Das ZDF beschert uns eine Pest-oder-Cholera-Debatte, und die Urheberrechtsdebatte tritt auf der Stelle. Außerdem: Die TV-Berichterstattung über die Piraten ist journalistisch mangelhaft - und die über Fußball natürlich sowieso. Und auch mal wieder ein Thema: Hitler.
Wie ein Nachruf beginnt der Text, den Michael Hanfeld heute für die FAZ geschrieben hat, eigentlich nicht:
„Das ‚Philosophische Quartett‘ ist einer der Qualitätsanker im Programm des ZDF. Es ist eine der wenigen Sendungen, in denen nicht floskelhaft, sondern grundsätzlich über gesellschaftliche, kulturelle und politische Phänomene gesprochen wird.“
Man kann den Artikel dennoch als eine Art Nachruf lesen. Am 13. Mai ist nämlich alles vorbei, dann läuft das von Rüdiger Safranski und Peter Sloterdijk moderierte „Quartett“ im ZDF zum letzten Mal. Als Nachfolgeformat ist eine Sendung mit Richard David Precht vorgesehen. Hanfelds Fazit:
„Die Idee eines philosophischen Diskurses jedenfalls hat das ZDF einstweilen zu Grabe getragen.“
Bemerkenswert ist, wie ZDF-Sprecher Alexander Stock laut FAZ die Absetzung der Sendung begründet hat: „Das Format hat sich nach zehn Jahren allmählich auserzählt.“ So etwas sagen Fernsehleute doch eher, wenn eine Serie nicht fortgesetzt oder ein Kommissars-Duo abgesägt wird. Aber inwiefern kann eine Talkrunde „auserzählt“ sein? Oder ist „auserzählt“ das neue Allzweckargument für die Entsorgung vermeintlich nicht mehr zeitgemäßer Programmware?
Joachim Huber konstatiert Im Tagesspiegel, es gebe noch kein Konzept für die Nachfolgesendung mit Precht, und erwähnt auch eine inhaltlich verwandte ZDF-Baustelle: Ob das „Nachtstudio“, ebenfalls in der Nacht von Sonntag auf Montag zu sehen, fortgeführt wird, wenn Moderator Volker Panzer im Sommer ausscheidet, sei unklar. Die Berliner Zeitung erinnert mit einer dapd-Meldung daran, dass „die Themenpalette vom Irak-Krieg über die Bankenkrise bis zur Rolle des Papstes reichte“. Die Palette reichte, könnte man noch ergänzen, sogar bis zu Sendungen, in denen Joschka Fischer auftrat - so wie am vergangenen Sonntag. Spiegel Online schließlich betont, das eigene Haus habe ja bereits im vergangenen Sommer gewusst, dass Precht eine eigene Show bei den Mainzern bekomme.
Ob es nun gut ist oder schlecht, dass Sloterdijk weg vom Fenster ist bzw. „mit seiner Weisheit am Ende“ (Spiegel Online) und nun Precht im ZDF „aufschlägt“ (um es mit Hanfeld zu sagen), ist erst einmal eine Pest-oder-Cholera-Frage. Fast alles gesagt hat dazu der Autor Jürgen Roth bereits vor ein paar Monaten, in der Dezember-Ausgabe von konkret:
„Während Peter Sloterdijk seinen rechten Rotz und dünkelhaften Schleim
verbreitet, predigt der Fernsehphilosoph Richard David Precht zu jenen, die
ihren Golf mit E10 betanken und schon mal an einem Bücherregal
vorbeigelatscht sind.“
Etwas formaler betrachtet, ist es natürlich betrüblich, dass eine Gesprächssendung abgeschafft wird, in der nicht-formatiertes Reden grundsätzlich möglich war. Falls Prechts neuer Moderatorenjob dazu beitragen sollte, dass er nicht ständig in anderen Talkshows als Experte für allerlei auftaucht, gäbe es immerhin einen Grund, die neue Sendung zu begrüßen.
