Das Gängelband ist wieder da

Das Gängelband ist wieder da

Attraktive heiße Luft um "Bild"-Zeitungs-Ikone Kai Diekmann und die vielleicht einmal sinkenden, vielleicht einmal steigenden GEZ-Gebühren, Lob für Öffentlich-Rechtliches, aber auch substanzielle Kritik.

Der unangenehmste Medien-Artikel des Tages steht in der tazzwei und versucht, zum gestern großen Thema der Wulffs-Trennung ein wenig nachzubohren, und zwar sozusagen im Hirn des unter bzw. über der News genannten Bild-Zeitungs-Mitarbeiters, also Kai Diekmanns. Allerdings bohrt er, erwartungsgemäß, derart erfolglos dort herum, dass man sich fragt, was zum Teufel die TAZ eigentlich immer noch reitet bzw. von ob sie noch zu einer, irgendeiner angemessenen Haltung der Bild-Zeitung gegenüber zurückfinden wird.

[+++] Der vermutlich debattenschwangerste Artikel des Tages steht auf der Tagesspiegel-Meinungsseite und enthält Sätze wie

"Amerika, Russland, England und Frankreich haben zum Glück genug Atombomben, um ein nächstes deutsches Auschwitz zu verhindern",

die man natürlich keinesfalls aus ihrem Kontext reißen darf. Innerhalb ihres Kontextes ergeben sie aber auch nicht zu viel Sinn. Malte Lehming arbeitet sich da, wie regelmäßige Altpapier-Leser sicher sofort geahnt haben, an der klickstarken aktuellen Jakob-Augstein-Debatte ab. Eine Hauptrolle in dem in anderen Passagen nicht unlesenswerten Kommentar spielt das Gängelband, das im wirklichen Leben vor über zwei Jahrhunderten ausgestorben ist, aber als Phrase Leitartikel-Modul aus der Feder von Großjournalisten wie, nur zum Beispiel, Jakob Augstein oder Malte Lehming, Lesern entsprechender Textsorten durchaus noch vertraut ist.

[+++] Ansonsten - verzeihen Sie die Einleitung - erfreut heute eigentlich eine schön differenzierte Betrachtung der medialen Nachrichtenlage. Zum Beispiel, was das komplexe Thema der Gesamteinnahmen betrifft, die der öffentlich-rechtliche Rundfunk ab diesem Jahr durch die neue Haushaltsabgabe einnehmen wird. Dass ausgerechnet so etwas in einem Land, in dem circa viertelstündlich neue Prognosen für bevorstehende Bundestagswahlen und kommende Steuereinnahmen erstellt und als wichtige Nachricht behandelt werden, nicht valide vorauszuberechnen sein soll, fällt schwer zu glauben.

Gestern goss ein Artikel des Handelblattes [für dessen Onlineauftritt ich gelegentlich schreibe] neues Öl ins Feuer, der frei online nicht bzw. nur verkürzt zu finden ist, bzw. dann doch zu finden ist. Darin, also in der nicht verkürzten Version, war von einem "hermetisch unter Verschluss gehaltenen" Gutachten der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) die Rede:

"Die Tendenz jedoch ist vollkommen klar: 'Alle gehen davon aus, die Einnahmen gehen nach oben', sagte ein KEF-Mitglied, das die Geheimstudie kennt."

Außerdem war von Firmen, deren Zahlungen an die GEZ sich "um den Faktor 17" erhöhen sollen, aber auch davon die Rede, dass die ARD offiziell von gleichbleibenden Einnahmen ausgeht. Stefan Niggemeier hatte die Sache kürzlich anhand des "Taschengeld des kleinen Timmy" sowie älterer Burkhardt Müller-Sönksen-Brüller behandelt. [Nachtrag um 13.00 Uhr: Außerdem hat er gestern im eigenen Blog die Handelsblatt-Medien-Artikel-Module in gewohnter Verve decouvriert - das hatte ich heute morgen übersehen, CB.] Heute gehen ihr unter Berücksichtigung der neuen Fragen auch Michael Hanfeld knapp in der FAZ (S. 31) und Kurt Sagatz im Tagesspiegel nach. Bzw. lassen [aber ohne Verve] sämtliche Luft heraus.

"Gegenwärtig gehen wir noch davon aus, dass Rundfunkgebühr und Rundfunkbeitrag das Gleiche ergeben",

sagte der KEF-Geschäftsführer Horst Wegner zur FAZ.

"Frühestens Ende 2013 dürfte sich abzeichnen, mit welchen Erträgen der Rundfunk Berlin-Brandenburg halbwegs verlässlich rechnen kann. Genau genommen müssen wir aber bis Ende 2014 ein Fragezeichen hinter den bereits vorliegenden Ertragszahlen machen",

sagte Hagen Brandstäter, der RBB-Verwaltungsdirektor, dem Tagesspiegel, der zwar zwischenzeitlich sehr geduldig erklärt, unter welchen Voraussetzungen ab 2015 eine Gebührensenkung denkbar wäre, dies am Ende des Artikels dann aber doch als "vor allem Wunschdenken" einschätzt. So sachlich las man zuletzt selten über das Thema.

