ARD und, vor allem, ZDF stehen für ihre affirmative Berichterstattung über die EM in der Kritik. Aber wer bohrt schon ein Loch in die Planken eines Boots, in dem er selbst sitzt? Außerdem: Einlassungen zum Leistungsschutzrecht. Und ARD-interne Kritik an Talkshows. Sowie ein weiteres Ahmadinedschad-Interview
Was hätten wir da heute? Erstens: Usedom. Usedom – besser: der geglückte Versuch, des ZDF, auf der Halbinsel Usedom die Europameisterschaft in unter anderem Polen mit möglichst dummem Gesülze zu begleiten – kriegt einiges an Kritik ab. Zweitens: Leistungsschutzrecht (das, als Entwurf vorliegend, ebenfalls nach wie vor einige Einordnungen hervorbringt; Links siehe Altpapierkorb). Drittens: ARD-interne Kritik an der Talkshowschiene. Und viertens: die Frage, was dank Fußball eigentlich alles in der medialen Berichterstattung zu kurz kommt.
Über letzteres, Punkt vier, lässt sich genau genommen nicht so viel sagen – es kommt ja nicht umsonst zu kurz. Aber es gibt eben doch manchen Kommentar, der das Zu-kurz-Kommen moniert:
"Diese #Europameisterschaft wird dann wohl das Lehrbuchbeispiel für #burying?, gezieltes Verbergen unangenehmer Stories hinter buntem Lärm", schrieb Frank Rieger vom Chaos Computer Club am 14. Juni. "Stell dir, vor es ist Showdown und keiner sieht hin", twitterte (17. Juni) Pirat Martin Delius und meinte kein Fußballspiel. Aber auch den richtigen Medien – also "richtig" im Sinn von: die von Verlagen – ist das natürlich aufgefallen. Und durch häufige Verlinkung im Internet (sic!) besonders hervorgestochen ist dabei der kluge Beitrag von Jürgen Kaube aus dem Samstags-FAZ-Feuilleton, in dem er, nachdem er das Uefa-Fernsehbild und das ZDF auf Usedom abgehandelt hat, Richtung Griechenland schaut. (Hä, Griechenland, wasdalos? Siehe hierzu etwa die Linkliste bei Carta). Kaube also:
"(F)ür den Sonntag, wenn dort Wahlen sind, die für ganz Europa Folgen haben, planen die öffentlich-rechtlichen Sender, das sind die mit dem Kirchhofschen zwangsgebührenbegründenden Gesamtdiskursauftrag, für die Zeit nach 20 Uhr folgende Beiträge: Erst Deutschlanddänemark und 'Traumschiff', gefolgt von 'Kreuzfahrt ins Glück' und Hollandportugal, dann 'Waldis Club' und 'Mysteriöse Kriminalfälle der Geschichte'. Na, klar, auch beim ZDF will man den Kollegen von der Urlaubsfeelingsproduktion nicht unnötig durch Sendungen über die dramatischsten polit-ökonomischen Vorgänge der vergangenen zwanzig Jahre Konkurrenz machen. (...) Medienhistoriker werden eventuell einst festhalten dürfen, dass knapp die Hälfte der deutschen Wahlberechtigten im geistigen Urlaub war, als Europa zerbrach."
Europa zerbrach dann irgendwie doch nicht noch am Sonntag, und ob die Hälfte der deutschen Wahlberechtigten nicht auch im geistigen Urlaub wäre, wenn das ZDF etwas anderes als das "Traumschiff" zeigen würde, sei dahingestellt. Dass ein griechischer Fußballer im, ich sach mal, Interview nach dem Freitagsspiel gegen Russland auf die Wahlen am Sonntag hinwies, lässt auch die andere These zu: Vielleicht wüssten ohne Fußball-EM zwar einige besser darüber Bescheid, was sonst so los ist, andere aber dafür vielleicht schlechter.
