Satirische Stärke

Satirische Stärke

 

Im Spiegel tratschen die gewesenen Sidekicks Feuerstein und Andrack über den alten Chef Harald Schmidt. Der Geburtstag von Axel C jährt sich immer noch nicht. Und: Wird Günther Jauchs Sendung je Leitmedium?

 

 

Ausgefuchsten Angestellten passiert so was natürlich nicht: Gestern war Sonntag, morgen ist Feiertag, also ist heute Brückentag. Dementsprechend ist der Auftrieb relativ gering, und man kann ins Grübeln kommen, ob der Brückentag, dieses Moment des Übergangs, nicht eigentlich Metapher für das Leben, diese transitorische, mit Verlaub, Scheiße ist.

 

In der Redaktion von Günther Jauchs Sendung könnten auch mehrere Mitarbeiter die Option verlängerter Urlaub gezogen haben – so ließe sich zumindest das Thema der Sendung erklären.

 

"Diesmal bediente sich die Redaktion beim aktuellen Spiegel, dessen Autorin Susanne Amann direkt neben Günther Jauch sitzen durfte und die ihn sogar noch während der Sendung auf Stellen im Heft aufmerksam machte."

 

Schreibt Torsten Wahl in der Frühkritik für die Berliner unter der hübschen Überschrift "Spiegel-TV im Ersten". Daniel Müller sieht das auf Welt-Online genauso:

 

"Zum anderen saß dort die 'Spiegel'-Redakteurin Susanne Amann, deren Recherchen der Jauch-Redaktion die Arbeit ersparten. Aus ihrem aktuellen Magazin-Aufmacher nämlich speiste sich die gesamte Kritik an dem Unternehmen."

 

Das könnte Überlegungen zum Charakter eines Leitmediums nach sich ziehen. nachsichziehen. Die neue Chefredakteurin des Deutschlandfunk, Birgit Wentzien, hat in der DLF-eigenen Mediensendung am Samstag ein paar Eigenschaften von Leitmedien skizziert – und gleich am Anfang glücklicherweise die Macht, "man kann auch sagen Verantwortung", vor all die Tugenden gestellt, die den Journalismus auszeichnen sollten: Glaubwürdigkeit, Recherche, und so.

 

Der Spiegel scheint aus dieser Perspektive für Jauch Sendung ein Leitmedium zu sein, auch in Hinblick auf die Tugenden. Jauchs Sendung dagegen kann eigentlich nur mit ihrer Macht wuchern – die sich dem populären Sendeplatz und der Prominenz des Moderators verdankt. Ob das auf ewig so bleibt, ist allerdings offen, und zwar nicht nur weil Jauch, nicht zum ersten Mal, "nur mäßig interessiert" (Berliner) am Thema wirkte.

 

Sondern auch weil Jauch durch seine Prominenz als unbefangen-seriöser Journalistendarsteller eigentlich ausfällt – bei nahezu jedem Thema könnte er auch Gast in seiner eigenen Sendung sein, wie Wahls Kritik nahelegt.

 

"Dass sich ausgerechnet ein Günther Jauch darüber wunderte, warum die Albrecht-Brüder so sehr die Öffentlichkeit scheuen, muss verwundern – er selbst kämpft bekanntlich mit harten Bandagen um seine Privatsphäre."

 

Sonderbar klingt auch dieser Einfall:

 

"Schließlich sorgte Gastgeber Jauch für die Brüskierung eines Gastes, wie man sie in dieser Form selten erlebt hat. In Form einer vorgelesenen 'Zuschauermeinung' wiederholte er die Vorwürfe gegen Günter Wallraff, er habe für sein Buch „Ganz unten“ mit der Stasi kooperiert. Was dies mit dem 'Aldi-Prinzip' zu tun haben sollte, blieb Jauchs Geheimnis. Der erboste Wallraff riet Jauch, er solle sich von der Springer-Presse feiern lassen."

 

Die Springer-Presse immerhin braucht keine Zuschauermeinung, wie Müller bei Welt-Online vorführt:

 

"Zum einen den stets vor Wut schäumenden Günter Wallraff, der sich seit Jahren um die Aufdeckung von Missständen der Arbeitsbedingungen in deutschen Einzelhandelsunternehmen verdient macht – der aber leider offenbar nicht verstanden hat, dass nicht derjenige Recht hat, der am lautesten brüllt."

