So eine Bescherung, könnte man sagen. Kurz vor Weihnachten ist mehr los als zu erwarten war. Ein Star des Webvideo proklamiert die Freiheit im Neoliberalismus und alle empören sich nicht. Vor allem nicht über den Neoliberalismus. Außerdem enttarnt sich aus Versehen ein Journalist in Dresden als Journalist.
Fragmentierte Medienmärkte sind nichts Neues. So berichtet etwa Jörg Thomann jeden Sonntag in seinen „Herzblatt-Geschichten“ über die neuesten Erkenntnisse der Regenbogen-Presse. Wie sollte der durchschnittliche FAS-Leser auch sonst wissen, was in diesem Marktsegment passiert? Seine Welt ist das ansonsten nicht. Aber die Auflagen in diesem Segment sind trotz des Medienwandels gigantisch. Im Jahr 2013 immerhin noch mehr als 500 Millionen Hefte. Das Erstaunliche ist dabei nicht der Auflagenverlust des früheren Marktführers Neue Post, der 1998 noch eine Auflage von 1,4 Mio. Exemplaren hatte. Sondern vielmehr wie es diese Zeitschrift im Jahr 2014 schafft, jede Woche immer noch fast 700.000 Exemplare zu verkaufen. Sie gehörte nämlich schon in den 1970er Jahren zur bevorzugten Lektüre meiner Großmutter aus dem Geburtsjahrgang 1898. Deren Lebenswelt war mit der heutigen Zielgruppe der Frauen aus den „mittleren Jahrgängen“ kaum zu vergleichen. Tipps, wie ein Profi zu bügeln, hätte meine Oma zwar nicht gebraucht. Alle damaligen Hausfrauen bügelten ad definitionem hauptberuflich. Aber die Frage, wie man ohne Operation jung bleibt, steht paradigmatisch für den Medienwandel. Wie rettet man sein publizistisches Geschäftsmodell in die Digitalisierung? Durch den Wechsel des Chefredakteurs?
####LINKS#### Womit wir zum Schlagwort „Freiheit“ kommen, das seit Samstag Nacht die Welt der Urenkel der Frauen des Jahrgangs 1898 umtreibt. Simon Unge, einer der Stars auf You Tube, hat mit großer Geste seinen Vertrag mit Mediakraft gekündigt. Unge, bürgerlich Simon Wiefels, bringt es mit „Ungespielt“ und „Ungesehen“ auf 30 Millionen Views im Monat. Damit wurde er neben Lefloid zu einem der wichtigsten Protagonisten von Mediakraft in diesem Zukunftsmarkt. Doch die meisten Kinder und Enkel des Frauenjahrgangs 1898 werden von ihm noch nie gehört haben. Die Welt der Videospiele ist für sie bekanntlich genauso weit weg, wie für den Leser der FAS die der Neuen Post. Der Aufruhr über diese Kündigung, die an drastischen Worten keine Wünsche offen ließ, weist trotzdem auf interessante Aspekte hin, die den Medienwandel weit über dieses Marktsegment hinaus betreffen. Christoph Krachten, Präsident von Mediakraft, hatte bisher vom ideologischen Überbau profitiert, den die Webvideo-Szene von sich selbst erzeugt hatte. Krachten formulierte das nach dem Abgang von Lefloid so.
„Wir fördern jeden, der wachsen will. Und damit befördern wir die Demokratisierung der Medien.“
Jeder kann selbst zum Star werden. Er muss es nur wollen. Unter „Demokratisierung“ versteht man in dieser Generation nicht politische Teilhabe, sondern ein Geschäftsmodell. Krachten nutzt deren Mentalität aus, die unter der Knute des Neoliberalismus sozialisiert worden ist. Unge ist 1990 geboren und steht stellvertretend für diese Szene, die ihr Hobby zum Beruf zu machen versucht. Deren Eltern werden sich sicher ähnliches fragen, wie im Jahr 1951 die eines Mannes namens Udo Jürgen Bockelmann. Kann man damit dauerhaft seinen Lebensunterhalt verdienen? Nur wie schon 1951 nicht aus jedem Musiker ein Udo Jürgens wurde, so hatte doch die Musikbranche wie die Filmindustrie ein fundiertes Geschäftsmodell. Mediakraft ist dagegen eine neoliberale Karikatur des damaligen Studiosystems in Hollywood. Krachten versucht bei You Tube Marktmacht aufzubauen, allerdings ohne die Wertschöpfungskette kontrollieren zu können. Der Gorilla im Markt ist bekanntlich Google, der die Infrastruktur und damit auch die Erlöse kontrolliert. Krachten erinnert aber im Umgang mit seinen Stars an die Hollywoodstudios, die mit Knebelverträgen ihre Filmstars an das Studio banden und damit auch über deren Zukunftschancen entschieden. Wenigstens muss man diesen Eindruck haben, wenn man Unges Argumentation ernst nimmt. Er kündigte nämlich seinen Ausstieg an, offensichtlich ohne Rücksicht auf vertragliche Regelungen zwischen ihm und Mediakraft. Die Folgen könnten sogar der persönliche Ruin sein, so Unge.
