Was würde Leni Riefenstahl sagen?

Was würde Leni Riefenstahl sagen?

Deutsche Berichte über russisches Fernsehen, deutsche Online-Diskussionen über Antisemitismus. Mathias Döpfner am Telefon. Ist Kai Diekmann auf seinem Posten nicht mehr der richtige? Eine Gerichtsentscheidung über Paywalls im Internet. Wie Google beim Vergessenlassen vorgeht.

Nicht immer leicht, einzuschätzen, was Leni Riefenstahl zu Phänomenen unserer Gegenwart sagen würde, schon weil die "Triumph des Willens"-/ "Sieg des Glaubens"-Regisseurin 2003 dann ja doch gestorben ist.

Vielleicht kann nächstes Jahr Brigitte Hobmeier, die sie derzeit fürs Fernsehen verkörpert (allerdings nur in einer Nebenrolle neben Tobias Moretti als Luis Trenker, vgl. aktuell Bayern-/ München-Ressort der SZ), in der einen oder anderen Begleit-Talkshow auftreten und sagen, was Riefenstahl heutzutage sagen würde.

Vielleicht kann man auch, wenn man gut im Themenfeld drin steckt, dennoch die Einschätzung äußern:

"Über manche Einstellung wäre Leni Riefenstahl happy. Betörend schöne, mit hohem Zeitaufwand komponierte Bilder, die sich auch in das Unterbewusstsein rational veranlagter Zuschauer einbrennen."

Allerdings sollte man dann besser darauf verzichten, denselben Artikel mit dem Satz

"Ein Volk, ein Präsident, ein Fernsehen."

einzuleiten. Sowohl den Vorwurf von alter deutscher Nazi-Ästhetik in die Gegenwart anderswo zu übertragen als auch mit einer flapsigen Paraphrasierung eines noch halbwegs bekannten Nazizeit-Slogans um Aufmerksamkeit zu werben, untergräbt die Seriosität dann doch. Und führt wieder zur Frage, warum viele Artikel zu Aspekten des Ukraine-Russland-Konflikts vieles unbedingt übersichtlicher darstellen wollen als es offensichtlich ist. Dass die Lage im russischen Fernsehen, um das es geht, durchaus komplex ist und es gerade nicht nur einen Kanal gibt (wie sozusagen zu Riefenstahls Zeiten hierzulande und in der Sowjetunion tatsächlich jahrzehntelang), sondern zumindest "scheinbare Vielfalt", macht der Tagesspiegel-Text durchaus deutlich. Selbst im Programm des Staatsfernsehen scheinen Ambivalenzen zu herrschen:

"Krimis, Blockbuster oder flachsinnige Komiker gibt es immer noch. Inzwischen aber auch viele interessante und aufwendig produzierte Dokumentationen und anspruchsvolle Spielfilme. Fiktion und Non-Fiktion gehen mit Historie und Gegenwart zuweilen so kritisch um, dass man um die Karriere der Macher bangt",

schreibt Elke Windisch. Platz für irgendein exemplarisches Beispiel dafür, wie kritisch Fiktion oder Non-Fiktion mit irgendetwas konkret umgehen, war dann leider nicht mehr. Vielleicht hätte der Tagesspiegel doch einfach den blöden Riefenstahl-Vergleich weglassen sollen.

Ein aktuelles Beispiel dafür, dass Pluralismus in der russischen Medienlandschaft trotz scheinbarer Vielfalt schwindet, enthält der Text aber. Die Berliner Zeitung bringt es als Agenturmeldung: "Eine Fernsehshow, die als die letzte unabhängige Sendung im russischen Fernsehen galt, ist abgesetzt worden". Es handelt sich um Marianna Maximowskajas Sendung "Itogi"/ "Bilanz" bei Ren TV, dem "letzten landesweiten Fernsehsender Russlands, der als weitgehend unabhängig gilt".

