Die Strapse der Ex des Whistleblowers

Die Strapse der Ex des Whistleblowers

Griechenland schließt binnen weniger Stunden seinen staatlichen Rundfunk. Die Bild-Zeitung hat ihr Paywall-"Revolutiönchen" begonnen. Außerdem: die Resterampe der Titanic, Burdas "Fleischporno".

Die heftigste Medien-Meldung gibt es einstweilen nur als Agenturmeldung:

"Die Regierung in Athen hat am Dienstag überraschend beschlossen, den staatlichen Hörfunk sowie das Fernsehen zu schließen. 'Es wird eine neue TV- und Radio-Institution geben', sagte Regierungssprecher Simos Kedikoglou. Die Ausstrahlung der staatlichen Sender sollte bereits in der Nacht zum Mittwoch beendet werden. Insgesamt könnten rund 2900 Techniker, Angestellte und Journalisten ihre Arbeit verlieren. Geschlossen werden drei landesweit ausgestrahlte TV-Programme, sieben landesweit ausgestrahlte Radioprogramme sowie 19 regionale Radiosender."

"Der Sender sei ein außerordentliches Beispiel für 'fehlende Transparenz“ und 'unglaubliche Ausgaben'. 'Das wird nun ein Ende haben', sagte Kedikoglou",

heißt es in einer Zwei-Agenturen-Meldung.

"Noch in der Nacht wurde ein Sender nach dem anderen abgeschaltet, Tausende gingen auf die Straße",

meldet am ausführlichsten faz.net, ebenfalls via Agentur.

Der Vollständigkeit halber muss hinzugefügt werden, dass eine neue Rundfunkanstalt mit gut einem Drittel des bisherigen Personals neu gegründet werden soll. Die Heftigkeit der Meldung rührt, von der hohen Zahl der Betroffenen abgesehen, in den Augen deutscher Medienbeobachter natürlich daher, dass hierzulande Veränderungen, die den öffentlich-rechtlichen Rundfunk betreffen, mehrere Jahre, nachdem sie in 16 Landesparlamenten diskutiert und in Staatsverträge hineingeschrieben wurden, dann kleinere oder größere Teilöffentlichkeiten mehr oder weniger aufregen. Und in Griechenland kann am Abend verkündet werden, dass in der folgenden Nacht der gesamte staatliche Rundfunk erst mal dicht gemacht wird. [Achtung: Nebenstehendes Foto hat rein gar nichts mit diesem Absatz zu tun, sondern mit diesem viel weiter unten.]

Ausführliche, vergleichende Analysen insbesondere der Kennziffern werden nun gespannt erwartet, vor allem, weil der Tonfall mancher Aufregung über den deutschen öffentlich-rechtlichen Rundfunk ("unglaubliche Ausgaben...") ja doch vergleichbar ist.

[+++] Wobei gespannte Erwartung in der Echtzeit-Ära auch nicht mehr ist, was sie mal war. Hätten Sie gemerkt, dass gestern ein in manchen Teilöffentlichkeiten sehr gespannt erwarteter "für den deutschen Journalismus... wichtiger Tag" (Jakob Augstein) war? Die Bild-Zeitung hat im Internet mit der Errichtung ihrer Paywall begonnen.

Das Angebot in Augenschein genommen haben Ulrike Simon für die Berliner Zeitung und Claudia Fromme für die Süddeutsche (S. 31, derzeit nicht frei online). "Praktisch sieht das Revolutiönchen an Tag eins so aus, dass etwa zehn Prozent kostenpflichtig sind", schreibt diese und rät mit fast schon F.J. Wagnerscher Deutlichkeit ("Bei manchem ist man froh, dass das Elend weggesperrt ist, bei manchem ärgert man sich, wenn man zahlt...") vom Online-Abonnieren ab.

Simon hat sich die nicht gratis erhältlichen Inhalte intensiver angeschaut:

"Waagen und Widder sind 'sich magnetisch anziehende Paare'. Leidenschaft pur, verspricht das 'Bild-Liebeshoroskop'. Dazu passend: 'Unterwäsche für jedes Sternzeichen', mit Verweis auf gofeminin.de. Gofeminin ist ein hochprofitables Portal, das Springer vor Jahren gekauft hat."