Letztlich geht es um die Verteilung des Kuchens, den der Gorilla Google übrig lässt. Nur wie groß ist ein Kuchen, wo sich am Ende der You-Tube-Mogul im Kleinformat namens Krachten und dessen Stars wie Unge um die Krümel streiten, die Google als Monopolist übrig lässt? Krachten spricht immer von „Professionalisierung“ der Webvideo Szene. Unge klagt dagegen das Management des „Netzwerks Mediakraft“ an, lediglich durch einen späteren Verkauf der Firma an Finanzinvestoren das große Geld machen wollen. Tatsächlich ist der Blasencharakter bei Webvideo nicht mehr zu übersehen, der für alle möglichen Investoren mit Anlagenotstand attraktiv ist. Nur übersieht Unge eines, wenn er die bisher ausgebliebene professionelle Unterstützung von Mediakraft kritisiert. Professionalisierung kostet nämlich vor allem eins: Viel Geld. Dafür braucht man Erlöse, die sich nicht in 30 Millionen Views messen, sondern in den aus Werbung zu erzielenden Einnahmen. Und reichen die aus, um aus Krachten einen Webvideo-Mogul zu machen und aus Unge einen Star mit dem entsprechenden Einkommen etwa eines Udo Jürgens? Der Fall des Simon Unge ist insoweit paradigmatisch. Nicht nur wegen der Form des Shitstorms, der sich unter dem hashtag Freiheit eines Geschäftsmodells austobt. Oder weil hier deutlich wird, wie sehr die Fragmentierung der Medienmärkte fortgeschritten ist. Nur welcher Jugendlicher hat schon 1975 die Neue Post meiner Oma gelesen? Sondern für die Unfähigkeit zur ökonomischen Analyse. Tatsächlich kann sich der Webvideobereich über seine Reichweite freuen. Nur hat dieses Marktsegment das gleiche Problem, wie die Neue Post oder die FAZ. Online gibt es kein funktionierendes Geschäftsmodell, wenn sich alle nur um die Krümel streiten, die der Infrastruktur-Monopolist Google übrig lässt. Als Elterngeneration der Jahrgänge nach 1990 kann man den jungen Medien-Gipfelstürmern wie Wiefels eines empfehlen: Einen Beruf zu ergreifen, der eine Familie zu ernähren vermag. Ob das am Ende mehr sein wird als nur eine Form prekärer Beschäftigung, ist eine Frage der „Demokratisierung“. Allerdings in der Variante politischer Teilhabe.
+++ Eine andere Variante der Freiheit war dagegen am vergangenen Montag in Dresden zu erleben. Anlässlich von Pegida interviewte das Politikmagazin Panorama Demonstrationsteilnehmer und stellte sie anschließend in das Netz. Schließlich wollte man sich nicht dem Vorwurf der Manipulation aussetzen, der zur Zeit nicht nur in Dresden in aller Munde ist. Was passierte? Ein Kollege einer Produktionsfirma, die für RTL aus Ostdeutschland berichtet, geriet als Undercover-Journalist vor die Kamera der Kollegen vom NDR. Anstatt ein Interview zu verweigern oder sich als Kollege zu erkennen zu geben, spielte der Undercover-Journalist den Pegida-Demonstranten, um anschließend beim NDR online zu landen. Diese Geschichte ist so blöd, dass man sie kaum erfinden könnte, ohne das für missglückte Comedy zu halten. Nur dokumentiert es gleichzeitig den Verfall journalistischer Glaubwürdigkeit. Und dann ist es nur noch begrenzt lustig. Tatsächlich haben solche Aktionen nur dann einen Sinn, wenn man ansonsten nicht an Informationen kommen kann. Oder jemanden zu entlarven beabsichtigt. Aber das Misstrauen gegen die Medien, das auch heute wohl wieder in Dresden artikuliert werden wird, hat einen einfachen Grund. Es betrifft den Zweifel an einem Journalismus, der erst entlarven will, bevor er überhaupt berichtet hat. Man kann Pegida beurteilen wie man will. Aber die dortigen Teilnehmer haben den gleichen Anspruch auf fairen Umgang der Presse, wie jeder andere auch. Nämlich das zu erfahren, was