Nikolaus Brender schreibt an die Bundeskanzlerin. Die Grenzen zwischen Blogs und Kolumnen verwischen im Bett mit älteren Medien. Die Zeitung an sich lebt. Und die TAZ-Medienseite könnte künftig nicht mehr sein, was sie war.
So explizit hat man das länger nicht mehr gelesen: "Die gedruckte Zeitung ist nicht tot", sie ist "für viele unverzichtbar".
Wer das heute in zwei Artikeln so überzeugungsfroh verkündet, ist das Handelsblatt, das wegen einer nicht unüberraschenden Chefredakteurs-Personalie auch gestern hier auftauchte (und für dessen Onlineauftritt ich gelegentlich Talkshowkritiken schreibe).
Beim Lesen der Texte zeigt sich, dass die Expertise der amerikanischen Experten wie etwa der Journalismus-Professorin Karen Springen, die sich zum am 31. Dezember bevorstehenden Aus der gedruckten Newsweek-Ausgabe trotzig optimistisch äußern, eigentlich nicht über die sogar unter deutschen Experten landläufige Ansicht hinausreicht, dass Tageszeitungen es künftig schwer, seltener als täglich gedruckt erscheinenden Blätter es vergleichsweise leichter haben würden. Dazu kommt eine repräsentative Umfrage hierzulande unter "1000 Menschen, wie sie zur gedruckten Zeitung stehen". Rund 640 von ihnen haben sich wohlwollend geäußert.
[+++] Wer in der ebenfalls gestern an dieser Stelle aufgetauchten Umschau über Meinungen zur vom Bertelsmann-Konzern initiierten global größen Buchverlags-Fusion fehlte, war die TAZ, die bekanntlich etwas frühere Redaktionsschlüsse als andere Zeitungen hat. Sie erledigt das Einordnen der Sache heute elegant über die Bande, und zwar über die des jüngsten Romans des Schriftstellers Rainald Goetz, "Johann Holtrop", der ja "von Bertelsmann handelt":
"Wer hätte das gedacht: Der Kapitalismus macht einfach immer so weiter. Die Globalisierung ist nicht mehr aufzuhalten. Und jetzt ist nach der Phonoindustrie eben auch der Buchhandel dran. ... ...
Und am Ende steht vielleicht ein gewaltiger Monopolist, der aber nicht 'Amiga' heißt (ja, das DDR-Schallplattenlabel) und auch nicht verstaatlicht werden kann, denn er arbeitet ja trans- oder besser übernational, und daneben sind unendlich viele unbedeutende Kleinstverlage. Vielleicht stirbt darüber sogar die ganze Kunst, hier im Speziellen die Literatur."
Für Noch-nicht-Kenner des genannten Romans etwas unklar, ob Goetz spricht oder René Hamann, Autor des TAZ-Artikels und ebenfalls Schriftsteller. Tazzig halt, könnte man sagen.
Doch die TAZ wird, zumindest für Medienbeobachter, von diesem Mittwoch an nicht mehr sein, was sie bis heute noch ist: "etwas, das ich mir nicht vorstellen kann", würde ebd. die Kriegsreporterin Silke Burmester sagen. Ihre heutige Kolumne bildet wiederum die Bande, über die der Abschied des langjährigen TAZ-Medienredakteurs Steffen Grimberg, "Alleserklärenkönner. Lautsprecher. Riesenverlust", verkündet wird:
"Für die Medienseite ist sein Fortgehen ein Riesenverlust - gegen seine Kenntnis der Medienszene, sein profundes Wissen und die Fähigkeit, im Notfall in 30 Minuten 120 unterhaltsame Zeilen über das beknackteste medienpolitische Thema zu schreiben, sind wir übrigen Medienautoren blasse Schreiberlinge."
[+++] Damit wieder zu einem großen Prominenten der Medien und Medienmedien: Nikolaus Brender, der ganz besonders durch seine Abservierung sehr bekannt gewordene Ex-Chefredakteur des ZDF, hat sich mal wieder geäußert. Anlass ist die Affäre um den ehemaligen CSU-Sprecher geschwind zurückgetretenen ZDF-Anrufer Hans Michael Strepp (siehe Altpapier; falls übrigens jemand glaubte, im öffentlich-rechtlichen Rundfunk Österreichs gebe es so etwas nicht: das widerlegt die TAZ mit einem Beispiel von aus der Satireshow "Wir sind Kaiser" herausgeschnittenen Handschellen; falls übrigens jemand ernsthaft glauben sollte, die SPD hätte niemals Einfluss auf Sendeanstalten genommen: das widerlegt Reiner Burger auf der FAZ-Seite 8, indem er zwei Schnurren aus der "Ära Rau", den 1980er Jahren so ausgiebig zum Besten gibt, dass man beinahe glauben könnte, seitdem sei so etwas nicht mehr passiert...).
