Ernst Elitz ist zurück und fegt einmal durch: Was schon immer mal gesagt worden ist. In Erfurt wird nun endlich "Tatort" gedreht, das Kleine Fernsehspiel 50 und Marc Bator Sat.1-Debütant
Es ist ja nicht so, dass von dieser Frühschicht etwas Weltbewegendes zu erwarten gewesen wäre: Gestern Feiertag + morgen Wochenende = heute Brückentag. Dazu dieses Wetterchen, und über die re:publica regt sich auch keiner mehr auf.
Was schon am Mittwoch hier zu lesen war. Und was man heute noch einmal in Christian Schlüters launigem Rundgang in der Berliner erkennen kann. Der hält sich zur Hälfte mit dem Zählen von Apple-Rechnern auf, worin man, wenn man so druff ist, das alte Ressentiments als zeitgemäße Grille des Beobachters finden kann. Aber Schlüters Text stellt sich die eigene Harmlosigkeit schon in der Unterzeile aus, wo der Rundgang als "hochselektiv" gleich mal in die drollige Subjektive des Feuilletononkels überantwortet. Und der schlägt das ihm gebotene Schauspiel dann eben nicht mit Verachtung – was in diesem Genre die fiese Variante wäre –, sondern mit einer leicht ironischen, immer aber väterlichen Sympathie:
"Ansonsten stellt sich die Re:publica als aparte Mischung aus Talentcampus, Fachkongress sowie Ideen- und Job-Börse dar, auch als Werbeplattform für digitale Dienstleister oder für Innovationsstandorte, etwa in Baden-Württemberg oder Nordrhein-Westfalen."
Ebenfalls in der Berliner berichtet Daniel Bouhs (Seite 25) noch einmal über die Social-Net-Ambitionen von ARD und ZDF, also "ZDFCheck", was hier auch schon diskutiert wurde, und Tatort+; man kann für die upcoming Stuttgarter Folge schon ab 18. Mai Akten wälzen. Herrlich.
[+++] Tatort ist ein gutes Stichwort, weil es zu dem Text von Thomas Gehringer im Tagesspiegel führt. Da könnte die Brückentagsträgheit etwas Fahrt aufnehmen. Es geht nämlich um den neuen Tatort Erfurt, Anlass ist der Beginn der Dreharbeiten am 14. Mai.
Eigentlich moderiert sich Gehringers Text so durch, wie es sich meist eben durchmoderiert bei Texten, die noch keine Meinung über das darin Angekündigte haben können und von Absichtserklärungen leben: Die Story vom Tatort Erfurt scheint in dieser frühen Phase der Produzent zu sein. Der heißt Michael Smeaton, führt eine Firma namens FFP New Media in Köln und hat sich einen Namen gemacht als Produzent von Rosamunde-Pilcher-Filmen.
Der Gedanke, der sich damit verbindet, ist so naheliegend, dass Smeaton selbst auf ihn kommt:
"Weniger als acht Millionen Zuschauer sollten es nicht sein, das gilt beim 'Tatort' schon als miserable Quote. 'Wenn wir das Klassenziel nicht erreichen, wird man wahrscheinlich sagen: 'Das hätten wir uns doch denken können, wie kann der Schmonzettenproduzent jetzt 'Tatort' machen'."
Wirkt clever, durch Selbstreflektion – "den 'Schmonzettenproduzenten' führt er selbst ins Gespräch ein" – erst mal den Wind aus den Segeln zu nehmen. Ob man zu dieser Allianz Risiko sagen muss, wie der Text das tut, sei dahingestellt. Zumal Tatort doch eigentlich eine Bank sein müsste.
Der Witz an Gehringers Text ist nun, dass man darin Anhaltspunkte für die Geschichte finden könnte, die zum Drehbeginn eigentlich hätte erzählt werden können. Und die journalistisch womöglich aufregender gewesen wäre als die personalisierte von Smeaton.
