Dieter Bohlen und Thomas Gottschalk sind wie Bild.de und Spiegel.de: nicht vergleichbar. Jetzt prallen beim "Supertalent" zwei unterschiedliche publizistische Ideen aufeinander, was zu vielen Rezensionen führt. Dazu: einige der vielen medialen Aspekte in Sachen Anti-Islam-Video. Und Frank Elstner springt für die Axel Springer AG aus einem Hubschrauber.
Man sollte, wenn man sich sein Weltbild über die Medien zusammenzimmert, auch die FAZ von heute und die FAS vom Sonntag gelesen haben: Michael Hanfeld (FAZ) und Harald Staun (FAS) weisen dort in ansonsten nicht thesen- oder sonstwie deckungsgleichen Feuilletonaufmachern darauf hin, dass nicht nur das Video "Innocence of Muslims" (siehe Altpapier vom Freitag und zur weiteren Berichterstattung heute die ersten Seiten diverser Zeitungen und Onlineausgaben) medial vermittelt ist, sondern auch die Empörung darüber – brennende Flaggen, Gewalt, Botschaftsstürme –, die damit ebenfalls nur ein Ausschnitt aus der Wirklichkeit ist:
"Schauen wir hinter die brennenden Fassaden, zeigt sich einmal mehr, dass wir Zeugen eines Gewalttheaters werden, dessen Regisseure darauf angewiesen sind, dass wir die ganze Welt für so verrückt halten, wie sie in ihrem Stück erscheint",
schreibt Hanfeld, der darauf abhebt, dass radikale islamische Gruppen das "vollkommen irre Video aus den Vereinigten Staaten" für ihre politischen Zwecke instrumentalisierten. Bei Staun ist ein anderer Aspekt zentral, nämlich dass die Bilder des "Schauspiels der Empörung" nur jenen Bruchteil der Welt zeigten, der "das Märchen vom beleidigten Muslim" reproduziere:
"Eineinhalb Millionen Katalanen haben am Dienstag in Barcelona für einen unabhängigen Staat demonstriert, doch auf den Titelseiten randalieren jemenitische Chaoten. Wer ihn aber durchbrechen will, diesen elenden Kreislauf von verzerrten Bildern und fleischgewordenen Gespenstern, von kultivierter Unversöhnlichkeit und fabrizierter Fremdheit, der sollte die Extreme einer anderen Kultur nicht für signifikanter halten als die eigenen."
+++ Und nun aber, das geht ja im "heute journal" auch, wenn es sein muss, zu etwas wirklich völlig anderem: zur deutschen Fernsehunterhaltung von früher.
"Früher war eine Show eine Show. Sie hatte einen Anfang und ein Ende, und wenn man Glück hatte, wurde es zwischendrin leidlich unterhaltsam, gab es eine Dramaturgie, die Spannung entwickelte und das Gefühl vermittelte, man sei Zeuge bei einem großen Ereignis."
Schreibt Hans Hoff auf der Medienseite der Süddeutschen Zeitung. Und bescheinigt der ersten Sendung der sechsten Staffel von "Das Supertalent" (RTL)
"eine hemmungslos aufgebauschte Patchwork-Anmutung, bei der aus vielen nicht zueinander passenden Flicken ein großes Nichts wird."
Auch andere kritisieren "Das Supertalent" heute als zusammengeschnittene Show ohne roten Faden:
"RTL versuchte auch gar nicht erst den Eindruck zu erwecken, dass diese Show wie sie im Fernsehen zu sehen war, irgendwie so oder so ähnlich tatsächlich stattgefunden hätte. Schon in der ersten Szene hatten Bohlen, Gottschalk und Hunziker etwas anderes an als bei ihrem Einmarsch. Schnitt, bei der nächsten Vorführung sahen sie schon wieder anders aus. Letztlich ist die Show ein etwas willkürliches Mosaik aus viel, viel mehr aufgezeichnetem Material. Was nicht weiter schlimm wäre, würde man es nicht so sehr merken",
schreibt exemplarisch Bernd Gäbler im Tagesspiegel. Wie also war "Das Supertalent"? Das ist das am weitesten gestreute Medienthema heute. Dass RTL dabei wie ein Arzt ohne Zulassung agiert, der herumliegende Gliedmaßen zu einem neuen Korpus zusammenbastelt, ist der eine wesentliche Aspekt der vorliegenden Kritiken. Der Anlass für deren gehäuftes Auftreten ist jedoch zweifellos die unter- bzw. übergeordnete Frage, wie Thomas Gottschalk war, der bei der Show bekanntlich neben Michelle Hunziker und Dieter Bohlen in der Jury sitzt. Wie tief er gefallen ist. Sowas liest man als Hämiker schließlich gern. Was Michael Hanfeld auf Seite 9 der FAZ schreibt (etwas anders online), klingt dann auch einigermaßen tragisch:
"Thomas Gottschalk, die Unterhaltungslegende, ist jetzt Randfigur einer mittelmäßigen Show."
