Christiane Hörbiger gibt zum 75. Geburtstag die Anti-Ferres: In ihrer Familie hat niemand Alzheimer. Ein Herr Büchner und die Völkerschlacht werden auch im Fernsehen 200. "Tom Schilling brillant" ist der Satz des Tages. WDR-Intendant Tom Buhrow ist genervt von der Kritik an der ARD, Youtuber Florian Mundt alias LeFloid von der "Tagesschau" und ein Leser des Neuen Deutschland von der Größe des Fernsehprogramms.
Man weiß, dass man übel deformiert ist, wenn man das Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung aufschlägt, in der Überschrift "Büchner" liest und sich fragt, was es schon wieder vom Spiegel gibt.
Es gibt nichts Neues vom Spiegel. Man kann aber in der Hausmitteilung von Chefredakteur Wolfgang Büchner lesen, was Neues drinsteht, im Spiegel. Der andere Büchner, Georg, taucht nicht nur im Feuilleton, sondern auch auf einigen Medienseiten auf. Büchner, Karl Georg, um aus dem bekanntesten Literatenlexikon zu zitieren: hessischer Schriftsteller, Mediziner, Naturwissenschaftler und Revolutionär, dieser Tage 200 Jahre alt – my goodness, was würde der als "DSDS"-Kandidat abgehen mit dieser Bio!
Auf den Medienseiten von SZ und Tagesspiegel besprochen wird also der Büchner-Theaterfilm "Woyzeck" (Arte, 22.40 Uhr), wobei Theaterfilm nicht zu verwechseln ist mit abgefilmtem Theater. Das Theater färbt dabei auf die Sprache der Kritik ab, speziell in Joachim Hubers wortgewandter Tagesspiegel-Rezension:
"Tom Schilling brillant."
Ein Satz wie aus einer Premierenbesprechung, der sofort einen Assoziationsraum aufstößt. Der Zuschauerraum bebt vor Begeisterung. Entladung der Emotionen. Augen schließen. Schlussapplaus. Gänsehaut. Verbeugung. Zuschauer erheben sich. Trampeln mit den Füßen, johlen, auf dem Oberrang pfeift jemand auf den Fingern. Ein Mann, der mit einem weißen Schal in der ersten Reihe sitzt, dreht sich um und presst heraus: "Wir sind hier nicht im Fußballstadion." Wow!
Tom Schilling brillant. Und das Altpapier voll angefixt. Von dem Gedanken nämlich, dass die Fernsehkritik in der Sprache auch sonst stets dem Inhalt folgt. Das würde erklären, warum manche Fernsehkritik – keine Namen an dieser Stelle, lieber die Sendeplätze: mancher Montag, mancher Samstag, 20.15 Uhr – uninspiriert und saftlos vor sich hin eiert. Und Daniel Haas liefert in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung noch einen Beleg für die Sprache-folgt-Inhalt-Hypothese: Die nächsten blutigen Serien nach dem Ende von "Breaking Bad" und "Dexter", "The Following" (dienstags bei RTL) und "Hannibal" (donnerstags bei Sat.1), bespricht er, um die Rastlosigkeit der Serienproduktion auszudrücken, die den Zuschauer mit sich in den schlundigen Abgrund reißt, in der Sprache des gestressten und gehetzten Junkies auf der Suche nach dem nächsten Schuss.
"Es wird weiter geschrotet, die Festplatte, der DVD-Player sind Mahlwerke des Dopes, dessen Dosis gesteigert werden muss."
Sie sehen: Es ist wieder mal Fernsehbesprechungs-Action auf den Medienseiten. Wogegen nichts spricht. Es ist aber halt so. Es gibt in den überregionalen Tageszeiten von heute und den Sonntagszeitungen, zumindest in denen, die ausgewiesene Medienseiten haben, kaum einen Artikel, der nicht vom Fernsehprogramm handelt. Leserfreundlich ist das auf jeden Fall. Dass das Fernsehprogramm – gerne auch in Listenform dargeboten – derjenige Inhalt ist, der viele Leser an Medienseiten am meisten interessiert, ist eine hässliche, aber leider nahezu wasserdichte Legende. Das jüngste Indiz dafür ist zu bewundern rund um den gelungenen Relaunch des Neuen Deutschlands, über den Chefredakteur Tom Strohschneider am Samstag bloggte. Der erste Kommentator moniert: "Fernsehprogramm nur mit Lupe zu erkennen". Dass das Verb fehlt, kennt man aus Theaterpremierenbesprechungen ("Tom Schilling brillant"), und es hat hier die gleiche Bedeutung: Entladung der Emotionen, da muss ganz schnell etwas raus! Allerdings ist der Kontext ein anderer, und kein Verb bedeutet in diesem Leserkommentar: Wir haben so viel zu monieren, wir können nicht auch noch die Sätze ausschreiben. Kein Wort bringt die Verärgerung dieses Lesers so gut auf den Punkt wie keines. Genial.
