Nicht beachten oder ausführlich geringschätzen: Wie geht man mit einer Verteidigung der Homophobie um? Thilo Sarrazin hat die sich selbst von vornherein erledigende These erfunden, wie Jan Fleischhauer nachweist. Die Öffentlich-Rechtlichen bekommen eventuell doch von jedem Haushalt pro Jahr etwa 2,76 Euro mehr als zuletzt gedacht, umgerechnet einen Beutel Späne. Dazu: "House of Cards", Akkreditierungen für Blogger und die Frage, was ein Verleger tut (und wie sich das vom Reden über Verleger unterscheidet).
Jan Fleischhauers Spiegel-Online-Kolumne beginnt mit einem Hinweis auf ein noch nicht erschienenes Buch von Thilo Sarrazin, das davon handle, "dass man in Deutschland seine Meinung nicht frei äußern dürfe". An dieser Stelle brennt das Hirn bereits, und es ist Fleischhauers Verdienst, als erster deutlich gemacht zu haben, dass man diesen möglichen Bestseller schon deshalb unmöglich ernstnehmen kann, weil die zentrale These sich allein durch die Verbreitung der These bereits erledigt hat.
"Die Startauflage beträgt 100.000 Exemplare, auch sonst lässt sich der Verlag nicht lumpen. 'Wir werben in 'Frankfurter Allgemeine Zeitung', 'Zeit', 'Welt', 'Zeit Online'', kündigt die DVA an, also da, wo man das Sarrazin-Publikum vermutet. Dazu kommen laut Prospekt: 'Große Pressekonferenz', 'Talkshow-Auftritte', 'großes Medienecho'. Was man eben so erwarten kann bei einem Buch, das zum Thema hat, dass man in Deutschland seine Meinung nicht frei äußern darf."
Wie erklärt sich diese Logik? Fleischhauers These ist, Sarrazin sei in seinem Milieu "durch seine Bücher zum Außenseiter geworden. Das ist die Ausgrenzung, die ihn schmerzt und gegen die er eigentlich anschreibt". Das ist, nur am Rande, eine These, die Fleischhauer schon einmal zitiert hat , als er im Spiegel über Sarrazins ersten Bestseller schrieb ("'Er findet den Beifall der Masse, aber die Eliten haben ihm ihre Anerkennung bislang verweigert'"). Und auch sonst werden, wenn es um ein Sarrazin-Buch geht, wieder die Uhren auf Wiederholung gestellt, das kann man auch an einer einige Tage alten Tagesspiegel-Kolumne von Helmut Schümann sehen, der schrieb, dass er das Buch aus Gründen nicht lesen werde. 242 Leser-Kommentare. Man stelle sich vor, es würde einfach niemand der erste sein, der über dieses Buch schreibt: Dann hätte Sarrazin zwar tatsächlich Recht. Man muss aber doch auch mal gönnen können!
####LINKS#### +++ Schön in diesem Sinn war, dass Kollege Christian Bartels einen Text von Matthias Matussek gestern an dieser Stelle unter "ferner liefen" verarztet hat, nach dem Motto "Ebenfalls erschienen: Buchstabenrotz. Damit schnell zu etwas anderem." Aber Minderbeachtung ist nicht die einzige Strategie im Umgang mit einem Text, den man sich, was leider kein Witz ist, als Verteidigung der Homophobie vorzustellen hat, erschienen in dem Medium, das laut Matussek so liberal ist, dass es, nun nicht laut Matussek, auch sein Plädoyer gegen die Freiheit veröffentlicht. Man kann einen solchen Text aber auch, ebenfalls mit guten Gründen, ausführlich geringschätzen. Weil die ausführliche Geringschätzung lauter ist als die es bei Andeutungen belassende Minderbeachtung, gewinnt sie immer, und wenn nicht, hat es niemand gemerkt.
Stefan Niggemeier beschreibt eine Hin- und Hergerissenheit ("Ignoring Matussek"), an deren Ende er sich dann für "Was bloggen" entschieden hat – allerdings ohne Link auf den Text:
"Bei jedem wütenden Kommentar, den ich als Reaktion auf Matussek heute in Blogs oder auf Facebook gelesen habe, schwankte ich zwischen Applaus und dem Bedürfnis, 'Pschschscht!' zu machen: Denn mit jedem empörten Klick auf den Link zahlt sich der Einkauf des irren Lautsprechers durch die 'Welt' ja mehr aus."
