Der Spiegel beginnt mit der Ausleuchtung schattiger Ecken seiner Geschichte und führt ein neues Format ein: das Watchblog, um sich selbst im Spiegel zu betrachten. Der neue "Tatort" bekommt extrem unterschiedliche Kritiken. Und Hannelore Kraft ri-ra-rockt bald "Wetten, dass..?".
Hinter / uns / liegt / ein / Wochenende, dessen / Medienberichterstattung / sich / kurz / zusammenfassen / lässt: "Dortmunder / Tatort". Sehr unterschiedliche Kritiken, alles in allem. Dazu kommt noch ein langes Print-Spiegel-Interview mit Jan Josef Liefers, unter anderem über seine "Tatort"-Figur, und der nur gedruckt vorliegende Medienseitenaufmacher der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung zum gestrigen Krimi.
Fertig.
Und damit zum teilweise sehr viel schlechter verlinkbaren Restprogramm: Zum einen sagt der Medienwandel mal wieder freundlich hallo. Tagesspiegel.de hat – da ist der Schlingel ja schon wieder – zum neuen "Tatort" ein Liveblog-Format eingeführt, das am Sonntagabend startete; Krimi wird wohl tatsächlich immer mehr wie Fußball rezipiert. Vor allem ist beim Stichwort "neues Format" aber noch ein weiteres zu erwähnen, das den Medienwandel, der brandneuen Thesen zufolge auch ein Kommunikationswandel ist, noch ein wenig greifbarer macht; Harald Staun schreibt in der FAS von einem "Paradigmenwechsel": Der Spiegel hat das Spiegelblog freigeschaltet, das man, den ersten Eindrücken nach, durchaus als eine Art Watchblog begreifen kann. Wirkt einerseits erst einmal seltsam, dass Kritik durch die Filter des Kritisierten selbst läuft, bevor sie öffentlich wird: Das Watchblog betrachtet hier den Spiegel im Spiegel.
Die FAS, für die einer der Betreuer des Blogs, der Spiegel-Autor Stefan Niggemeier, einer der Bildblog-Gründer, bis vor nicht allzu langer Zeit gearbeitet hat, schreibt:
"Dass es der 'Spiegel' selbst ist, der dafür sorgt, dass, wie Niggemeier es ausdrückt, 'das Gespräch über den Spiegel sichtbar wird', ist sicher mutig. Und Anlass zur Skepsis ist es natürlich auch. Denn dass die Einrichtung einer hauseigenen Kritikabteilung nichts mit der radikalen Dekonstruktion zu tun haben kann, die etwa das 'Bildblog' an der 'Bild'-Zeitung vornahm, ist klar."
Andererseits muss sich ja niemand abhalten lassen, bei Bedarf selbst ein neues Spiegel-Watchblog aufzusetzen. Unter anderem Spiegelblog.net gibt es ja schon: Dort kriegt man Gegenmeinungen und Ergänzungen zu etwas raunend als "unfassbar" oder "beschämend" bezeichneten Spiegel-Meinungen – was immerhin den Effekt hat, aber viel mehr nicht, dass als Fakten getarnte Meinungen wieder wie Meinungen aussehen.
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Vielleicht sind für das Spiegelblog Einordnungen wie digitale Korrekturspalte oder, gut, das wäre ein bisschen viel Arbeitstitel, "Diskussion in eigener Sache" passend. Einen Beitrag von außen, der im Spiegelblog theoretisch Thema werden könnte, gibt es auch schon: Christian Jakubetz ärgert sich in seinem Blog maßlos über den aktuellen Spiegel-Titel, "Die Tragödie des Helmut Kohl". Jakubetz:
"In der 'Süddeutschen Zeitung' ist im Juli eine ziemlich umfangreiche Seite 3-Geschichte erschienen. Es ging um Helmut Kohl, um seine Frau und darum, dass Kohl von seinem Umfeld anscheinend hermetisch abgeriegelt sei. Das Ganze, so schrieb die SZ damals, sei allerdings mehr als nur herzliche Fürsorge seiner zweiten Gattin, sondern letztlich auch ein Kampf um die Deutungshoheit über das politische Vermächtnis des Altkanzlers. (...) Im aktuellen 'Spiegel' ist heute eine ziemlich umfangreiche Titelgeschichte erschienen. Es geht um Helmut Kohl, um seine Frau und darum, dass Kohl von seinem Umfeld anscheinend hermetisch abgeriegelt sei. Das Ganze sei allerdings mehr als nur herzliche Fürsorge seiner zweiten Gattin, sondern letztlich auch ein Kampf um die Deutungshoheit über das politische Vermächtnis des Altkanzlers."
