Über Bettina Wulff kann man durchs Dementi jetzt schreiben, was Google zuvor mühsam autovervollständigen musste. Und Stefan Raabs Idee der Günther-Jauch-Konkurrenz vielleicht doch nicht so abwegig.
Die Hammer-Frage des Tages kann naturgemäß nur heißen:
"Wie wohl heute in Folge 4140 Arno Brandners letzte Worte lauten werden?"
Arno Brandner, wer kennt ihn nicht, ist seit 17 Jahren die Figur, die der Schauspieler Konrad Krauss in "Verbotene Liebe", "der edelsten aller Vorabendserien" (TSP), verkörpert. Zum Abschied erinnert Katrin Hillgruber im Tagesspiegel kurz an Rolle und Akteur.
Liebling des Tages bleibt aber Bettina Wulff. Nachdem die Berliner (Altpapier von gestern) herausgefunden hatte, dass das Erinnerungsbuch der gewesenen First Lady bereits im Handel rumliegt, haben mehr Leute reingeguckt.
Antje Sirleschtov fällt im Tagesspiegel der Ton auf, in dem das Buch geschrieben ist:
"Bitterkeit schwingt gerade dort in jeder Zeile mit, in der sie zu den Gerüchten über ihre Vergangenheit Stellung bezieht: 'Mein Pseudonym lautet also angeblich Lady Viktoria', beginnt dieser Teil des Buches."
Als abgewichster, mit allen Wassern gewaschener Medien- und Öffentlichkeitsfuchs würde man "Jammern gibt's schon" murmeln und dabei nachdenklich auf die sich auflösenden Eiswürfel im Whisky-Glas schauen.
Als Stefan Winterbauer macht man auf Meedia.de dagegen lässig den Kenner der Szene und ringt nebenher mit der deutschen Sprache:
"Da war die Bild-Zeitung. Bettina Wulff: 'Wenn man einen bestimmten Grad an Öffentlichkeit erreicht hat, kommt man nicht um die Bild herum. Auf einer gewissen Ebene gilt es, mit dem Blatt zurechtzukommen.' Soweit Lieschen-Müller-Point-of View. Die mutmaßlich in der Überzahl weiblichen Leser von 'Jenseits des Protokolls' dürften solch eine Sichtweise gerne glauben, wird sie doch seit Jahr und Tag als herrschende Mainstream-Meinung über die Bild kolportiert: Ohne die böse Bild geht es nicht. Was freilich so nicht stimmt."
Wie es stimmt, the Stefan-Winterbauer-Point-of-View, wird allerdings nicht geklärt. Dafür äußert der DJV-Vorsitzende Michael Konken einen schrecklichen Verdacht:
"Als diskussionswürdig bezeichnete es der DJV-Vorsitzende, dass Bettina Wulff ihre Persönlichkeitsrechte erst über ein halbes Jahr nach dem Rücktritt ihres Mannes vom Amt des Bundespräsidenten gegenüber zahlreichen Medien geltend mache. 'Der zeitgleiche Verkaufsstart ihres Buches nährt den Verdacht einer PR-Kampagne mit dem Ziel, Aufmerksamkeit zu erregen', sagte Konken."
Michael Hanfeld ist sich in der FAZ (Seite 29) noch nicht so sicher:
"Es dürfte schwer sein, hinter Sinn und Zweck dieser juristischen und publizistischen Strategie zu kommen. 'Hoffähig' ist das Gerücht jedenfalls erst jetzt. Und es dürfte schwer sein, es wieder aus der Welt zu schaffen."
Andererseits, könnte man einwenden, hört der Spaß bei eidesstattlichen Erklärungen auf. Was aber richtig ist, dass es mit Nachricht vom Dementi leichter fällt, "Prostituierte" oder "Escort" im Zusammenhang mit "Bettina Wulff" zu sagen – Wörter, die früher mühsam und stumm die Autovervollständigungsfunktion von Google vorschlagen musste.
Das führt zu einigen heiteren Selbstversuchen mit dem Service: Bernd Matthies ist im Tagesspiegel enttäuscht, dass "Bernd Mayländer" vor ihm vorgeschlagen wird.
