Ist das noch Qualitätsjournalismus? Claus Kleber muss sich Horst Seehofer gefallen lassen. Ad-Blocker und TatortWatch sind neue Tools, die diskutiert werden. Der Fernsehredakteur und Dokudrama-Miterfinder Horst Königstein ist gestorben. Und Angela Merkel guckt im Kino ihren Lieblingsfilm im Wahljahr
Nachdem gestern hier schon auf das beliebte der Feld der Journalismussimulation verwiesen wurde, diskutiert es sich heute munter weiter in der Angelegenheit Claus Kleber. Der zeigte sich bekanntlich reumütig, nachdem er fälschlicherweise behauptet hatte in der Anmoderation eines heute journal-Beitrags, aus dem Einspielfilm eines CSU-Beitrags sei Uli Hoeneß rausgeschnitten worden.
Für die CSU ist, auch das wurde gestern hier schon erwähnt, die Stunde günstig, was wiederum in dem wunderbaren Satz Horst Seehofers in Richtung ZDF gipfelt, den in der SZ Mike Szymanski reportiert:
"'Das hat alles mit Qualitätsjournalismus nichts mehr zu tun', beschwerte sich Seehofer am Montag vor der Sitzung des Parteivorstandes im Kamerapulk."
Man wird umgehend von der tiefen Traurigkeit befallen, dass Bernd Pfarr so früh gestorben ist – sonst hätte er das Reden des Journalismus über sich selbst umgehend in einem Remake eines seiner berühmtesten Bilder (das in dieser Diskussionsrunde null verstanden geschätzt wird) festhalten können: "Ist das noch Qualitätsjournalismus?"
Das fragt man sich als Medienbeobachter tagein, tagaus, und wie toll wäre es jetzt, mit so einem sickig-angeschossenen Seehofer durch den deutschen Blätterwald zu spazieren und im Bestimmungsbuch nachzuschlagen, was sich da so findet.
Qualitätsjournalismus ist ja meistens dann, wenn der Journalismus von sich selbst spricht, irgendwas will und/oder sich bedroht fühlt.
Hübsche Variation bei dieser Ad-Block-Kampagne:
„Unsere 70 Redakteurinnen und Redakteure bieten Ihnen an 365 Tagen im Jahr vielfach preisgekrönten Online-Journalismus mit höchstem Anspruch."
Zitiert Kurt Sagatz im Tagesspiegel eine Selbstbeschreibung von der zeit.de, die – vielleicht ist sie auch so klug, das Wort mit der "Qualität" bewusst nicht benutzen zu wollen – Qualitätsjournalismus nicht sagen kann, weil der in der landläufigen Verteidigungsverwendung zumeist ans Papier gebunden ist.
"Vielfach preisgekrönt" klingt aber auch schon mal wichtig. Zumal wenn man bedenkt, dass das tägliche SpOn-Surfen von des Lesers Seite gar nicht so auf preisgekrönte Texte aus ist, sondern Info Fast Food will, das kurz kickt und von der Arbeit ablenkt.
Die Reaktionen auf die Ab-Block-Kampagne fallen dagegen zumeist positiv beziehungsweise unentschieden aus, zumindest so wie Sagatz sie im TSP zusammenfasst:
"Überwiegend verständnisvoll waren auch die ersten Reaktionen auf Twitter: 'Gibt’s eine Möglichkeit, Seiten trotz Adblock was Gutes zu tun?', fragt ein Twitterer. 'Noch sind die Bitten Adblock auszumachen weniger nervig als die Werbung', schreibt ein anderer. Dagegen beschwerten sich andere Twitterer mit Statements wie 'Spiegel Online drückt auf die Tränendrüse' und 'Na toll, @FAZ_NET bittet mich den adblock auszuschalten, nur damit dann irgendein flash content crashed'."
"Überwiegend verständnisvoll" ist der viel schönere Ausdruck als "vielfach preisgekrönt", er ist auch relativ selten als mediale Reaktion.
Der neueste Scheiß einer Gruppe von Grünen, TatortWatch auf Twitter, kann auf solche Aufnahme schon mal nicht hoffen. TatortWatch will angeblich durch seine kritische Fernsehbeobachtung das Interesse für die Bürgerrechte wecken:
"Auch die Polizei muss Menschen (sic) die sie befragt (sic) über ihre Rechte belehren."
Echo ist, wenn's um Politik geht, garantiert. Die CDU zum Beispiel findet's nicht so, wie auch ein Bericht im Handelsblatt nahelegt:
"Der Twitter-Aktion der Grünen stößt bei Vertretern der anderen Parteien auf Unverständnis. Christian Soeder, Vorstandsmitglied der SPD Rhein-Neckar, beklagt sich über 'grünes Nannytum'. Der Generalsekretär der CDU, Hermann Gröhe sieht ein 'grünes Bevormundungsprojekt'."