Michalis Pantelouris, der nicht erst zur großen Form aufläuft, seit er Olivenöl verkauft, aber seitdem ist seine Form nicht kleiner geworden, bloggt ("Being Matussek") über einen Mann, der sich als homophob beschreibt, was große Komik generiere – was angesichts der tatsächlichen Tragik selbst sehr komisch ist:
"Der echte Matussek verpackt den Gedanken des verkalkenden 'Matussek' dabei überragend komisch in einen Freudschen Versprecher der gendermäßigen politischen Überkorrektheit, indem er von 'Männern und Frauen gleichen Geschlechts' redet, so als würden die Kinder in einer homosexuellen Ehe mit zwei Männern unterschiedlichen Geschlechts die von ihm geforderte Polarität durchaus erleben können."
Bis hierhin würde M. zu der Kritik selbst vielleicht sagen: typisch "Wächter der Political Correctness" oder so. Schön daher, dass es auch in der Welt-Gruppe zwei einigermaßen entsetzte Repliken gibt. Stefan Anker setzt sich mit einem "befremdlichen Gedanken" auseinander. Lucas Wiegelmann schreibt:
"Eine Gegenrede, eine Erwiderung auf einen vorausgegangenen journalistischen Beitrag ist angemessen, wenn der Gegenstand, um den es geht, strittig ist. Muss der Hartz-IV-Regelsatz angehoben oder gesenkt werden? Sollte sich die Bundeswehr stärker in Mali engagieren? Kann nur ein Erbe der Wagner-Familie die Bayreuther Festspiele leiten? Die Frage, ob Homophobie gut oder schlecht ist, gehört nicht in diese Reihe. Weil sie unstrittig ist."
Eben. Damit wäre auch das Thema Maischberger (siehe nochmal das gestrige Altpapier) nochmal aufgemacht: Homophobe Meinungen sind nicht gleichwertig. Und dogmatisch angewandte Ausgewogenheit ist kein gutes Handwerk.
+++ Eines der Medienthemen, die zu polarisieren vermögen wie sonst nur dieser oder jener große Publizist, ist der Rundfunkbeitrag. Festhalten, deutsche Haushalte: Die Funkkorrespondenz, zitiert auch im Tagesspiegel, berichtet heute über die Kritik des Beratungsunternehmens "DIW Econ, das im Auftrag der Länder die Auswirkungen des neuen Finanzierungsmodells für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk evaluiert" und keine Absenkung der Haushaltsgebühr um 73 Cent empfiehlt, wie es zuletzt diskutiert wurde: Es empfiehlt, den Beitrag statt, wie vorgeschlagen, um 73 Cent, nur um zum Beispiel 50 Cent zu senken. Die FK weiter:
"Möglicherweise werden sich die Regierungschefs, um noch gewisse Spielräume für Veränderungen beim Beitragssystem zu haben, auf eine geringere Absenkung der derzeitigen Beitragshöhe (17,98 Euro pro Monat) als die derzeit in Rede stehenden 73 Cent einigen. Es könnte sich um einen Betrag im Bereich von 50 Cent handeln."
23 Cent weniger Ersparnis mal 12 Monate, das machte 2,76 Euro pro Haushalt im Jahr: einen Beutel Hornspäne. Was das alles fürs Programm bedeutet, ist eine ganz andere Frage: Der Vorsitzende der Deutschen Akademie fu?r Fernsehen, Gerhard Schmidt, kritisiert in EPD Medien: "'Die Diskussion findet in zwei Welten statt' (...). Auf der einen Seite stu?nden Verwaltung und Politik und auf der anderen Seite die Kreativen. Es werde viel zu wenig Geld in das Programm gesteckt." Siehe hierzu auch den Beitrag von Ilja Braun bei Carta.
Um im Feld zu bleiben: Eine Nachricht von wahrscheinlich nur mittellandesweitem Interesse, aber von hohem Interpretationswert und struktureller Bedeutung ist die, dass der Bayerische Rundfunk den Hörfunksender BR-Klassik zum Internetportal umgestalten wolle. Was Michael Hanfeld, FAZ, daran interessiert, ist heute u.a. die Fortsetzung eines fast schon abgehakt geglaubten Konflikts:
"Der Plan, der dem Rundfunkrat des Senders vorliegt, (...) führt dazu, dass der Bayerische Rundfunk auch auf diesem Feld massiv auf Texte setzt, dass er Zeitungen, Magazinen und privaten Online-Portalen das Wasser abgräbt."
Noch relevanter erscheint mir, ohne das "Telemedienkonzept des Bayerischen Rundfunks, BR-Klassik" zu kennen, was Hanfeld ebenfalls schreibt: dass auf der dann freien UKW-Frequenz ein Jugendkanal senden soll. Nichts gegen einen Jugendkanal, aber wenn das Programm daran orientiert wäre, möglichst viele Zielgruppen zu erreichen und nicht möglichst hohe Nutzerzahlen im direkten Quotenvergleich zu haben, müsste man eher den Popsender Bayern3 zur Jugendwelle umgestalten als BR-Klassik.