Deniz Yücel schafft es in der TAZ, über Autovervollständigung und Bettina Wulff Judith Butler noch mal ordentlich eine mitzugeben (während Stefan Reinecke das Niveau der Debatte um Butlers Adorno-Preiswürdigkeit auf Seite 1 noch ausdrücklich lobte). Über sich schreibt Yücel:
"Wer jedenfalls nach mir sucht - ausnahmsweise sei hier das Wort Ich erlaubt -, bekommt neben Wörtern, gegen die ich nichts einzuwenden habe ('schwul', 'Israel', 'Olympia'), auch den Nickname eines Wikipedia-Autoren angeboten. Deshalb sei klargestellt: Das bin nicht ich."
Kritsanarat Khunkham hat auf Welt-Online herausgefunden:
"Mit 'A' erhalte ich 'Amazon' und 'Aldi', die Eingabe von 'Wieso' ergänzt Google aus dem Pool der Top-Suchanfragen zu 'Wieso nehme ich nicht ab'. Es offenbaren sich aber auch ganz andere Abgründe: Bei 'Ist es falsch' wird als Vervollständigung 'mit meiner Cousine zu schlafen' vorgeschlagen; die Wortfolge 'Kann ein Mensch' wird offenbar häufig in dem Satz 'Kann ein Mensch ein Pferd schwängern' verwendet."
Angesichts solcher Recherchen bleibt die Frage nicht aus, wie Googles Service eigentlich funktioniert. Corinna Budras weist in ihrer Bestandsaufnahme in der FAZ daraufhin, dass es Begriffe gibt, die nicht mehr suggeriert werden:
"In Frankreich wurde das amerikanische Internetunternehmen dagegen dazu verurteilt, einige Begriffe wie 'Torrent' oder 'Rapidshare' nicht mehr vorzuschlagen, wenn sie im Zusammenhang mit Künstlernamen auftauchen. Der Grund: In dieser Kombination führen die Begriffe in überwiegendem Maße zu illegalen Webangeboten."
Die SZ (Seite 31) resümiert die Reaktionen und sieht das Gegenargument zur Ablehnung von Bettina Wulffs Klage ebenfalls:
"Dann stimmt Googles vorgegebene Unbeeinflussbarkeit der Vorschläge also nicht. In den Blogs wird darauf verwiesen, dass ein extrem häufig eingegebener Begriff wie Sex gar keine vorgeschlagenen Vervollständigungen hat."
Marin Majica widmet sich dem Thema in der DuMont-Presse umfassend.
"Tatsächlich bestätigt Google-Sprecher Kay Oberbeck, dass für Google Instant eine ganze Reihe Suchwörter aus dem Bereich Pornografie, Gewalt, Hassrede und eben Urheberrechts-Verletzungen gesperrt sind."
Gleich darauf, ein nicht unwichtiger Hinweis in diesen Tagen, schreibt Majica:
"Andererseits hindert Google niemanden, 'torrent' selbst einzugeben."
Gravierender als die "Autovervollständigung" seien überdies "Eingriffe bei der Auflistung der Such-Ergebnisse".
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Und während man sich nach der Verantwortung von Google am Fame von Bettina Wulff fragt, könnte der Michael Konken in einem womöglich auf die Idee kommen, dass das Ziel der Klage nicht unbedingt darin bestehen muss, "Prostituierte", "Escort" oder auch "Strumpfhose" als Vorschläge hinter dem eigenen Namen gelöscht zu kriegen. Sondern eben Aufmerksamkeit für die neue Geschichte von Bettina Wulff, die mit dem Buch erzählt werden und sich irgendwann in die Autovervollständigungsvorschläge von Suchmaschinen niederschlagen soll.
Gibt ja immerhin schon Texte, die über das Thema hinausgehen.
Ludwig Greven thematisiert auf Zeit-Online die Bigotterie der Konservativen:
"In anderen Ländern wie etwa Großbritannien sind solche politischen Schlammschlachten mithilfe des Privatlebens schon lange Usus. Bei uns sind es bisher Einzelfälle. Bemerkenswert ist, dass sie vor allem im bürgerlichen Lager vorkommen."
Und Michalis Pantelouris ist schon sehr früh viel weiter gegangen – zu der naheliegenden Frage nämlich, was das Problem wäre an einer Politikergattin oder auch First Lady, die Sexarbeiterin gewesen ist.
"Prostitution ist in dieser unserer Gesellschaft fest verankert. Ich weiß, dass Sexarbeit mit besonderen vor allem psychischen Belastungen einhergeht, ich meine es absolut nicht respektlos, wenn ich sage: Es ist ein ganz normales Gewerbe."
Auch wenn das moralisch vielleicht einiger Vermittlungsarbeit bedürfte.