[+++] Weiterhin im Gespräch bleibt die am Montag hier schon erwähnte Debatte, die Sven Regener mit seinem Wutausbruch gegen Urheberrechtsverletzer ausgelöst hat. Welt Online etwa hat einen Nachdreher im Angebot. Das eigentliche Problem benennt Johnny Häusler bei Spreeblick: Die Debatte trete „auf der Stelle: Die Fronten sind verhärtet, alle haben Recht und die jeweils anderen haben keine Ahnung.“ Häusler widerspricht zwar Regener „in vielen Punkten seines Statements“, weitaus schlimmer findet er aber die „Borniertheit“ der Regener-Kritiker und ihre
„abstruse Mischung aus peinlichem Halbwissen, unterirdischen Beschimpfungen und der ewigen Wiederholung von vagen Allgemeinaussagen ohne Lösungsansätze“.
Weil es aber nun mal beinahe schon zum Normalzustand geworden ist, dass Äußerungen zum Urheberrecht so klingen, dass einem jede Stammtischdebatte über Fußball wie „Philosophisches Quartett“ hoch zwei vorkommt, gelangt Häusler zu einem Befund, den man bei Spreeblick nicht unbedingt erwartet hätte:
„Das Netz und seine Beteiligungsmöglichkeiten, so reden wir es uns seit vielen Jahren ein, stärke die Demokratie und Meinungsvielfalt. Dass aber viele, deren Meinung vielleicht gerade nicht ins Netz oder ins jeweilige Forum passt, einfach nur noch die Klappe halten, und dass bei ebenso vielen Meinungen, die im Netz stehen, weder Motive noch Absender klar erkennbar sind, unterschlagen wir dabei gerne. Und so braten wieder alle im eigenen Saft (...).“
In den Kommentaren findet sich dann noch eine aufschlussreiche Erläuterung Häuslers. Das zumindest bei manchen Themen verbreitete Diskussionsniveau führt nicht nur dazu, dass einige gar nicht mitdiskutieren wollen, es wirkt auch zurück auf die Autoren:
„Von fünf möglichen Artikeln schreibe ich nur noch zwei, im Vergleich zu ‚früher‘. Weil ich manchmal einfach keine Lust auf die oft vorhersehbare Debatte habe.“
[+++] Keine kleine Rolle in dieser Debatte bzw. Nicht-mehr-Debatte spielt natürlich die Piratenpartei. Mit der weiß das Fernsehen offenbar immer noch wenig anzufangen, wie Kaffee bei mir? bemängelt:
„In den Reportagen von den Wahlerfolgen in Berlin und Saarbrücken waren Party, Stimmung, Jubel und Internet die meistgebrauchten Worte. (...) Dem Stimmungsbild folgt die übervorsichtige Annäherung an Aliens mit Welpenschutz. (...) Die Interviews wirken (...) bemüht bis peinlich“,
und zwar aufgrund „augenscheinlich schlechter Vorbereitung“. Was die Autorin sich wünscht, ist möglicherweise eine fernsehgerechte Aufbereitung jener Inhalte, die Claudia Henzler heute in einem Beitrag für die Thema-des Tages-Seite des SZ präsentiert:
„Wie funktioniert diese Partei? Wie kann man aus dem Nichts auf eine Kandidatenliste gelangen, ohne stundenlang in irgendwelchen Hinterzimmern nach einer Mehrheit zu suchen?“
fragt sie. Und erklärt dem Leser dann „eine Fülle von Werkzeugen“ bzw. „einige Tools, von denen viele noch nie etwas gehört haben“
[listbox:title=Artikel des Tages[Regeners Wutrede und das Niveau in der Urheberrechtsdebatte (Spreeblick)##Nach Fußball-Dauergucken im Fernsehen ist man ein gebrochener Mensch (sportal.de)##Journalisten-Paare als Kleinunternehmer in Netz (Columbia Journalism Review)]]
[+++] Wer Anlass hat, die Piratenpartei-Berichterstattung zu kritisieren, ist allerdings immer noch gut dran, jedenfalls verglichen mit jenen, die nicht erst seit gestern über die mangelnde journalistische Qualität der TV-Fußballberichterstattung klagen. Daniel Raecke hat nun für sportal.de ein komplettes Wochenende Bundesligafußball im Fernsehen über sich ergehen lassen, das heißt, er hat vom frühen Freitag- bis zum späten Sonntagabend alles weggeschaut:
„Man ist, um es zusammenzufassen, am Ende eines solchen Wochenendes ein gebrochener Mensch (...) Was haben wir nach einem solchen Mammutprogramm gelernt? Da wir viel Fußball gesehen haben, natürlich nicht wenig (um es in der Standard-Kommentatorensprache zu sagen: ‚eine Menge‘). Aber was haben uns die Vorberichte, die sogenannten Field Interviews, die Halbzeitgäste und die Spielberichte verraten? Jedenfalls nichts über Fußball. Oder zumindest nichts über Fußball im engeren Sinne. Denn um Taktiken oder sportliche Analysen geht es (von wenigen Ausnahmen abgesehen) weder in den Live-Kommentaren noch in den Interviews am Spielfeldrand. Stattdessen werden auch offensichtlich von solchen Themen genervte Spieler und Trainer immer wieder danach gefragt, ob sie jetzt doch noch Meister werden oder eine ‚Kampfansage‘ an irgendwelche Konkurrenten loswerden wollen.“
In der Tat ist „Kampfansage“ eine der nervigsten Phrasen derzeit. Warum dieser Begriff, der vor wenigen Jahren noch nicht so oft zu hören war, derzeit Konjunktur hat, ist durchaus rätselhaft. Schlimmer findet Raecke aber noch
„die nicht auszurottenden Standards wie (die) Frage, ob der Spieler sich nach dem Siegtreffer gut fühle (...) Reporter, die bei der Zusammenfassung eines Zweitligaspiels schreien, als würden sie gerade den Absturz der Hindenburg miterleben, mögen ja noch Geschmackssache sein. Aber der komplette Verzicht auf fachliche oder taktische Analyse - sind wir die einzigen, die das für schlechten Sportjournalismus halten?“
Aus anderen Gründen war Rudi Völler, der Sportdirektor von Bayer Leverkusen, am Wochenende nicht zufrieden mit der Darbietungen des Sportfernsehens, insbesondere missfiel ihm eine Sky-Expertenrunde um den Ex-Schiedsrichter Markus Merk, die er als „die drei von der Muppet-Show“ titulierte. Das wiederum missfiel Focus Online („Mr. Dünnhaut von Leverkusen“). Was bisher noch keiner geschrieben hat, ist, dass Völler mit seiner Aussage die Muppet-Show herabgewürdigt hat.
Wer Essentielles erfahren will über den Mann, der den Sender, über deren Honorarkräfte Völler meckert, erst möglich gemacht hat, sollte versuchen, sich Zugang zu verschaffen zu Lowell Bergmans Dokumentation „Murdoch‘s Scandal“, die heute bei Frontline, der renommierten Doku-Reihe des öffentlich-rechtlichen US-Senders PBS, zu sehen ist. Allemal aufschlussreich: ein halbstündiges Interview mit dem Autor.
Altpapierkorb
+++ Mehr Murdocheskes: Andreas Mink schreibt in der NZZ, dass Fox News rhetorisch abrüsten will. Jedenfalls hat Direktor Roger Ailes „eine Kurskorrektur hin zu einer moderat-konservativen Linie" angekündigt.
+++ Adolf Hitler dient neuerdings im türkischen Fernsehen als Werbefigur für ein „Männershampoo“. n-tv, Berliner Kurier und die irische Online-Zeitung thejournal.ie berichten, bei letzterer findet man auch den inkriminierten Clip.
+++ Über die „Anonymous-Ursuppe“ 4chan informiert Spiegel Online in einem Auszug aus einem Buch, das aus dem eigenen Haus stammt („We are Anonymous. Die Maske des Protests - Wer sie sind, was sie antreibt, was sie wollen“).
+++ Ein Kurzporträt des ersten Twitter-Deutschland-Chefs in Form von Tweets findet sich bei taz.de.
+++ Jakob Augstein ist nicht der einzige Verleger, der von der „Knute des Leistungsschutzrechts“ (siehe den am Montag hier verlinkten Artikel aus der Funkkorrespondenz) nichts hält. An seiner Seite steht jetzt der Donaukurier-Verleger Georg Schäff, der sich im Interview mit seinem eigenem Blatt zu der Causa äußert.
+++ „Married, with websites“ lautet die Überschrift eines Artikels im Columbia Journalism Review, der einige Beispiele dafür liefert, wie Journalisten-Paare zu Kleinunternehmern im Netz werden.