Was etwas irritiert, ist, dass "Wetten, dass..?", die Show, die Gottschalk zur "Unterhaltungslegende" gemacht hat, ja selbst oft genug als mittelmäßig besprochen wurde und Gottschalks als gealterter Fummelopa, der nicht mehr mit Bohlen mithalten könne. Sagen wir so: Eine mögliche Qualität von "Das Supertalent" besteht darin, dass nun der direkte Vergleich zweier unterschiedlicher publizistischer Ideen möglich ist, die bislang nicht gut zu vergleichen waren, auch wenn sie verglichen wurden: Bohlen und Gottschalk.
Bohlen und Gottschalk, das ist ein bisschen exakt wie Bild.de und Spiegel.de, denen Stefan Plöchinger, "Visionär mit Bodenhaftung" (Christian Bartels im Altpapier) und Chefredakteur von sueddeutsche.de, die Vergleichbarkeit abspricht.
Plöchinger hielt bei der DJV-Tagung "Besser online" in Bonn die Keynote. Und wiederholte, Meedia zufolge, ein paar sehr richtige Sachen: etwa dass Journalisten sich angewöhnt hätten, Erfolg und Misserfolg im Journalismus statt journalistisch lieber quantitativ zu bewerten, und zwar "nicht, wie Journalisten es tun sollten, sondern wie Anzeigenvermarkter es tun". Plöchinger kritisiert das, er empfiehlt eine Orientierung an der "publizistischen Idee" statt an der Reichweite. Meedia fasst Plöchingers Vortrag zusammen:
"Wachstums-Werte in der Reichweite hätten häufig banale Gründe und seien schnell wieder verflogen. Zudem würden falsche Vergleiche gezogen. 'Was hat Bild.de mit Spiegel Online zu tun?', fragte Plöchinger. Im Print würde man die Reichweiten der beiden Angebote auch nicht direkt vergleichen."
Das direkte Aufeinandertreffen der zwei verschiedenen publizistischen Ideen – Gottschalk und Bohlen – wird dann in den "Supertalent"-Kritiken auch weitgehend als misslungen eingeschätzt:
"Es gab kaum ein Aufeinandertreffen. Showgigant und Poptitan hockten meist starr am Pult, getrennt durch die wahlweise als süßes Nichts oder als One-Woman-Schutztruppe agierende Michelle Hunziker",
schreibt die Süddeutsche. Und die FAZ:
"Gottschalk, dessen Übertritt vom ZDF zur ARD und dann zu RTL als Weltenwanderung mit Endstation im Hades beschrieben worden ist, macht häufig einen lustlosen Eindruck, macht dann und wann einen Witz auf Bohlens Kosten, wendet sich ab, wenn es ihm zu gruselig wird, ansonsten aber gute Miene zum bösen Spiel."
Der Tagesspiegel schreibt:
"Gottschalk sitzt halt mit am Jury-Tisch und kann keine seiner Stärken, etwa die besondere Schlagfertigkeit oder das Aufleben vor dem Publikum, ausspielen. Zu Bohlen scheint er ein höfliches Nicht-Verhältnis zu pflegen. Manchmal wirkte es, als seien sie gar nicht im selben Raum. Dann und wann murmelt er etwas von „Niveau“, das er hochhalten wolle."
Die Frankfurter Rundschau und Berliner Zeitung schreiben online:
"Diese Gegensätze! Dieses Konfliktpotenzial! Klar, dass sich das weiter zuspitzen würde, bis zum Eklat – bloß wann?"
Und Spiegel Online findet:
"Es ging schon heiterer zu im Fernsehen und auch schon schlimmer. Aber richtig passen will es nicht. (...) Wo Gottschalk 'Altersverwegenheit' sagt, wollte Bohlen gerade von 'Altersdemenz' sprechen. Der Eine versucht routiniert, das Niveau zu heben, der andere senkt es routiniert wieder."
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Die Kritiken lassen sich mit einer Schlaumeierei aus dem Fußball zusammenfassen: Stars alleine machen noch keine Mannschaft, wenn jeder Star eine unterschiedliche publizistische Idee vom Spiel verfolgt. Am 6. Oktober startet übrigens, der Hinweis darf fast nirgends fehlen, die neue Staffel von "Wetten, dass..?", ohne Thomas Gottschalk, dafür mit dem einst von RTL zum ZDF gekommenen Markus Lanz. Am überraschendsten klingt das Bekenntnis des großen ZDF-Strukturkritikers Hanfeld bei FAZ.net: "Da wir", also wohl er,
"insgeheim mit dem ZDF sympathisieren, hier ein persönlicher Wunsch: Gottschalk wieder nach Mainz, egal für was, vielleicht auf die Plätze, die Guido Knopp bislang belegt hat. Und Lanz wieder nach Köln zu RTL. Dort ruhig jeden Abend, im Wechsel mit Jauch. Einfach alles wegmoderieren."