"Vom MDR hat er 2012 den Zuschlag für die ersten beiden 'Tatort'-Folgen aus Erfurt bekommen, an der dritten wird bei FFP New Media schon gearbeitet. Der Schauplatz, Alter und Charakter der Hauptfiguren, auch die Namen der Darsteller – all das gehört zum Konzept des 'Tatort'-erfahrenen Autors und Regisseurs Tom Bohn."
Hammer-Konzept! Schauplatz, Alter und Charakter der Hauptfiguren drin und sogar die Namen der Darsteller! Alter als Konzept, das klingt nach einer Sensation, die Deutschland in der Welt verändern wird. Man fragt sich, was die anderen 85 Produktionsfirmen eingereicht haben, wenn das hier als Nachricht verkauft wird – Kochrezepte? Strickanleitungen? Shoppingstipps?
Zumal man bei dem "erfahrenen" Tatort-Autor und -Regisseur Bohn (15 Folgen, vor allem für Lena Odenthal und den Cenk-Batu-Vorgänger Casstorff in Hamburg) sehen kann, was einen erwartet. Da macht der MDR nun dieses Bohei mit Ausschreibung (die man ja immer kritisch sehen kann, wie das Fontblog es im Bereich Grafikdesign etwa beständig tut) und Transparenz und neuen Wegen, um Ende auf einen, äh, Routinier wie Bohn zu kommen, dessen letzter Einsatz für den Tatort denkwürdig nur wegen der unfreiwilligem Komik war, die sich damit verband. Innovativ ist ein Attribut, das der MDR so nicht für sich beanspruchen kann.
####LINKS####
Und zumindest stutzig macht die Zeitangabe in Gehringers Text: Drehstart 14. Mai, das ist zwei Wochen nach dem Drehende des ersten Tatort Weimar mit Christian Ulmen und Nora Tschirner, der bekanntlich als Draufgabe aus der Ausschreibung im Oktober letzten Jahres als gebucht verkündet wurde und zu Weihnachten als "Event" ausgestrahlt werden soll. Smeatons/Bohns Erfurt wurde bereits Ende Juli als Gewinner annonciert und muss sich jetzt wohl sputen, wenn der Film noch vor dem aus Weimar, also in diesem Jahr fertig werden soll.
Das kann alles auch ganz banale Gründe haben beziehungsweise so seine Richtigkeit, aber wo im Konzept doch schon Namen, Alter und der Schauplatz standen, hätte man naiverweise gedacht, die sitzen schon lange im Schneideraum.
[+++] Absolutes Highlight heute ist aber die Medienseite der FAZ, bei der uns tatsächlich kurz der Gedanke durchzuckte, in wie kurzer Zeit da der Feiertagsbetrieb geplant wurde:
15.479 Zeichen Ernst Elitz.
Oops, he did again: Ernst Elitz, der erfahrene Journalist, der Tom Bohn des Print-Digital-Medien-Bescheidgewisses, haut mal wieder einen raus.
Wie immer, wenn das passiert, würde man am liebsten wissen, wie genau es passieren konnte, ob so ein Text da womöglich monatelang rumliegt, damit ein in den Urlaub wollender Redakteur zehn Minuten vor dem Rausgehen am Mittwoch die Seite für den Freitag noch fertig machen kann.
Oder ob man einen wie Elitz in tiefster Nacht und größter Verzweiflung dann doch irgendwann anruft, der dann mit der Maus auf seinem Rechner den Ordner "Texte, allgemein" öffnet und einfach was schickt.
Was möglicherweise bei einem Holtzbrinck-Jubiläum nicht gedruckt werden konnte:
"Rerum cognoscere causas, den Dingen auf den Grund gehen. Diese Worte Vergils, noch vor der Geburt Christi geschrieben, vom 1945 gegründeten Berliner 'Tagesspiegel' als Maxime journalistischer Arbeit in den Zeitungstitel übernommen, sagt, worum es geht: nämlich das, was um uns geschieht, für den Leser verständlich zu machen, die Wahrheit hinter Partei-Parolen zu suchen, den Unsinn der Bürokratie aufzuspießen, verlogene Werbeversprechen zu entlarven – das ist Journalistenaufgabe, unabhängig davon, für welches Medium wir arbeiten, und unabhängig von der Technik, die nicht den Kern unseres Berufs ausmacht."