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Kommen wir zurück zum Fernsehprogramm: Für die TAZ lobt Harald Keller noch eine weitere Serie, "Scandal" (SuperRTL, 20.15 Uhr) – ein Vergleich mit der Politsatire "House Of Cards" dränge sich auf, so Keller, "Scandal" sei aber weniger konventionell.
"'Scandal' kreuzt politische Konflikte in der Art von 'The West Wing' und 'Welcome Mrs President' mit der Thrillerdramaturgie von '24' und 'Prison Break', wobei sich die Autoren oft als erstaunlich hellsichtig erweisen. Besonders verblüffend: Die Folge um einen niederen Mitarbeiter des Geheimdienstes NSA, der öffentlich machen möchte, dass sein Arbeitgeber mit einer speziellen Software ganz Amerika abhört, wurde gesendet, noch ehe der Name Edward Snowden die Runde machte."
Ein größerer Brocken auf der Agenda ist aber medienübergreifend der ARD-Film "Stiller Abschied" – Thema: Alzheimer – mit Christiane Hörbiger (20.15 Uhr), der von der SZ sehr gut und von der FAZ freundlich besprochen wird (wobei die FAZ den nächsten Hörbiger-Film, "Zurück ins Leben" am Freitag, gleich mitverarztet). Wie für den Büchner-Film bei Arte gibt es auch hierfür einen Ausstrahlungsanlass, hier ist es Hörbigers gestriger 75. Geburtstag. Der Tagesspiegel hat dazu ein Hörbiger-Interview im Blatt, in dem sie sich als Anti-Ferres unsterblich macht. Müsste man den ersten Teil dieses Interviews auf einen Halbsatz bringen, würde er lauten: Ich bin nicht betroffen.
"In meiner Familie gibt es keine Alzheimer-Kranken."
Sie will außerdem nichts wissen – jetzt mal in eigenen Worten zusammengefasst – von diesem Ami-Serienscheiß, den sie, dazu befragt, demonstrativ nicht mal mit einem Wort würdigt:
"Das deutsche Fernsehen ist das beste der Welt – wenn dort Fernsehspiele gezeigt werden."
Da wird WDR-Intendant Tom Buhrow, wenn er es gelesen hat, heftig genickt haben; im Spiegel-Interview teilt er mit, dass ihn die Kritik an der ARD nerve:
"Jahrzehntelang war der öffentlich-rechtliche Rundfunk das Nonplusultra, wenn man da landete, war das großartig. Jetzt ist es auf einmal intellektuelle Mode, auf die ARD einzuhauen und sich darüber zu amüsieren, dass sie sich manchmal noch nicht einmal wehrt."
Vielleicht hat er auch Recht, wenn er sagt, er glaube, es habe sich bald mal wieder mit der Reflexhaftigkeit, die man manchem Kommentar über die Öffentlich-Rechtlichen nicht absprechen kann. Wenn selbst der MDR gelobt wird... – und zwar für seine Idee, die Völkerschlacht mit den Mitteln des 21. Jahrhunderts journalistisch zu betrachten, mit Live-Ticker und Nachrichtensendung und allem Pipapo. Arno Frank bei Spiegel Online (weitere Kritik beim Tagesspiegel):
"Wer dieses Spektakel für pure Geschichtspornografie hält, hat nicht ganz unrecht. Nun kann aber, wer sich daran stören will, gerne weiterführende Bücher lesen. Da warten ganze Bibliotheken. Nicht jeder Sender würde sich mit fliegenden Fahnen und so viel Leidenschaft in ein so aufwendiges Experiment stürzen."
Beinahe vollständig wird die Typologie der Leute, die sich zum Fernsehen äußern, mit dem Youtube-ist-das-Fernsehen-der-Jüngeren-Text aus der Zeit, der mittlerweile online steht. Sag mir, wie du zum deutschen Fernsehen stehst, und ich sag dir, wie alt du bist und was auf deiner Visitenkarte steht – Florian Mundt alias LeFloid, zum Beispiel, dürfte 26 und ein bekannter Youtuber sein, jedenfalls nach dem zu urteilen, wie er hier Tom Buhrows Endgegner gibt:
"'In der Tagesschau sagt ein Sprecher, der stocksteif dasitzt: 'Das war es vom Giftchaos in Syrien. Zum Sport.' Völlig trocken und gefühllos – ich finde das absurd', sagt Mundt. Damit steht er offenbar nicht alleine da; das emotionale, schnelle und radikal subjektive Präsentieren von Nachrichten scheint einen Nerv zu treffen. In den USA hat dieser neue Stil bereits einen eigenen Namen: New Sincerity."
