Das TV-Duell. Stefan Raab erinnert an Kevin-Prince Boateng. Peter Kloeppel von RTL war auch dabei. Umfrageergebnisse, die man sich nicht tätowieren lassen sollte. Online-Formate: Faktencheck, Rhetorik-Check und Performance-Check sowie Netzradar. Und dazu: Was die Funke-Gruppe vielleicht vorhat. Nixon-Interviewer David Frost ist gestorben. Zu Guttenberg in der New York Times. Und noch ein wenig Spiegel-Streit.
Einfacher als die Online-Angebote aufzulisten, die am gestrigen Sonntagabend zum zeitgleich von den vier meistgesehenen Fernsehsendern ausgestrahlten Straßenfegerchen namens #tvduell zwischen Angela Merkel und Peer Steinbrück aufgelegt wurden, wäre es, aufzulisten, welche überregional bekannte Medienmarke keinerlei Extraangebot machte. Und ginge deutlich schneller.
Weil aber so gut wie alle, die jemals irgendwas mit Medien machten, sowie deren Mütter live oder im nahen zeitlichen Umfeld über das Duell schrieben, war das eine gute Möglichkeit, noch nicht ganz so alltägliche Online-Formate auszuprobieren. Etwa den Quasiechtzeitfaktencheck. Das ist geschehen, hurra. "Schon deshalb ist dieses Duell gut für unsere Demokratie", würde Sigmund Gottlieb vom BR im "Tagesthemen"-Kommentar sagen.
Wobei nicht alle Checks zum gleichen Ergebnis kamen, siehe die Balkendiagramme. Dazu unten.
Beginnen wir aber bei einem Mega-Medienthema der vergangenen Legislaturperiode: Stefan Raab. Der von ProSiebenSat.1 zum Duell entsandte Moderator agierte am Sonntagabend im Kreis seiner drei Moderationsmitgestalterinnen und -stalter wie der neue Spieler Kevin-Prince Boateng bei Schalke, der seinerzeit Michi Ballack die WM kostete wegen Blutgrätschens: Der Neuzugang, ein potenzieller Rotsünder, setzte wuchtige Kopfbälle und verhalf seiner Mannschaft am Ende zum Sieg. Es gibt relativ wenig Kritik an den vier Moderatorinnen und Moderatoren, wobei Peter Kloeppel von RTL in den Social Media gefühlt am schlechtesten bewertet wurde. Das Urteil lautete auf "Ach, der war auch da?".
Raab bekommt recht gute Noten von uns Lehrern Journalisten, deren Aufgabe angesichts der für jedermann existenten Möglichkeiten, mit Senftuben zu spritzen, darin besteht, die mehrwertigste Zusammenfassung dessen zu verfassen, was ja alle selbst gesehen haben. Etwa bei Taz.de, bei der Bild-Zeitung, bei Zeit.de oder im Ticker von Welt.de: "20.46 Uhr Kommentar von Ulf Poschardt: Stefan Raab macht das sehr gut." Sueddeutsche.de nennt ihn, ein Raab-Zitat aus der Sendung, "King of Kotelett", an anderer Stelle heißt es dort von Johan Schloemann: "Stefan Raab tat gar nicht weh, er war sogar ein belebendes Element."
SZ-Chefredakteur Kurt Kisters Einlassung vom Samstag (Seite 2), es sei zwar volkspädagogisch sinnvoll, dass Raab neue Wähler für das Duell und dann vielleicht auch für Politik begeistere, aber beim nächsten Mal könnten dann ja auch die Geissens mitmischen, war allerdings auch am Samstag schon nicht ganz richtig: Raab ist so wenig die Geissens wie Blome die Einspalter auf den Blitzer- und Lidl-Seiten der Bild-Zeitung vollschreibt.
Während die Moderatoren insgesamt gelobt werden, wird allerdings die Moderationsanlage stark kritisiert, von Schloemann etwa:
"Es fehlt jede Konsistenz in der Gesprächsführung."
Oder von Petra Sorge bei Cicero.de, die kritisiert:
"Merkel moderiert sich selbst. Steinbrück klartextet. Und vier Moderatoren auf halb so viele Wahlkämpfer loszulassen, ist keine so gute Idee."
Stefan Niggemeier bloggte, weil er das wohl schon vorher ahnte, den Vorschlag, das Duell in Zukunft ohne Moderatoren zu veranstalten, dafür mit einer Art Schachuhr. Ein Vorschlag, den Stefan Kuzmany bei Spiegel Online – auch er eher tiefbegeistert über die Debattenkonstellation – gutheißt:
"Nach dem Duell kann man Niggemeier nur Recht geben – was allerdings nicht als Vorwurf an die vier Fragensteller zu verstehen ist. Auch wenn mehr als einmal der Eindruck entstanden ist, dass die schiere Anzahl der Frager auch zarteste Ansätze einer Debatte schon deshalb sofort erstickten, weil ja der oder die nächste mit seiner oder ihrer nächsten, gewiss schön ausgedachten Frage drankommen musste – es liegt nicht an Maybrit Illner, Anne Will, Peter Kloeppel und Stefan Raab, dass das Duell kein Duell war. Es liegt am System."
