Falsch abgebogen

Falsch abgebogen

Angela Merkel macht sich Sorgen um den Journalismus (was Journalisten Sorgen machen sollte). Zumindest eine der angeblich so guten politischen Talkshows der ARD war zuletzt eine Katastrophe. Wer eine Folge Musikantenstadl live erträgt, darf den Blumenschmuck mitnehmen, die „Tagesschau“ nimmt sich die Kritik an ihrer Ukraine-Berichterstattung ein ganz kleines bisschen zu Herzen, und Katja Kessler war auch im Silicon Valley.

Wir Journalisten können einpacken: Angela Merkel hat uns gestern ihr vollstes Vertrauen ausgesprochen – zumindest das Vertrauen in die Wichtigkeit unseres Jobs.

„Die Tageszeitungen würden eine extrem wichtige gesellschaftliche Rolle erfüllen, die auch künftig ausgestaltet werden müsse. Einordnung, Analysen und Hintergründe würden immer wichtiger. Allerdings müssten die Verlage auch ihre Stärken pflegen. ,Durch Einsparungen im redaktionellen Bereich setzen Sie Ihre Kernkompetenz aufs Spiel’, betonte Merkel. ,Wenn diese erst einmal verloren ist, verlieren Sie auch das Vertrauen der Nutzer.’“

So fasst Horizont Merkels Worte zum Auftakt des Zeitungskongresses des BDZV gestern zusammen.

So ähnlich muss sich Tom fühlen, wenn ihm am Ende des Tages Jerry auf die Schulter klopft und dem wieder einmal Unterlegenen ein paar aufmunternde Worte zuspricht. Die natürlich nicht bedeuten, dass die Maus die Katze am nächsten Tag nicht wieder vorführen wird. Bzw. dass Angela Merkel nun doch noch beim Mindestlohn für Zeitungszusteller einknicken wird, nachdem sie den Verlegern mit Leistungsschutzrecht und Lockerung des Pressefusionsrechts schon sehr weit entgegengekommen ist (z.B. Meedia, SZ-Medienseite).

[+++] Kramen wir kurz noch einmal ein Zitat aus der vergangenen Woche hervor. Es lautet

„Ich habe immer gesagt, dass jeder ARD-Talk ein eigenes Profil hat und für einen starken Informationskern steht. Ich kenne keinen Sender in Europa, der ein so vielfältiges und gutes Angebot an politischen Talkshows liefert.“

Diese Einschätzung stammt von nunmehr Ex-ARD-Talker Reinhold Beckmann; widerlegt hat sie schon am Sonntag Günther Jauch, der es für eine gute Idee hielt, sich zum Thema „Gewalt in Namen Allahs – wie denken unsere Muslime?“ den radikalen Prediger Abdul Adhim Kamouss einzuladen und sich dann nicht auf die Sendung vorzubereiten. Weshalb sie „völlig aus dem Ruder lief“ (sowohl Altpapier-Autor Frank Lübberding bei faz.net als auch Bernd Gäbler im Tagesspiegel) bzw. „eine Katastrophe“ war (stern.de). Oder, wie Heavy-Blogger Roland Tichy es durch die Brust ins Auge formuliert:

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„Es war eine großartige Sendung. Sie hat gezeigt, wie schamlos die Gewaltmuslims die Wahrheit verdrehen, nennen wir es: uns belügen. (...) Wie Demokraten und Verfechter unserer Gesellschaft Jauch, Buschowsky, Bosbach verstummen, weil ihnen die Energie fehlt, sich dieser Frechheit entgegenzustellen, zurückzubrüllen, zu kontern. Sie versickern in ihrem Bürokraten-Deutsch, von ,Gefährdern’ ist die Rede und von ,paßentziehenden Maßnahmen’, Bürodeutsch eben gegen den Haßislam. Es war bestes Fernsehen. Vielen Dank dafür, Günther Jauch, für die Entlarvung einer feigen, schwachen Gesellschaft und den Blick auf die Feinde unseres Grundgesetzes, die in seinem Schutz im öffentlichen Raum und im öffentlichen Fernsehen auftrumpfen und die übergroße Mehrheit zum Schweigen bringen. Aber Schweigen rettet die Freiheit nicht.“

Aufdecken durch Bloßstellen - nach dieser Logik könnte man die sogenannten politischen Talkshows auch einfach durch Satiresendungen ersetzten. Was, wie praktisch, die ARD auch tatsächlich tut, indem sie einmal im Monat den alten Beckmann-Platz an „Extra3“ vergibt. Wo man den Aufstieg feiert wie jeder gute Fußballverein: mit Neuverpflichtungen, wie Cornelius Pollmer auf der SZ-Medienseite schreibt. Mit dabei: Philipp Walulis, Armin Rohde sowie Micky Beisenherz, für den man eine „scheidungskindähnliche Regelung“ habe finden müssen, weil er auch für die „heute show“ arbeitet: „er wird nicht in derselben Woche für beide Sendungen zuliefern.“