Wenn man die beiden Texte liest, fällt auf, dass Jakubetz schon recht hat: Die Geschichte des Spiegel-Aufmachertextes weicht eher geringfügig von der ab, die schon in der SZ stand, auf die der Spiegel allerdings auch verweist. Die Frage ist nur, ob da vielleicht nur ein verärgerter Medienprofi schreibt, der sich, vielleicht auch zurecht, wundert, warum der Spiegel mit dieser Geschichte titelt; oder ob ein Thema nicht doch auch einen zweiten Text verträgt, für all die da draußen, die nichts mit Medien machen und kein SZ-Abo haben. Und ein bisschen was Neues gibt es ja (siehe auch Altpapierkorb) auch doch, im Spiegel:
"Der Bericht in der 'Süddeutschen Zeitung' hatte wohl schon Folgen. Helmut Kohl soll ihn gelesen haben, erzählt ein Zugelassener. Er soll seine Frau gefragt haben, ob die ihn wirklich so stark abschotte. Am schlimmsten ist für Kohl-Richter, dass der 'Bild'-Chefredakteur Diekmann nach Amerika gezogen ist. Er ist für Kohl eine Art Ersatzsohn und für Kohl-Richter ein Berater, der ihr beim Navigieren durch die Untiefen des Mediengeschäfts half. Sie hat oft mit ihm telefoniert, hat Texte mit ihm abgestimmt. Seit er weg ist, können sich die Kohls ihres Zugangs zur 'Bild' nicht mehr sicher sein. Am vergangenen Donnerstag tauchte neben einer Geschichte ein Bild des Altkanzlers in Strickjacke auf, das hätte es unter Diekmann nicht gegeben."
+++ Zurück aber zum Spiegelblog: Zwei der ersten vier Blogeinträge sind Konferenzberichte. Am Wochenende fand im Spiegel-Gebäude eine Konferenz zum 50. Jahrestag der Spiegel-Affäre statt, die, so besagtes Spiegelblog in aller Bescheidenheit,
"eine Zäsur in der Geschichte der Bundesrepublik darstellte und den Zeitpunkt markiert, als 'die Deutschen lernten, ihre Demokratie zu lieben', wie der Spiegel in der vergangenen Woche titelte".
Eine knappe Zusammenfassung steht zum Beispiel im Hamburger Abendblatt:
"Nach einem kritischen 'Spiegel'-Artikel über die Bundeswehr ('Bedingt abwehrbereit') war im Oktober 1962 die Zentrale des Magazins durchsucht worden. Mehrere Redakteure wurden festgenommen, Herausgeber Rudolf Augstein kam für 103 Tage in Untersuchungshaft. Am Ende blieb vom Verdacht des Landesverrats und der Bestechung aber nichts übrig – der 'Spiegel' ging als Gewinner aus der Affäre hervor."
Die Spiegel-Konferenz – das am weitesten verbreitete Medienthema des Montags – wird von den Beobachtern anderer Medienhäuser weitgehend sachlich behandelt, was sicher auch daran lag, dass die wesentlichen Runden nicht mit irgendwelchen Einschätzungsgebern ausgestattet waren, sondern mit Beteiligten, etwa Nachgeborenen der Protagonisten Augstein und Franz-Josef Strauß: Franziska Augstein und Strauß-Tochter Monika Hohlmeier, "die diese Geschichte nicht nur aus Archiven kennen" (Süddeutsche Zeitung). Die Welt schreibt, der Spiegel habe
"viel zeithistorischen Sachverstand von außen versammelt. Das erwies sich als Glücksgriff, denn so wurde die Eigensicht des 'Spiegels' auf die Affäre, die viel von einer Heroenerzählung hat, durch andere Blickwinkel ergänzt, ja gebrochen".
Einen dieser Blickwinkel, den von Hohlmeier, zitiert etwa der Tagesspiegel; sie "sei auch hier, um manch Lebenslügen über ihren Vater zu reduzieren":
"In der 'Spiegel'-Affäre, an deren Ende Strauß seinen Posten als Verteidigungsminister verlor, sei sich ihr Vater seiner Fehler sehr wohl bewusst gewesen. 'Das war für ihn eine ganz, ganz tiefe Wunde.'"
Besondere Beachtung erfährt aber das Referat Lutz Hachmeisters, zum einen im Spiegelblog selbst, das damit womöglich einen Teil der Spiegel-Geschichte aufzuarbeiten beginnt; zudem bei Carta, das sich auch der Vorgeschichte Hachmeister/Spiegel widmet, und auf der Medienseite der Süddeutschen Zeitung:
"1996 hatte Hachmeister zum ersten Mal dargestellt, wie die früheren SS-Offiziere Horst Mahnke und Georg Wolff in den fünfziger Jahren beim Spiegel Karriere gemacht hatten. An diesem Samstag legte er nach: Über einen älteren Herren aus Niedersachsen sei er an die Memoiren Georg Wolffs gelangt. 'Daraus geht hervor, dass Wolff 1959 Chefredakteur beim Spiegel werden sollte', sagt Hachmeister. Der frühere SS-Mann sei einer der fleißigsten Schreiber des Magazins gewesen. Die Beförderung, so Hachmeisters These, wurde nur nicht umgesetzt, weil Augstein gefürchtet habe, Strauß könnte bei Bekanntwerden von Wolffs Vergangenheit das Blatt desavouieren – eigene Skrupel angesichts der Vita seines Redakteurs hätten ihn nicht geplagt. Im Gegenteil: Augstein, so Hachmeister habe Mahnke und Wolf nicht einstellt, 'obwohl sie in der SS waren, sondern weil."
