In Fightclubs stehen keine Goldwaagen

In Fightclubs stehen keine Goldwaagen

Frischer Original-Input von Julian Assange in den deutschen Wahlkampf. Betrachtungen zum Dreikampf und der jüngsten Quiztalkgameshow. Debattendebatten rund um Fernseh- und Online-Wahlkampf. Und was macht eigentlich das medien- & netzpolitische Leuchtturmprojekt der aktuellen Bundesregierung?

Kaum auszuhalten, die Hitze des laufenden Wahlkampfs... Zumindest in den Medien. Frisch herein kommt gerade Original-Input in Form einer "spektakulären Strafanzeige beim Generalbundesanwalt". Gestellt haben diese die Wikileaks-Gallionsfigur Julian Assange und sein deutscher Anwalt Sönke Hilbrans, und zwar weil Assange anno 2009 beim Chaos Computer Club-Kongress in Berlin von einem US-amerikanischen Spion ausspioniert worden sei. Es berichtet das auch aus anderen Leaks-Zusammenhängen geläufige Duo Süddeutsche Zeitung/ Norddeutscher Rundfunk, wobei vom NDR bislang nicht mehr kam als dieses zweieinhalbminütige Video ("Exklusivrecherche") und eine Pressemitteilung. Aber die SZ hat eine ganze Themenseite 2 draus gestaltet:

Matthew H., seinerzeit Staff Sergeant bei einem in Stuttgart stationierten US-Marine Corps und "derzeit in Denver für eine Ölfirma" mit IT-Arbeiten beschäftigt, sei der Spion, berichtet das dreiköpfige SZ-Investigativteam um Hans Leyendecker. Damals, steht in einem weiteren Artikel dort, habe er einen "Geheimbericht geschrieben ..., der bis heute als geheim klassifiziert" sei. Es handelt sich um den "CCC Here Be Dragons Trip Report", von dem netzpolitik.org gestern von anderer Seite her berichtete. Was die Sache brisant macht: Der Agent und sein Bericht fanden im Militärprozess gegen Bradley Manning Verwendung - gegen Manning, also für das hohe Strafmaß. Erst durch den Zeugenauftritt H.s (den die SZ auch auf einem Foto zeigt, allerdings erstens durch Verpixelung der Augen, zweitens durch eine Gasmaske, die er gerade trägt, getarnt) scheint Assange darauf gekommen zu sein.

Speziell auf den in puncto NSA-Affären besonders lauwarmen deutschen Wahlkampf zugeschnitten ist diese Geschichte natürlich nicht. Assange habe "in diesen Tagen vier Strafanträge in vier Ländern vorbereiten" lassen, berichtet die SZ, die nicht nur einmal die Brisanz der Sache relativiert ("Das alles klingt ein bisschen wild und geheimnistuerisch", und es gehe auch "um eine seltsame Koffer-Geschichte, über die in der Welt der Netzaktivisten schon oft diskutiert wurde"). Aber, nicht zuletzt weil die Kläger eine "Videovernehmung" des weiterhin im bizarren Exil der ecuadorianischen Botschaft in London lebenden Assange ins Spiel bringt, dürfte den deutschen Behörden der Umgang damit nicht leicht fallen. Schließlich muss die Bundesanwaltschaft nun "prüfen, ob bei den Aktionen der Nachrichtendienstler deutsches Recht verletzt wurde", auf deutschem Boden, was ja im TV-Duell selbst die Bundeskanzlerin gefordert hatte.

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[+++] Damit sind wir im innerdeutschen Fernsehwahlkampf. Gestern lief im ZDF "Wie geht's, Deutschland?", "ein mutiges politisches Fernsehformat" (Stefan Schulz bei faz.net), eine "Wahl-Quiztalkgameshow" (ich bei handelsblatt.com), in der neben anderen prominenten Gästen aus der Politik erneut Rainer Brüderle und Gregor Gysi performten, die erst am Vorabend zur selben besten Sendezeit im ARD-Dreikampf performt hatten (Altpapierkorb gestern). Auch dieses Fernsehereignis hallte zumindest gestern noch nach. Onlinerezensenten sahen "ein schlechtes Licht auf den Informationsauftrag des öffentlich-rechtlichen Fernsehens" geworfen (faz.net), hatten schillernde Assoziationen ("Die angeleuchteten Betonpfeiler als einzige Kulisse erinnern an das Setting des Films 'Fightclub'", sueddeutsche.de) oder auch Informationen ("im Kraftwerk, im Zentrum Berlins, wo einst der legendäre Technoclub 'Tresor' residierte", fand's tatsächlich statt, handelsblatt.com).