Ein Bericht über diesen Sender und seine Entwicklung wäre auch mal interessant und könnte sogar an die deutsche Medienlandschaft angekoppelt werden. Denn Ren TV gehörte noch vor einem Jahr zum Teil der RTL-Group, also Bertelsmann, die im September 2013 ausgestiegen ist (was sich noch gar nicht überall beim deutschen RTL herumgesprochen hat).

####LINKS####

[+++] "'Beim Israel-Artikel ist noch die Kommentarfunktion an!' Jeder bei uns im Newsroom bei Handelsblatt Online kennt diesen Zuruf. Jeder weiß, was dann zu tun ist: besonders aufpassen."

Schließlich müssen justiziable Kommentare schnell gelöscht werden. Maike Freund gibt bei handelsblatt.com (wofür auch ich gelegentlich schreibe, aber nicht im Newsroom) einen interessanten Einblick in die gegenwärtige deutsche Medienlandschaft. Es geht darum, dass die Redaktion beschlossen hat, unter dem Artikel "Oh, guck mal, ein Jude!" (über einen jungen Düsseldorfer, der im Alltag eine Kippa trägt) die Kommentarfunktion freigeschaltet zu lassen. Die Haltung beider Artikel ist leise optimistisch, weil sich die Kommentatoren als "ziemlich fair" erwiesen.

Dass so etwas zu leisem Optimismus Anlass gibt, ist das Aufschlussreiche - zumal vor dem Hintergrund der etwas abstrusen Studie der Berliner Linguistin Monika Schwarz-Friesel, der zufolge deutschen Medien Israel als "Verbrecherstaat" bezeichnet würde (Niggemeier; Altpapier gestern).

Wenn Sie an ganz anderer Stelle in "moderne Debattenkultur" einsteigen möchten, hätte Udo Stiehl noch einen ganz anderen Tipp.

[+++] Ansonsten heischen Springer, der kleine deutsche Medien-Goliath, der allerdings "inzwischen im digitalen Rubrikengeschäft größer, als man es je in der Print-Welt war", sei (hat meedia.de bei der gestrigen Quartalszahlen-Telefonkonferenz gehört), sowie der viel viel größere Datenkrake Google um Aufmerksamkeit.

Zu den Zahlen siehe knapp TAZ, ausführlicher Springers Welt. Am Telefon deutete Konzernchef Mathias Döpfner außerdem an, "im englischen Sprachraum eine größere Rolle spielen" zu wollen, was einige Meldungen nach sich zieht. Winkt da ein spektakulärer Zukauf? Da wirft meedia.de, separat, schon mal die österreichischen Kronen-Zeitung ins Gespräch.

Interessanter, was die FAZ von einer Verfügung berichtet, die der prominente Medienanwalt Ralf Höcker am Landgericht Köln gegen Springers Bild-Zeitung bzw. genauer gegen das kostenpflichtige Bild plus erstritten hat. Sie hat Folgen für alle, die mit Paywalls vor Internetinhalten Geld verdienen wollen, und das sind ja viele. Nun habe

"zum ersten Mal ein Gericht anerkannt, dass ein Anreißer, der für sich allein im Netz stehe, 'ausgewogen formuliert' sein müsse, selbst wenn sein Inhalt im zahlungspflichtigen Angebot differenzierter dargestellt würde",

zitiert sie Höcker. Irre differenziert war der Wirbel um den hessischen Grünen und Ex-Landtagsabgeordneten Daniel Mack, um die es ging, freilich ohnehin nicht (Altpapierkorb, meedia.de).

Wenn Sie tiefergehnde Springer-Debatten führen möchten, hätte newsroom.de noch eine ungewöhnliche Meinung zum Bild-Zeitungs-Chefredakteur: Der "Gute-Laune-Kai der sozialen Medien", Kai Diekmann, wolle inzwischen "geliebt werden" und könnte deshalb nicht mehr "richtig auf der Position des Steuermanns der wichtigsten Zeitung Deutschlands" sein.

Hier geht's um die neulich aufregende Debatte um Nicolaus Fests "islamophoben Kommentar" in der Bums-BamS (Altpapier). Und wenn Ihnen Kritik am integrationsfeindlichen Charakter des Fest-Texts zu kurz kommt: Bülend Ürük ist's, der schreibt.