Außerdem habe es vergleichsweise Exklusives u.a. um Michael Schumacher und Jan Josef Liefers gegeben, den singenden Fernsehdarsteller, der in Berlin über seine Reise in den syrischen Bürgerkrieg berichtet hat (Fromme in der SZ: "der sich in Syrien als PR-Außenminister geriert"). Was die eigentliche Idee des Springer-Angebots sei: "Immer wieder wird der Leser eingeladen zu kommentieren oder einem Thema zu 'folgen'" und seine Vorlieben zu nennen:

"Von Kioskkäufern der gedruckten Bild wusste Springer nichts. Jetzt erfährt der Konzern individuelle Vorlieben, Interessen und Meinungen der Bild-Plus-Abonnenten. Springer wird sich das Wissen zunutze machen",

glaubt Ulrike Simon.

[+++] An Tagen wie diesen müsste man selbst einen Blick in zu 90 Prozent ja frei zugängliche bild.de-Angebot werfen. Falls es ein kuratierter sein soll: Hier gibt's Abo-Infos ("Für reine Nachrichten muss der Leser nichts bezahlen. Aber das, was nur Bild kann und nur Bild hat..."); besonders zu empfehlen die allerdings kleine Klickstrecke "Das sagen Promis zu BILDplus" (Sylvie van der Vaart: "... eine sehr sehr schöne, angenehme Website. BILD.de, ihr seid sicherlich Geld wert").

Medienjournalistisch interessierende Inhalte sind gratis erhältlich: Hier z.B. ein Artikel über den Besuch Henry Kissingers im "Berliner Journalistenclub" im Springer-Hochhaus. Auch wieder dabei war der Springer-Buddy Philipp Rösler (und was immer sich gegen den sagen lässt: Die dumpfen Späße aus der sozialdemokratischen Springer-Connection, von denen u.a. die SZ-S.3 und SPON berichten, nehmen wiederum für Rösler ein).

Dann noch ein heißer Herbert-Bauernebel-Artikel über das Thema Nr. 1 der globalen Digitalsphäre: "Amerikas Staatsfeind Nummer 1/ Diese hübsche Ballerina ließ Snowden zurück" ist illustriert mit einem Foto der Freundin oder Ex-Freundin Edward Snowden wohl aus ihrem derzei nicht erreichbaren Blog lsjourney.com. Es ist nicht ganz das Foto, das Bauernebel detailverliebt beschreibt:

"Mit einer Serie an sexy Bildern will sie Snowden offenbar daran erinnern, was der junge, idealistische Mann, den sie in ihren Internet-Einträgen stets schlicht 'E' nannte, alles aufgab. Auf einem Foto sitzt sie in Strapsen, rosa Unterhöschen und mit einem Magazin vor den entblößten Brüsten auf einem Stuhl."

Aber so ähnlich ist es. Zeichen dafür, dass diese und weitere Fotos ("wie das Paar vor einem Wasserfall badet") hinter der Paywall zu haben wären, enthält der Artikel nicht. Raffiniert indes Bauernebels Wortspielchen, Snowden sei "Leiharbeiter der Firma 'Buzz Allen Hamilton'" gewesen, das sich, falls es eines ist, auf Booz Allen Hamilton (Altpapier, Marc Pitzke bei SPON) bezieht.

[+++] Rund um Snowdens Enthüllungen wird weiterhin in vielen Ressorts vieler Universalmedien vieles geschrieben. Zum gestrigen FAZ-Interview mit Schleswig-Holsteins Datenschützer Thilo Weichert ("Wir empfehlen dringend, keine us-amerikanischen Dienste zu nutzen"), das inzwischen frei online steht, bemerkt Don Alphonso in seinem FAZ-Blog:

"Kein Google mehr? Dann sollte man auch die FAZ nicht mehr lesen, denn hier wird mit Google der Besucherverkehr gemessen, und auch Google Ads rufen Daten ab. Twitterbutton, Facebookbutton, Google Plus, alle bekommen sie mit, dass hier etwas passiert, und die Werbewirtschaft ist ohnehin gnadenlos, wenn es um den Einsatz von Trackern geht. Niemand hat Sie dafür um Erlaubnis gefragt? Tja. Das ist so üblich, mich hat da auch keiner gefragt, das machen alle, hier, bei den Kollegen, und besonders doll treiben es da der Guardian und die taz - hier mal eine Liste dessen, was die Berliner auf ihre Leser an Trackern, Zählern, Datenabfragern und Schnüfflern so loslassen"

Und dann zählt er von AdScale bis Yieldlab alphabetisch 21 Tracker auf, zu deren Totschlag er per Überschrift (unter Bezug aufs 14. Jahrhundert und Shakespeare) aufruft.