Jetzt aber Brender heute: Sein "offener Brief" an die Bundeskanzlerin wird in gedruckten Zeitungen häufig vermeldet und wurde gestern online aus einer Zeit-Vorabmeldung viel aggregiert.
Im Onlineauftritt der Zeit-Beilage Christ & Welt, ist er vollständig zu lesen. Brender haut sehr auf... rührt kräftig die Trommel:
"Der Wahlkampf tobt: Hinter den Mauern der Parteizentralen, in den Stäben Ihres Bundeskanzleramtes ebenso wie in den Staatskanzleien der Ministerpräsidenten werden für das Wahljahr 2013 die Eisen geschmiedet und die Schwerter gegürtet. Die Zugbrücken werden vorsorglich hochgezogen für die 'Mutter aller Schlachten', wie der bayerische Heerführer Seehofer die kommenden Landtagswahlen im Freistaat heroisierte. Sie wissen, Frau Bundeskanzlerin, wer diesen Schlachtruf ausgab und vor welcher Schlacht? Saddam Hussein hatte vor dem zweiten Golfkrieg den Alliierten mit ihrem Untergang gedroht, sollten sie es wagen, sein Regime anzugreifen. Das Ergebnis ist nicht nur Ihnen bekannt. ..."
Seine Forderung lautet, dass Politiker sich "in Wahlkampfzeiten" "aus den öffentlich-rechtlichen Aufsichtsgremien herraushalten" sollten. Nicht nur, weil formal der Rundfunk ja gerade keine Bundes-, sondern Ländersache ist, und nicht nur, weil im föderalistischen Deutschland doch eigentlich immer Wahlkampf ist, wird die Adressatin Angela Merkel auf diesen Aufruf zum Initiative-Ergreifen vermutlich nicht reagieren. Sondern auch, weil sie jede Woche einen Brief von Christ & Welt bekommt, auch von Brender öfters, denn dabei handelt es sich sozusagen um eine Kolumne.
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[+++] Ein Blog ist's definitiv nicht. Doch handele es sich, andererseits, "streng genommen bei den meisten Blogs gar nicht mehr um Blogs, sondern um ganz normale Kolumnen", schreibt Wolfgang Michal (Carta). Sein Artikel zählt über 180 Blogs auf, die inzwischen in den Internetauftritten klassischerer Medien eingebettet laufen:
"Die FAZ-Community zählt momentan 26 Blogs. Bei Spiegel Online wechseln sich 7 'Blogger' im Tagesrhythmus ab, als Bonusmaterial gibt’s den Spiegelblog dazu. ZEIT Online führt 21 Blogs, der Zürcher Tagesanzeiger 10, die Welt 9, das Handelsblatt 8, der Tagesspiegel 6, die Süddeutsche 5, der stern 9, Cicero 8, das ZDF 8, die Tagesschau 5. Der Freitag unterhält eine ganze Blogger-Community, und die taz listet sage und schreibe 61 Blogs in ihrem Sperrbezirk auf",
und begrüßt und bedauert diese Entwicklung dialektisch (wobei das Bedauern schließlich überhand gewinnt und Michal eine Gegenreaktion fordert):
"Die Blogszene ist für die Medien heute das geworden, was früher die taz war: die Journalistenschule der Nation, der Pool, aus dem sich die großen Medien die Vielversprechendsten herausfischen können."
