Was die Adlerfrau trägt

Was die Adlerfrau trägt

Stefan Raabs Günther-Jauch-Satire glüht noch etwas nach. Bei der BBC löst de hauseigene Krise hauseigene Arbeitsroutine aus. Bei "El País" wird ebenso entlassen wie bei dapd, um für die Zukunft fitzumachen und so.

Um auch heute noch mal auf den überaus sympathischen Hashtag #Raab zurückzukommen: Für die ganz großen Bedeutungszuschreibungen ist Stefan Raabs Polittalkshow "Absolute Mehrheit" noch (oder überhaupt) zu unbedeutend beziehungsweise ist es noch zu früh. Aber ein bisschen Grundverständnis lässt sich aus der Nachlese doch ziehen.

Am originellsten betreibt Christoph Bieber via Carta Rückschau, der als Politikwissenschaftler mit digital skills nicht erst den Fernsehkritiker geben will:

"Inhaltlich soll an dieser Stelle gar nicht über Sendung, Teilnehmer und Format geurteilt werden – das überlassen wir mal den professionellen Fernsehschauern."

Bieber erkennt in der Raab-Sendung vielmehr den Teil eines größeren medialen Zusammenhangs.

"Damit kommen wir zu den wirklich interessanten Fragen, die sich nach der Sendung stellen lassen. Was war das eigentlich, was da zu später Stunde über first und second screen flimmerte? Instinktsicher hatte ProSieben am Sonntag einen 'Social Media'-Thementag ausgerufen: ein Galileo-Spezial und 'Social Network' leisteten solide Vorarbeit – der Hashtag #AbsoluteMehrheit lief schon vor Diskussionsbeginn heiß."

Leider haben wir die These, die im angewandelten Kluge-Zitat über die Moderne ("Der Angriff der Gegenwart auf die übrige Zeit") dann eher erahnt als verstanden:

"Und tatsächlich führt der Social Media-Pfad in die richtige Richtung: 'Absolute Mehrheit' ist nicht wirklich eine Fernsehsendung, sondern vielmehr der Angriff des Politainment auf die übrige Zeit (frei nach Alexander Kluge). Man sollte das in vielen Sendeminuten übereifrige und verbesserungswürdige Engagement von Stefan Raab nicht allein mit den Maßstäben des deutschen TV-Talk messen. Viel eher ist die Pilotfolge des Privatfernseh-Talks im Geiste eines political humor zu verstehen, wie er in den USA von Jon Stewart und Stephen Colbert propagiert wird."

Die Idee mit dem political humor ist nicht ganz so neu – was sich schon daran zeigt, dass sie im Begriff der Realsatire aus Oliver Jungens Kritik auf faz.net durchaus angelegt ist. Tatsächlich lässt sich Raabs gesamtes Schaffen wohl am besten als Mitmach-Parodismus lesen, der distanzierte Formate des alten Fernsehens (Olympische Spiele, Grand Prix) zu durchaus ernsthaft betriebenen Späßen des Teilhabens macht.

In der FAZ (Seite 33) hat Jungen seinen Text leicht überarbeitet für die gedruckte Ausgabe zwei Tage danach. So werden am Ende bereits die Reaktionen der anderen diskutiert:

"Als Pendant zur Hochjubelei erfolgte in der Nacht die große Abrechnung: Bis auf die 'Süddeutsche Zeitung' ließ kaum ein Nachrichtenportal ein gutes Haar an der Sendung."

Anders als der Tagesspiegel, in dem, online wie gedruckt, Joachim Hubers Text steht, und auch im Unterschied zu FAZ und Berliner, wo Peer Schader in der Printausgabe ebenfalls noch einmal anders ansetzt als in seiner Frühkritik, präsentiert die gedruckte SZ heute einen zweiten Autor. Nachdem Ruth Schneeberger auf sueddeutsche.de gestern durchaus wohlwollend bilanziert hatte, schreibt in der Print-SZ von heute (Seite 31) Hans Hoff über die Sendung. Der kritisiert nüchtern und raab-immanent:

"Wer hinter das Geheimnis des Erfolgs von Stefan Raab schauen möchte, kann seine Shows rasch auf einen Nenner bringen: Es geht um was. Um Geld, Ehre oder zumindest um den bis zur Verbissenheit gelebten Siegeswillen des Ideengebers. Die Motive erklären sich von selbst. Der Zuschauer versteht schnell, warum die Menschen im Fernsehen das tun, was sie da gerade tun. Hat man das bemerkt, weiß man auch, warum Raabs neueste Erfindung nur bedingt funktioniert. Es geht um nichts."

Und gewohnt launig.

"Fünf Gäste aus Politik und Wirtschaft spielen drei Runden lang Reise nach Jerusalem, und die Zuschauer entscheiden nach jeder Runde per Telefon, wem der Stuhl weggezogen wird."

[+++] And now for something completely different: Die BBC ist in großer Krise, die sich vordergründig in Entlassungen ausdrückt (siehe Altpapier von gestern). Die SZ mit ihrer beeindruckenden Londoner Korrespondentendichte macht auf Seite 2 ihr Tagesthema draus.