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Sascha Lobo kommt bei SPON mit Spatzen und Tauben und schießt sich lieber auf den hiesigen Polizeigewerkschaftsvorsitzenden als auf kalifornische Konzerne ein. Patrick Bahners zitiert auf der FAZ-Medienseite aus dem Blog "The Audacity of Despair" des "The Wire"-Hauptautors David Simon, der in einem launigen Q & A ("... Q: The fuck? - A: Think about it in terms of realpolitik") ebenso für Online-Überwachung ist wie der britische Moralphilosoph Tom Sorell in einem anderen Blog (Tagesspiegel).

Überblicke geben zu wollen, wäre sogar im Altpapier vermessen. Um wenigstens eine kräftige Gegenposition zu zitieren: "Wer bisher noch Zweifel hatte, ob wir in einem Überwachungsstaat leben, darf sie seit den Prism-Enthüllungen vom vergangenen Freitag getrost ad acta legen" (Karsten Gerloff, netzpolitik.org).

[+++] Damit zu Friedrich Küppersbusch, dessen neue Fernsehshow "Tagesschaum" wie gestern so auch heute kritische Beachtung erfährt.

Die Süddeutsche widmet ihm ein liebevolles Porträt inklusive akribischer Beschreibung der ersten Sendung vom Montagabend unter dem Titel "Die Aufklärungsdrohne" (dass "Aufklärung" ein besonders missverständliches Wort ist, das Geheimdienste wie die NSA ebenfalls verwenden, schrieb ich gestern im Altpapierkorb..). In jedem Fall instruktiv distinktiv sind darin die Genre-Bezeichnungen zur Abgrenzung des Küppersbusch-Formats:

"Und jetzt ist offenbar die Zeit gekommen, da keiner mehr ernsthaft glaubt, man könne den Leuten mit Keif-Kabarett ('Neues aus der Anstalt') und Merkt-denn-keiner-was-hier-los-ist-Satire (Dieter Nuhr) erklären, wie politisches Denken im Fernsehen darzustellen sei",

schreibt Hilmar Klute optimistisch. Sein Fazit zum ersten "Tagesschaum":

"Aber Küppersbusch will ja mit seinem kleinen Aufklärungsprogramm auch sagen, dass Politik ein großes Gemisch aus Tapsigkeit, Dösigkeit, Wurschtelei und Redundanz."

Die Gegenposition bezieht Michael Hanfeld knapp in der FAZ (S. 31):

"Das ist eher die Resterampe von 'Titanic' als eine Satire, die das werktägliche Einschalten lohnt",

und was immer sich gegen Hanfeld einwenden ließe, er ist einer, der oft auch das Umfeld beachtet, also am Montag nicht nur "Tagesschaum" sondern auch die vorhergegangene Sendung ansah:

"Dass der WDR sich in seinem dritten Programm auch mal was traut, kann man nur begrüßen. Man giert ja geradezu nach jeder noch so kleinen Veränderung im kanalübergreifenden Einerlei. Doch ein bisschen mehr als das Magazin 'Westend' und der anschließende Satire-Kommentar zum Tage im 'Tagesschaum' von Friedrich Küppersbusch darf es schon sein."

Recht salomonisch in der Mitte dieser beiden Positionen zu "Tagesschaum" liegt Peer Schader (BLZ). Und falls Sie nun denken, da "Tagesschaum" ja dreimal wöchentlich läuft, heute abend könnte man sich das dann mal anschauen: Nö, dem ist nicht so, die zweite Ausgabe lief schon gestern spät, ist aber hier zu haben.
 


