Das Ende der geplanten ARD/ZDF-Videoplattform Germany's Gold führt zu Kritik am deutschen Kartellrecht. Netflix startet derweil in den Niederlanden und wird für den konstruktiven Umgang mit gemopsten Serien bewundert. Die zweite Staffel der gerühmten Serie "Weissensee" kommt "endlich", wird aber relativ differenziert besprochen. Gruner+Jahr als Schraubenfabrik. Und nichts, nada, niente vom Spiegel.
Würde man wirklich ein Angebot nutzen, das Germany's Gold heißt? Die Antwort ist: Die Frage stellt sich nicht mehr. Die geplante gemeinsame Video-on-Demand-Plattform von ARD und ZDF wird "begraben" (DWDL, Tagesspiegel), "beerdigt" (Meedia), "gestoppt" (FAZ), "nicht realisiert" (stern.de, focus.de), "eingestampft" (heise.de) und "aufgegeben" (digitalfernsehen.de); ihr wird "der Stecker gezogen" (turi2.de), sie ist "gescheitert" (Taz), "kommt nun doch nicht" (spiegel.de) und "wird nicht weiterverfolgt" (Pressemitteilung der WDR Mediagroup). Man könnte hinzufügen, dass sie verbuddelt, ersäuft, erwürgt und gehenkt wird sowie im Angesicht des nahen Todes Selbstmord begeht. Die Beschreibungen folgen ihren Inhalten – Peter Lustig hätte einfach nur abgeschaltet.
Über Germany's Gold wollten die öffentlich-rechtlichen Sender und zahlreiche private Produktionsfirmen und Recheinhaber von A wie Autentic GmbH bis Z wie Zieglerfilm Köln GmbH deutsche Film- und Fernsehproduktionen der vergangenen 60 Jahre auf Abruf anbieten. Die Prüfung ergab, dass das Kartellamt Einwände an der geplanten Version hatte. Fürs Germany-Gold's-Einwände-Bingo hier die zentralen Begriffe: Öffentlich-rechtlich, kostenpflichtig, kommerziell, Wettbewerb, gemeinsame Vermarktung, Preisabsprachen.
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Die wenn auch nicht ganz unvorhergesehen eintreffende Nachricht vom Ende der nächsten deutschen Video-on-Demand-Plattform ist trotz der gefühlten Zielgruppenpassgenauigkeit irgendwie kein Social-Media-Renner. Journalistische Kommentierungen sind auch eher rar. Allerdings kommt der hier und da als Strukturkritiker der Öffentlich-Rechtlichen auftretende Michael Hanfeld in der FAZ zu einer für ihn auf den ersten Blick überraschenden Einordnung: "Angesichts des Ausgreifens weltweit operierender Netzanbieter erscheinen die Entscheide", also des Kartellamts, "reichlich absurd."
Auf den zweiten Blick fällt auf, dass er von Entscheiden spricht, Plural, und "einen ähnlichen Plan von Pro Sieben Sat.1 und RTL", Amazonas genannt, explizit mit einschließt, den das Kartellamt schon untersagt hatte. Insofern muss es gleich ein bisschen weniger verwundern, dass Tobias Schmid*, Vorstandsvorsitzender des Privatsenderverbands VPRT und Bereichsleiter Medienpolitik der Mediengruppe RTL Deutschland, zum Planungsaus für "Germany's Gold" mitteilte (zitiert von DWDL):
"Nun sind wir ja üblicherweise nicht im Verdacht, Projekte wie Germany‘s Gold zu unterstützen. Nachdem nun aber das x-te Zukunftsprojekt am Wettbewerbsrecht gescheitert ist, ist es vielleicht doch an der Zeit, daß sich die Politik den regulatorischen Rahmen und dessen Anwendung daraufhin anschaut, ob er zu der außerordentlichen Transformationsphase passt, in der sich die Medien in Deutschland befinden. Es würde sicher nicht schaden, wenn sich die Monopolkommission dieser Fälle annehmen würde."
Also auf gut deutsch: ungefähr was Hanfeld sagt, nur ohne den Verweis auf die weltweit operierenden Anbieter, den man sich aber auch bei Schmid mitdenken kann. Wenn ARD und ZDF hier noch die eigentliche Konkurrenz wären, müsste er anders reden.