[+++] Täglich auch was Neues von Google.

Dass der Konzern erst mal in den USA und bald auch in Deutschland Verlegern die Chance gewährt, "genauer ein[zu]stellen, wie ihre Seiten durchsucht und von Google gelistet werden sollen", ist es ein netter Zug? Der Ansicht neigt Johannes Boie auf der Süddeutsche-Medienseite unter der Überschrift "Schöner verlinken" zu. Stefan Schulz auf der FAZ-Medienseite sieht darin eher einen weiteren Beleg dafür, dass Google "sich nicht als neutraler Infrastrukturanbieter" versteht, und verknüpft diesen mit der ein paar Tage alten News, dass Google die E-Mail-Konten seiner Nutzer auf kinderpornographisches Material überprüft (heise.de): "Wollen die Verlage das neue Angebot nutzen, müssen sie sich allerdings bei Google registrieren ... Die Verlage  müssen bei Google nicht mehr um kleine Anpassungen bitten. Dafür lenkt das Unternehmen die Kommunikation mit den Verlagen in seine Bahnen."

Dass Googles Machtposition auch durch das EuGH-Urteil zum Recht auf Vergessenwerden gestärkt wurde, insbesondere gegenüber den Verlagen, arbeitet heute noch mal die TAZ heraus. Sie ist ja bereits betroffen von der Durchsetzung solcher Vergessenwerden-Wünschen (Altpapier). Das Procedere beschreibt Christian Rath:

"Google muss bei einem Antrag auf Bereinigung der persönlichen Trefferliste also zwei Entscheidungen treffen. Geht es - erstens - um eine  Information des öffentlichen Interesses? Und wenn ja, hat hier das öffentliche Interesse Vorrang vor dem privaten Interesse auf Entfernung aus der Trefferliste? In diese Entscheidungen sind die Urheber der Informationen kaum einbezogen - selbst wenn es sich um Journalisten handelt und daher  die Pressefreiheit berührt ist. Das jeweilige Medium wird nicht informiert, wenn bei Google ein Antrag eingeht. Es kann dazu also nicht Stellung nehmen. Nachdem Google einem Antrag stattgegeben hat, wird auch nicht der Verlag oder der Journalist darüber in Kenntnis gesetzt, vielmehr erhält lediglich der Webmaster der jeweiligen Domain eine Nachricht - über den Dienst Google-Webmaster-Tools. Darin wird auch nur erwähnt, dass eine bestimmte Webseite des Mediums aus Trefferlisten zu einem bestimmten Namen entfernt wird. Weder erfährt das Medium, warum Google dem Antrag stattgegeben hat, noch wer ihn überhaupt gestellt hat. War es der Protagonist des Artikels oder eine Nebenperson? Man muss selbst testen, in welcher Trefferliste der Artikel fehlt."

Noch eine ziemlich wichtige Sache, die in Googles Bahnen verläuft.
 


Altpapierkorb

+++ "Im Sandwich zwischen den Wiederholungen von 'Der Landarzt' und 'Inga Lindström'" steckt bald "eine der populärsten Fernsehserien ever", nämlich "Downton Abbey". Joachim Huber vom Tagesspiegel hat beim ZDF wegen des neuen Sendeplatzes nachgefragt und eine Antwort rund um "eine klare Seherwartung für emotionale Stoffe und Familiengeschichten" erhalten. +++

+++ Doch nichts wird's mit Rupert Murdochs milliardenschwerer Übernahme des Time Warner-Konzerns (lang, englich bei theguardian.com; kurz deutsch bei BLZ/ DPA). +++

+++ "... blutgesättigte Bilder. Von Ibrahims 'Gotteskriegern' niedergemetzelte schiitische Gegner sind alle 'Perser', die eigenen Toten aber 'Muslime'. Dazu  Propaganda über den Jubel der Menschen in den 'befreiten Gebieten', Siegesparaden der Kämpfer, den wirtschaftlichen Aufbau im Kalifat. Auch die anderen Konflikte in der islamischen Welt kommen vor. Es brauche 'Zeit und Geduld', bis der IS nach Palästina komme, um die 'barbarischen Juden' zu töten": Tomas Avenarius hat für die SZ-Medienseite das Magazin Dabiq gelesen, mit dem die eigentlich Gedrucktem gegenüber kritische Terrorgruppe ISIS für sich und ihren Dschihad wirbt. +++

