Das simple Fortschreiben

Das simple Fortschreiben

Beeinträchtigt die Deutsche Welle die Staatsferne der Öffentlich-Rechtlichen? Ein Abgeordneter wird eingeordnet. Medienselbstkritik nach der Bundestagswahl: Entwicklungen würden einfach weitererzählt. Marcel Reich-Ranicki und die Kultur im Fernsehen von heute. Ein vom Verfassungsschutz überwachter Journalist erzählt. Und DuMont will schon wieder Stellen streichen.

Dass die Deutsche Welle – steuerfinanziert aus dem Haushalt des Staatsministers für Kultur und Medien – und die Öffentlich-Rechtlichen – nicht steuer-, sondern gebührenfinaniert – stärker kooperieren sollen, ist schon deshalb interessant, weil dadurch steuerfinanzierte Inhalte der Deutschen Welle durch die Hintertür in die bekanntlich staatsfernen Öffentlich-Rechtlichen rutschen könnten. Könnten. Es ist zugegebenermaßen ein theoretisches Problem, das sich im Idealfall am besten dadurch lösen ließe, dass die Redaktionen das nicht zulassen. Es gibt zudem längst Kooperationen, nur nicht im nun geplanten Ausmaß. Trotzdem, heute, einige Monate nach der entsprechenden Pressemitteilung, hat es die nicht ganz unkomplizierte Geschichte auf eine Medienseite geschafft, jene der SZ – im Rahmen eines Porträts des am 1. Oktober anfangenden Intendanten der Deutschen Welle, Peter Limbourg:

"Die Politik hat für die Deutsche Welle gerade einen stärkeren Austausch mit ARD und ZDF vertraglich festgeschrieben. Das ist interessant, weil es auch bedeutet, dass Programme der steuerfinanzierten DW in ARD und ZDF laufen können – die eine irre Bürokratie treiben, um die Steuerfinanzierung zu vermeiden. Und zwar mit dem Argument, nur so staatsfern zu bleiben."

Ein Sprecher der Deutschen Welle übrigens, um meine eigenen Unterlagen dazu zu zitieren, argumentiert recht originell, wenn man fragt, ob die geplante Kooperation die Staatsferne von ARD, ZDF und Deutschlandradio beeinträchtige: Nein, weil die Welle zwar zum größten Teil aus dem Bundeshaushalt finanziert werde, aber ja selbst staatsfern sei, und zwar "nicht nur laut Deutsche-Welle-Gesetz, sondern auch tatsächlich", oder anders formuliert: Die Deutsche Welle ist zwar abhängig vom Wohlwollen des Kulturstaatsministers, der jederzeit den Hahn zudrehen kann, ist aber staatsfern deshalb, weil es geschrieben steht. Theoretisch ist das de facto absolut formal!

+++ Kommen wir zu einer Geschichte, die auch die Deutsche Welle schon interessiert hat: Bundestagsabgeordnete, neue. Da hätten wir – gewohnt wunderbärchen in schönsten Strecken zusammengestellt – den jüngsten neuen Abgeordneten, den neuen Abgeordneten mit der Fernsehnase, die mit CDU-Hintergrund bei griechisch/türkischen Eltern und, besonders gern genommen, den, der im Senegal geboren ist: Karamba Diaby ist für die SPD in den Bundestag eingezogen, was ihn, zusammen mit dem münchnernden Fernsehschauspieler Karl-Heinz Huber (CDU), zum ersten Afrodeutschen im Bundestag mache. Die an dieser Stelle eher selten zitierte Westdeutsche Zeitung Newsline formulierte stellvertretend, was den Betrieb daran interessiert:

"Der 51-jährige ist gebürtiger Senegalese, er schreibt Geschichte. Denn er ist der erste aus Afrika stammende Bundestagsabgeordnete. Entsprechend groß war das Interesse an ihm."