[+++] Überhaupt, ziemlich Öffentlich-Rechtlichen-freundlich, die Berichterstattung heute. Ebenfalls im Tsp. führt Joachim Huber ein Interview mit dem auch aus substanzieller Öffentlich-Rechtlichen-Kritik (vgl. die-radioretter.de/ PDF) gut bekannten WDR-Hörfunkdirektor Wolfgang Schmitz über die gerade spannend werdende Frage der Radioübertragung der Fußballbundesliga-Konferenz (Kontext: siehe weiterer Tsp.-Artikelbundesliga.de).

Und nicht nur, weil im Onlineauftritt Fragen und Antworten typografisch nicht voneinander abgesetzt sind, sondern auch, weil sich Huber und Schmitz in ihrem Lob für die ARD-Bundesligakonferenz äußerst einig sind, weiß man gar nicht genau, wer von ihnen jetzt "Die Liga-Konferenz, 2010 mit dem Deutschen Radiopreis geadelt, hat längst Kult-Status. Mehr Spannung geht nicht" gesagt hat.

Den Hinweis, dass es so eine Radio-Bundesligakonferenz auch privatwirtschaftlich, im Digitalradio und im Internet bei 90elf.de, gibt (und diese es Berlinern zum Beispiel erspart, auch während der Fußballspiele zwanzigminütlich die meist identischen Nachrichten, Wetter- und Verkehrsinformationen vorgelesen zu bekommen, wie sie das RBB-Inforadio zum Aktualitätsanschein sehr regelmäßig einspielt), verkneift sich der Tagesspiegel.

####LINKS####

[+++] Und ebenfalls ebd. stößt Sabine Sasse den Machern der im Oktober (siehe Altpapier) als Konkurrenz zum klassischen Fernsehen pompös angekündigten "Originalkanäle" der Google-Tochter Youtube Bescheid. Was etwa bei trigger.tv (dem "einzigen Online-Kanal weltweit, der sich ausschließlich dem Verbrechen widmet") der Bertelsmann-Firma Ufa laufe,

"wirkt zum Teil so uninspiriert und spannungslos (und das beim Thema Verbrechen!), dass man sich unvermittelt nach dem 'Aktenzeichen XY' vom ZDF sehnt. Grimme-Online-Gewinner Udo Vetter mit seiner Ratgeber-Rubrik 'Vetter’s Law' stößt in Inhalt und Präsentation an die Grenzen der Zumutbarkeit. Wenn er dann auch noch mitteilt, dass einen die Abschaffung aller Rundfunkgeräte von der Entrichtung des neuen Rundfunkbeitrages befreit (was nicht stimmt), verliert man zudem den Glauben an seine Kompetenz."

Immerhin zeigten die Klick- und Kanalabonnentenzahlen (wobei dieser Begriff insofern irreführend ist, als dass das Abonnieren von Youtube-Kanälen, anders als das von Fernsehsendern oder auch Zeitungen, nichts kostet), dass das Kalkül der Macher nicht aufgehe und Youtube nicht das neue Fernsehen werde. Sasse hat sich eine Menge der Kanäle angeschaut. "Zum Fremdschämen" findet sie etwa, wie beim Kanal namens Onkel Bernis Welt, "Pornostars Kochrezepte präsentieren".

Der Hinweis, dass es sich bei diesem Kanal um eine Initiative der First Entertainment GmbH handelt, die zu 100 Prozent der Bavaria Film GmbH gehört, also einem ziemlich öffentlich-rechtlichen Unternehmen handelt, steht leider nicht im Tsp..
 


Altpapierkorb

+++ Zurück zu substanzieller Öffentlich-Rechtlichen-Kritik: Das Ressort tazzwei, aus dem der heute hier eingangs zitierte Artikel stammt, ist ein Sammelbecken für ziemlich vieles aus ziemlich vielen Richtungen. Heute enthält es auch ein großes und recht kritisches Porträt des ZDF-Journalisten Daniel Bröckerhoff, eines "dieser jungen TV-Macher, die das Informationsfernsehen mit Albernheiten und einer Portion Narzissmus aufbrechen, die ständig experimentieren und die vor allem auch das Digitale lieben". "Doch ihm fehlt ein klares Profil", schreibt Daniel Bouhs unter der Überschrift "Bloß nicht wehtun!". +++