+++ Star der Qualitätszeitungs-Medienseiten heute: Kinofilm-Regisseur Steven Soderbergh, dessen Fernsehserie "The Knick" demnächst bei HBO "und in Deutschland wenige Stunden später bei SkyGo laufen wird" (Süddeutsche, deren Besprechung um "die viszerale Bildsprache, die konsequente Weigerung Soderberghs, die Kamera abzuschalten, bevor sich dem Zuschauer ob all der  entgegenschwappenden Eingeweide der Magen umdreht", kreist, und um die Bedeutung des Fernsehens: Es "hat sich einen Großteil der kulturellen Landschaft gesichert, die einst dem Film gehörte", wird er zitiert). +++ Für die FAZ hat Nina Rehfeld mit Soderbergh selbst gesprochen: "Ihr nächstes Projekt, eine Sitcom namens 'Red Oaks', produzieren Sie für Amazon. Kann man als Künstler für diesen Monopolkonzern arbeiten?" - "Ich bin gespannt, wie die aktuelle Kontroverse verlaufen wird. Es ist schockierend, wie sich die gigantischen Konzerne einfach taub stellen. Ich schaue mir das aus einer Zehntausend-Meter-Perspektive an: In welchem Universum, Amazon, glaubt ihr eigentlich, dass dies langfristig eine clevere Position ist? Mir erscheint es unglaublich dumm, einen so durchsichtigen Landraub im Verlagswesen zu inszenieren. ..." +++

+++ Noch ein Projekt, bei dem "Spenden das bezahlen" sollen, "was der Onlinejournalismus laut den Gründern der Plattform braucht: Schutz vor der Getriebenheit des Alltagsgeschäfts und Freiraum für lange, poetische Geschichten abseits der Klischees und konstruierten Deutschlandbezüge", stellt die TAZ mit siehdiewelt.com vor. +++ Es ist auch im meedia.de-Ranking "Der Journalismus und die Crowd: Die 8 spannendsten Projekte" vertreten. +++

+++ Das schottische TV-Duell zum Unabhängigkeits-Referendum hat sich welt.de angesehen. +++

+++ "Deutschlands häufigster Radiohörer hat einen ultralangweiligen Friday-on-my-Mind-Bürojob. Deswegen wird er freitags von den Radiomoderatoren angefeuert, unbedingt durchzuhalten und jede Stunde bis zum Wochenende runterzuzählen. ('Gleich haben Sie's geschafft, und Ihr Chef kann Sie mal  kreuzweise!')- Deutschlands häufigster Radiohörer ernährt sich am Wochenende nur von Grillfleisch, zumindest im Sommer ..." (Michael Ridder im epd medien-Tagebuch). +++

+++ "Ganz besonders verachtet Graf die 'absolut grauenerregenden Themenfilme', die versuchen, dem Zuschauer wichtige Themen näherzubringen und zu denen  es zuverlässig im Anschluss eine Diskussion mit Anne Will gibt. ... " (Diemut Roether im Fernseh-Artikel des EPD-Dossiers "Wie machen Sie das, Herr Graf?", das eigentlich Dominik Grafs aktuellem Kinofilm gilt). +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.

weitere Blogs

In einer Kirche hängt links neben dem Altar ein Schild mit der dreisprachigen Aufschrift No pasar - Überholverbot - no passing
In Spanien gibt es ein Überholverbot am Altar.
G*tt ist Körper geworden. Was für eine Gedanke! Birgit Mattausch geht ihm nach.
Heute erscheint der sechste und vorerst letzte Beitrag unserer Themenreihe Polyamorie. Katharina Payk fragt: Wo kommt Polyamorie im Kontext von Kirche und Pfarrgemeinde vor?