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+++ Um aber zu den Online-Formaten zu kommen: Zu einem nicht abgeschlossenen Ereignis wie dem TV-Duell gab es erwartungsgemäß Live-Ticker oder -Blogs. Bei Taz.de hat man verstanden, worum es bei dem TV-Duell im Kern geht, nämlich um die Frage, wie man sich selbst dazu verhält. Also tickerte man statt der Duell-Aussagen das soziale Ereignis, das auch im dem Hörensagen nach rammelvollen taz-Café übertragen wurde:
"21.17 Uhr, taz-Onlinebunker: 'Puh, nur noch 15 Minuten.' – 'Nene, das geht bis 10.'"
Faz.net überraschte mit einem vergleichsweise raren Live-Ticker-Auftritt, der ein wenig traditionell-politikjournalistischer und auf das Gesagte bezogener war als jener der taz. Die größten Überraschungen dabei: dass der Ticker, im Nachhinein gelesen, nicht mit dem letzten Eintrag von 22:36 Uhr beginnt, sondern um 15:41 Uhr, und dass der dritte Tickereintrag von Googles Pressestelle stammen darf. Zum Teil originell getextete Liveblogs gab es auch bei Tagesspiegel.de ("Endstand bei ProSieben: Die Zuschauer des Privatsenders sehen Merkel mit 51 Prozent vorne. Steinbrück kann einpacken"), Berliner-zeitung.de, Sueddeutsche.de, Zeit.de ("Um 22.55 Uhr dann endlich die lang ersehnte E-Mail der CDU-Geschäftsstelle: 'Mit viel Sachverstand, sympathisch im Auftritt, vor allem aber mit großer Glaubwürdigkeit hat Angela Merkel das TV-Duell geprägt und klar für sich entschieden.' Dann wäre das auch geklärt") und, wie bei Faz.net in chronologischer Ordnung, Welt.de – wobei das Blog hier "kommentiertes Protokoll" heißt, und dann passt das. Im Nachhinein liest es sich in dieser Reihenfolge halt ein wenig umständlich.
Andererseits soll man ja im Nachhinein wohl auch gleich was anderes lesen, das ist der Witz am Beitragsdauerfeuer; etwa die formattechnisch betrachtet tageszeitungsmäßigen, wenn auch natürlich schneller veröffentlichten Nachbereitungen (z.B. Faz.net, Taz.de, SZ.de) usw. usf. (Falls mal jemand nachweisen will, dass das Altpapier nicht vollständig ist, heute wäre ein guter Tag.)
+++ Interessant und für spezielle Anlässe zukunftsträchtig sind die erwähnten Faktencheckformate, etwa bei Tagesspiegel.de, Welt.de und Sueddeutsche.de. Dazu bei Sueddeutsche.de der schon verlinkte "Rhetorik-Check" von Feuilleton-Redakteur Johan Schloemann und der "Performance-Check" von Spiegel Online – offenbar ist der Check das frischste Online-Checker-Must-Have. Auch innovativ: Die vielen Beteiligungsbitten an die Leser und Meinungs-Multiple-Choice-Tests. Am Sonntagnacht verschickte etwa die Wochenzeitung Die Zeit eine Mail an Leser mit dem freundlichen Angebot, an der Umfrage zum Kanzlerduell teilzunehmen, und mit der Aussicht, anschließend als Abonnent geführt zu werden.
Dazu kommen eine Reihe Spielereien. Die Gimmickidee von Zeit.de, die User um Tweets mit #merkelminus, #merkelplus, #steinbrückminus und #steinbrückplus zu bitten, um damit die Aussagen der Kandidaten zu bewerten, ist methodisch vielleicht nicht ganz die hohe Wissenschaft und damit im Ergebnis vor allem als Beitrag für die eigene Leserbriefspalte zu verstehen. Und eine Twitterstatistik zum TV-Duell, eingebunden von Berliner-zeitung.de oder Sueddeutsche.de, sagt naturgemäß mehr über Twitter als über das TV-Duell. Die Frage, wie das Netz die Lage sieht, stellen etwa Heute.de, Sueddeutsche.de oder Tagesspiegel.de, zum Teil inklusive Verweis auf Google-Suchstatistiken und Twitter-Trends (#halskette); bei Heute.de gibt es einen "Netzradar". Routinierte Medienbearbeitungen, die auch begründet sind, wenn das Duell "das TV- und Twitter-Ereignis im Wahlkampf" ist, wie Zeit.de zusammenfasst. (Update 11:45 Uhr: Ole Reißmann schreibt, Twitter sei nicht "das Netz", und von einer "Second-Screen-Twitter-Blase"). Der Wahrheitsfindung dienlicher sind sicher diverse Fragen, die das Medienereignis aus dem Medienzusammenhang herausholen: Wie sieht man die Lage dort, von wo man keine Daten hat, wo aber angeblich auch gewählt wird? Das wäre dann der Job der Meinungs- und Wahlforscher.