+++ "Das wirklich öffentliche Internet verarmt, und wir werden abhängig von Großunternehmen": Den Johnny-Haeusler-Appell "Kommt zurück in die Blogs!" (siehe auch spreeblick.com), der u.a. argumentiert: "Wenn bit.ly und andere URL-Shortener den Geist aufgeben, funktionieren Millionen von Links im Web nicht mehr", trägt tagesspiegel.de weiter. +++ "Reichweite, eine Grundlage der Monetarisierung, generiert man nicht über Stilformen oder dem verzweifelten Festhalten an alten Idealen. Reichweite generiert man über Relevanz für den Leser. Tipps, Tests und News – das ist der Löwenanteil des heutigen Journalismus", argumentiert Stephan Goldmann schön provokant unter der Überschrift "'Richtiger' Journalismus verdient Preise - aber kein Geld" auf lousypennies.de. +++

+++ Marc Jan Eumann, der NRW-Medienstaatssekretär und bekannteste Medienpolitiker der SPD, jetzt auch auf Freiherr zu Guttenbergs Spuren? Nicht, dass er Verteidigungsminister werden soll, sondern weil seine Doktorarbeit (und damit auch sein Doktorvater Horst Pöttker) als angebliches "Selbstplagiat" in Kritik gerät (derwesten.de). +++

+++ Mehr Öffentlich-Rechtlichen-Lob: Ein "Meisterwerk", eine Doku "wie ein Faustschlag" (TAZ) zeigt die ARD heute um 22.45 Uhr: "Tod nach Abschiebung - Wadim". Bloß dass der Film seit 2011 ungesendet war, sei ein "Armutszeugnis". +++ Georg Altrogge (meedia.de) ist nicht nur wegen Oscar-Chancen, sondern auch inhaltlich ganz begeistert von "Shin Bet - Töte zuerst!" (ARD, 3. April, 22.45 Uhr), nur einem "von vielen spannenden und prämierten Filmprojekten, die unter Mitwirkung der Hamburger Dokumentations-Redakteure", also Patricia Schlesingers NDR-Abteilung, entstanden sind. +++ Das ZDF da, wo es cool ist oder sich zumindest "große Mühe" gibt, "zumindest ein bisschen cool zu sein", besucht, hat Peer Schader fürs Fernsehblog. Am Sitz der Redaktion bzw. des "Formatlabors" namens "Quantum" sieht es uncool aus. +++

+++ Mit dem Satz "Richtiges Fernsehen beschäftigt nicht ohne Grund Drehbuchautoren, die das Schmieren von Mettbrötchen nicht schon für Handlung halten" blendet Katharina Riehl auf der Süddeutsche-Medienseite ihre Besprechung der neuen RTL2-Dokusoap "Die Hohlbeins" aus. +++ Aufmachertext ebd.: ein umfangreiches Porträt des Tele 5-Chefs Kai Blasberg, der bekanntlich Oliver Kalkofe und Co zu seinem kleinen Privatsender holte. "Die Comedy-Inszenierung klappt unter den gängigen Gesetzen des TV-Marktes betrachtet eher mittelmäßig. Auf den neuen Sendeplätzen schalten im Schnitt weniger Zuschauer ein als zuvor. Kalkofe läuft gut, Ulmen okay, Rütten so lala und bei Stuckrad-Barre schauten zuletzt nur noch sehr wenige zu. Absetzen, weg damit, hätte es bei Blasbergs Senderchef-Kollegen längst geheißen." Blasberg aber sei für " ...senden, bis sie gucken", und könnte bald gar auch Thommy Gottschalk, "einem Freund des Tele 5-Eigners [Herbert] Kloiber", eine Heimstatt bieten. +++

+++ Während auf der Serien-Seite 29 im FAZ-Feuilleton u.a. die US-Serie "Homeland" besprochen wird, werden auf der Medienseite 31 die englische Krimiserie "Whitechapel" auf Arte ("...zeigt aber auch erste Anzeichen von Routine und Ermüdung") und die deutsche RTL-Serie "IK 1" ("Die Handlungen der einzelnen Folgen ... sind so einfach gestrickt, dass zu vermuten ist, dass die Serie im Nachmittagsprogramm Legendenstatus erringen könnte, bei den Kindern, deren Eltern bis heute vom 'A-Team' schwärmen") besprochen. +++ Sowie der heutige ARD-Fernsehfilm "Vier sind einer zu viel": "Der Film entstand noch unter der Ägide von Doris Heinze, jener Fernsehspielchefin des NDR, die ihren Ehemann unter falschem Namen Drehbücher schreiben ließ und selbst verbotenerweise unter Pseudonym schrieb...", weiß Daniel Haas. Warum dieser "Fernsehfilm Deutschland 2007" (ARD) aber erst 2013 auf Sendung geht, erklärt er nicht genauer. +++

+++ Frei online von der FAZ-Medienseite: Ottfried Fischers Prozess gegen einen Ex-Redakteur der Bild-Zeitung könnte mit einer Zahlung "von dreitausend Euro an die Deutsche Kinderkrebshilfe" enden. +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.
 


 

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