Natürlich wissen die Beteiligten und Initiatoren – der Büroleiter von Volker Beck, Sebastian Brux –, dass sie dem Tatort als Film so nicht kommen können und Drehbücher auch nicht vorgelegt kriegen wollen. Was dann aber doch verwundert, dass sich nicht Mühe gegeben wird, eine irgendwie entspanntere Sprecherposition zu finden: "Darf der Tatort das?" geht als Frage für das, was TatortWatch vorgibt zu wollen, jedenfalls vorbei.
Und lustigerweise ist wirksamer als das Genöle des politischen Gegners, TatortWatch die eigenen Ungenauigkeiten nachzutragen. Was unter dem Fazit von gestern –
"Wenn man mal von den fehlenden Belehrungen absieht, war die Polizei heute ganz korrekt"
– gleich drei Kommentatoren tun.
Wenn die Grünen am Ende also nur Werbung für sich selbst machen wollen auf dem Ticket der beliebten Fernsehreihe, dürfte die Kavallerie, die Prof. Henke schickt, nicht lange auf sich warten lassen.
Zurück zu Claus Kleber. Der hat ja eine auch irgendwie prekäre Sprecherposition, die Michael Hanfeld in der FAZ recht gut beschreibt:
"Als Welterklärer gibt er sich, jovial, in ebenjenem Überlegenheitsgestus, den auch andere Moderatoren pflegen."
Und man kann es sich vorstellen, dass mit diesem Gestus geäußerte Falschinformation einfach nicht so cool kommen – wobei der sogennante Witz, der der falschen Anmoderation vorausging, schon bodenlos ist:
"'Selbst bei schummrigster Beleuchtung würde niemand Barack Obama mit Horst Seehofer verwechseln. Dafür sind die beiden doch auf zu unterschiedliche Weise schwarz', witzelte Kleber zu Beginn und verwies darauf, dass aus Werbevideos der Partei eilig Bezüge zu Uli Hoeneß herausgeschnitten worden seien."
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[+++] Horst Königstein, der "Alleskönner des Fernsehens", wie die Jochen Hieber in der FAZ schreibt, ist gestorben – "mehr als der Mann hinter Heinrich Breloer", steht dagegen über dem Nachruf von Klaudia Wick in der Berliner.
Wie er das wurde, was er war, darüber gehen die Meinungen auseinander, klassischer Fall von Erbe-Umwelt-Problem.
Joachim Huber argumentiert im Tagesspiegel eher biologistisch:
"Horst Königstein besaß dieses Gen. Unbedingt besseres Fernsehen machen, unbedingt das Fernsehen besser machen."
Katharina Riehl erklärt in der SZ (Seite 31) Königsteins herausragende Rolle dagegen kulturalistisch:
"Das öffentlich-rechtliche System mit seinem selbst gemachten Quotendruck ist bekanntlich hervorragend dafür geeignet, auch aus extravaganten Ideen sehr durchschnittliche Programme zu formen – weshalb es Menschen gibt, die dort schon allein deshalb Geschichte geschrieben haben, weil sie ein bisschen das machen durften, was sie wollten."
Bei der Konkretisierung von Königsteins Lebensleistung vermerkt Riehl auch:
"Von 1972 an drehte er etwa die 13-teilige Dokureihe Sympathy for the Devil über Jugendkultur; in einem Teil davon, Ringo und die Stadt am Ende des Regenbogens, erzählte Ringo Starr über die erste Zeit einer damals noch sehr jungen Band: der Beatles."
Sehr jung vielleicht, aber ihre besten Jahre hatten die Beatles da schon hinter sich, würden wir jetzt mal als kühne Thesen in den umgekämpften Raum von Popkulturbescheidwisserei stellen.
Schön ist, wie Huber Königstein näherbestimmt:
"Seinem quecksilbrigen Charakter war es zu danken, dass der wieder und wieder ausgezeichnete Königstein über seine 'Heimatabende' im NDR kabarettistische Jahresbilanzen zog. Der Mann war nicht zu fassen, und weil er das nicht war, war er besonders."
Und Klaudia Wick schließt ihre Würdigung mit Königsteins Pleasures, die der Großteil der ARD-Redakteure wohl als guilty empfinden würde:
"Später interessierte sich der promovierte Soziologe für die US-Soap-stars, die er in seiner Reportagereihe „Denver Clan ohne Maske“ besuchte und portraitiert hatte. Die Lust am Trash ist ihm zeitlebens geblieben. Als ihn ein Journalist aus Anlass seiner Pensionierung nach seinen Lieblingssendungen im Fernsehen fragte, bekannte sich der 'Schlaumann' und mehrfache Grimme-Preis-Träger ohne Zögern zu seinem regelmäßigen 'Comedy Central'-Konsum."