+++ Völlig anderes Thema: Der Geschäftsführer der Fernsehsparte der Axel Springer AG, Claus Strunz, wird von Spiegel Online zitiert, es gebe "derzeit zu viele Gleiche und zu wenige Gute", und zwar Moderatoren. Das Zitat steht im Zusammenhang mit einem Interview, das Frank Elstner dem Druck-Spiegel verpasst hat und in dem er, anders als Markus Lanz kürzlich im Focus (siehe Altpapier), Thomas Gottschalk tatsächlich nicht kritisiert. Elstner kündigt dort an, künftig eine "Meisterklasse" an der Axel-Springer-Akademie zu leiten, "in der junge Moderatoren ausgebildet werden und darüber hinaus journalistische Grundlagen vermittelt bekommen". Und das wirklich Entscheidende daran schickt er auch gleich hinterher:
"Um das Projekt zu bewerben, planen wir einen Spot, der viral verbreitet werden soll. Darin werde ich mit dem Fallschirm aus einem Hubschrauber springen."
+++ Bettina Wulff kommt a) nicht in irgendwelche Talkshows (u.v.a. Tagesspiegel), hat b) ein Interview mit der Welt am Sonntag (oder sagt man da jetzt auch "Die Welt"?) zurückgezogen, aus dem die Welt am Sonntag (und Welt Online, oder "Die Welt"?) indirekt zitiert, und wird c) auf der FAS-Medienseite verteidigt: gegen Journalisten, die ihr nicht zugestehen wollen, auch was dazu zu sagen, dass sie für unwürdig gehalten wird, weil sie dem Kulturproletariat zugeordnet werde +++
+++ Auch ein Ding: Während die britische Boulevardpresse zu Lady Dianas Zeiten noch "als brutalste der Welt (galt), die vor nichts haltmachte, schon gar nicht vor dem Königshaus", sieht es heute, da die französische Illustrierte Closer Urlaubsfotos von Catherine von Cambridge – das ist die Frau von Prinz William – gedruckt hat, anders aus, wie die SZ auf Seite 4 schreibt: "Nicht nur hat kein britisches Blatt die Fotos von Kate gedruckt, es gibt auch eine patriotische Empörung darüber, dass in anderen Ländern so wenig Rücksicht auf die künftige Königin genommen wird" +++
+++ Von der Abschaffung bedroht: "Blickpunkt Sport", die Sportsendung des Bayerischen Rundfunks, am Montagabend (SZ); denkbar aber auch: neuer Sendeplatz und mehr Sport am Sonn- statt am Montag +++ Abgeschafft: die Sperrfrist beim Deutschen Fernsehpreis (ebenfalls SZ): Da die Verleihung in diesem Jahr im ZDF wegen des Menschenrechts auf Fußball erst zwei Tage nach der Aufzeichnung ausgestrahlt werde und nicht, wie sonst, nur einen Tag danach, werde man konsequenterweise die Gewinner gleich gar nicht mehr geheimzuhalten versuchen +++
+++ Lesenswert: die Studie über Sprachen und Medien des Politischen bei Carta, die sinnvoll zusammenzufassen mir auf die Schnelle nicht recht gelingen mag +++
+++ Im Fernsehen: der laut FAZ gute und laut Tagesspiegel zumindest nicht schlechte Komödienmehrteiler "Der Doc und die Hexe" (heute und Do., je 20.15 Uhr, ZDF) +++ Ebenfalls FAZ: eine Kurzrezension von "Ware Mensch – Der Kampf gegen Schleuserbanden" (22.50 Uhr, ARD) +++ Den Film des Spiegel-Redakteurs Markus Feldenkirchen zum 70. Geburtstag von Wolfgang Schäuble ("Es ist, wie es ist", Phoenix, 21 Uhr) bespricht die SZ ziemlich lobend und die taz recht lobend mit Tendenz zur Ratlosigkeit +++ Ebenfalls in der taz: eine Vorschau auf die neuen Folgen von Markus Kavkas Musikersendung "Number One!", einst bei Kabel1, jetzt bei ZDF Kultur +++ Und im Spiegel steht ein langer Text über die Dreharbeiten des ZDF für einen Film über den Mord an Jakob von Metzler, zehn Jahre nach der Tat (S. 158ff.) +++
Das Altpapier stapelt sich am Dienstag wieder.