Unter Gender- sowie Alters-Aspekten betrachtet heute in dennoch launiger Sprache das Politikressort der Süddeutschen die vorgestrige Wahlkampf-Show:

"Es ist ja in jüngster Zeit viel vom Ende des weißen Mannes die Rede gewesen, der künftig nicht mehr die Geschicke der Welt bestimmen werde. Da kann man es dem weißen Mann kaum verdenken, wenn er die ihm verbleibende Zeit optimal nutzt, für ein paar Kriege, Börsencrashs oder Auftritte in der ARD",

so erklärt Christoph Hickmann, warum seitens der Grünen statt der ebenfalls als Spitzenkandidatin nominierten Katrin Göring-Eckardt ein weiterer älterer Herr, Jürgen Trittin, am "Dreikampf" teilgenommen hatte. Er hat aber bei der Grünen-Pressestelle nachgefragt und von der "fein säuberlichen" Aufteilung der Fernsehtermine gehört. Göring-Eckardt performte eben u.a. in der gestrigen ZDF-Show, während in deren heutiger Fortsetzung zu anderer Sendezeit (22.15 Uhr) sich das Publikum wieder auf Trittin freuen können soll.

[+++] Da wir nun schon bei Gender-Aspekten waren (die weniger zu den Kernkompetenzen des Altpapiers zählen), muss zweierlei vermeldet werden: erstens ein fulminanter "Storytwist" (Kommentator Wayward Boy) in der Debatte um eine "Galionsfigur des deutschen Maskulismus", die vermeintlich junge bloggende Twitterin kleines-scheusal.de bzw. @ochdomino. "kleines-scheusal.de war das Projekt einer PR-Agentur", bloggte Malte Welding am späten Montagabend. Was inzwischen auf der erwähnten Webseite kleines-scheusal.de steht, scheint diese Info zu bestätigen; und dass im Text dort auch von der stark "jüdischen Identität" dieser Agentur die Rede ist, macht diese Sache (die ursprünglich womöglich auch den Wahl-Aussichten der vor einiger Zeit noch für gar nicht so aussichtslos gehaltenen Piratenpartei geschadet hat..) zu einem noch komplexeren Diskussionsfeld.

Weiterhin "kein Debattier-Club, in dem sich nur Gleichgesinnte treffen", sondern "eine Autorenplattform" möchte Carta sein, wo ebenfalls ein polemischer Versuch, ein Genderthema zu beleuchten (Kerstin Ludwigs Artikel "Äpfel, Birnen, Feministinnen") nicht nur besondere Diskussionsfreude erregte, sondern auch zu Mitarbeitsaufkündigungen prominenter Autoren führte. Daher hoffen nun Vera Bunse und Herausgeber Wolfgang Michal im Rahmen einer "vorläufigen Antwort":

"Wir halten die meisten unserer Leser für so erfahren, dass sie sehr wohl differenzieren können und nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen".

[+++] Was beim Wiegen und Wägen helfen könnte, ist eine weitere Debatte, die auf einer Metaebene wogt oder zumindest dadurch zu wogen beginnen könnte, dass heute die Süddeutsche aufnimmt, was zuvor Ole Reißmann bloggte. "Wir sind die 0,01 Prozent: Die Second-Screen-Twitter-Blase", heißt Reißmanns Text, der vor allem das alberne Aufblasen von Twitter und das Verlesen einzelner Tweets im Fernsehen kritisierte. "Dass es mit der Partizipation der Massen im Internet aber bei weitem nicht so weit her ist" wie öffentlich-rechtliche Fernsehshows immer lieber behaupten, schreibt nun auch Pascal Pauckner in der Süddeutschen und samplet in seinen kurzen Artikel ähnlich lautende Stimmen aus der New York Times und Wired hinein.

In der Hitze der je nach Mediengattung inszenierten Gefechte sich und seinen Horizont (den man böswilliger auch Filterbubble nennen könnte) nicht zu wichtig zu nehmen, auch das bleibt eine Herausforderung.

[+++] Wir sind die 0,01 Prozent, die sich für Netz- und Medienpolitik interessieren? Hülfe es, nochmals zu bedauern, dass diese Themen bei aller Wahlkampfinszenierung gar keine Rolle spielen?

Gut jedenfalls, dass epd medien sich einmal in etwas größerem Rahmen als immer nur bei rivva.de-Macher Frank Westphal nachzufragen, mit der Frage beschäftigt hat, was eigentlich aus dem einzigen medien- und netzpolitischen Projekt der amtierenden Bundesregierung geworden ist: dem zeitweise großen Nischenaufreger Leistungsschutzrecht.

Jens Schröder von 10000flies.de betrachtet "die radikale Reaktion von Rivva", also wegen der Rechtsunsicherheit durch das LSR auf gut 650 Quellen zu verzichten, "als 'überstürzt' - mit vorauseilenden Löschaktionen schade sich die Branche nur selbst." Pia Frey von presskompass.net dagegen sage, "'Wir achten auf kurze Zitate' - wegen des Leistungsschutzrechts. Indirekte Rede ist das Mittel der Wahl, um möglichen Textschnipselabmahnungen auszuweichen".