Allerdings brachten auch deren repräsentative Umfragen über den Duellausgang am Sonntagabend keine Resultate, die man sich tätowieren lassen sollte: Die ARD-Blitzumfrage nach dem Duell ("Wen fanden Sie insgesamt überzeugender?") sah Steinbrück knapp als Sieger (49 Prozent), Merkel lag bei 44 Prozent. Das ZDF dagegen ("Wer hat sich besser geschlagen?") sieht Merkel vorne (40 Prozent der Befragten), Steinbrück nur 33 Prozent (siehe Bild oben). Das handfeste Ergebnis eines Duells, zu dem es so viele Zahlen gibt, dass man fast glauben könnte, es wäre nicht alles, was geschrieben, gesagt und gemeint wird, butterweich, lautet demnach: Steinbrück liegt exakt irgendwo zwischen 33 und 49 Prozent.
Eben noch veröffentlicht: Altpapier-Autor Christian Bartels Überblick über das sich dem Duell anschließende Fernsehtalk-Geschehen bei Handelsblatt.de. Und alles, was sonst wichtig war, steht bei der Titanic online.
+++ Um das auch noch zu erwähnen: Quotensieger der fünf (Phoenix!) übertragenden Anstalten war, to whom it may concern, die ARD +++
+++ "Feuer unterm Dach", schreibt die Samstags-FAZ, etwas größer ist der Text in der FAS: Beim Spiegel sammeln Redakteure Unterschriften für die Abwahl der Mitarbeiter KG. Dazu kommt eine Einordnung bei Carta und eine Einschätzung des Bloggers, der sich Gregor Keuschnig nennt. Ansonsten kleines Päuschen an dieser Front +++
+++ Der Spiegel himself bringt einen ausführlichen Text über die Funke-Gruppe. Die Älteren erinnern sich: The Group formerly known as WAZ (TGFKAW), neuerdings known as Funke (Altpapier) hat für etwa zehn Gareth Bales einige Zeitungen von Axel Springer gekauft. Die Gruppe wird in der neuen Struktur dargestellt als harmonischer als je; und zum Kauf der Medien schreibt Markus Brauck: "(N)atürlich ist es auch eine Art Wette gegen Springer. Ob es am Ende wirklich mehr Geld bringt, aus Teilen des Stammgeschäfts auszusteigen und den Erlös in einem Metier anzulegen, in dem man eigentlich Fremder ist. Oder ob es – so die strategische Entscheidung der Funke-Leute – klüger ist, in dem Geschäft zu bleiben, von dem man etwas zu verstehen meint". Was wird geschehen? "In jedem Fall werden die Funke-Leute ihre alten und neuen Blätter mit kühlem Blick auf Rendite trimmen. Vor allem bei den Zeitschriften wird das Arbeitsplätze kosten" +++ Eine weitere Medienwirtschaftgeschichte steht im Hamburger Abendblatt und handelt von der Taz: "Wie aus dem 'Mitgliederinfo Nr. 23' der taz Verlagsgenossenschaft hervorgeht, mussten die Genossen im Dezember 2012 eine Million Euro nachschießen, 'da der Verlag sonst zum Jahresende buchmäßig überschuldet gewesen wäre'" +++ Die Taz wiederum interviewt ZDF-Chefredakteur Peter Frey zum Sparkurs seines Hauses, und der sagt darin auf die Frage "Leidet die Politikberichterstattung des ZDF?", wie er Qualitätsverluste verhindern wird: "Wir werden jede Pressekonferenz besetzen, die besetzt werden muss" +++
+++ David Frost ist gestorben, der Nixon zur Watergate-Affäre interviewte. Nachrufe stehen etwa im Tagesspiegel und in der SZ +++ Wie man Politiker interviewen kann und wie man es auch tun kann, arbeitet Thomas Schuler in der Berliner Zeitung auf, anlässlich des WDR-Gesprächsversuchs mit Barbara Stamm und des freundlichen Empfangs... anderer Reporter durch Horst Seehofer +++
+++ In der New York Times schreibt ein Karl-Theodor zu Guttenberg, Deutschland wolle in Sachen Syrieneinsatz "mal wieder eine Sonderrolle" einfordern +++ Um bei Auslandsthemen zu bleiben und etwas genauer ins Medienressort zu gucken: Der Tagesspiegel schreibt über Fernsehen in Nordkorea ("Propaganda und endlos Dokus über die Herrscherfamilie") +++ Die SZ berichtet über Blogger im Kampf gegen mexikanische Gangs +++
+++ Und im Fernsehen: Die FAZ bespricht "Unheil in den Bergen" (ZDF, 20.15 Uhr): "Und so ist es am Ende nicht die Natur, die alles unter sich begräbt, sondern klischeehafter, mit Hysterie aufgeladener Kitsch" +++
Das Altpapier gibt es am Dienstag wieder.