dort gesagt worden ist, und das ohne Häme. Das schließt nicht aus, darüber eine journalistische oder politische Meinung zu haben. Es gehört auch zur Berichterstattung, die politische Kontroverse über Pegida abzubilden. Die Larmoyanz der Menschen, die Pegida aktiv unterstützen, auf Kritik gehört ebenfalls dazu. Denn die Medienkritiker, die nicht nur in Dresden zu hören sind, haben vor allem ein Problem. Mit Kritik nicht umgehen zu können. Davon kann beim RTL-Kollegen nicht die Rede sein. Er musste sich nicht nur Kritik anhören, sondern hat kurz vor Weihnachten sogar seinen Job verloren. Für Häme gibt es auch hier keinen Anlass. Er hat einen Fehler gemacht, den er sicher nicht noch einmal machen wird. Für ein lebenslanges Berufsverbot gibt es keinen Grund. Eher für jenes Maß an Selbstkritik, das guten Journalismus auszeichnet. Sich nämlich die Frage zu stellen, ob hinter dieser Aktion vor allem ein Gedanke steckte. Auf diese Weise möglichst dämliche Aussagen von Dresdner Demonstranten zu bekommen, um sie anschließend öffentlich vorzuführen. Fairness ist das nämlich nicht. Es ist eher jene Methode, die schon immer Revolverblätter auszeichnete. Vielleicht kann Kai Diekmann einmal in sein Bild-Archiv nachsehen lassen. Er müsste dort genügend Beispiele finden.
+++ Über die Freiheit haben wir schon geredet. In der letzten Ausgabe der Funkkorespondenz im alten Gewand hat sich Kai Burkhardt ebenfalls mit dem Thema beschäftigt. Der Aufsatz bringt zum Ausdruck, was unter Medienwandel zu verstehen ist und eben nicht nur die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks betrifft. Einer seiner zentralen Gedanken betrifft den Begriff der Öffentlichkeit, der in der deutschen Mediendebatte weitgehend von Jürgen Habermas geprägt worden ist – und nicht von Reinhard Koselleck. Was das bedeutet, beschreibt Burkhardt so.
„Denn Koselleck war überzeugt, dass nicht die mediale Öffentlichkeit, sondern das private Gespräch der entscheidende Faktor für politische Willensbildung sei. Die Gespräche in dieser Sphäre fänden aber genau dann statt, wenn Menschen zusammenfinden, also eben nicht fernsehen, Zeitung lesen oder sich hinter einem Tablet-Computer isolieren. Alles, was wir über die Kommunikation in der digitalen Welt wissen, spricht dafür, dass Kosellecks These einiges für sich hat. Wenn sie aber zutrifft, kann man dem Zusammenbruch unserer jetzigen Medienordnung gelassen entgegensehen.“
Díe Debatte um das You-Tube-Geschäftsmodell zeigt allerdings die Grenzen dieser Sichtweise. Es geht dort gerade darum, wie ursprünglich private Kommunikation zu einem öffentlichen Diskurs wird.
„Was also folgt daraus? Wie sind die so klar auf der Hand liegenden Aufgaben in eine Institution zu überführen, die diese Herausforderungen administrierend bewältigen könnte? Wie müssten die Personen, Fähigkeiten und Werkzeuge beschaffen sein, um einer solchen Institution ein Profil zu geben? Einer solchen Institution müsste es gestattet sein, die deutsche Medienordnung von einigen Bugs zu befreien. Sie dürfte sich nicht so sehr als „Plattform für Streitbeilegung“ verstehen, … sondern müsste vielmehr schon als Exekutive mit einer konsistenten Philosophie auftreten. Sie müsste genügend Autorität besitzen, um eine Steuerungsfunktion auszuüben oder zumindest anzuregen.“
Genau das wird die Medienpolitik im Jahr 2015 beschäftigen müssen, wenn sie den Strukturwandel der Öffentlichkeit nicht verpassen will. Nur wer besitzt noch die Autorität, um das durchsetzen zu können? Nicht nur Konservative hätten früher den Gesetzgeber genannt. Das muss man jetzt nur noch den You-Tube-Stars und ihren Fans erklären.