Jemand ist nicht in Deutschland geboren und ist jetzt trotzdem deutscher Abgeordneter – das ist die Story. Hätten wir 1950, wäre das eine Hammergeschichte. Wobei sie auch heute, ist ja gut, natürlich aufgeschrieben werden musste: Wenn der Deutsche Bundestag über seine Abgeordneten nach und nach das Land ein wenig besser abbildet als zu Bonner Zeiten, ist das selbstverständlich der Rede wert. Aber wie halt. Wenn man "Erster Afrikaner im Bundestag"Politikjournalismus goes Andi Möller – googelt oder bingt und die Fragen liest, die Diaby so zu beantworten hat ("Sind Sie der deutsche Obama?" – ja, genau, er wurde schließlich gerade in Deutschlands präsidialer Demokratie zum Präsidenten gewählt und hat eine Frau namens Michelle, hier direkt unter ihm), kann man sich über die selbst in der geschriebenen Sprache sehr fotolastigen Verarztung Diabys eigentlich nur wundern.

Die New York Times, die in einigen Texten über ihn als Beleg dafür zitiert wird, dass man mit dem Fokus auf Diabys Hautfarbe auf dem richtigen Dampfer ist, schrieb übrigens, was an der Geschichte tatsächlich bemerkenswert ist:

"The fact that Germany has never voted a black man into Parliament is an indication of the sometimes arms-length relationship Germany has with its minorities."

Der mittelschichtserfahrenen Europäerin Bettina Gaus aus der Taz-Redaktion sind auch in der Berichterstattung über  die von Terroristen überfallene Shopping-Mall in Kenia, einem vom Senegal verdammt weit entfernten Land, Stereotype aufgefallen, wenn auch etwas ausgefuchstere:

"Ein großer Teil der Berichterstattung über die Terrorattacke in Nairobi ist verräterisch – nicht nur in deutschen Medien. Alte Stereotype schleichen sich ein, die wieder einmal ein Bild von Afrika zeichnen, in dem es nur entweder darbende Slumbewohner oder prassende Eliten gibt. Dieses Bild leugnet die Existenz einer breiter werdenden Mittelschicht. Es ist – wenn auch vermutlich ungewollt – rückwärtsgewandt und arrogant."

Der Berliner Büroleiter des Stern, Lutz Kinkel, auch er ein Europäer:

"Es gibt die Neigung zum simplen Fortschreiben alter Entwicklungen."

Das könnte man auch über Gaus' Nairobi-Text und über die Diaby-Berichterstattung schreiben. Allerdings sind wir mit Kinkels Text wieder zurück bei der Bundestagswahlberichterstattung: Nach Taz-Europäer Sebastian Heiser, der seiner- und unsereinen zum Rücktritt aufforderte – eine Forderung, die verhallte, quasi wie ein Leitartikel –, benutzt nun auch Kinkel ein "wir", meint uns Journalisten, vor allem sicher die europäischen, damit und nennt uns der sich als falsch herausstellenden Thesen wie "Es gibt immer mehr Nichtwähler", "Die FDP kommt in jedem Fall rein" oder "Die Volksparteien sind tot" wegen: "Klugscheißer". Womit er nebenbei die Entwicklung des Sterns, sich zu Selbstkritik imstande zu sehen, fortschreibt.

"Interpretationen, die ein paar Mal wiederholt worden sind, auch von vermeintlichen Autoritäten, gewinnen ein Eigengewicht. (...) Der politische Journalismus – meine Person ausdrücklich eingeschlossen – maßt sich oft eine Kompetenz an, die auch führende Wirtschaftswissenschaftler kurz vor der Eurokrise demonstrierten. Es gibt die Neigung zum simplen Fortschreiben alter Entwicklungen. Es gibt die unreflektierte Übernahme interessengeleiteter Annahmen. Es gibt das Übertheoretisieren, um möglichst klug und originell zu wirken. Und es gibt einen bemerkenswerten Mangel an Instinkt."