Christian Zaschkes Beitrag kommt darin die Rolle zu, die aktuellen Entwicklungen zu beschreiben. Wobei der interessanteste Aspekt neben ausgewechselten (Entwistle, Boaden, Mitchell) und womöglich noch auszuwechselndem Personal (Lord Patton – wenn man der FTD glaubt, wird der Aufsichtsratschef nicht gehen müssen, weil er sich des Rückhalts der konservativen Politik sicher sein kann) zweifellos die Invektive von Rupert Murdoch ist, der die Chance gern nutzen würde, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk sturmreif zu schießen:

"Die Familie Murdoch fordert seit Langem, dass die BBC sich auf die Bereiche konzentriert, die nicht von kommerziellen Medien-Anbietern abgedeckt werden können, sprich: auf die unprofitablen. Rupert Murdochs Sohn James hat 2009 in einer viel beachteten Vorlesung die Vorstellungen der Familie formuliert. Die BBC betreibe "Landraub", sie dränge mit ihrem Gebührengeld als steuerfinanziertes Unternehmen die Konkurrenz aus dem Wettbewerb....Im Klartext bedeutet das: Die Murdochs wollen eine radikale Gebührenkürzung und eine massive Verkleinerung der BBC."

"Cui bono" muss man da nicht fragen. Neben Zaschkes Beitrag steht ein Text von Alexander Menden (nicht online), der auf den ersten Blick wikipediahafter wirkt, insofern er die Geschichte der BBC nur zur Fallhöhenabmessung für den aktuellen Schlamassel zu erzählen scheint.

"In einem Land, das seine industrielle Tradition weitgehend aufgegeben hat, ist die BBC eine der wenigen verbliebenen Institutionen, die nicht nur eine museale, sondern auch eine lebendige Verbindung mit der glorreichen britischen Vergangenheit herstellen. Zugleich zieht man die BBC gerne zur Beantwortung der Frage heran, wo Britannien, das doch einmal die Welt regierte, überhaupt noch Standards setzt."

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Tatsächlich steckt in dieser Traditionsbeschwörung aber vielleicht eine viel größere Idee von der Mechanik der Krise, die zugleich eine zeitlose Hoffnung formuliert: Gerade weil die Geschichte von der Tradition so glorreich erzählt werden kann, wird sie auch beim nächsten Mal noch/wieder zur Verfügung stehen, wenn der aktuelle überstanden ist.

Zumal sich die BBC nicht vorwerfen lassen muss, in der jetzigen Situation sich um ihr eigenes Fehlen herumdrücken zu wollen. Die Aufklärungsroutine gegenüber sich selbst weckt in Zaschkes Text fast heitere Gefühle:

"Die Szenerie mit all den BBC-Leuten, die BBC-Leute interviewten, wirkte wie ein Sketch der legendären Komikergruppe Monty Python."

Stefan Niggemeier nötigt der "cringeworthy" Masochismus in jedem Fall Respekt ab:

"Es ist eine Art Überkompensation im Dienst der eigenen Glaubwürdigkeit: Niemand soll der BBC vorwerfen können, dass sie mit sich selbst weniger hart ins Gericht geht als mit anderen. Das Ergebnis ist im Sinne des Publikums: Die BBC ist ein guter Ort, sich über Vorwürfe über die BBC zu informieren. Ich kenne keine andere journalistische Institution, für die das in diesem Maße gilt."

Take that, ARD-Tour-de-France-Berichterstattung! Mit einer gewissen distanzierten Gelassenheit könnte man mit Rainer Stadler resümieren, der  in seiner NZZ-Kolumne "in medias ras" an die letzte BBC-Krise 2004 erinnert:

"Schon damals sorgten sich Beobachter um den guten Ruf der BBC. Jene Affäre haben die meisten längst vergessen. Skandale haben selten eine lange Nachwirkung."

Wobei nicht vergessen werden sollte, vorerst dazu zu sagen:

"Wenn sie sich wiederholen, könnte die BBC allerdings durchaus in ernstere Schwierigkeiten geraten."

P.S. Im gleichen Atemzug mit demselben Abstand schreibt Stadler über den deutschen Fernsehaufreger der letzten beiden Tage:

"Etwas regelwidrig war bloss, dass Raab beim Sitzen ein Bein unter sein Gesäss klemmte. Als Moderator hielt er zwar ein jugendlich schnelles Tempo durch, und manchmal gelang ihm ein Spässchen; den Zeitgewinn vernichteten jedoch die dazwischen geklemmten Werbebotschaften sowie der unsäglich überdehnte Wettbewerb um die meisten Zuschauerstimmen."