Altpapierkorb
+++ Das große Thema ist heute der schon erwähnte Udo Jürgens. Er starb gestern in Zürich im Alter von 80 Jahren an Herzversagen. An ihn wird heute in allen Medien erinnert. Ob im Fernsehen, im Radio oder Zeitungen, auch online. Er ist ein gutes Beispiel dafür, wie jemand den Zeitgeist aufnahm und sich dabei treu geblieben ist. Insofern sollten ihn die Medien, die heute in Nachrufen an ihn erinnern, als Vorbild betrachten. Einen link sollte man aber schon setzen, wenn man auch ansonsten keinen Ort findet, der nicht über über Udo Jürgen Bockelmann berichtet. Es ist der zum Interview mit Giovanni di Lorenzo im Zeit-Magazin.
+++ Die ebenfalls erwähnte Funkkorrespondenz wird im neuen Jahr im neuen Gewand erscheinen. Sie ändert den Namen in Medienkorrespondenz und wird in Zukunft statt wöchentlich vierzehntäglich erscheinen. Allerdings mit erhöhter Seitenzahl. Wir hoffen auf eine gute Zukunft. Der Medienwandel braucht bekanntlich mehr anstatt weniger Reflektion über die Zukunft.
+++ Was die berühmt gewordenen "Demokratieabgabe" betrifft. Sie wird gerade zwangsvollstreckt. Allerdings ist diese Abgabe für alle Mediennutzer verpflichtend. Insofern sollte sich die Empörung über eine Rechtsfolge bei Zahlungsverweigerung in Grenzen halten. Was aber nichts daran ändert, dass sich die Zukunft der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten nicht an den Rechtsfolgen entscheidet, sondern an ihrer Legitimation. Näheres erläutert Kai Gniffke am Beispiel Pegida im Tagesschau-Blog. Zu Pegida gibt es auch eine lesenswerte Interpretation von Christoph Herwartz.bei n-tv zu lesen: "Die neuen Demonstranten glauben, dass sie eh keine Chance haben, sich in die Mainstream-Debatte einzubringen, und vielleicht haben sie sogar Recht damit. Sie sind die Abgehängten – aber nicht im sozialen Sinne, wie der Begriff sonst gemeint ist. Sie wurden abgehängt von einer Informations-Elite, deren Spielregeln sie nicht mehr verstehen. Darum machen sie jetzt ihr eigenes Ding."
+++ Eine Antwort auf Pegida ist "hate poetry". Autoren "mit ausländisch klingenden Namen", so der RBB, die also nicht etwa Lübberding heißen, waren jetzt auch in Dresden. Es gibt übrigens kaum einen Deutschen, der Lübberding auf Anhieb richtig schreibt, obwohl der Name ja irgendwie deutsch klingt. Zum Thema passen auch die Briefe, die etwa die Kollegin der Süddeutschen Zeitung, Hannah Beitzer, in den vergangenen Tagen bekommen hat. Sind solche Geschmacklosigkeiten eigentlich deutsch?
+++ Im Handelsblatt findet man Anmerkungen zum Ende des WSJ-Deutschland, das übrigens mittlerweile aus dem Netz verschwunden ist. Im Print ist es bekanntlich nur begrenzt besser, wie man im WDR am Beispiel eines Zeitungszombies nachlesen kann.
+++ Über die Lage der Pressefreiheit in der Ukraine findet man Kritik in der WDR 5-Sendung Texte, Töne, Bilder: "Die ukrainischen Medien selbst erfüllen ihre ureigensten Aufgaben einer kritischen Berichterstattung über die eigene Führung aber auch nicht, und fragwürdige Mediengesetze der neuen Führung stellen die Pressefreiheit insgesamt infrage." Das kommt einem irgendwie bekannt vor. Was offensichtlich vor allem fehlt, sind Medienversteher. Jan Palokat ist eine Ausnahme.
+++ In der Medienwirtschaft ist die nächste Übernahme im Gespräch. Der Axel Springer Verlag hat angeblich an t-online Interesse.
+++ Einen Vergleich zwischen Fernsehen und Webvideo hat gerade Konrad Lischka unternommen.
+++ Zum Schluss noch der Hinweis auf das Börsenblatt. Das Wochenmagazin des deutschen Buchhandels erscheint zum Januar im neuen Design.
+++ Schließlich gratulieren wir Golineh Atai zu einer verdienten Auszeichnung, obwohl und gerade weil man ihre Positionen zum Ukraine-Konflikt nicht teilen muss. Sie wurde von einer Jury des medium magazins zur Journalistin des Jahres gewählt. Herzlichen Glückwunsch!
Das letzte Altpapier vor dem Fest gibt es am Dienstag. Ich wünsche daher allen Lesern schon einmal frohe Weihnachten und einen guten Rutsch in das Jahr 2015. Und mache noch den Hinweis auf das Altpapier "zwischen den Jahren" von den geschätzten Kollegen Juliane Wiedemeier und René Martens.