Ist die deutsche Huffington Post was für Marathontrainer? Was soll der frisch rekrutierte Grüßaugust Cherno Jobatey ausrichten? Sollte sich das Bundesverfassungsgericht dereinst eine NDR-Sendung mit dem freien HuffPo-Mitarbeiter Boris Becker anschauen? Andere Fragen des Tages: Was bedeutet eigentlich „Palim, palim“? Dürfen Politiker in der Öffentlichkeit weinen?
Lange, lange hat die Medienbranche gewartet auf diesen Starttermin, heute ist es nun endlich so weit: Gruner + Jahr „trotzt den Schwierigkeiten des Marktes“ (horizont.net) und bringt die Zeitschrift Chefkoch auf den Markt, einen Print-Ableger bzw. - um es mit Claudia Fromme (SZ, S. 33) zu sagen - ein „Druckdestillat von Chefkoch.de“, das „eines der Lieblingskinder der Vorstandsvorsitzenden Julia Jä ...“
Oops, da ist uns wohl die zweitwichtigste Geburtsstory des Tages aus Versehen nach ganz oben gerutscht. Etwas mehr Aufmerksamkeit als der Launch des Rezept-Plattform-Spinoffs wird natürlich der deutschen Huffington Post zuteil, die ebenfalls heute loslegt. Nachdem bereits in den vergangenen Tagen zahlreiche Einschätzungen kursierten - siehe Altpapier von Montag und Mittwoch -, informiert uns heute unter anderem Sebastian Matthes, der Chefredakteur, in einem Interview mit dem Medium Magazin:
„Wir wollen nicht wie die Netz-Rowdys dastehen, die Leute ausbeuten.“
Dass man so nicht „dastehen“ will, versteht sich von selbst. Was ja nicht heißt, dass der Eindruck, den man nicht erwecken will, falsch ist. Darüber hinaus sagt Matthes:
„Wir sprechen (...) nicht in erster Linie Journalisten an (...) Unser Angebot richtet sich an Wissenschaftler, die über ihre Forschung schreiben, Privatleute, die über ihr Hobby bloggen oder, sagen wir, einen Personal Trainer, der Menschen für einen Marathon fit macht. Es wäre doch spannend, wenn der bei uns in regelmäßigen Gastbeiträgen beschreiben würde, wie man einen Marathon schneller schafft. Vielleicht bringt ihm das neue Kunden.“
Wenn Matthes so etwas, tja, „spannend“ findet, fragt man sich natürlich schon, wieso eigentlich so viel Aufhebens gemacht wird um das neue Projekt. Gefragt hat sich das zum Beispiel auch der ORF-Mann @guenterhack, der bereits beim Original „nur äußerst selten gelandet“ ist. Wo wir gerade beim Original sind. Dem dortigen Medienressort ist zu entnehmen, dass der iranische Außenminister wegen einer Zeitungs-Headline gerade fiese Rückenschmerzen bekommen hat.
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Zurück nach München: Einen „Vorturner“ (meedia.de) bzw. „Grüßaugust“ (Zapp-Blog) bzw. „Herausgeber“ (dpa/Berliner Zeitung) hat Burdas HuffPo auch: Cherno Jobatey. Diese Personalentscheidung einigermaßen originell zu kommentieren, ist zugegebenermaßen nicht ganz einfach. Angelehnt an einen jetzt auch schon - mindestens - zehn Jahre alten Kalauer, ließe sich prognostizieren, die deutsche Huffington Post könnte das „Chernobyl“ des Journalismus werden, aber ein richtiger Burner ist das auch nicht. Ob der große Grüßaugust von Hubert Burda, dem armen Schlucker, auch richtiges Geld bekommt fürs Grüßen, war bisher nicht Gegenstand der Berichterstattung.
Weil bei den Postlern auch noch „Uschi Glas als Autorin“ im Einsatz sein wird, versuchen sie jetzt sogar schon bei wuv.de, lustig zu sein: Von „harter Konkurrenz für das Panorama-Ressort von Spiegel Online“ ist die Rede. Jenseits der sich aufdrängenden Witzischkeit: Wer mit den Namen Cherno Jobatey und Uschi Glas wirbt, will damit doch bestimmt auch etwas über seine angepeilte Zielgruppe sagen. Die Vermutung, dass Burda seine Huffington Post nicht für die Stammleserschaft des Altpapiers, von Carta oder Wiesaussieht machen will - was ja völlig okay ist -, liegt jetzt noch näher als ohnehin.