+++ An Königsteins Vorlieben anschließend: Was ist gutes Fernsehen? Oder "was vermag Kritik?", wie Rainer Stadler in seiner NZZ-Kolumne fragt. Die fängt an mit den nationalistischen Reflexen zwischen der minderwertigkeitskomplexbehafteten Schweiz und dem ignoranten Deutschland ob des DSDS-Sieges von Beatrice Egli. Führt dann aber rasch ins Existentielle – warum gibt es DSDS? "Die Vorwürfe, diverse Casting-Shows erniedrigten und entblössten Teilnehmer, sind kaum noch hörbar. Wer in die Kritik gerät, muss einfach den Mut oder die Sturheit haben, den Widerspruch zu ignorieren. Kritik hat zumeist den kürzeren Atem. Die Macht der Gewöhnung und der Masse ist stärker. Weil überdies die Teilnahme an solchen Wettkämpfen freiwillig ist, überlebt als kritische Reaktion bloss ein liberalistisches Schulterzucken." +++ Kann man so sagen. Man kann's aber auch so sehen wie ESC-Chef Jon Ola Sand, der in der WamS sagt: "Diese Sendungen gibt es jetzt schon so lange; wenn sie völlig unfair oder menschenverachtend wären, gäbe es sie längst nicht mehr. Da unterschätzen Sie die Zuschauer. Natürlich ziehen diese Sendungen Menschen an, die sich gerne selbst darstellen. Aber das war bei den Fernsehstars der alten Schule genauso." Das Gespräch von Tobias Kaiser ist überhaupt ein Highlight, es findet nämlich in einem Baumarkt statt, für den Sand viel übrig zu haben scheint: "Jetzt ist Sand an der Reihe. Die Frau am Info-Schalter erklärt ihm, dass es hier im Markt leider keine Wandpaneele gibt. Na gut, dann eben nicht. Lassen Sie uns doch wieder zu den Tapeten gehen." Köstlich. +++ Um den Eurovision Song Contest kümmert sich auch die SZ, Hans Hoff ist in Malmö und berichtet gewohnt gallig: "Die Bühne soll an einen Schmetterling erinnern, das Symboltier des mit 'We Are One' überschriebenen Europatreffens. Direkt über der Bühne hängen 14 beleuchtete Stäbchen, die sicher auch irgendetwas symbolisieren sollen, aber auf den ersten Blick wirken wie illuminierte Tampons. Dazu kommen 47 Lampions, die mal ausschauen wie Schneeflocken, mal wie der Schmuck beim Schrebergartenfest." +++ Aber was ein ESC-Aficionado ist, der informiert sich eh ganz woanders – in Blogs, über die Elmar Kraushaar in einem (noch?) nicht online stehenden Text in der Berliner schreibt. +++ Der darin unter anderem erwähnte, diesmal kein Videoblog mit Lukas Heinser auflegende Stefan Niggemeier widmet sich auf seinem Blog der PR von VGWort, die ja unter anderem Denis Scheck zum pseudointellektuellen Cum Shot gebeten hatte. Wenn man so was sieht, ärgert man sich, den Respekt vor Scheck schon verloren zu haben – man hätte ihn gern auch angesichts von einer solch grotesken Äußerung zurückgegeben. +++
+++ Was heute die Schweiz und Deutschland, waren früher DDR und BRD – was Überlegenheitsgepose und Unterlegensheitsgefühle betrifft. Das kann man sich angesichts von Angela Merkels "Mein Film"-Abend von Filmakademie (und FAS, was aber nur FAZ und Filmakademie erwähnen und kein anderer Berichterstatter) am Sonntag in Berlin. Filmkunst 66, "Die Legende von Paul und Paula", und die Kanzlerin in so toller Laune, dass bei Andreas Kilb von der FAZ alle Dämme der Distanz brechen, in Bezug auf Merkel, aber auch in Bezug auf den Defa-Film: "Die Gesprächsreihe 'Mein Film', die die Deutsche Filmakademie gemeinsam mit dieser Zeitung veranstaltet, ist mit diesem Auftritt von einer Idee zu einer Institution geworden. Nach Peer Steinbrück und Margot Käßmann hat die Bundeskanzlerin eine neue Marke für künftige Kino-Redner gesetzt. Sie liegt hoch, sowohl was das Filmische, als auch was das Menschliche betrifft." +++ Holger Schmale und Defa-Stiftungs-Chef Ralf Schenk (der auf dem Bildern immer in der Reihe vor Merkel, zwischen ihr und Andreas Dresen lächelt), verbinden auf Seite 3 der Berliner die Vorführung mit den jüngsten, äh, Enthüllungen um Merkels Leben in der DDR. Dass sich dieser Auftrieb von Evelyn Roll