Andere Versuche, Externe anzuheuern, gestalteten sich schwieriger:

„Wie schwer es ist, auch nur Halbprominenz für Satire zu gewinnen, das hat Andreas Lange schon bei einem anderen Novümchen gemerkt, das ,Extra3’ im Ersten zeigen möchte, dem ,Roast’. Im amerikanischen und britischen Fernsehen funktioniert dieses Prinzip super, Prominente werden sachte beschimpft und anderweitig gegrillt, obwohl man sie eigentlich gut findet, und weil sie das mitmachen, findet man sie hinterher noch besser. Motto: Teere, wem Ehre gebührt. In Deutschland ist es offenbar so, dass Menschen erst zu- und dann wieder absagen. Kommen aber wollen offenbar Die Fantastischen Vier, Nena, Fettes Brot und Revolverheld, immerhin.“

Dass nun ausgerechnet Bands wie die Fantastischen Vier dabei sind, wundert wenig. Immerhin haben die ihre Karriere einst in der ZDF-Hitparade angekurbelt und damit schon viel Elend gesehen. Und ja, das ist eine dieser grenzwertigen Überleitungen, mit denen in diesem Fall auf den Text von Oliver Jungen auf der FAZ-Medienseite hingewiesen werden soll. Jungen hat den „Musikantenstadl“ besucht, solange es ihn noch gibt – vier Ausgaben sind für 2015 noch vorgesehen; wie und ob es danach weitergeht, ist ungewiss.

„Frankreich hat den Chanson, Portugal den Fado, Spanien den Flamenco, die Angelsachsen haben Folk, Country und Blues, wir haben: Marianne und Michael. Irgendwo in der Kulturgeschichte müssen wir falsch abgebogen sein.“

Um das Bild weiterzuspinnen: Für ein Chanson reicht eine Sängerin, beim Fado sollte darüber hinaus noch ein Gitarrist vorhanden sein, und beim Folk kann zusätzlich eine Flöte oder ein Dudelsack nicht schaden. Und was benötigt die Krone der Volksmusik, der „Musikantenstadl“?

Fünfunddreißig Container Material werden für den Stadl-Wanderzirkus von Ort zu Ort geschafft, was übrigens der Grund dafür ist, dass in der Schweiz kaum Sendungen stattfinden. Die Transportkosten sind dort doppelt so hoch. Bis zu einer Woche vor der Sendung trifft der knapp hundert Mitarbeiter umfassende Tross (Redaktion und Regie: vierzehn Personen) ein. In Schichtarbeit errichtet man die sechzig Meter breite Bühne und die Beleuchtungskonstruktion mit über fünfhundert Scheinwerfern. Zwei Jahre habe man gebraucht, um den Aufbau zu perfektionieren, sagt der Produktionsleiter Paul Nowak.“

Des Weiteren erfährt man, dass die Zuschauer vor der Sendung die Blumendekoration genau beäugen, weil man sie nach der Sendung mitnehmen darf, und dass auf den Plätzen Zettel ausliegen, die für einen Gratis-Hörtest werben.

Wie sind wir jetzt hierhin gekommen? Ach ja, der große Bogen begann bei der völlig misslungenen Sendung von Günther Jauch. Deren Redaktion sich auch Rat bei den Kollegen von ARD aktuell suchen könnte, die die Kritik an ihrer Ukraine-Berichterstattung immerhin zum Anlass nahmen, noch einmal darüber zu sprechen und zum Teil sogar einen Hauch von Einsicht zu zeigen, wie Kai Gniffke im Tagesschau-Blog schreibt.

„Mit dem Wissen von heute hätten wir manchen Akzent anders gesetzt und manche Formulierung anders gewählt (hinterher ist man halt schlauer). Möglicherweise sind wir zu leicht dem Nachrichten-Mainstream gefolgt. Vielleicht hätten wir rechte Gruppierungen in der Ukraine früher thematisieren sollen. Der falsche Hubschrauber war sehr ärgerlich, aber wir sind damit wenigstens richtig (weil transparent) umgegangen. Wir hätten uns bei der Formulierung ,OSZE-Beobachter’ eher eine andere Formulierung wählen können. Vielleicht haben wir die russischen Interessen zu wenig für den deutschen Zuschauer ,übersetzt’. Wir hätten evtl. die NATO-Position noch kritischer hinterfragen können.“

Was die „Tagesschau“ trotz aller Kritik aus Gniffkes Sicht dennoch richtig gemacht hat, steht natürlich auch im Text.