Wie sie die Marktchancen von Burdas HuffPo sehen, wollte das Medienmagazin journalist in einer Umfrage von vier Online-Fachleuten wissen. Einige überwiegend unfreundliche Einschätzungen zur HuffPo hat meedia.de gebündelt. Wobei man aber der Fairness halber sagen muss, dass es auch Medienbeobachter gibt, die das „Vorab-Niedermachen“ doof finden - der SZ-Redakteur Johannes Kuhn aka @kopfzeiler zum Beispiel
Eine relativ neue Gegenposition zu den pro HuffPo eingestellten Bloggern, die „We‘re only in it for the Reichweite“ singen, vertritt Drop for thoughts:
„Reichweite ist nicht für jeden gut. Es gibt genügend Frauen, die gerade alles mit Reichweite meiden, denn für sie bedeutet Öffentlichkeit Arbeit Belästigung über @-replies, E-Mail und im direkten Kontakt. (...) Noch gefährlicher sind „Meinungen“ natürlich für alle, denen zunächst einmal weniger (...) Privilegien Reputation zugesprochen werden. Wieviele Transfrauen können sich wohl selbst bei der Huffington Post hinstellen mit einer Meinung, ohne sich Respekt erst erarbeiten zu müssen? Heraus kommt eine Privilegienmaschine. Erwählt wird, wer bereits hohe Anfangsinvestitionen geleistet hat. Annehmen kann, wer freie Zeit für unbezahltes Schreiben und die Nachwirkungen hat. Vielleicht mache ich die gleiche unbezahlte Arbeit für den feministischen Lesekreis sogar sehr gerne (...) Für die Huffington Post, bei der für andere dann Geld abfällt, muss ich mir das gleich dreifach überlegen. Vermutlich wird die HuffPo zum Start also noch einen Ticken reicher, weißer und männlicher aussehen, als es die ohnehin schon weiße männliche deutsche Medienlandschaft ist.“
[+++] Einen nicht unprominenten HuffPo-Mitarbeiter haben wir heute nicht erwähnt: Boris Becker. Mit dem befasst sich aus aktuellem Anlass Michael Hanfeld (faz.net). Er hat sich in einen der sumpfigsten Abgründe des öffentlich-rechtlichen Fernsehens begeben und sich im NDR Fernsehen das überregional bereits durch Sendungen mit Jenny Elvers-Elbertzhagen und Katja Riemann, sagen wir mal: aufgefallene Magazin „DAS!“ angesehen, deren Macher es am Mittwoch für angebracht hielten, Becker zu seiner aktuellen Drucksache zu befragen. Die Fragen stellte Hinnerk Baumgarten, der durch die erwähnte Riemann-Sache (siehe auch Altpapier) bekannte „TV-Honk“ (Alexander Gorkow). Erst einmal gibt Hanfeld Einblick ins Protokollierte:
„‚Was gibt Ihnen England, was Sie in Deutschland nicht bekommen?‘ (‚Eine gewisse Privatsphäre‘, antwortet Becker – zu der wahrscheinlich beiträgt, dass sein Buch, in dem es nur um Privates geht, dort nicht erscheinen soll.) ‚Wie schwer ist es für Sie, im Umgang mit Frauen herauszufinden, ob es wirklich Gefühle sind oder ob die Frau nur einen Namen will?‘ (Sehr schwer.)“
Die Bilanz des FAZ-Medienressortchefs erhält dann auch einen Schlenker, der routinierte Hanfeld-Leser nicht überraschen wird:
„‚Es war sehr interessant heute Abend mit Ihnen‘, sagt Hinnerk Baumgarten am Ende dieser Sendung, die dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt werden müsste, sollte dieses sich dereinst einmal wieder mit dem Begriff ‚Grundversorgung‘ (der öffentlich-rechtlichen Sender mit Bildung, Kultur, Information und Unterhaltung) befassen. Mehr Heuchelei, billiger Machismo und Frauenfeindlichkeit (...) in einer Dreiviertelstunde geht nicht. Ein Auftritt á la Boris Becker könnte der Emma Titelgeschichten auf Monate hinaus bescheren, von der Titanic ganz zu schweigen.“
[+++] Um noch einmal zurückkommen auf das in der Debatte um die HuffPo zentrale Thema Journalismus und Geld: Darum geht es unter anderen Vorzeichen auch in einem Gespräch, das selbstdarstellungssucht.de mit Tilo Jung, dem Macher der Interviewreihe Jung & Naiv, geführt hat. „Google sponsert euch, ist das nicht verwerflich?“ fragt Interviewerin Natalie Mayroth, und Jung (der, wie wir dem SZ-mäßigen Einstiegssatz entnehmen, „in Jogginghose und Shirt“ empfängt) antwortet:
??„Ich bin unabhängiger als jemals zuvor, weil ich mich jetzt nicht auf den finanziellen Aspekt konzentrieren muss, etwa wie ich meinen Unterhalt bestreite (...) Ich würde mal behaupten, dass die Redakteure der FAZ und der Süddeutschen, die das bemängeln, viel unfreier sind als ich.“
Der Logik, dass ein Sponsor Unabhängigkeit schafft, muss man nicht folgen, Jungs letzter Punkt ist allerdings nicht schlecht, zumal sich ja beispielsweise die FAZ sehr gern über die Unfreiheit in Redaktionen äußert - aber natürlich nicht über die im eigenen Stall, sondern die anderswo gewitterte.