Bei diesen weltweit operierenden Anbietern handelt es sich nicht nur, aber vor allem um Netflix – medienpolitisch betrachtet eine Art Google der Fernsehsender, halbakademisch betrachtet eine disruptive Innovation und aus Nutzersicht betrachtet, und da wird es gefährlich für die Sender, nicht die dümmste Erfindung. Netflix – das haben sie sauber ausgerechnet – bekommt am gleichen Tag, an dem das Ende von Germany's Gold verkündet wird, ein paar hübsche Geschichten in internationalen sowie in deutschen Medien, die von der Beweglichkeit und dem Einfallsreichtum des Anbieters künden. Die SZ fasst die Methode Netflix, zitiert nach dem niederländischen Magazin Tweakers, zusammen:
"(M)an schaue genau, welche Filme und Serien viel illegal runtergeladen würden – um genau diese Inhalte dann einzukaufen und den Nutzern gegen Geld anzubieten. Netflix nutzt damit den illegalen Markt im Netz als gratis Marktforschung. "
Anlass des Interviews von Netflix-Einkäufer Kelly Merryman ist die Markteinführung des Dienstes in den Niederlanden am vergangenen Mittwoch. Das Netflix-Geschäftsmodell dort erklärt Dietrich Leder in der Funkkorrespondenz – Abonnement, Serien am Stück, auch eigene Serien, billiger als iTunes. Aber dann wären wir auch bei der Frage nach der nationalen Sicherheit: What does all sis mean for Germany?
"Für ein Angebot in Deutschland, wo für die Zuschauer eine Synchronisierung wichtig ist, würde der Aufwand für Netflix bedeutend größer und damit teurer."
Medienpolitisch gesprochen: Es dauert jetzt sicher nicht mehr lang, bis irgendein Wichtig sicherheitshalber eine Deutschquote fürs Fernsehprogramm fordert. Und netzcommunityisch gesprochen: Die Welt hat Netflix mit Kevin Spacey und den Wachowskis, Deutschland hat Clipfish mit den Inhalten von RTL, vielen Dank auch.
+++ Apropos Nutzer und Anbieter: Der Verband Freischreiber hat eine Wahlempfehlung abgegeben – Spoiler: Fußgängerampelfarben; "nur besonders experimentierfreudige Urheber geben den Piraten ihre Stimme".
Und damit sind wir beim Wahlkampf, der gestern ein hartes, aber für Journalistenhandwerksschulungen taugendes Interview Marietta Slomkas mit Peer Steinbrück im "Heute-Journal" hervorgebracht hat. Sigmund Gottlieb, die "Brandung im Gedöns" (Tagesschaum), hat für seine vorgestrige ARD-Politbüroshow (Altpapier) mittlerweile einen Tumblr spendiert bekommen; über Slomkas harte Fragen – zum Teil immer noch zu diesem Stinkefingerunsinn – ärgern sich auch einige in diesem Internet, aber irgendwas ist immer, und sie wird kaum ein Tumblr-Blog wegen schlechter Journalistendarstellerei bekommen, das ist zum Beispiel der Unterschied.
Wo waren wir? Peer Steinbrück und die Journalisten. Das Thema beschäftigt Malte Lehming, eigentlich vom Tagesspiegel, bei Cicero.de:
"(S)chon früh gab auch der SPD-Kanzlerkandidat den Medien eine Mitschuld an seinen relativ schlechten Umfragewerten. Er lamentierte über die 'mediale Berliner Käseglocke und ihre Kommentatoren'."
Und so fragt Lehming, auch im Anschluss an den Spiegel vom Montag:
"Gibt es eine Medienkampagne gegen den SPD-Kanzlerkandidaten?"
Nun ist ja Wahlkampf, und wenn man jedem Vorwurf, der Medien in dieser Zeit gemacht wird, nachgehen würde, würde man bekloppt. Lehming:
"Evidenz und Plausibilität sprechen klar gegen diese These. Im 'Tagesspiegel' zum Beispiel haben sich in den vergangenen drei Monaten, der heißen Phase des Wahlkampfs also, drei Leitartikel kritisch mit Steinbrück und seiner Partei befasst, zwölf allerdings mit Angela Merkel und der Regierung."
Auch der Spiegel kommt, zitiert nach Lehming, zu dessen Ergebnis:
"Nimmt man die überregionalen Printmedien, ist das Meinungsbild ausgewogen. Pluralität ist gewahrt, eine skeptische 'FAZ', eine wohlwollende 'Süddeutsche Zeitung', eine freundliche 'Zeit', ein kritischer 'Spiegel'."
Aber weil das Altpapier bekanntlich alles auf einmal ist, skeptisch, wohlwollend, freundlich und kritisch, muss hiermit aus schwer systemischen Gründen die Frage gestellt werden, ob das Meinungsbild allein entscheidend ist. Vielleicht sind die Wahl der Berichterstattungsthemen und deren Deckungsgleichheit mit der Agenda des Regierungssprechers auch nicht die schlechteren Maßstäbe. Und ach so, was meint eigentlich die Bild-Zeitung so?