Der Politikwissenschaftler Thorsten Faas äußerte vor einigen Tagen noch eine andere Medienkritik. Dass man vorher nicht richtig prognostiziert, was hinterher passiert sein wird – ja Gottchen, man irrt sich halt, wenn man über die Zukunft schreibt: "Der Trend zu weniger Selbstverständlichkeiten ist es, der Wahlen heutzutage auszeichnet, nicht das Verschwinden oder Wiederauferstehen der Volksparteien", schrieb Faas im Politikblog von Zeit Online. Er selbst beklagte aber auch nach dieser Wahl eher den Trend, Politik- mit Sportjournalismus zu verwechseln:

"Die amerikanischen Kollegen sprechen von horse race journalism – über den Wahlkampf wird berichtet, als sei er ein Pferderennen. Oder zumindest ein Sportereignis. Beispiele gefällig? TV-Duell. TV-Dreikampf. Wahlarena. Wer hat gewonnen? Wer holt auf? Da passen Umfragen einfach zu gut ins Schema. Dass insgesamt wenig über Themen gesprochen wurde, sondern eben über Umfragen, Koalitionen und Strategien (und am Ende sogar in einer Metaperspektive über diese Metaperspektive), passt ins Bild. Da sprechen Amerikaner auch von hostile media – feindlich gesinnten Medien –, die Politik als zynisches Machtspiel darstellen. An vielen Stellen mag das zutreffen, aber die eine oder andere Kritik von politischer Seite an den Medien mag dann doch zugetroffen haben."

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+++ Und jetzt wird aber mal umgeschaltet zum Fernsehen. Das kam dieser Tage ganz zu sich, als es um einen Zusammenhang von Deutschlands übler Untersexung und dem Ausgang der Bundestagswahl ging (Minute 23:30!!! AAH!). Markus Lanz brachte außerdem das offensichtliche Problem seiner Samstagabendshow "Wetten, dass..?" in einem Hörzu-Interview treffend auf den Punkt. Kind of.

"Wir sind uns einig, dass wir an der einen oder anderen Stelle etwas zu mutig waren."

Weshalb man nun sicherlich und logischerweise wieder ein wenig Feuer rausnehmen wird aus diesem erstaunlichen Vulkan der innovativen Ideen. Dem Medium straighter ins Auge schaut der Freitag in einer kleinteiligen Würdigung Marcel Reich-Ranickis. Einen der kurzen Texte kann man als programmatischen Beitrag übers Fernsehen der Gegenwart lesen, vor allem jenen des ZDF-Kulturmanns Daniel Fiedler:

"Fernsehen und Kultur, geht das noch zusammen? Ja! Aber: Die Kultur muss sich auf das Medium Fernsehen einlassen. Nicht umgekehrt. (...) Unterhaltung? Ja! Kulturfernsehen darf unterhalten. Muss es sogar. Es ist ein Zerstreuungsmedium. Niemand schaut fern, um belehrt zu werden. Wenn es intelligent unterhält, wenn also Zerstreuung bedeutet: mit tiefgründigen Inhalten leicht, und heißt nicht leichtfertig, umzugehen, dann macht Kulturfernsehen alles richtig. Denn es ersetzt nicht das Feuilleton."

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ALTPAPIERKORB

+++ Die härteste Geschichte, die heute auf Medienseiten steht, ist die des freien Journalisten – Schwerpunkt Sport – Ronny Blaschke, der für die Süddeutsche Zeitung über seine Erlebnisse mit dem Verfassungsschutz schreibt, der ihn beobachtet habe: Die neue niedersächsische Verfassungsschutzpräsidentin "Maren Brandenburger sagte am Telefon, ein lange zurückliegender Gastvortrag bei der Partei Die Linke in Hannover könne zur Beobachtung meiner Arbeit geführt haben, Details nannte sie nicht. Kennt sie die selber nicht?" Was nun aber eigentlich vorbei ist, habe für ihn Konsequenzen, so Blaschke, der auch über politische Themen arbeitet: "Ohne Details und Fakten bleiben skandalträchtige Schlagzeilen stehen, die Spekulationen entfachen können: Am Montag hat mich der Reporter einer Illustrierten in einem Telefoninterview gefragt, ob ich Mitglied einer extremistischen Organisation gewesen bin. Ich habe sehr schlucken müssen. Auf der Internetseite des NDR kommentiert ein Leser: 'Vielleicht sollte man den Verfassungsschutz fragen, was mit Herrn Blaschke sonst noch so los ist. Die Gründe sind halt nicht öffentlich. Und wenn es Bezüge zum Extremismus gibt, wird Herr Blaschke das nicht sagen.' Plötzlich muss ich mich rechtfertigen" +++