Hübsch auch die Politikberichterstattungskritik, die Jung vorbringt:
„Wenn so über die Vergangenheit der SPD und CDU der letzten 30 Jahre berichtet werden würde, wie über die der Grünen aktuell, hätte man wahrscheinlich eine ganz andere politische Stimmung. Wenn man die Spendenaffäre der CDU, die erst 15 Jahre her ist, mal wieder hochholen würde, anstatt die (sic!) Pädophilie-Debatte. Es wirkt für mich gesteuert, wenn eine Woche vor der Wahl noch einmal die Grünen gebasht werden.“
Ist der Witz an der Sache aber nicht eher, dass das Ganze auch ohne Steuerung funktioniert?
[+++] Wieder einmal mit einem großen Text wartet heute der bei deutschen Feuilleton-Redakteuren sehr beliebte Evgeny Morozov auf. In der vergangenen Woche war er in der Zeit zugange (siehe Altpapier), dieses Mal geht es auf der Feuilleton-Aufmacherseite der SZ um die „Schwächen der Technologiekritik“:
„Wenn Technologiekritik heute relevant bleiben will, muss sie mit den rhetorischen Spielchen aufhören, die das Silicon Valley schon lange gewonnen hat. Heute von Technologie zu reden, heißt nicht mehr, die Entfremdung der Menschen zu beklagen, den Niedergang des kritischen Denkens oder die Seichtigkeit von Kommentaren auf Twitter. Das ist ein müßiges, längst erledigtes Projekt, auch wenn miesepetrige Kulturkritiker auf beiden Seiten des Atlantiks immer noch versuchen, diese Debatte am Leben zu erhalten.“
Gemünzt ist das wohl auf Jonathan Franzen auf der einen Seite des Atlantiks (siehe Altpapier) und beispielsweise Magnus Grass und Günter Klaue (siehe ebenfalls Altpapier) auf der anderen. Morozovs Fazit:
?„Eine starke Technologiekritik sollte heute zuallererst eine Kritik des Neoliberalismus sein. Eine solche Neuausrichtung allein mag nicht viel bewirken, aber sie würde zumindest die ewigen Apologeten der digitalen Umwälzung dazu zwingen, sich klare Antworten für die Frage zu überlegen, warum man nicht mehr für öffentliche Gesundheits- und Bildungssysteme kämpfen soll.“
[+++] Morozov ist Redakteur bei der Zeitschrift The New Republic - dort, wo einst Stanley Kauffmann, einer der Pioniere der Filmkritik, mehr als fünf Jahrzehnte tätig war. Jetzt ist Kauffmann im Alter von 97 Jahren gestorben. Sein Stammblatt würdigt ihn ausführlich, und die New York Times ruft ihm nach:
„An avid moviegoer, Mr. Kauffmann awoke to the possibility of film criticism in the early 1930s, when he read a review in The Nation by William Troy that compared scenes in two films stylistically. Suddenly, he wrote in an introduction to his anthology ‚American Film Criticism: From the Beginnings to Citizen Kane‘ (1972), he realized that film could be criticized as an art in the same way as literature or theater.“
+++ Daniel Haas nutzt im FAZ-Feuilleton eine Rezension des Films „Sein letztes Rennen“ mit Dieter Hallervorden für eine „fällige allgemeine Würdigung“ des Komikers, in der es unter anderem darum geht, dass man bis heute nicht weiß, was eigentlich dessen Catchphrase „Palim, palim“ bedeutet. „Es muss Ende der Siebziger gewesen sein, politisches Kabarett kam in Mode, er hat sich mit Sendungen wie ‚Spott-Light‘ und ‚Spottshow‘ um dieses Genre dann sehr verdient gemacht (...)“, schreibt Haas. „Das Exzentrisch-Irre ist sein Kernfach, er muss nur die Laut- und Ausdrucksstärken herunterdrehen, schon wird aus der Witzfigur ein tragischer Fall (...) Didi, ‚Palim, palim‘ säuselnd, das war der deutsche Spießer, in dem die Enthemmung eingelagert und mit passiver Aggressivität versiegelt ist. Hallervorden hat den Typus, der die Sublimierungsgebote nur um den Preis des Blöd- und Nervigseins aufrechterhalten kann, gespielt wie sonst nur die Größten seines Fachs: Jerry Lewis, Marty Feldman, Louis de Funès.“
+++ Dürfen Politiker in der Öffentlichkeit weinen? Diese Frage, mit der sich Anja Maier (taz.de) beschäftigt, interessiert an dieser Stelle deshalb, weil es sich bei der Weinenden um die gerade von sogenannten Parteifreunden angeknockte Kieler Oberbürgermeisterin Susanne Gaschke (SPD) handelt, die 16 Jahre Redakteurin lang bei der Zeit war - weshalb sich natürlich folgende Überlegung aufdrängt: Hätte sie aufgrund dessen, was sie in diesen eineinhalb Jahrzehnten mitbekommen hat, nicht wissen müssen, dass ihr widerfahren könnte, was ihr jetzt widerfährt?