 

Damit scheidet die Welt als Leitmedium nach Wentzien schon mal aus – selbst wenn der krasse Ton gerechtfertigt wäre, würde jemand, dem es um Glaubwürdigkeit geht, gerade nicht so über einen Kritiker schreiben, mit dem das eigene Haus seit einer Woche Jahren einen Beef austrägt (siehe Altpapier vom Freitag).

 

Springer-Presse, Springer-Presse, da war doch noch was – am Mittwoch ist endlich 100. Geburtstag von Verlagsgründer Axel C, und noch immer besteht die Möglichkeit der Würdigung vor dem eigentlichen Jahrestag.

 

Hans-Jürgen Jakobs befasst sich in der SZ vom Samstag mit der Nachwirkung Springers, dem Erbe, das im eigenen Haus andachtsvoll gepflegt und immerfort heilsbringerhaft mit Deutschland kurzgeschlossen wird. Mit der wahren Bedeutung

 

"verhält es sich derzeit doch wohl eher so, dass jedes Erinnern an Axel Springer eine PR-Injektion für Axel Springer (den Verlag) ist - und dass solche Geschichtsschreibung den Clangeist bezahlter Angestellter fördert, die sich schon immer als 'Springer-Familie' begriffen haben. Ein Mann, eine Corporate Identity."

 

Felix Dachsel ist einigermaßen genervt von der Unmöglichkeit, das Ereignis ignorieren zu können, freut sich in der TAZ aber über eine "kluge" Arte-Doku zum Thema, die morgen abend 20.15 Uhr gesendet wird. Ob man Springer boykottieren sollte, hatte die SonnTAZ gefragt. Julia Burkhart vermeldet online ein paar Antworten:

 

"Wolfgang Storz, ehemaliger Chefredakteur der Frankfurter Rundschau, setzt auf schlichte Nichtbeachtung und bittet Journalisten und Politiker: 'Tun Sie einfach nichts. Sehen Sie in der Bild-Zeitung kein Leitmedium, kupfern Sie Themen und Machart nicht ab.'" 

 

Die Warnung von Storz, der ja auch als Autor einer Bild-kritischen Studie der Otto-Brenner-Stiftung hervorgetreten ist, lässt sich wiederum auf Wentziens Leitmedium-Definition lesen – Macht muss in diesem diffusen Bereich auch erstmal anerkannt werden.

 

[+++] Das gibt eine 1-A-Überleitung zum Highlight dieses Brückentages: dem Spiegel-Interview (Seite 134) mit Manuel Andrack und Herbert Feuerstein anlässlich des Endes von der Harald-Schmidt-Sendung auf Sat.1 am Donnerstag. Feuerstein:

 

"Ich habe gelitten. Aber Schmidt setzte sich immer durch. Er ging vor wie ein afrikanischer Diktator. Nur dass er die Macht nicht hatte. Sonst hätte es bestimmt Tote gegeben."

 

Das Gespräch ist ein schönes Beispiel für höfliches Tratschen: Man versteht die Figur durch manchen Blick hinter die Kulissen besser, hat aber nie das Gefühl, dass sich zwei Erniedrigte und Beleidigte hier durch Indiskretionen an ihrem einstigen Kollegen rächen müssten. Andrack:

 

"In Wirklichkeit ist Schmidt noch gemeiner als auf der Bühne."

 

Feuerstein:

 

"Es ist Teil seiner Kraft, so zu sein. Man kann nicht bloß spielen, böse und gnadenlos Satire zu machen...Normalerweise tritt man nicht auf jemanden, der am Boden liegt. Schmidt hingegen springt drauf. Er kann auch Leute von einem Moment auf den nächsten fallen lassen. Ich halte beides für eine satirische Stärke."