Sorry, die Sätze sind einfach so lang, man kommt da nicht früher raus. Vielleicht gibt es bei Elitz auf dem Desktop aber auch nur ein einziges Word-Dokument, das als Rede gehalten und als Artikel gedruckt werden kann. Deswegen klingt der Text, äh, rhetorisch hintenraus auch offen additiv:
"Deshalb ein Wort zu der Idee, den investigativen Journalismus mit Spenden und Stiftungen zu befördern:...Aber um auch das klar zu sagen:..."
Von der Struktur her ist er sowieso: ein einziges Was-ich-dazu-dazu-und-dazu-saghen-wollte, Senfzugegebe mit der ganzen großen Kelle, alles, was gerade so geschwungen hat (Print, Online, Presseförderung, LSR), kriegt Fett von Elitz ab.
Vermutlich muss man sich das Word-Dokument auf Elitzens Desktop im Original viel länger vorstellen als 15.479 Zeichen – der jeweilige Redakteur schneidet dann einfach da ab, wo die Seite in der Zeitung voll ist. Daraus ließe sich vermutlich die genaueste Bestimmung der qualitätsjournalistischen Maßeinheit "Ernst Elitz" ableiten: 1 Elitz ist grafisch gesehen die letzte Stufe vor der Seite, die weiß bleiben muss.
Weitere Vorteile des Elitz: "Stilgigant" ist sein zweiter Vorname.
"Also weg vom Rückspiegel-Journalismus. Journalismus muss durch die Frontscheibe blicken – wo ist freie Fahrt, wo gibt es Hindernisse, wo droht Gegenverkehr?"
Die eigentliche Würze gibt seinen Texten aber erst die gehobene Allgemeinplatzklugscheißerei:
"Im Grunde hätten die Verleger Google erfinden und die Kommentare aus ihren Blättern in einem gemeinsamen Meinungsportal bündeln müssen."
Es sieht halt wegen der ganzen Buchstaben aus wie ein normaler Artikel. Ob die Sinn ergeben, ist egal. Elitz schafft es, am Anfang seines Schlapses eine Kritik an der Argumentation pro gedruckte Zeitung zu äußern:
"Da müssen wir uns etwas mehr einfallen lassen als das larmoyante Lob der gedruckten Zeitung, als die tägliche Eigenlob-Transfusion."
Um am Ende genau diese Argumentation als Ausweg zu beschreiben:
"Und dann sind da noch ganz prosaische Gründe, die für das Überleben der Print-Zeitung sprechen. Je mehr der Computer in all seinen Formen den beruflichen Alltag bestimmt, desto eher wird sich der Leser in seiner Freizeit nach anderen Lektüremöglichkeiten sehnen."
Widerspruch, ich will ein Kind von dir! Der größte Spaß bei diesem Text ist tatsächlich die Suche nach apodiktischen Formulierungen, die, wenn sie gelten würden, es Ernst Elitz unmöglich machten, solche Artikel zu schreiben:
"Es gibt genügend Möglichkeiten im Netz, seinen Senf abzugeben, und es ist das Recht eines jeden, unerwünschte Gäste von seiner Party fernzuhalten."
Oder auch:
"Glaubwürdigkeit ist ein hoher sozialer Wert."
Wobei man der Ehrlichkeit halber sagen muss, dass eine Perspektive für künftige Texte von Elitz dem Text schon eingeschrieben ist:
"Und der Mensch liebt die Redundanz. Er wiederholt sich gern."