+++ Bleiben wir in Schleswig-Holstein: Das Verwaltungsgericht Schleswig hat entschieden, dass „Fanpagebetreiber nicht für rechtswidrige Datenverarbeitung durch Facebook verantwortlich“ sind (Social Media Recht Blog). Damit hat der unermüdliche Gesichtsbuchmachergegner Thilo Weichert vom ULD eine Niederlage erlitten. Siehe auch faz.net und ndr.de.
+++ Auf der SZ--Medienseite interviewt Johannes Boie Ladar Levison, dem der von Edward Snowden genutzte E-Mail-Dienst Lavabit gehörte (siehe Altpapier) und der nun „im Namen von Thomas Jefferson“ („Es ist die Pflicht jedes Patrioten, seine Heimat vor seiner Regierung zu schützen“) gegen das FBI kämpft.
+++ Ebenfalls in der SZ: Caspar Busse über die lange Kartellamtsprüfung in Sachen Funke/Springer und die vermeintliche Weisheit des großen Springer-Vorsitzenden „‚Wir haben das so von Anfang an erwartet', sagt eine Springer-Sprecherin. Dass Döpfner so vorsichtig war, das Kartellrisiko an die Funke-Gruppe abzuwälzen, hat wohl auch mit schlechten Erfahrungen zu tun. Schon einmal hat das Kartellamt ein Springer-Milliardengeschäft verhindert: den Kauf der Fernsehgruppe Pro Sieben Sat1. Damals stand Döpfner am Ende blamiert da.“ Mit der Causa befasst sich, umrahmt von einer generellen Betrachtung von Funkes Zukunftsplänen, auch Jan Hauser im Medienwirtschaftsblog der FAZ: „Erst am 10. September haben Springer und Funke ihren Antrag eingereicht (...) Das eingeleitete Hauptprüfverfahren kann sich bis zum 10. Januar hinziehen, wie das Kartellamt am Mittwoch ankündigte (...) In den Blickpunkt werden dabei die neuen Gemeinschaftsunternehmen geraten, die Springer und Funke gründen und betreiben wollen. Ein Gemeinschaftsunternehmen soll gemeinsame Anzeigen einwerben, das andere den Vertrieb übernehmen. Damit dürfte auf diesen Märkten weniger Wettbewerb entstehen, was Kartellbehörden generell nicht mögen.“
+++ Auf den musikalischen Abschied eines überflüssig gewordenen Zeitungslayouters (aus Kanada) macht uns der Guardian aufmerksam:
+++ Wie erst jetzt bekannt wurde, sind im Sommer zwei weitere französische Journalisten in Syrien verschleppt worden (Euronews, France 24).
+++ Marlene Halser empfiehlt in der taz heute Mechthild Gaßners Dokumentarfilm „Einer fehlt“, den die Berliner Zeitung bereits am Montag rezensiert hat. Die Regisseurin begibt sich auf die Spuren eines verstorbenen Rentners, dessen Gesicht in seiner Straße sehr bekannt war: „Man könnte ‚Einer fehlt‘ als Kritik an der Gentrifizierung lesen. Schließlich ist die Doku ein Requiem auf ein Unikat, das (aus)gestorben ist: das Kiezurgestein, der Alte am Fenster. Doch was dieser anrührend herzerwärmende Film vor allem zeigt: wie gut Gemeinschaft trotz Entfremdung und Individualisierung, die wir in großen Städten immer wieder beklagen, funktionieren kann.“
+++ Eine andere Form des Großstadtdokumentarfilms bespricht das Hamburger Abendblatt: „Die Wilde 13“ ist ein Film über eine Buslinie.
Neues Altpapier gibt es wieder am Freitag.