Zudem gibt es da, lesbar als weitere Gegenthese zu Kaube, noch die folgende Passage aus dem Spiegel (S. 76 f.) – Thema des Textes, in dem sie zu finden ist, ist eigentlich die ARD-interne Kritik an den Talkshows (Altpapierkorb), aber sie passt genau in die Diskussion:
"Braucht man zum Beispiel 'Günther Jauch'? Manchmal schon. Zum Beispiel wenn der Moderator sich scheinbar Unmögliches traut. So wie in seiner letzten Sendung vor der Sommerpause. Jedem war klar, dass Jauch gegen das Europameisterschaftsspiel, das zur selben Zeit im ZDF lief, zumindest quotenmäßig untergehen würde (...). Er machte (...) eine Sendung, die erkennbar das Ziel hatte, sich in angemessener Form einem vernachlässigten Thema zu widmen. Der Titel: 'Trauma Afghanistan – welche Spuren hinterlässt der Krieg?' (...) So hatte die Europameisterschaft es vielleicht erst möglich gemacht, in dieser ernsthaften, nicht effekthascherischen Form über dieses Thema zu reden, weil die Sendung in dem wöchentlichen, täglichen, sekündlichen Quotenwettkampf ohnehin keine Chance besaß."
Was ist die EM also nun, Themenverdränger oder -ermöglicher? So einfach ist das nicht. Zumal z.B. die ARD im "Weltspiegel" ausführlich über Griechenland, "live aus Athen", berichtet hat (siehe datenjournalist.de für ein paar mehr Details der Griechenland-Programmplanung).
[+++] Um aber irgendwie auf Usedom zurückzukommen: Der Maßstab manchen Publizierens ist ja der kleinste gemeinsame Nenner des Informationsbedürfnisses. Claudius Seidl schreibt in seinem FAS-Text (Anlass: 60 Jahre gedrucktes Fernsehen, also Bild) über die Springer-Zeitung:
"Seit Jahren sinken die Zahlen der Leser und der Käufer – was auch daran liegen mag, dass der Schritt vom 'Bild'-Lesen zum Überhauptnichtmehrlesen ein sehr kleiner ist."
Und da sind wir wieder an der Ostsee: Dieser Schritt ist nämlich ungefähr so groß nämlich wie der Schritt von Usedomgucken zu Nichtmehrfüreuropainteressieren. Die Euro-Usedom-Ostsee-Performance des ZDF, die man ja nicht deshalb loben muss, weil sie schon alle anderen so unsäglich finden, sorgt also, wie oben angekündigt, auch noch für Kritik. Vorne dabei ist auch hier die Frankfurter Allgemeine, die im Sportteil der Sonntagszeitung (S. 24) über "diese überdrehte Internetredakteurin, deren Namen wir uns nicht merken wollen, die uns in Gestalt von Olli Kahn Twitter erklärt, als wären wir komplette Vollidioten", lästert. Der Name steht, wenn man ihn sich schon nicht merken will, zum Nachschauen in der Medienkolumne des Spiegels (S. 73): Es
"fügen sich schlechte redaktionelle ideen, der bizarre Veranstaltungsort, der übliche Sportverein des ZDF und technische Pannen zu einem Gesamtbild, in dem dann noch eine junge Frau namens Jeannine Michaelsen eine prominente Rolle spielen durfte."
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Angesichts der harschen Worte, die auch, wenn ich das recht überblicke, irgendwie nirgends in diesem Print relativiert werden, angesichts auch einer (allgemeinen) Zuschauerbefragung des ZDF, über die Der Spiegel berichtet, und derzufolge "das wahre Leben (...) auf anderen Sendern" stattfindet, ist die Erwiderung von Katrin Müller-Hohenstein und Oliver Kahn (in der Bild am Sonntag) auf die mediale Usedom-Kritik eher billig. Eine Ich-hab-ganz-viele-nette-Mails-bekommen-Selbstverteidigung, über die mal jemand mit Konzepten wie "Kognitive Dissonanz" drüberkärchern sollte:
"Was wir an Feedback bekommen, ist aus Sicht der Zuschauer sehr positiv. Also kann es ja nicht so verkehrt sein."