Carta ordnet ein:
"Zwar sind die Memoiren Wolffs kein zweifelsfreier Beleg dafür, dass Rudolf Augstein solche Beförderungen tatsächlich in Erwägung gezogen hat, aber die Strauß-These hat ihren ganz eigenen Spiegel-Reiz."
Die weiteren Medienseitentexte stinken neben "Tatort", Medienwandel pur und der deutschen Geschichte, die neu geschrieben werden müssen könnte, womöglich etwas ab. Markus Lanz und das neue Burda-Frauenmagazin landen daher heute ausnahmsweise mal im Altpapierkorb.
+++ Zu Hauptstadtjournalists Rolle in Sachen K-Frage kolumniert Tom Schimmeck in der FR +++ In den Unterhaltungs- und Quatschportalen gibt es auch wieder Schönes: gmx.de verweist auf ein Interview mit Anke Schäferkordt von RTL, demzufolge der Castingzenit in Bälde überschritten sein werde +++ Und bild.de zitiert die Bild am Sonntag mit den ersten Einblicken in Markus Lanz' neues "Wetten, dass..?", inklusive Mobiliar und Gästeliste; die Rede ist von Cro, Jennifer Lopez und Hannelore Kraft (die auch in diversen "Günther Jauch"-Kritiken vorkommt, die aber eigentlich eher von Uli Hoeneß handeln) und nicht von Peter Maffay +++
+++ Der Spiegel-Titel nochmal, mit dem nächsten Buch-PR-Großprojekt: Ich bilde mir ein, dass Spiegel Online am Sonntag zwischenzeitlich (unter Berufung auf ein zum Titel gehörendes Spiegel-Interview) mit einem Text über ein Buch aufmachte, das – diese verrückte Welt wird immer schneller – noch nicht einmal geschrieben ist: Hannelore-Kohl-Biograf Heribert Schwan plane "den ganz großen Scoop". (Update: ja, doch, so war's wohl.) Irgendwie ist die Spiegel-Online-Geschichte gerade nicht mehr auffindbar, daher nochmal dDer Spiegel: "Es ist ihm gelungen, an einen Großteil von Kohls Akten zu kommen, sogar an dessen Stasi-Akte. Damit will Schwan seine eigene Geschichte von Helmut Kohl erzählen. Der Hofstaat ist schon aufgebracht" +++ Einen Rechtsstreit mit dem Altkanzler fürchte Schwan nicht, da er nie eine Verschwiegenheitsvereinbarung unterschrieben habe, meldet auch die SZ +++
+++ Im Fernsehen: Die FAZ, ebenso Spiegel Online, bespricht im Feuilleton groß den bereits mehrfach besprochenen ZDF-Film "Der Fall Jakob Metzler" (heute, 20.15 Uhr), sowie, kleiner auf der eigentlichen Fernsehseite, "Burn Notice" (Vox, 20.15 Uhr) +++ Die SZ die Arte-Serie "Die Farben der Wüste" (Start um 19.30 Uhr) +++ Die taz widmet sich Einsparungen, auch international, und dem "offenbar" bevorstehenden Verkauf der Nürnberger Abendzeitung +++
+++ ARD und ZDF wechseln sich bei der Übertragung des Silvesterkonzerts in Zukunft ab (FAZ-Meldung) +++ Zeit-Magazin und SZ-Magazin wollen im Dezember kooperieren und zum Thema "Konkurrenz" aufeinander Bezug nehmen, meldet SZ-Magazin-Chef Timm Klotzek +++ Und die SZ stellt die Burda-Zeitschrift Treat vor, für die Eva Padberg im roten Kleid Nudeln kocht: "Das ist alles sehr hübsch, trotzdem stellt man sich die Frage, ob sich dieses Prinzip beliebig fortsetzen lassen wird - wie vielen Menschen der Leser also wirklich beim Einkaufen und Kochen zusehen will" +++ Und die taz schreibt über das Webmagazin Die Featurette, das Frauen im Netz zu mehr Sichtbarkeit verhelfen wolle +++
Das Altpapier stapelt sich wieder am Dienstag.