 

Die Oliver Pocher, der nicht zum Gespräch bereit war, nach seiner gemeinsamen Zeit mit Schmidt erfahren durfte. Andrack:

 

"Seine Begeisterung für Pocher war nach sechs Wochen vorbei. Aber ich würde das nicht Pocher anlasten. Schmidt ist so: schnell entflammt, aber genauso schnell gelangweilt...Er war sauer auf sich selbst. Weil er die Pleite nicht hat kommen sehen."

 

Am Ende wetten beide übrigens über eine Rückkehr Schmidts binnen eines Jahres, Feuerstein pro, Andrack kontra.

 

Man wird sehen.


Altpapierkorb

 

+++ Abgesetzt wird DSDS nicht, aber etwas Änderungen werden an der Show nach der schwachen Staffel vorgenommen, wie Thomas Lückerath auf dwdl.de schreibt: "Dazu zählen etwa neue Köpfe im Team der Kreativen. So holte RTL erst im Februar Boris Henn zurück an Bord, der im Team um Unterhaltungschef Tom Sänger an 'DSDS' arbeitet. Doch nach sieben Jahren will RTL auch vor der Kamera für weitere sichtbare Veränderungen sorgen. So will der Sender Moderator Marco Schreyl austauschen." Ob's hilft? +++ Schluss ist für die 51-jährige Claudia Ludwig als Moderatorin der WDR-Sendung "Tiere suchen ein Zuhause". Der Grund ist das Alter, wie Antje Altroggen im DLF-Magazin "Markt und Medien" argumentiert: "Vor einigen Tagen hatte Claudia Ludwig zu einer Pressekonferenz ins Köln-Dellbrücker Tierheim eingeladen. Dort waren viele ihrer Sendungen aufgezeichnet worden. Eine Gelegenheit, die sie zum Anlass nahm, auf ihre Tätigkeit zurückzublicken. Ein schwieriger Spagat zwischen Sentimentalität und Enttäuschung, inszeniertem Selbstmitleid und öffentlicher Kritik an einer Mediengesellschaft, die Falten im Fernsehen nicht duldet." +++

 

+++ Zu Ende geht heute nacht das analoge Fernsehzeitalter. Der Tagesspiegel reflektiert darüber in Form von Verbrauchertipps. +++ Die TAZ gibt vier Fernsehhinweise in den digital empfangbaren öffentlichen Kanälen ("Roche und Böhmermann", "Der elektrische Reporter" u.a.). +++ Markus Ehrenberg schreibt im Tagesspiegel über Pläne bei Sky, auf HBO zu machen und "Edelserien" produzieren zu lassen. Ob's klappt? Nico Hofmann hat für Teamworx schon mal den Hut in den Ring geworfen. +++ Beim neuen Thüringer Tatort des MDR darf jeder, ist der SZ (Seite 15) zu entnehmen – call it Transparenz oder was auch immer: "Die 'sehr geehrte Produzentin' und der 'sehr geehrte Produzent', die Brandt [Jana, die zuständige Redakteurin, AP] anspricht, werden dort gebeten, Angebote für 'einen in Thüringen spielenden Tatort' zu unterbreiten, der 2013 gesendet werden soll. Geplant sei derzeit die Realisierung eines Films pro Jahr. Gebeten wird bis zum 11. Mai um 'konzeptionelle Überlegungen, inklusive Vorschläge für Autoren, Cast und Regie'. Die Ausschreibung gilt für zwei Produktionen." +++

 

+++ Im SZ-Feuilleton (Seite 11) würdigt Laura Weißmüller die Infografik als "coolen Typen" unserer Tage. +++ Stefan Niggemeier hat in seiner Spiegel-Kolumne (Seite 133) die Kernbotschaft der Gema-Imagekampagne verstanden: "Ohne Musik gäbe es keine Musik". +++ Und Tobi Müller hat sich in der Berliner vom Samstag Gedanken über Pop- und Theaterkritik im Internet gemacht und schreibt ohne Schaum vorm Mund: "Bei aller Liebe zur digitalen Medienanarchie: Die meisten Blogs leben parasitär, ihre Schreiber verdienen Geld in den großen Medienhäusern. Deshalb ist die Krise der Holzmedien auch eine Krise der Kritik im Netz." +++

 

Neues Altpapier gibt's Mittwoch wieder gegen 9 Uhr. Schönen Feiertag

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