Altpapierkorb

+++ Der versprochene "Fleischporno": Ein "Fleischporno für Besserverdienende" sei die Gruner + Jahr-Zeitschrift namens Beef, und der neue Burda-Titel Meet "ist die billige Kopie von Beef", schreibt erneut Claudia Fromme auf der SZ-Medienseite, und zwar im Rahmen einer Doppelbesprechung zweier neuer Burda-Zeitschriften. Die zweite heißt Free Man's World, "das auch seit ein paar Tagen mit einer Auflage von 100.000 Heften auf dem Markt ist und im Gegensatz zu Meet eine neue, ganz eigene Nische im Wachstumsmarkt Outdoor füllt: ein Heft für Naturburschen mit Omega Speedmaster". +++

+++ Bayerisches Bonusmaterial zu allen Überwachungsstaat-NSA-Prism-Debatten: die Geschichte, wie wegen zwei  Beamte der Polizeiinspektion Ottobrunn bei einer Medizinprofessorin wegen eines Tweets vorbeischauten (gutjahr.biz). +++

+++ Der "verrückte Innovationssender ZDFinfo" ist noch ein Peer-Schader-Thema, nun im Fernsehblog. Es geht um das Hitler-Faible des Digitalnischensenders, aber auch um sein Aushängeschild, die gerade 100 Ausgaben alt werdende Sendung "Log in", den  "einzigen gesellschaftspolitischen Talk im deutschen Fernsehen, dessen Moderatoren Social Media kapiert haben".  +++ Das ZDF glaube zwar, "eine Sendung, die das Fernsehen mit dem Internet verbindet", gefunden zu haben, doch "das ist leider ein tragisches Missverständnis", würde Stefan Schulz auf der FAZ-Medienseite sagen. Eins seiner Argumente: "'log in' sei eine 'Pro-contra-Sendung mit einem Wettbewerbscharakter', sagt der Moderator [Wolf-Christian] Ulrich. Die Zuschauer sollen eine Diskussion führen und einen Gewinner küren. Doch auch das ist ein Trugschluss. Im Internet ist die Pro-und-Kontra-Debatte inzwischen nämlich abgelöst worden von der freien Assoziation". Hm. +++

+++ Klassisch-repräsentativ im Rahmen einer Emnid-Umfrage für das Bauer-Blatt auf einen blick haben 1.007 Menschen bzw. "Deutschlands Frauen" gevotet und Günther Jauch zum zweitschönsten Fernsehmoderatordes Landes gekürt. Darauf muss natürlich Joachim Huber (Tagesspiegel) reagieren. Hier gibt's alle Namen der 20 Schönsten. +++

+++ Außerdem ist Huber schon gespannt auf den nächsten Teamworx-Kracher: "George" mit George als George, also Götz als Heinrich, "am 24. Juli im Ersten".

+++ Keiner glaubt mehr ernsthaft an Keif-Kabarett und Merkt-denn-keiner-was-hier-los-ist-Satire? Der war gut, Hilmar Klute. Jetzt kommt Jörg Thadeusz als Olli-Welke-Urlaubsvertretung, und der Tagesspiegel weckt Vorfreude: "'Durchgedreht!' ist ein neues Comedyformat mit Drehbühne und fünf Spaßvögeln, die sieben oder acht Sketche ohne Drehbuch spielen, die spontan und auf Zuruf kleine Geschichten zu aktuellen politischen oder bunten Themen erfinden. In der ersten Sendung wird es unter anderem um das Drohnen-Debakel des Verteidigungsministers Thomas de Maizière gehen". Was sagt der zuständige "ZDF-Comedy-Chef" Stephan Denzer? "Es darf auch mal nach Kindergeburtstag riechen", und er hoffe "auf lustige Sommerloch-Themen.... Krokodile im Rhein zum Beispiel." +++ Wer als Gast mit im Boot der oben erwähnten Thadeusz-Show ist: Carolin Kebekus (siehe Altpapier). Sie erhält nun noch einen kräftig Schub PR von den sehr katholischen Pius-Brüdern, weiß der Kölner Stadtanzeiger. +++

+++ Noch eine breit vermeldete, je nach Zielgruppe sehr oder kaum relevante Meldung, die es bei der SZ sogar auf die (Druck-)Titelseite schaffte: Der Brockhaus wird eingestellt, und zwar vom Lexikonverlags-Eigentümer Bertelsmann. Vielleicht ist der Internetauftritt der Frankfurter Rundschau eine passende Umgebung, um die Agenturmeldung zu lesen. +++

+++ Und "ein wunderbares Sittenbild der Republik", das Hans Leyendecker, dem "großen alten Mann des investigativen Journalismus", in nur einem Absatz kürzlich in der Süddeutschen gelang, würdigt Wolfgang Michal bei Carta. Wobei das Würdigen aber nicht sein Hauptanliegen ist. +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.

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