Erwähnt sei noch, um das Altpapier für heute schön altmodisch abzurunden, dass heute Bäumchen-wechsel-dich-Tag ist: Im Tagesspiegel rezensiert ein Medienjournalist einen Theaterfilm, in der SZ die Theaterkritikerin Christine Dössel einen Fernsehfilm. Und ihr Schlusssatz über Hörbigers Alzheimer-Film bestätigt wie nebenbei unsere Tagesthese, dass die Fernsehkritik sprachlich ein verflucht ausgefuchstes Genre sein kann:
"Gutes Fernsehen gibt es auch bei der Degeto noch, man hatte es fast vergessen."
+++ Am Samstag kritisierte Michael Hanfeld in der FAZ – das ist Blattlinie im Feuilleton – die britischen Zeitungen Daily Mail, Daily Telegraph und Times für ihre Kritik am Guardian (siehe zu den Hintergründen Altpapier vom Freitag, unten, direkt über dem Altpapierkorb): "Sie übernehmen die Behauptung des neuen MI5-Chefs Andrew Parker eins zu eins, die da lautet: Der 'Guardian' spielt den Terroristen in die Hände und riskiert die Sicherheit der freien Welt. Dass ein Geheimdienstchef derlei behauptet, ohne es belegen zu können, liegt in der Natur seines Amtes. Dass Zeitungen seiner Anklage vorbehaltlos folgen und den 'Guardian' als Hort der Terrorhelfer hinstellen, ist etwas anderes. Ihr Vorgehen ist genau das, was sie dem 'Guardian' vorwerfen: gefährlich. Gefährlich, weil sie Aufklärung nicht nur behindern, sondern verdammen" +++
+++ Die SZ schrieb am Samstag über den Journalisten Armin Wertz, der fünf Monate lang in einem syrischen Gefängnis saß, nachdem er mit einem Touristenvisum eingereist war und über die Assad-Regime-Anhänger schreiben wollte +++
+++ Um Servus TV geht es in der SZ, von einem Durchstartversuch ist die Rede: "Servus TV, der kleine Sender des Red-Bull-Erfinders Dietrich Mateschitz, nimmt für sich in Anspruch, gutes Fernsehen zu machen – und den Auftrag öffentlich-rechtlicher Sender oft besser zu erfüllen, als diese es tun. Schade nur, findet man bei Servus im Salzburgerischen Wals, dass das immer noch zu wenig Menschen wissen und sehen" +++ Thomas Gottschalk bekommt mal eine neue Sendung bei RTL +++
+++ Gemeldet wird (etwa in der TAZ), dass der frühere Programmgeschäftsführer des Kika, Frank Beckmann, heute Fernsehchef beim NDR, ein Bußgeld von 30.000 Euro bezahlt und das Verfahren gegen ihn eingestellt wird (für Besserinteressierte: Es gibt ein DWDL-Interview mit Beckmann) +++
+++ Lesenswert (aber nur indirekt ein Medienthema) ist der Lobbyismus-Report der Welt am Sonntag: "Der SPD-Politiker Michael Hartmann (...) kämpft in der SPD-Bundestagsfraktion seit Jahren für mehr Transparenz im Lobbyismus. Der Mainzer Bundestagsabgeordnete war genervt, als er merkte, wie die Betreibergesellschaft des Frankfurter Flughafens, Fraport, im vergangenen Jahrzehnt Beschäftigte als externe Mitarbeiter ins Bundesverkehrsministerium entsandte. Dort schrieben die Fraport-Mitarbeiter 'an einem Gesetz mit, das die Interessen der Flughafengesellschaft durchsetzte. Das hat die vielen lärmgeplagten Bürgerinnen und Bürger zu Recht beunruhigt', sagt er. Dennoch glaubt er, dass 'Lobbyismus etwas Heilsames, Wertvolles sein kann'. Hartmann selbst kann sich an keine Sitzungswoche erinnern, in der er sich nicht mit Lobbyisten trifft. Es spreche nichts dagegen, wenn Interessengruppen ihm als Abgeordneten ihre Vorlieben vortragen und Sachverstand in den politischen Prozess einbringen. 'Das Gefährliche ist nicht Lobbyismus an sich, sondern verdeckter Lobbyismus', sagt Hartmann. 'Und in den vergangenen Jahren ist Lobbyismus deutlich undurchsichtiger geworden'" +++
Das Altpapier gibt es am Dienstag wieder.