+++ Wolfgang Michal macht sich auf Carta Gedanken über das Verhältnis Online-Print, das aktuell er - kann man sagen? – restaurative Züge trägt: "Es ist auch interessant zu beobachten, dass die Lust auf Gedrucktes bei den Onlinern ausgerechnet in dem Moment wieder hochkommt, in dem selbst die stursten Verteidiger des Gedruckten sich den 'grenzenlosen' Online-Möglichkeiten zu öffnen beginnen." +++ Die TAZ druckt ein Interview mit dem Piratenparteivorsitzenden Bernd Schlömer, der wegen eines Satzes aus einem anderen TAZ-Interview ("'Uns fehlen die Kraft und die Motivation für den Wahlkampf'. Aber das komme bestimmt noch") Shitstorm hatte: "Bei einem Shitstorm glaubt man, die ganze digitale Welt hat was gegen dich. Du seist ein Idiot, du machst alles falsch. Man kann es auch zugeben: Das Gefühl, ein Loser zu sein, ist dann auch immer da." +++
+++ In der SZ (Seite 47) portraitiert Hans Hoff am Brückentag Friederike Kempter, die bekannt ist als Nadeshda Krusenstern aus dem Tatort Münster, aber mehr kann. Ob ihr Potential von der Hauptrolle in einer ARD-Vorabendserie ausgeschöpft wird, bezweifelt Hoff: "Für 16 Folgen waren 120 Drehtage eingeplant, an 117 war sie dabei. Für andere wäre das Stress gewesen. 'Es wird oft als Leistung eines Schauspielers angesehen, in einem guten Projekt mitzuspielen. Das ist keine Leistung das ist großes Glück', sagt sie. Fragt man sie, ob ihr das gefällt, was sie da fürs Hauptstadtrevier gedreht hat, sagt sie 'unterm Strich ja', obwohl sie spürt, dass ihr Gegenüber das Ergebnis nicht gerade für den hellsten Stern am Fernsehhimmel hält. 'Ich wusste, das ist kein Dominik Graf', sagt sie und ordnet ein: 'Am Ende ist es ein Vorabendkrimi. Ich bin zufrieden damit. Ich kann das vorzeigen. Ich habe da eine Figur geschaffen, die lebt.'" +++ Dietrich Leder schreibt in der FK informativ zu 50 Jahren Kleinem Fernsehspiel: "Denn das 'Kleine Fernsehspiel*' trägt seine Bezeichnung nicht, wie manche heute denken, weil es sich Low-Budget-Produktionen oder dem filmischen Nachwuchs widmet, sondern weil es sich in den Anfangsjahren des ZDF, im Programm eingezwängt zwischen Serien und Werbung, in kürzeren Filmen der gediegenen Literatur annahm. Ästhetisch ähnelten die frühen Arbeiten dem klassischen Fernsehspiel, das ja zunächst primär Bühnenwerke in Live-Sendungen aus dem Studio oder später in elektronischen Aufzeichnungen dem Publikum nahebrachte." +++
+++ AP-Autor René Martens berichtet in der SZ vom Vergleich zwischen GEO und dem Autor Christian Jungblut: "Demnach verpflichtet sich Gruner+Jahr, die strittige Fassung von Jungbluts Text nicht mehr zu verbreiten und 60 Prozent der Prozesskosten zu tragen... Welche redaktionellen Eingriffe einem Text schaden und welche ihn verbessert, ist wohl keine Frage, die sich juristisch klären lässt." +++ Joachim Huber gibt im TSP das neue Anforderungsprofil von Marc Bators bei Sat.1 wieder, wo der einstige Tagesschau-Mann heute als Nachrichtensprecher debütiert: "'Wichtig ist, was die Menschen bewegt. Das große Weltgeschehen und die kleinen Ereignisse im Alltag.' Diese relevanten Informationen – kompetent recherchiert und spannend aufbereitet – den Zuschauern zu liefern, sei die Aufgabe der täglichen Nachrichten in Sat 1." Darauf einen Elitz!
Der Altpapierkorb füllt sich Montag wieder.