Was für ein schöner Montag

Was für ein schöner Montag

Ist Joachim Gauck noch im Amt? Was hat das Buch von Herrn Maschmeyer mit "Bild" zu tun? Was wird aus Castingshows? Was hat ZDF-Intendant Thomas Bellut vor? Und wie sind "München 72" und "Schlachtfeld Politik"?

Was für ein schöner Montag (siehe z.B. Wetter). Zur Feier des Tages erstmal der Hinweis, dass es bei "Günther Jauch" seit Jüngstem nicht mehr primär um Christian Wulff geht (siehe Online-Frühkritiken auf den Seiten von BLZ/FR, FAZ, SPON). Was schon Partygrund genug ist. Und dann auch noch dieser Netz-Meme-Humor-Mega-Smasher: Nachdem die Frage auch zu Christian Wulff und Berlins sehr vorübergehendem Justiz-Senator Michael Braun gestellt wurde, fragt nun da draußen jemand: "Ist Joachim Gauck noch im Amt?"

Dieser Jemand wohnt in Hannover, was nicht das Geringste zu bedeuten hat, und doch führt uns die erste Assoziation von hier aus mitten rein ins Herz der Finsternis: Dorthin, wo alles genau so zu sein scheint, "wie man es sich schon gedacht hat, ohne etwas Genaueres zu wissen", wie Julia Encke schreibt, in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (S. 27), für die sie Carsten Maschmeyers Buch – eine "unverhoffte Anleitung zum Schmierigsein" – bespricht.

Das Buch und sein Autor wurden jüngst – hier kommen wir zum medial Halbseidenen – in aller Freundschaft von Bild rauf- und runter thematisiert. Dass die FAS Enckes Buchverriss, ohne näher darauf einzugehen, mit einem Foto von Maschmeyer und Veronica Ferres mit der Erzieherin der Kinder und Frau des Bild-Chefredakteurs bebildert (siehe links), dafür sei ihr an dieser Stelle herzlich gedankt.

Der Fernsehreporter Christoph Lütgert hat sich in Sachen Maschmeyer schon vergangene Woche (siehe Altpapier) über Bild empört (vocer); im Tagesspiegel antwortete Vocer-Mitherausgeber Stephan Weichert nun auf die Frage, was ihn in der vergangenen Woche am meisten geärgert habe:

"Dass die 'Bild'-Zeitung ernsthaft versucht, den AWD-Gründer Carsten Maschmeyer in einer mehrteiligen Artikelserie reinzuwaschen."

Aber Moment, Lütgert, Lütgert? Ach richtig: der Mann, der einmal über seine Empörung über Maschmeyer einen Film drehte. Der eine echte Chance hätte, in der Disziplin "Ich-Sagen" gegen Thomas Gottschalk zu bestehen.

[+++] Ich. Dem Ich ist ein kleiner Themenschwerpunkt gewidmet in den Zeitungen dieser Tage: Die FAS widmete, erstens, ihre Pro-und-Contra-Rubrik im Feuilleton der Frage, ob es, also das Ich, in Zukunft eine größere Rolle spielen sollte. Und befindet in jenem der zwei Texte, die man ich verstanden hat habe, dass manches schöne Buch in der Ich-Form geschrieben sei. Heribert Prantl interpretiert, zweitens, in der Samstags-SZ in einem zweiseitigen Schwerpunkt zu Internet, Konzernmacht, Data-Mining und Datenschutz die gute alte "Selbstdarstellung" als Triebkraft des Internets, was uns mich aber allmählich wirklich ein wenig langweilt; die Alternative zur allseitigen "Selbstdarstellung" wäre schließlich, dass wieder alle, von uns uns Journalisten natürlich abgesehen, die Klappe halten und ihren Status nur noch an Stammtischen updaten. Und dem nagelneuen Bundespräsidenten (der sich schon einmal zur Freiheit der Medien geäußert hat, siehe Medium-Magazin 2010), wird heute, drittens, im taz-Titelkommentar ein gewisser Hang zum Reden über sich selbst bescheinigt:

"Es ist kein Zufall, dass Gauck, als er gestern vom 18. März und den ersten freien Wahlen in der DDR sprach, fast in jedem Satz ein 'Ich' unterbrachte."

Die Medienmedienberichterstattung im engeren Sinn kreist zum Stichwort "Ich" um das, viertens, eher zeitgeist- als tagesaktuelle Thema "Castingshow". Nachdem Die Zeit von Kinderversionen von "DSDS" für 4- bis 14-Jährige berichtet hat ("Aus betriebswirtschaftlicher Sicht", aber eben dann doch nur aus der, "war es höchste Zeit für eine große Fernsehshow mit Schni-Schna-Schnappi-Potenzial"), stimmt Der Spiegel (S. 144 ff.) heute auf das Ende des Castings ein:

"Als gesellschaftlicher Gesprächsstoff von Schulhof bis Kegelabend haben die Shows ausgedient. (...) Inzwischen ermüden die Stereotypen. Doch es sind nicht nur die üblichen Abnutzungserscheinungen. Castingshows haben zudem auch ihren Status als Sinnbild für alle möglichen gesellschaftlichen Entwicklungen verloren. Jahrelang war das Format der Oberbegriff, unter dem sich alles fassen ließ, was persönlichen Konkurrenzdruck bedeutete, und zugleich machte es diesen Konkurrenzdruck modern."