schon 2001 vorhersagen ließ, ist dabei weniger spannend als der Umstand, dass der Text ein gewisses Muster in Merkels Wahlkämpfen ausmacht: Ihre DDR-Sozialisation, die am Sonntag anekdotenreich beschrieben wurde, entdeckt sie immer einmal vor Wahlen: "Und trickreich ist die Wahl von Paul und Paula als Lieblingsfilm, denn er weckt die Erinnerungen von Millionen ehemaligen DDR-Bürgern an eine gemeinsam mit dieser Kanzlerin verlebte Jugend, die sie durchaus gegen das westdeutsche Feindbilddenken verteidigt. Das könnte jetzt wieder einmal nützlich sein. Und das hätte mit der Hollywood-Romanze 'Jenseits von Afrika' nicht funktioniert. Die nannte Merkel vor nicht einmal einem Jahr ihren Lieblingsfilm." +++ Einblick in westdeutsches Wahrnehmen gibt Tobias Kniebe in der SZ: "Es wird viel gelacht. Merkel wirkt zunehmend gelöst, nun scheinbar ganz unter Freunden, die sich – sollten sie damals zufällig im Westen gelebt haben – alle Mühe geben, sich für diesen Abend als Ossis zu imaginieren. Ist das, was hier jetzt entsteht, etwa die vielbesungene Nestwärme der DDR?" Ob Kniebe es noch rausgefunden hat, ist nicht überliefert.
+++ Nicht so lustig: AP soll abgehört worden sein von der US-Regierung (SZ). +++ Über die angeblichen Sparpläne bei Springer weiß Jürn Kruse in der TAZ auch nicht mehr, als im Spiegel stand. Verlinkt deshalb zu Cobi-Info.de: "Die Wellen, die diese Meldung schlug, sind auch bei COBI-Info.de aufgebrandet. Die Seite hat sich längst vom Kampf bei der Computer Bild emanzipiert. Sie ist zu einer Sammlung von Artikeln über Kürzungen und Zusammenlegungen bei Springer geworden." Ein neues SpringerWatchblog? +++ Michael Hanfeld erhofft sich in der FAZ (Seite 31) Klarheit, "wenn Springer Ende des Monats seine Pläne für ein Online-Bezahlangebot der 'Bild' vorstellt. Ein gestaffeltes System ist im Gespräch, dessen kostenloser Angebotsteil möglichst attraktiv sein soll, um die Leser für ein Online-Abonnement zu begeistern." +++ Ebenfalls in der FAZ: Matthias Hannemann über den Fall Gerd Bauer, der als Chef der saarländischen Landesmedienanstalt und der Saarland Film GmbH eine merkwürdige Geschäftspolitik betrieben haben soll: "Jedenfalls schickte er vor einiger Zeit seltsame Vertragsentwürfe an kleine Privatsender, wie selbstverständlich soll Bauer mit ihnen die Vergabe von Übertragungskapazitäten im Kabelnetz an eine Zahlung von 15 000 Euro im Quartal gekoppelt haben. Das Geld sollte der Filmförderung zugutekommen. Wollte der Sender nicht, schickte Bauer eine unmissverständliche Mail hinterher." +++
+++ David Berger kritisiert in der TAZ die Normalität von homophoben Talkshowgästen: "Auch wenn der ausufernde Pluralismus des Internets dazu angelegt ist, dafür die Sinne zu trüben: Das klare Nein zur Hassrede – gerade gegenüber Randgruppen – hat mit der Beschneidung von Meinungsfreiheit nichts zu tun." +++ In der Berliner berichtet Sebastian Moll von der Rückkehr der Times-Picayune als tägliche Druckzeitung in New Orleans, auch durch den Druck der Konkurrenz: "Nun fragt man sich in New Orleans, ob die Times Picayune diesem Wettbewerb überhaupt noch gewachsen ist. Die Redaktion der Picayune, die nach ihrer Berichterstattung über Hurrikan 'Katrina' mit Preisen überschüttet wurde, ist im Zuge der Digitalstrategie massiv ausgehöhlt worden. Die Hälfte der Redakteure wurde entlassen, die verbleibenden Journalisten sind damit beschäftigt, die Website mit schnellen, leicht konsumierbaren Inhalten zu füttern." +++ Kann man immer machen: Die NZZ über Social Media und Politik. "Alle Wahlkampfmanager rechnen damit, dass die Bedeutung sozialer Medien als Teil politischer Kommunikation weiter wachsen wird, da künftig mehr Menschen Smartphones und Tablets nutzen und die klassischen Medien wie Presse, Fernsehen und Radio an Reichweite verlieren." Journalismussimulation oder nur eine einfache Wahrheit? +++
Der Altpapierkorb füllt sich morgen wieder