+++ Sozusagen nun abgeschlossen: die (sehr zurecht) aufgekommene Aufregung um das Roma-Titelbild der schweizerischen Zeitschrift Weltwoche aus dem April (siehe Altpapier): Der schweizerische Presserat hat nun auch gesprochen, und zwar gegen die Weltwoche (Tsp., TAZ). +++
+++ Sandy ist im weiteren Sinne auch ein Medienthema. Auf der SZ-Medienseite steht ein sehr kurzer Artikel, in dem Dirk von Gehlen die Webseite istwitterwrong.tumblr.com vorstellt, mit deren Hilfe sich Fotos verifizieren lassen. +++ Und die TAZ hat Bernd Hagenkord, den Leiter des deutschsprachigen Radio Vatikan-Programms, interviewt. Der sagt u.a.: "Es ist eine Frage der Balance. Natürlich sind die USA interessant. Sie sind uns vom Lebensstil nah, es gibt Kinofilme, die die Katastrophe vorweggenommen haben, Kameras, Neue Medien sind vor Ort reichlich verfügbar. Und ich will das Leiden der Menschen ganz bestimmt nicht herunterspielen. Aber in Somalia, Äthiopien, Kenia und Dschibuti hungern die Leute, und die wenigen Flächen, wo überhaupt noch Nahrungsmittel wachsen können, werden nun vom Regen weggespült. Und das muss eben auch eine Geschichte für die Medien sein." +++
+++ Neu im "'Rommel'-Textbegleitungsendspurt" (siehe Altpapier): erstens Nikolaus von Festenberg. Der Veteran der Spiegel-Fernsehkritik lässt im Tagesspiegel, um kontextsensitiv im Bild zu bleiben, ein Sperrfeuer aus Metaphern los ("Viel Verkehr herrscht auf der Straße vom Dritten Reich zum heutigen Bildschirm. 'Rommel' marschiert gerade auf... ... Was für ein Triumph des Produzentenwillens von Nico Hofmanns, dem Chef der führenden Fernsehfabrik für deutsche Geschichte (Teamworx)..."). Da ahnen Festenberg-Kenner bereits, dass er den Film natürlich dennoch lobt. +++ Und zweitens, derzeit nicht frei online: Willi Winkler für die Süddeutsche (S. 32). Er spannt kenntnisreich Bögen zwischen James Mason als erstem Rommel-Darsteller und dem Spiegel, der anno 1967 einen Bericht über Israel mit den Worten "Sie rollten wie Rommel, siegten wie Patton und sangen noch dazu" einleitete. Richtig gut findet er den Film aber nicht: "Trotz des beeindruckenden Spiels von Ulrich Tukur, trotz des nicht weniger beeindruckenden Aufgebots an Generalsuniformen, bringt es dieser zaudernde Rommel nicht zu jener tragischen Zerrissenheit, die sich im Schauspielhaus so viel leichter einstellt. Größer, zumindest besser dramatisiert war der Konflikt, der sich während der Vorbereitungen mit der Familie Rommel entspann, der das Drehbuch vorgelegt wurde..." +++
+++ Die FAZ-Medienseite enthält heute nur zwei Artikel. Der eine ist ein kürzerer zur Geschäftsidee des spanischen Telefonkonzerns Telefonica (O2), gemeinsam mit der mit der deutschen Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) mit vorgeschriebenermaßen gespeichterten Standortdaten Geld zu verdienen (zunächst von tagesschau.de gemeldet). +++ Der andere ist ein längeres, farbenprächtg illustriertes Interview, das Michael Hanfeld mit den HBO-Chefs Richard Plepler und Michael Lombardo führte: "Das klingt, als funktioniere HBO wie ein Verlag, nicht wie ein Fernsehsender." - Plepler: "Ich würde uns vielleicht mit einer Kunstgalerie vergleichen. Wir halten Ausschau nach Talenten und wollen ihre Kunstwerke ausstellen..." +++
+++ Kein Scherz: Das "Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag" gibt's wirklich. Seine Abschätzung der "Verweildauerregelung" für öffentlich-rechtliche Inhalte im Internet fasst dwdl.de zusammen. +++
+++ "Da ist interaktives Fernsehen in Deutschland erfunden worden. 'Vorsicht Falle - Nepper, Schlepper, Bauernfänger' mit Eduard Zimmermann - damit hat es angefangen. Es ist eines der wenigen deutschen Fernsehformate, das unter anderem auch in Amerika übernommen wurde...", sagt Rudi Cerne, Zimmermann-Nachfolger bei "Aktenzeichen XY", im Tagesspiegel-Interview zum 45-jährigen Jubiläum dieses Formats. +++ Til Schweigers "Tatort"-Rollenname wurde geändert (Tsp.). +++ Reinhold Beckmanns Talkshow-Inneneinrichtung auch (dwdl.de) +++
+++ "Nehmen wir an, Sie, lieber Leser, verkaufen auf einem Dorfplatz Obst...": kleiner Nachtrag zur gestern hier skizzierten Metpahernliste. Er ist schon etwas älter, entstammt dem Spiegel-Blog und gilt Apples "Preis-Überfall". +++ Außerdem inzwischen frei online: Stefan Niggemeiers Artikel über "die Fernsehsensation des Jahres", "Berlin - Tag & Nacht" auf RTL2 ("'SBSA' steht an solchen Stellen im Drehbuch: Sex bahnt sich an. ..."). +++ Und weil "Kantinen ...das reale Facebook (sind). Jeder weiß, es ist gefährlich, nicht mit den Kollegen essen zu gehen, weil sie meist über diejenigen herziehen, die nicht dabei sind", fordert Diemut Roether bei epd medien noch, dass der inzwischen musealisierten alten Spiegel-Kantine "eine Soundinstallation..., am besten von Tonbändern, die in der echten Kantine aufgenommen wurden, als sie noch belebt war", beigegeben werden sollte. So etwas sollten die Geheimdienste aus den guten Jahren des Magazins ja wohl noch im Archiv haben. +++
Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.