Ist das nicht der Stoff, der in allen anderen Öffentlich-Rechtlichen-Debatten steckt, der aber so noch vergleichsweise selten diskutiert wird: dass die Öffentlich-Rechtlichen am liebsten Mitte-Programme machen?
+++ Interessante Analyse von Christian Meier, der sich bei Meedia der Frage angenommen hat, ob es denn überhaupt noch einen guten Verleger gibt oder geben kann: "Den 'typischen' Verleger gibt es gar nicht mehr. Und doch gibt es eine anhaltende Sehnsucht nach diesen klassischen Figuren. Ah, die FAZ hat die FR gerettet. Ah, der DuMont hat die Berliner Zeitung gerettet. Ah, der Döpfner hat die Zeitungen 'verraten'. Diese tiefgehende Sehnsucht nach dem 'richtigen' Eigentümer. Schizophren wird es allerdings dort, wo auch diese Muster auch nicht mehr so ganz passen. Die Funke Mediengruppe bekam für ihre Übernahme der Springer-Titel keinen Lorbeerkranz geflochten. Der Schock über den Verkauf der Titel wirkte stärker" +++
+++ Johannes Boie schreibt in der SZ über die Verweigerung von Akkreditierungen für diverse Blogger (siehe auch TAZ-Meldung): "Die Dimension des Problems dürfte in Wahrheit kleiner sein: Zwar schreibt das Pressereferat, es sei 'ohne Belang', ob sich 'jemand als Blogger oder als Journalist bezeichnet', tatsächlich aber sind die Berliner Abläufe nach Jahrzehnten der Zusammenarbeit mit klassischen Journalisten der alten Schule wohl noch nicht ganz auf die neuen Medien vorbereitet. Sicher sind nicht alle Blogger Journalisten, und wahr ist auch, dass sich manche zwar so nennen, aber am Ende eher als Aktivisten arbeiten" +++
+++ Fernsehen: "House of Cards" sei das Beste, was das amerikanische Fernsehen derzeit zu bieten habe – schreibt die SZ im Medienseitenaufmacher, für den Claudia Fromme den Autor der britischen Vorlage getroffen hat, Herrn Lord Dobbs. Ebenfalls um "House of Cards" geht es im Tagesspiegel, der den Nutzwert hervorhebt: Sky zeigt die zweite Staffel zeitgleich mit Netflix (bei Sky Go ab heute) +++
+++ Währenddessen geht es anderswo schon wieder um die Zukunft: The Atlantic (wo es über House of Cards heißt:" Do yourself a favor and see the original") feiert die HBO-Serie "True Detective". Die Funkkorrespondenz schreibt ebenfalls über "True Detective" (und darüber, dass die Serie bei Sky Atlantic läuft), allerdings in einem Sammelartikel über neue US-Serien. Es fallen auch "Mob City", "Almost Human" und "Intelligence". Thema ist aber auch die Senderpolitik: "Die vier großen Sender", gemeint sind ABC, CBS, NBC und Fox, "spielen Roulette mit Programmangeboten, die sie nur mit einer begrenzten Anzahl von Folgen in den Sendeplan rücken, viel zu kurz, als dass sich eine treue Gefolgschaft beim Publikum bilden könnte. Und die Zuschauer verlieren die Lust, fortwährend etwas Neues auszuprobieren, ohne zu wissen, ob ihnen die Serie erhalten bleibt. (...) mit ihrer für das Publikum undurchsichtigen Programmpolitik treiben die Networks nur noch mehr Zuschauer zu den Angeboten der Kabelkonkurrenz" +++
+++ Weiteres in Kürze: DPA darf der Staatsanwaltschaft Fotos von der Blockupy-Demo vorenthalten (Frankfurter Rundschau) +++ Ermittelungen gegen Steffen Kottkamp, den früheren Kika-Programmgeschäftsführer, werden eingestellt (FK) +++ Christian Nienhaus verlässt die Funke-Gruppe nicht bald, sondern sofort (u.a. SZ, DWDL) +++ "Lutz Marmor, Intendant des NDR, könnte ein Jahr länger ARD-Vorsitzender bleiben" (SZ) +++ Getty Images wolle verstärkt Fotos anbieten, "die Frauen bei der Karriere und Männer beim Kochen zeigen" (SZ) +++ Ein Interview bei Zeit Online mit Margit J. Mayer, Chefredakteurin der neuen deutschen Harper's Bazaar +++ Und die TAZ über Weltkriegsfernsehen +++
Das Altpapier gibt es am Montag wieder.