[+++] Dass er mal ein Buch mit dem Titel „Silicon Wahnsinn. Wie ich mal mit Schatzi nach Kalifornien auswanderte“ rezensieren muss, damit hätte Nils Minkmar in diesem Leben wohl nicht mehr gerechnet. Doch die Autorin heißt Katja Kessler, der als „Schatzi“ bezeichnete Mann Kai Diekmann und das Auswandern nach Kalifornien beschreibt genau das eine Jahr im Silicon Valley, von dem Diekmann geläutert, bärtig und als Internetversteher zurückkehrte (FAZ, S. 10).

„Ganz leicht ist die Aufstellung der Familie nicht zu verstehen; vieles, mutmaßt man, wird auch nicht aufgeschrieben. Zwar begleiten Frau und Kinder den Mann auf seiner Suche, aber nur im analogen Teil der Mission. Was er dort eigentlich treibt, will und erlebt, spielt in der Familie keine große Rolle. ,Schatzi’ hatte sich eine Wohngemeinschaft mit zwei Kollegen organisiert und wollte, als Frau und Kinder sich entschlossen, ihn zu begleiten, aus der nicht mehr aussteigen. (...) Einmal drohen beide Welten zu kollidieren: Da sucht die vom kalifornischen Alltag mit vier kleinen Kindern zermürbte, alleinerziehende Ehefrau ihren Mann in seinem Büro auf und will ihm ihr Leid klagen, aber er macht erst mal ein Foto von ihr, appliziert eine App, und schon sieht man, wie sie zum Ziel einer Rakete oder eines Steinschlags wird, superlustig.“

Woraus wir lernen: Man kann sich im Silicon Valley zum Internethipster leutern lassen und gleichzeitig ein Familienbild aus den 50ern kultivieren. Respekt.


Altpapierkorb

+++ Da mögen ehemalige Schüler der Odenwaldschule noch so sehr um ihre Persönlichkeitsrechte bangen und rechtliche Schritte androhen; am Mittwoch läuft dennoch der Film über den sexuellen Missbrauch, der über Jahrzehnte an der Schule stattfand (dpa/Hamburger Abendblatt). +++

+++ Die neuesten Entwicklungen bei unser aller Lieblingssoap „Wege an die Ericusspitze-Spitze“: In der Elf-Uhr-Konferenz am Montag war zwar Geschäftsführer Ove Saffe anwesend, nicht aber das Spiegel 3.0-Konzept. (Zusammenfassung der aktuellen Folge bei Meedia). +++ Des Weiteren vermisst wird im Spiegel der Abdruck der Missbilligung, die der Presserat wegen des Titelbildes mit den Opfern des über der Ukraine abgeschossenen Fluges MH17 ausgesprochen hat, schreibt Stefan Niggemeier in seinem Blog. +++

+++ Was ist eigentlich dieses Native Advertising, von dem immer alle sprechen? Daniel Bouhs erklärt es im Deutschlandfunk am Beispiel von Curved und liefert gleich die Bedenken der Verbraucherschützer mit. „Mit Begriffen wie ,Advertorial’ könnten viele Nutzer jedenfalls nichts anfangen, mahnt die Verbraucherschützerin. Die Hinweise seien außerdem oft viel zu versteckt. Schade sei das, sagt Zinke, denn: ,Per se ist gegen Werbung grundsätzlich ja nichts einzuwenden. Ich glaube, wenn der Deal sozusagen fair ist, ist es für die Verbraucher auch in Ordnung, dass sie Werbung bekommen.’" +++

+++ Offenbar sind gerade Daniel-Bouhs-erklärt-die-lustige-Welt-der-englischen-Begriffe-Wochen: In der taz schreibt er über Paywalls. „Vor allem aber stellt sich für die Redaktionen die Frage, wofür sie eigentlich Geld verlangen können. Weltnachrichten etwa wird immer mindestens einer kostenfrei ins Netz stellen - ARD und ZDF sowieso, aber auch der ein oder andere Verlag, der im Zweifel auf das Prinzip ,Masse statt Klasse’ setzt, um möglichst viele der knappen Werbegelder einzusammeln. Gefragt ist also vor allem Exklusivität." +++

+++ Der „Tatort“ hat es in seiner Realitätsnähe so weit gebracht, dass nun schon echte Fahndungsfotos Verwendung finden. Die Hannoveraner Journalistin Mirjana Cvjetkovic hat es entdeckt und vertwittert; als Geschichte nachzulesen ist es nun u.a. beim Tagesspiegel, faz.net, DWDL sowie online bei der Rheinischen Post und natürlich der Neuen Presse aus Hannover. +++

+++ Dass bei einem Bewerbungsvideo bei RTL2 neben Name, Ausbildung und Interessen auf keinen Fall die Fähigkeit fehlen darf, den aktuellen Gesundheitszustand von Michael Schumacher durchzugeben, hat das Bildblog herausgefunden. +++

Neues Altpapier gibt es wieder am Mittwoch.

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