+++ Detlef Borchers geht auf der FAZ-Medienseite unter der Überschrift „Suchet, so werdet ihr Google finden“ berichtet darüber, dass gerade „Umbauten der Suchmaschine getestet werden“: „Statt schlichter Verweise zu anderen Angeboten landen die Tester in einem Angebot von Google-Informationen, das an vorderster Stelle eingeblendet wird, komplett mit Werbung und Verweisen auf andere Google-Angebote wie den Empfehlungen, was Bekannte auf Google+ alles angesehen haben. Technisch beruht das neue Angebot auf der Datenbank von Metaweb, einem von Google gekauften Spezialisten für das ‚semantische Web‘. Dieser vom WWW-Erfinder Tim Berners-Lee geprägte Ausdruck steht für das Kontextverständnis, das Menschen besitzen, das den Suchmaschinen aber Probleme macht.“
+++ Um das semantische Web ( „ein großes Thema, das auch für den Journalismus unheimlich wichtig werden wird“), aber auch um Datenjournalismus. Open Data und einen erforderlichen anderen Umgang der Redaktionen mit den eigenen Archiven geht es in einem Interview, das derstandard.at mit dem Datenjournalismus-Experten Lorenz Matzat geführt hat: „(Ein) Problem ist, dass Redaktionen zwar Daten im Sinne von Artikeldatenbanken oder Bilderdatenbanken haben, aber sie in ihren Datenbanken keine Datensätze sammeln, obwohl die ihnen eigentlich täglich über den Tisch laufen, wie zum Beispiel Excel-Sheets von Pressestellen. Soweit ich weiß, gibt es keine Redaktion, die diese systematisch in einer zentralen Organisation sammelt, sondern sie werden einfach immer wieder abgefragt. Das ist, meiner Meinung nach, ein Fehler.“
+++ Die Berliner Zeitung stellt das rasend beliebte Bildersammelportal Pinterest vor (siehe auch Altpapier).
+++ Warum der chinesische Normalbürger nichts davon erfährt, dass sich eine 20-jährigen Studentin auf einem Marktplatz verbrennt, beschreibt Big Think: „The police (...) collected everyone's cellphones and methodically deleted all photographs of the incident. China's state media, Xinhua news agency reported that the girl suffered from mental instability after hitting her head on a radiator.“
+++ Informationsfreiheit anderswo: Jürg Altwegg berichtet darüber, dass der französische Präsident Nicolas Sarkozy künftig verbieten will, „auf Internetseiten zu surfen, die den Terrorismus verherrlichen und zu Gewalt aufrufen. (...) Viele fürchten, dass Sarkozy eine Generalüberwachung des Internets vorschwebt. (...) Doch das Verfassungsgericht würde ein entsprechendes Gesetz umgehend außer Kraft setzen.“ Zum Thema gibt es heute Abend einen Beitrag in der NDR-Sendung „Weltbilder“ (Programmankündigung).
+++ Politikverdrossenheitssymptome bei österreichischen Journalisten: DiePresse.com berichtet, die Kärtner Tageszeitung habe sich entschlossen, fast eine Woche lang keine Politiker in ihrem Blatt vorkommen zu lassen. „Während die Politiker weiter machen wie bisher, bleiben dem kleinen Mann auf der Straße nur Frustration und Ohnmacht. Auch uns reicht es!", erläutert deren Chefredakteur Ralf Mosser. Wenn sich Journalisten auf ein derartiges Niveau herab begeben, sind sie eigentlich überflüssig.
+++ Politikverdrosssenheitsbekämpfungsversuche in Deutschland: Der Tagesspiegel berichtet über die schon etwas länger bekannte Idee des ZDF, eine zwei Staffel der Castingshow „Ich kann Kanzler!“ zu starten.
+++ „Walulis sieht fern“ wird öffentlich-rechtlich. Das schreibt die SZ. Die Sendung, die gerade etwas überraschend einen Grimme-Preis in der Kategorie Unterhaltung gewann (siehe Altpapier), wechselt von Tele 5 zum ARD-Digitalkanal Eins Plus, den der zuständige SWR gerade relauncht.
+++ Ebenfalls auf der SZ-Medienseite: eine eher neutrale Besprechung des arte-Themenabends „Die neuen Vegetarier“. Das Hamburger Abendblatt empfiehlt ihn dagegen ausdrücklich.