+++ Im Fernsehen läuft "endlich" (SZ) die zweite Staffel der Serie "Weissensee", was uns ausführliche Besprechungen beschert, und es gibt unterschiedliche Nuancen in der Beurteilung: "Die zweite Staffel nun ist ein wenig dicker aufgetragen als die erste. Der ostdeutsche Unrechtsstaat muss sich schon in seiner sehr geballten Schrecklichkeit zeigen, um den Figuren genügend Handlungsanreize anzutun" (SZ). / "Es scheint, als könne eine Familiengeschichte aus der DDR nur dann erzählbar sein für ein bundesrepublikanisches Publikum von heute, wenn in ihr immer auch die Geschichte der gesamten DDR nacherzählt wird, und vor allem: ihres Endes. Da gibt es offenbar ein Legitimationsproblem, das man in der ersten Staffel von 'Weissensee' aber doch eigentlich schon überwunden hatte" (FAZ). / "Auch die zweite Staffel von 'Weissensee' hält also das Niveau der viel gelobten ersten" (Funkkorrespondenz) +++ Die Taz traf im Vorfeld Produzentin Regina Ziegler +++
+++ Die Taz – für die u.a. Franz Walter am Montag, keine Woche vor der Bundestagswahl, Jürgen Trittin als für eine entsprechende Publikation presserechtlich Verantwortlichen (Details heute) mit der Pädophilie-Geschichte der Grünen in Verbindung gebracht hat – schreibt, in der FAS vom Sonntag würden ihr falsche Vorhaltungen gemacht. Wie kompliziert die Bewertung des Streits rund um einen Text von Christian Füller allmählich wird, kann man angesichts der unter dem Blog-Text stehenden Kommentare sehen, die mal jemand in einer Infografik aufbereiten müsste +++ Die SZ konstatiert heute auf Seite 3, dass an den Problemen, die Trittin bekommen könnte, "nicht die Medien schuld sein werden", trotz der Veröffentlichung mitten im Wahlkampf +++ Am Wochenende gab es in der Taz – ebenfalls unter Berufung auf den von den Grünen mit der Aufklärung beauftragten Franz Walter – einen weiteren Text über eine "Schlüsselfigur" der früheren Debatte über die sexuelle Gleichberechtigung Homosexueller und Pädophiler, Helmut Kentler +++
+++ Die Berliner "Tatort"-Kommissardarsteller und damit auch die -figuren werden nach vielen Jahren und zwei weiteren Filmen mit ihnen ausgetauscht – Tagesspiegel, Berliner Zeitung, Taz, SZ, FAZ... +++
+++ Die Berliner Zeitung erzählt die Geschichte der Transformationen bei Gruner+Jahr und kommentiert: "Was bedeuten die Verbalblähungen? Journalismus rückt in den Hintergrund, verdrängt von Inhalten, welcher Art auch immer, Hauptsache, sie sind mehrfach verwertbar und zeitlos schön. Der Schritt führt weg vom publizistisch führenden Verlag für qualitativ hochwertige Magazine hin zur Schraubenfabrik" +++
+++ Was heute nicht zu lesen istWorüber bis 12.30 Uhr heute nichts zu lesen war: Für den gestrigen Montag soll – so wurde berichtet – die Versammlung der Mitarbeiter KG des Spiegels, die mehr als die Hälfte am Unternehmen hält, anberaumt gewesen sein. Aber niemand im weiten Rund der Medienmedien verliert heute ein Wort darüber. Was wohl auf eine Verschiebung oder ergebnislose Vertagung der Versammlung schließen lässt Epd meldet: "Keine Rücktritte oder Abwahlanträge: Geschäftsführung der Mitarbeiter KG beim #Spiegel bleibt im Amt" +++
+++ Vom Presserat gerügt werden relativ viele "Zeitschriften der Regenbogenpresse" (Bildblog); eine Initiative von topfvollgold.de +++ In der SZ beschäftigt sich Daniel Bouhs mit neuen 3D-Fernsehern und dem Problem, dass es recht wenig 3D-Programm dafür gibt +++ Die Taz schreibt über den spanischen Ableger der Huffington Post +++ Und über den Frauenanteil in deutschen Chefredaktionen nach Marion Horns Wechsel an die Spitze der BamS +++
+++ Und die FAZ berichtet vom Dreh eines neuen Michael-Verhoeven-Films mit ordentlichen 3,5 Millionen Euro Budget: "Trotz der Zugeständnisse an das Unterhaltungsfernsehen will sich Verhoeven mit 'Let's go' einem Thema widmen, das zwar in der Forschung behandelt wird, in der Flut der Kriegs- und 'Dritte Reich'-Filme allerdings kaum gezeigt wird: die Traumata der zweiten Generation" +++
*Ich hatte Schmid zunächst Schmidt genannt. Pardon.
Das Altpapier gibt es wieder am Mittwoch.