Um nicht gänzlich unvermittelt auszusteigen, hier noch das Ende von Arno Brandner in der "edelsten aller Vorabendserien":
"Eigentlich hatte sich Krauss als Serienausstieg einen tödlichen Sturz von der Leiter gewünscht, doch die Drehbuchautoren dichteten ihm, beraten von der Deutschen Alzheimer Gesellschaft, den gefürchteten Weg ins Vergessen an."
Klingt wie der Rattelschneck-Cartoon in der SZ vom nächsten Samstag.
ALTPAPIERKORB
+++ Stefan Raab sorgt auch für ein wenig Furore. So "abwegig" wie ARD-Thomas Baumann findet Joachim Huber im Tagesspiegel die Idee zu Raabs politischer Talkshow (Altpapier von gestern) nicht – und erinnert an erfolgreiche Vorläufer im öffentlich-rechtlichen Fernsehen – "die ARD-Sendung 'Pro + Contra'. Sie ist 30 Jahre lang, von 1968 bis 1998, einmal im Monat am Donnerstag im Ersten gelaufen. Auch hier wurde eine Mischung aus Debatte und Spielerei geboten. Zwei Lager diskutierten im Studio ein kontroverses Thema wie Ladenschluss oder Homo-Ehe. Vorher gab es im Publikum eine Abstimmung über die Mehrheitsmeinung. Nach der 45-minütigen Diskussion mit verschiedenen Teilnehmern und vom Moderator provozierten 'Pro + Contra' wieder eine Abstimmung." +++ David Denk setzt in der TAZ argumentativ auf Raabs bisherige Erfolge: "Und immer wenn es Raab mit etwas ernst ist, wird es gefährlich. Für die anderen." Und wundert sich über den Spiegel-Journalisten, der Raab interviewt hatte: "Ständig meldete Interviewer Thomas Tuma Zweifel an der moralischen Statthaftigkeit von 'Absolute Mehrheit' an. 'Sie zündeln vielleicht nicht, haben aber Zündhölzer in der Hand', warf er etwa ein und offenbarte damit, wovor ihm wirklich graut: dass Menschen, die nicht den Spiegel lesen, auch eine politische Meinung haben und die jetzt sogar per Telefonabstimmung äußern dürfen." Ob es wirklich um so tiefe Überzeugungen geht? Oder müsste das Spiegel-Interview nicht eher als Beleg für ein eitles Doofgetue herhalten, das sich als Journalismus tarnt und doch eigentlich PR ist? +++
+++ Wie aus einer anderen Zeit (I): Steffen Grimberg schreibt in der TAZ über die Konditionen, die die Saarbrücker Zeitung an ihren Verkauf geknüpft hat: "Der Konzernsitz an der Saar ist vertraglich genauso festgeschrieben wie die Vollredaktion für die SBZ." +++ Wie aus einer anderen Zeit (II): Anna Klöpper, ebenfalls in der TAZ, über einen ZDF-Zweiteiler namens "Johanna und der Buschpilot". "Und es ist schon erschreckend, was für eindimensionale Kolonialzeit-Folklore da im öffentlich-rechtlichen Fernsehen verbreitet wird: Auf der einen Seite die Afrikaner, die nichts auf die Reihe kriegen, den OP vollkrümeln oder auf irgendeiner Stammesfehde marodierend durch den Busch ziehen und dann im Krankenhaus des 'großen weißen Medizinmanns' (Johannas Vater) wieder zusammengeflickt werden müssen." +++ Sounds like heute: Das Handelsblatt meldet schlechte Zahlen von den Presse-Grossisten. "Bei den Absatzzahlen der Zeitungen und Zeitschriften setze sich der Abwärtstrend der Vorjahre fort. So wurden im ersten Halbjahr 1,17 Milliarden Exemplare verkauft. Das sind 71,6 Millionen und damit 5,6 Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum." +++ Kommt später: Johannes Kuhn macht sich via Carta Gedanken über Journalismus in der Post-Fact-Society. +++
+++ Die FAZ (Seite 29) informiert über den Doris-Heinze-Prozess, ein Urteil wird am 20. September erwartet. +++ Die SZ (Seite 31) hat sich gegruselt bei einem pathetischen Film über Stéphane Hessel. +++ Und Matthias Opdenhövel macht heut abend den Waldi in seriös nach dem Länderspiel, meldet die Berliner. +++
Neues Altpapier gibt's morgen wieder gegen 9 Uhr.