Das Ende des Castingprinzips, nicht seine Fortsetzung, wird hier als die Zukunft des Fernsehprogramms angedeutet. Dürfte vielleicht auch den neuen ZDF-Intendanten Thomas Bellut, der als Programmdirektor das Kanzler-Casting etabliert hat, interessieren.

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Belluts erste Pressekonferenz war bereits am Samstag Thema der Zeitungen. Die FAZ richtet ihren gewohnt geweiteten Blick auf das Öffentlich-Rechtliche und schreibt über die Einsparungen, die das ZDF vorzunehmen hat:

"Jeder weiß, wie viel Luft im festangestellten Apparat steckt, doch den abzuspecken, fehlt die Kraft, also trifft es die freien, zumeist jüngeren Mitarbeiter im sogenannten „dritten Kreis“, also diejenigen mit den lockersten Verträgen. Den Prozess werde man über Jahre und möglichst verträglich gestalten, es solle auch nicht vornehmlich die Jungen treffen, sagte Bellut. Man darf gespannt sein, ob ihm das gelingt."

Berliner Zeitung und Frankfurter Rundschau fassten vier Kernpunkte zusammen:

"Erstens: Das ZDF-Programm soll jünger werden, die digitalen Kanäle Neo, Info, Kultur und die Mediathek reichten dafür nicht aus. Zweitens: Es müsse gespart werden, sowohl am Personal als auch am Anteil der Eigenproduktionen, der 2011, bezogen auf Erstausstrahlungen, bei 68 Prozent lag. Drittens: Das ZDF will Erster werden – nicht nach Quote bemessen, obgleich man zwischen 19 und 23 Uhr schon Marktführer sei, sondern im Qualitätswettbewerb mit der ARD wolle das ZDF in allen Genres besser werden. Schließlich viertens, und auch diese Kampfansage richtet sich an die ARD: Doppelübertragungen soll es nur noch bei „massiv journalistischen“ Ereignissen geben".

Und der Tagesspiegel konzentriert sich auf jenen Aspekt der angestrebten Verjüngung des Publikums:

"Bellut war bisher Programmdirektor in Mainz, schon da wollte er 'verjüngen'. Es blieb beim Ziel. Immerhin, das ZDF hat mit seinen drei Digitalprogrammen, insbesondere mit ZDFneo einen Anfang geschafft. Aber das ist Zielgruppenfernsehen und kein General-Interest-Kanal. Beim Zuschaueralter des ZDFProgramms 'werden wir die 61 nicht überschreiten und wollen spätestens in drei Jahren die Trendwende erreichen', sagte Bellut."

Verjüngung: Irgendwie ja durchaus beruhigend in diesen wilden Zeiten, dass der Running Gag des deutschen Fernsehens erst einmal im Programm bleibt.


Altpapierkorb

+++ Was für ein schöner Montag (siehe z.B. Fernsehprogramm, falls Wetter schlecht). Das Fernsehprogramm weist für heute zwei größere Ereignisse aus: "München 72 – Das Attentat" (ZDF, 20.15 Uhr, mit anschließender Dokumentation) und Stephan Lambys "Schlachtfeld Politik" (ARD, 22.45 Uhr). Die FAS lobt an "München 72": "So viel Charme hat man lange nicht gesehen in einem deutschen Fernsehfilm", kritisiert aber: "(A)m Bewusstsein für die Kontrollierbarkeit des Stoffes und auch am Mut zum Risiko fehlt es dann letztlich doch" +++ Der Tagesspiegel befindet: "kein Action-Kracher, keine Liebesschmonzette, sondern das Zeitgeistporträt eines Landes, das auf erstaunlich naive Art den internationalen Terrorismus kennenlernt" +++ Die SZ meint: "München 72 ist kein großer fiktionaler Film mit dem Mut zu ästhetischen oder erzählerischen Experimenten; München 72, der Spielfilm, ist ein Dokument, auch des heutigen Besserwissens" +++ Die taz: "Entstanden ist ein versöhnlicher Film, der rekonstruieren will, statt zu erklären, und der sich kein Urteil erlaubt. Darin liegt seine Stärke" +++Und evangelisch.de hat "einen wertvollen Beitrag zur Aufarbeitung der Geschichte dieses Landes" gesehen +++