Kann es eben doch. Was direkt zur nächsten Frage führt: Ist das überhaupt Journalismus, was ARD und ZDF zur Europameisterschaft bieten?
Es gab jedenfalls nur halbherzige bis mittelharte Kritik von ARD und ZDF (siehe Meedia) am "Weltbild" der Uefa, die in der Praxis entscheidet, welche Bilder aus dem Stadion gezeigt werden und welche nicht (FAS vom 3.6.). Vergangene Woche etwa (Altpapier) hatte die Uefa Joachim Löw während des Fußballspiels eingeblendet, wie er einem Balljungen den Ball unter dem Arm wegschlug – was allerdings eigentlich schon vor dem Spiel passiert war. Die "Grenzen zur Fiktion", schreibt die FAS nun, seien hier aufgelöst. Der Tagesspiegel ordnet – weniger streng als die FAS und auch weniger streng als Jürgen Kaube im oben zitierten FAZ-Text – ein:
"Um andere nicht zur Nachahmung zu animieren, werde zum Beispiel vermieden, Zuschauer wie den 'Flitzer' zu zeigen, die unerlaubt das Spielfeld betreten. Dass unliebsame Motive wie Plakate oder Fahnen bewusst ausgeblendet würden, bestritt ein Sprecher der Uefa. Auch dass die Szene von Löw als Wiederholung in die Live-Berichterstattung einspielte, findet die Uefa legitim. Das sei eine 'international übliche Praxis', die Wiederholung sei als solche gekennzeichnet gewesen. ZDF-Sportchef Dieter Gruschwitz widersprach. Der Vorfall mit Löw sei 'unüblich' gewesen. Konsequenzen will die Uefa nach den Protesten von ARD und ZDF nicht ziehen, heißt es von dem Fußballverband. Der Zuschauer können sich damit wohl weiterhin nicht darauf verlassen, dass tatsächlich alles live ist, was live aussieht."
Dafür können die deutschen Öffentlich-Rechtlichen nur bedingt etwas. Andererseits: Würden sie nicht eigentlich als Eventveranstalter agieren, dürften sie sich eben nicht um die Übertragung solcher Ereignisse bemühen. Die Antwort auf die Frage also, ob ARD und ZDF zur Europameisterschaft überhaupt Journalismus bieten, lautet wohl: nein. Jedenfalls nicht den aus dem Lehrbuch. Die Anstalten haben einen so großen Sack voll Geld dafür bezahlt, als übertragende Mächte dabei sein zu dürfen, dass man es fast schon eine Gebührenverschwendung nennen müsste, wenn sie die Veranstaltung nicht wenigstens saugeil fänden.
"ARD und ZDF sind, wie immer, wenn es um Live-Fußball geht, Partner des Veranstalters, nicht aber Partner des kritischen Zuschauers",
schreibt der, wiederum, Tagesspiegel in einem Kommentar. Was richtig ist. Aber wer als Partner im Boot ist, bohrt dann eben kein Loch in die Planken. Im Grunde müssten ARD und ZDF bei einer solchen Veranstaltung wie der EM beides zugleich sein: Unterhaltungsdampfer. Und Greenpeace, das mit einem Schlauchboot um den Dampfer herumfährt. Wir werden es nicht erleben.