+++ Abteilung Prozessjournalismus: Was heute an vielen Stellen kurz oder mittelkurz erwähnt wird, sind die bevorstehenden Kürzungen bei M. DuMont Schauberg mal wieder, diesmal allerdings nicht bei der Frankfurter Rundschau oder der Berliner Zeitung, sondern in Köln in den Bereichen Druck, Verlag und Verwaltung, wo "bis Ende kommenden Jahres 84 Stellen" wegfallen sollen (wuv.de, SpOn) +++

+++ Den Umzug der Gruner-Mitarbeiter aus München nach Hamburg und den angekündigten Umzug der Bild Hamburg nach Berlin packt Altpapier-Autor René Martens in einem Taz-Artikel zusammen, in dem die Flexibilitäts- und Mobilitätsanforderungen der Verlage an die betroffenen Kollegen nicht als übertrieben mitarbeiterfreundlich dargestellt werden: "Im Rahmen einer von den Strategen des Hauses sogenannten Transformation müssen die Angestellten Mitte 2014 nach Hamburg umziehen, denn Gruner + Jahr will die Redaktionen von Neon, Nido, P.M., Eltern und Wunderwelt Wissen in der Zentrale ansiedeln. Wer in München bleiben will, weil er Kinder hat oder andere familiäre Gründe dagegen sprechen, wird seine Arbeitslebensplanung ändern müssen. Ein im nicht unbedingt positiven Sinne ereignisreiches Jahr wird 2014 auch für 80 Mitarbeiter, die bei Springer in Hamburg derzeit noch mit der Produktion und der Herstellung der Hamburg-Ausgabe der Bild-Zeitung beschäftigt sind. Das wird künftig in Berlin über die Bühne gehen, die Osterausgabe soll bereits dort erstellt werden" +++

+++ Kommunikationstheoretischer Beitrag des gestrigen Tages: die Meta-Twitter-Kommunikation, die Lars Fischer gestorifyt hat +++ Netzkulturbeitrag des gestrigen Tages: warum Popular Science die Kommentare schließt +++ In der Wochenzeitung Die Zeit gibt es einen Realitätscheck zu "Breaking Bad" und, wie in der Wochenzeitung Der Freitag, einen Text über das neue "Grand Theft Auto"-Spiel +++

+++ Volker Panzer, der seinerzeit das ZDF-"Nachtstudio" moderierte, schreibt in der MRR-Würdigung im Freitag über die Zukunft der audiovisuellen Literaturkritik: "Es gibt keine MRR-Erben im Fernsehen. Die Frage lautet heute sowieso anders: Ist das Fernsehen überhaupt noch das alleinige Massenmedium? Die Literaturkritik ist jedenfalls wieder dahin zurückgekehrt, wo sie herkam: wo nur gelesen wird." Wobei er den Herrn Scheck vergessen oder erfolgreich verdrängt hat +++

+++ Die FAZ meldet: "Die Reichweite der deutschen Zeitungen wächst. Mit ihren gedruckten Ausgaben und Online-Angeboten erreichen sie 80,5 Prozent der deutschsprachigen Bevölkerung" – das wäre demnach inklusive der Gratisangebote +++ Und schreibt über das laut FAZ bisher zuschauerreichste nichtfiktionale Programm im US-Kabelfernsehen: die Reality-Show "Duck Dynasty", "eine Variante der Familienserie 'The Waltons'" und "ein Gegenentwurf zum aufgeregten Geschrei der Wettbewerbsserien" +++ Joachim Huber würdigt im Tagesspiegel mal den B-Promi: "B-Promi ist kein Schicksal, B-Promi ist eine Leistung", was zweifellos richtig ist +++ Die SZ schreibt über eine Begegnung mit Ranga Yogeshwar und nennt ihn einen Besserwisser – aber es wäre ja auch schlecht, wenn er alles schlechter wüsste, was er so erklärt. So sieht es auch Hans Hoff: "Das lässt sich ja durchaus auch positiv lesen. Er weiß halt viel" +++

Das Altpapier gibt es am Freitag wieder.

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