ALTPAPIERKORB

+++ Da wir gerade bei Krisen sind: Die NZZ beschäftigt sich auch mit den Kürzungen bei "El País". Cornelia Derichsweiler fasst in einem Text die Lage zusammen: "Die Geschichte von 'El País' sei jene Saturns, der seine Söhne verschlinge, empörte sich jüngst Maruja Torres, eine der Star-Kolumnistinnen der Zeitung, bei einem Vortrag in Barcelona." +++ Außerdem gibt’s ein Interview mit dem nicht mehr sonderlich wohlgelittenen Chefredakteur Javier Moreno, der halt sagt, was man so sagt als Führungsfigur unserer Tage: "Bei dem geplanten Stellenabbau geht es um nichts anderes als darum, die Zukunft von 'El País' zu sichern." +++ Apropos Stellenabbau: 100 von 299 Arbeitsplätzen sollen gemäß Insolvenzverwalter bei der Nachrichtenagentur dapd wegfallen, um wieder schwarze Zahlen zu schreiben und für Investoren interessant zu werden. Claudia Tieschky berichtet in der SZ ausführlich: "Die früheren Mäzene haben mit ihrem Ausstieg viel Vertrauen zerstört. Im dapd-Umfeld hält sich das Gerücht, die beiden hätten die Insolvenz herbeigeführt, um eine schnelle Sanierung zu erzwingen - und dann die abgemagerte Agentur weiterzuführen. Von der Fecht [der Insolvenzverwalter, AP]weiß um den damit verbundenen Argwohn." +++ Die TAZ berichtet ebenfalls. +++

+++ Sonst: Die FAZ (Seite 33) bespricht die ARD-Hörspieltage als Schlaraffenland; und verschweigt die Jurorentätigkeit von FAZ-Redakteur Jochen Hieber beim Hörspielpreis (an Hermann Bohlen für "Alfred C. – Aus dem Leben eines Getreidehändlers") nicht. +++ Michael Hanfeld ruft auf faz.net dem im Alter von 84 Jahren gestorbenen Mainzelmännchenerfinder Wolf Gerlach eine Variation der Agenturmeldung nach. +++ Kurt Sagatz berichtet im Tagesspiegel über das Ultimatum von Kabel Deutschland an ARD und ZDF im noch schwelenden Streit um die Einspeisegebühr. +++ Michael Bartsch informiert in der TAZ über den Auftakt zum Revisionsprozess um die Grenzen der Pressefreiheit im sogeannten Sachensensumpf in Dresden. +++ Und präsentiert nach der Wahl der gewesenen Zeit-Redakteurin Susanne Gaschke zur Kieler Oberbürgermeisterin eine Liste mit 20 Vorschlägen für lokale Tätigkeitsfeldern anderer Journalisten ("Frank Schirrmacher – ISS"), die ihr satirisches Potential allerdings ein wenig rasch an ein Who-is-Who der aktuellen Großkopferten abgibt. +++

+++ Lustig ist dagegen die Verzweiflung, mit der Johanna Adorjan in der FAZ (Seite 33) die Handlung von "Das Vermächtnis der Wanderhure" nachzuerzählen versucht – das Festival des nacherzählten Films müsste umgehend eine Wildcard ausgeben: "Oh Gott, ich hab noch sechs Seiten vollgeschriebene Notizen, der Film ist noch nicht mal halb um, wie kriege ich das bloß alles unter? Ich mach’s knapper. Kurzer Dialog, der viel erzählt: Alika: 'Du kannst nicht gehen. Du bist die Adlerfrau!' Adlerfrau: 'Als Adlerfrau befehle ich dir, dass du mich gehen lässt.' Alika: 'Du bist die Adlerfrau – du weißt, was du tun musst.' Zirka zehn Minuten später: Adlerfrau zu Hulda, die inzwischen im Tartarencamp aufgetaucht ist: 'Ich bin die erste Frau Nougat (Nurja?) Khans – und ich fordere mein Kind zurück!' Klar?" +++ Relativ unlustig: Der versuchte Harald-Schmidt-Scherz von Martin Weber in der KSTA-Besprechung der Chose: "Entgegen ersten Gedankenspielen hat 'Das Vermächtnis der Wanderhure' (Sat.1, 20.15 Uhr) jedoch de facto rein nichts mit Herrn Schmidt zu tun." +++ Überraschend: Klaudia Wick gelingt es tatsächlich, in der Berliner (Seite 25) dem Unsinn etwas abzugewinnen: "Natürlich fällt es schwer, sich den Tatarenschinken 'Das Vermächtnis der Wanderhure' mit all seinem Pferdegetrappel und Rachegestöhne als Emanzipationsepos schönzureden, aber die bizarre Mischung aus erotischen Primärreizen und ausschweifend dargestellter Frauensolidarität ist immerhin ein Fortschritt gegenüber den bis heute gefeierten 'Winnetou'-Verfilmungen der sechziger Jahre, in denen die weibliche Hauptfigur Nscho-tschi heißt." Man muss bescheiden sein. +++ Die TAZ überantwortet ihre kommende sonntaz-Ausgabe der ProQuote-Initiative (Meedia.de). +++

Neues Altpapier gibt's morgen wieder gegen 9 Uhr.

 

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