+++ Ein gern aufgegriffenes Thema des Tages ist, und zwar mit der Begründung, dass es so ist, ARD-interne Kritik an den ARD-Talkshows, via Spiegel zu den Menschen da draußen gebracht: Schon vergangene Woche war ARD-interne Kritik (aus dem "Programmausschuss") an der "Talkshowflut" publik geworden (siehe Altpapier). Nun gibt es auch Kritik aus dem ARD-Programmbeirat, der aus Vertretern der Landesrundfunkanstalten besteht und unter anderem Programmdirektor Volker Herres berät (siehe auch sueddeutsche.de), und die der Spiegel thematisiert. Welche Unterschiede und genauen Zusammenhänge zwischen Kritik 1 (siehe bild.de) und Kritik 2 bestehen, möchte noch herausgearbeitet werden. Im Spiegel heißt es: "Es trifft in dem internen Papier nicht nur Günther Jauch. Die Programmwächter (...) kommen zu einem wenig schmeichelhaften Urteil: 'Zu viel vom Selben.' Zu oft Senioren. Zu oft dieselben Gäste. Zu oft dieselben Themen. Zu oft Männer..." +++ Auch den Rest der Kritik kann man sich eigentlich denken, sie steht schließlich jede zweie Woche in irgendeiner Onlinefrühkritik. Der Tagesspiegel fasst sie zusammen: "In der Einzelkritik gerät besonders ARD-Neuzugang Jauch ins Visier. Er betreibe 'Stimmungsmache', seine Einspieler mit Passantenbefragungen 'gaukeln eine vermeintliche Realität vor.' In seinen Fragen nehme er meistens schon die 'Antworten vorweg'. Bei Anne Will gebe es immer wieder Sendungen mit wenig Erkenntnisgewinn, heißt es. Sandra Maischberger sollte bei der Auswahl skurriler Gäste darauf achten, keine öffentlich-rechtlichen Grenzen zu überschreiten. 'Hart aber fair' mit Frank Plasberg sei zu 'soft' geworden" +++ Auch noch passend zum Thema Talkshow: Volker Panzer vom "Nachtstudio" des ZDF geht in den Ruhestand, die FAS verabschiedet ihn. Die Sendung wird demnach eingestellt +++
+++ Das Leistungsschutzrecht (siehe auch Altpapier vom Freitag) sorgt für ein paar weitere Reaktionen. Herauszuheben wären Stefan Niggemeiers Blogtext und ein Wortfeld-Blog +++
+++ Ahmadinedschad-Interview und Sarrazin-Gastbeitrag (also nicht dass das das gleiche wäre) in einer Ausgabe: die FAS. Wobei die Einordnung des Ahmadinedschad-Interviews (an sich) durch Interviewerin Christiane Hoffmann sehr lesenswert ist: "Widerspreche ich nicht, bleiben die Anschuldigungen stehen. Tue ich es doch, lasse ich mich auf eine sinnlose Diskussion ein, die meine Interviewzeit stiehlt." +++
+++ Weitere Themen: Die Berliner Zeitung schaut nach Russland und dort auf die Arbeitsbedingungen für Journalisten +++ Die Süddeutsche Zeitung macht einen Begegnung mit Brigitte Fehrle, der angehenden Chefredakteurin der Berliner Zeitung, zum Medienseitenaufmacher. Man liest von einem Bild, das 18 Schafe zeigt. Keine Ostflure +++
+++ Radio: über eine Kulturradio-Tagung in Tutzing schreiben taz und SZ +++ Die taz interviewt zudem Willi Steul vom Deutschlandradio zu geplanten Reformen +++
+++ Und im Fernsehen findet ein Kriminalfilm statt: "Unter Beschuss" (ZDF, 23.15 Uhr) wird von der FAZ (S. 29) gelobt: "Kein Postkartenidyll, nirgends. Gnadenlos strahlt die Sonne auf die Szenerie herab und legt alle Depressionen bloß. In Reiseprospekten sieht die französische Mittelmeerküste wahrlich anders aus" +++ Fernsehmacher des Tages: Aaron Sorkin ("The West Wing"), dessen Fernsehfernsehserie "Newsroom" dieser Tage startet – im Interview bei Vulture: "Wenn die Republikaner sagen, die Erde sei flach, titelt die New York Times: 'Parteien uneinig über Form der Erde'": Pseudofairness +++
Das Altpapier stapelt sich wieder am Dienstag.