Welches Spektrum an Einschätzungen selbst in der Nische derer anzutreffen ist, die sich vom Leistungsschutzrecht betroffen glauben (und die allesamt mit ihren Angeboten bisher kein Geld verdienen), macht  Nils Glücks Artikel perfekt deutlich.


Altpapierkorb

"... der jüngste Ausläufer eines riesigen Bebens, das durch die Weltmärkte geht, seit es gelungen ist, das Internet aufs Telefon zu bringen" (SZ über Microsofts Kauf von Nokias Handy-Geschäft). +++ "... könnte ... sein, dass der Nokia-Kauf gar kein großer Wurf ist, sondern lediglich verhindern sollte, dass der einzige nennenswerte Anbieter von Windows-Telefonen aus Geldmangel aus dem Markt ausscheidet, von jemand anderem übernommen wird oder auf die Android-Plattform wechselt" (FAZ dazu). +++

+++ Vor allem dem schönen Thema Preise gilt die SZ-Medienseite: erstens dem Deutschen Radiopreis am Donnerstag ("Der größte deutsche Privatsender Antenne Bayern experimentiert und lässt am Freitagabend Nachwuchs-Moderatoren ran. Nur ein halbes Jahr später sind Kristina Hartmann und Andreas Christl jetzt ...nominiert" für den genannten Preis). Zweitens dem Theodor-Wolff-Preis, dessen Verleihung die SZ heute selbst ausrichtet. Und drittens den 20 neuen Fernsehpreisen, die die Deutsche Akademie für Fernsehen erstmals am 1. Oktober vergeben wird. Diese Preise entstanden aus Streitigkeiten rund um den Deutschen Fernsehpreis (einen der vielen deutschen Fernsehpreise). +++ "Weil aber die Übertragung des Deutschen Fernsehpreises - seit Jahren eher eine Zumutung für die Zuschauer; in diesem Jahr übrigens moderiert von Oliver Pocher und Cindy aus Marzahn - den eigentlichen PR-Mehrwert der Auszeichnung ausmacht, wirken die nun kurz zuvor ohne große Öffentlichkeit verliehenen, ebenfalls undotierten Trophäen der Akademie wie Trostpreise zweiter Klasse", kommentiert Oliver Jungen in deer FAZ. +++

+++ Aufmacher der FAZ-Medienseite: ein großes Interview mit Stephanie Heckner, der neuen Redaktionleiterin für Reihen und Mehrteiler beim Bayerischen Rundfunk. Es geht um die Münchner "Tatort"-Kommisare (Sie "machen weiter, selbst wenn sie mit dem Rollator spielen müssen"), den neuen Franken-"Tatort", um Kluftinger-, Eberhofer- und Starnberg-Krimis. "Mir liegt das Serielle und Reihenerzählen, einfach, weil ich mich nicht wieder sofort von den Figuren verabschieden muss", sagt Heckner am Ende. Das (und dass sie Dominik Graf ausgiebig gelobt hat) heißt aber nicht, dass sie sich beim Bayerischen Rundfunk mal an für Deutschland neue serielle Erzählformen wagt. +++

+++ Heute in der ARD (sowie bei Bundeswehr TV und damit auch in Afghanistan zu sehen): der am Freitag bei Arte gezeigte Kunduz-Film "Eine mörderische Entscheidung" (siehe Altpapier). Wer den Film nicht gelungen findet: Lea Streisand in der TAZ heute ("Die eigentliche Tragödie spielt sich immer im Kopf des Zuschauers ab, doch dort bleibt zwischen Doku und Fiktion einfach kein Platz mehr. Es ist wie bei einer Krankenschwester, die ihre Patienten alle zwei Stunden weckt, um ihnen Schlaftabletten zu verabreichen."). +++

+++ Ganz einträchtig heute: die Berliner Zeitungen Berliner Zeitung und Tagesspiegel. Beide berichten über die neue Stephen-King-Serie "Under the Dome" bei Pro Sieben und über die 3sat-Dokumentation "Volksvertreter" (Thomas Gehringer dort: "wenig spektakuläre, aber aufschlussreiche Innenansichten des Politbetriebes", Klaudia Wick da: "Es geht in den zwei Mal 45 Minuten dieser Beobachtung gelegentlich so zäh zu wie im Alltag der Hinterbänkler. Die Entschleunigung ist volle Absicht..."). +++

+++ Und von einem zumindest, was Entschleunigung betrifft, wohl ähnlichen christlich-muslimischen TV-Duell in Nigeria berichtet Cigdem Akyol in der TAZ. +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.

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