+++ Zu Lambys "Schlachtfeld Politik": "Die These, der Lamby nachgeht, besagt, dass Scharmützel innerhalb der politischen Parteien auf besonders schmutzige Weise ausgetragen werden und für die Beteiligten schmerzhafter sind als die Kämpfe zwischen den Parteien", schreibt die taz und hat, neben einiger Diskretion, auch "erstaunliche Momente der Offenheit" gesehen +++ Die SZ: "Er hat seine Gesprächspartner ganz langsam aufgebrochen, bis es knack machte. Als die ehemalige Gesundheitsministerin Andrea Fischer das Ergebnis sah, erschrak sie regelrecht" +++ Die FAZ (S. 29) schreibt: "Der Kampf in der Politik, sagt Andrea Fischer, unterscheide sich von dem in anderen Bereichen vielleicht sogar nur in einem: 'dass es grundsätzlich öffentlich ist'. Das aber hat besondere Wirkung. Davon handelt dieser Film" +++ Und der Tagesspiegel kritisiert: "Manchmal schrammt 'Schlachtfeld Politik' knapp am Voyeurismus vorbei" +++ Die SZ ergänzt die Besprechungen des Fernsehprogramms noch um "Deutschland filmt!" (ARD, 23.30 Uhr) +++

+++ Eher harte Kost auf der Medienseite der SZ (S. 15), auf der Hans-Jürgen Jakobs bestehende "Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Engagements der Deutschen Telekom bei der Bundesliga-Übertragung" zusammenfasst: "Die Staatsfreiheit des Rundfunks sei vom Grundgesetz vorgeschrieben, und das gelte auch für Verflechtungen zwischen dem Staat und dem Rundfunkveranstalter." Das Bundesfinanzministerium könne aber über die Beteiligung des Bundes etc. "effektiv Einfluss auf die Geschäftsführung der Telekom ausüben". Dann aber dürfe die nicht zum Rundfunk zugelassen werden: "Ist der Staat an einem Unternehmen beteiligt, so (der mit seinen Einschätzungen zitierte Professor Franz Jürgen) Säcker, 'so schließt das die Erteilung einer Lizenz an den Bewerber aus'. Die Telekom könnte demnach nie selbst die Bundesliga-Rechte in eigenen Sendungen nutzen" +++

+++ Auch schön zum Stichwort Publikumsverjüngung: Nach den Gruner-und-Jahr-Ablegern Neon und Nido für jüngere Zielgruppen soll nun der Stern-Ableger Viva kommen, für die Älteren, berichtet der Spiegel +++

++++ Der Schauspieler Ottfried Fischer rät in einem schönen Porträt im SZ-Magazin zu Bekanntem, das man aber wohl nicht oft genug aufschreiben kann: "Fischer selbst hat lange Zeit geglaubt, man könnte" Verletzungen "vermeiden, irgendwie die Kontrolle behalten, wenn man mit den Boulevard-Medien kooperiert. 'Fehler!' sagt er und winkt unwirsch ab, 'großer Fehler!'" Am 30. März, so ist da darüber hinaus zu lesen, entscheidet ein Münchner Gericht in der Causa Fischer gegen Bild wegen Nötigung +++

+++ Die Fragemethoden des "ARD-Deutschlandtrends" nimmt sich die FAS vor: "Die Infratest-dimap-Befragung zur politischen Stimmung im Land ist über weite Strecken vor allem ein Kurs darüber, wie man eine prototypische Meinung herausbekommt, indem man eine prototypische Meinung hineinsteckt." Und: "(M)an will ja nicht Gefahr laufen, eine öffentliche Meinung zutage zu fördern, die der eigenen Meinung von der öffentlichen Meinung widerspricht." +++

+++ Es ist auch eine Aussage, dass außer Interessenvertretern der Verwerter kaum mal jemand auf die Idee kommt, die Verwerter zu verteidigen: Martin Moszkowicz aus dem Vorstand der Constantin Film AG argumentiert im Spiegel zu Urheber- und Leistungsschutzrecht anders als Spiegel-Autor Stefan Niggemeier vor einer Woche (siehe Altpapier). Etwas müßig, gegen einen derart interessegetränkten Beitrag zu argumentieren. Aber bitte: Während er mit der These nicht falsch liegt, dass, wenn alle immer nur Freibier trinken, es irgendwann vielleicht überhaupt kein Bier mehr gibt, so ist damit doch noch lange nicht gesagt, dass alle tatsächlich immer nur Freibier trinken. Er behauptet darüber hinaus: "Der grundsätzliche Irrtum basiert auf der naiven Vorstellung, dass jedes Werk – egal ob Artikel, Buch, Song oder Film – nicht einzigartig ist, sondern heute von jedem konzipiert, hergestellt, vertrieben und verwertet werden kann. Jeder kann Künstler sein. Jeder könnte also auch zum Beispiel 'Let it be' schreiben – kann doch nicht so schwer sein! Auf jeden Fall ist es nicht so viel wert, dass man den Zugang dazu gegen Bezahlung einschränken sollte". Man könnte, wenn man denn wollte, erwidern, dass der grundsätzliche Irrtum auf der naiven Vorstellung beruht, dass jedes Werk nur von Verwertern verbreitet werden darf, die mit den Rechten des Urhebers argumentieren und genau dieses einschränken, indem sie sein Werk behandeln, als wäre es ihres +++

+++ Um es mit Joachim Gauck zu sagen: "Sie sind ja schon wie die im Internet" +++

Das Altpapier stapelt sich wieder am Dienstag.

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