapier gestern).
"'Wir bestätigen, dass wir angemessene Schritte unternommen haben', erklärte eine Sprecherin des Medienunternehmens Talpa, die das Sat.1-Event 'Newtopia' produziert. 'Die verantwortliche Person wurde von ihrer Tätigkeit entbunden'",
meldete Spiegel Online gestern um 17.00 Uhr.
Diese Firma mit dem noch nicht so geläufigen Namen Talpa ist international zwar ein großer, also teurer Brocken. Hierzulande hieß es aber kürzlich noch Schwartzkopff TV und gehörte vollständig einem inzwischen ehemaligen Verlag, der viele Medien-Beteiligungen abgestoßen hat, dem aber Talpa Germany doch noch zu 50,1 Prozent gehört: Axel Springer. Das nur am Rande.
Wie bewerten die Medienmedien die Talpa-Personalie? "Bauernopfer" (FAZ, S. 13), "Bauernopfer" (dwdl.de). "Sat 1 versucht zu retten, was zu retten ist. Also muss es die Einzeltat einer betrunkenen Mitarbeiterin gewesen sein", würde Joachim Huber vom in Berlin bei Königs Wusterhausen erscheinenden Tagesspiegel sogar sagen, um im separaten Kommentar bemerkenswerte Begeisterungsfähigkeit an den Tag zu legen und nicht etwa weniger, sondern mehr sogenannte Scripted Reality zu fordern:
"Fernsehen ist eine Illusionsmaschine. Vielleicht die beste Utopie, die sich die Menschheit jemals ausgedacht hat."
Indes hat die Süddeutsche in Cannes, wo gerade wieder Fernsehmesse ist, munkeln gehört, bei der deutschen "Newtopia"-Aufregung könne es sich "um einen PR-Stunt handeln".
+++ Womöglich sind die bisherigen Top-Enthüllungen des Investigativteams Correctiv brisanter als sie aufgenommen wurden und kamen aber einfach zu einem unglücklichen Zeitpunkt heraus. Den gestern hier erwähnten "Redaktionsausflug zur Außenwand des Auswärtigen Amtes" wegen des Flugzeugabschusses über der Ukraine greift heute die TAZ auf. +++
+++ Auf der SZ-Medienseite geht's um die neue Internetseite Vice Sport, die heute in Deutschland, Italien, Frankreich, Spanien und Großbritannien gleichzeitig startet. Es handelt sich wohl um diese oder diese - eine URL nennt die SZ nicht. Jedenfalls immer wieder schön, wenn Münchener nach Berlin reisen. "Im ersten Stock eines dritten Hinterhofs residiert die deutsche Vice-Redaktion mit ihrem völlig übertriebenen Empfangsbereich. In einem großen Büro sitzen Menschen an Apple-Computern und trinken die gerade recht angesagte Fritz-Kola, woran man alleine schon erkennen könnte, dass man im Stadtbezirk Mitte ist ..." +++ Nicht in der SZ, aber bei dwdl.de: die neue Vice-RTL2-Fernseh-Partnerschaft. +++
+++ Aber in der SZ: "Die 65-jährige Schwangere Annegret Raunigk bei RTL" +++ Und kurz, online ausführlicher, die Kampagne der, 'türlich, Berliner Künstlergruppe "Peng Collective" "gegen sexistische Pöbeleien auf Twitter". +++
+++ Für faz.net hat Frank Lübberding Conchita Wurst bei Sandra Maischberger geguckt. +++ Geradezu kontextsensitiv gilt die tägliche Bejubelung einer amerikanischen Fernsehserie auf der FAZ-Medienseite heute der Amazon-Produktion "Transparent". +++ Indes die laufenden "Game of Thrones"- und "Mad Men"-Staffeln würdigt die TAZ, allein GoT-Superlative der Tsp.. +++
+++ "Was der Regisseur Stanislaw Mucha in „Aus der Kurve“ inszeniert, in Bildern so schön und so schäbig, wie Frankfurt und seine Umgebung zwischen Museumsufer und alternden Einfamilienhäusern eben sind, kehrt wohltuend die sendeplatzübliche Kriminalperspektive um", würdigt wiederum die FAZ den "wohltemperierten Thriller" "Aus der Kurve", den die ARD heute gegen Bayern München ansetzt. +++ Siehe auch hier nebenan. +++
+++ Einen echten Longread zum öffentlich-rechtlichen Radiostreik in Frankreich hat labournet.de aufgesetzt. +++
+++ Die Anzahl der wirklich neuen Trends auf der Fernsehmesse in Cannes liegt ungefähr bei Null. Das arbeitet dwdl.de schön heraus. Aber Cocktail-Empfänge deutscher Filmförderungen heben dennoch die Laune (ebd.). +++
+++ Und: "Traurig finde ich auch, dass das mögliche außereheliche Treiben des Springer Vorstandsvorsitzenden, Matthias Döpfner, Gegenstand der Berichterstattung ist. Sind wir nicht langsam weiter, als an der Auffassung festzuhalten, eine Ehe müsse von Dauer sein und erfolgreiche Männer wären generell treu ..." (aus der mittwöchlichen TAZ-Kriegsreportage). +++
Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.