Markus Lanz übernimmt "Wetten, dass..?". Dieter Nuhr gibt den Jan Fleischhauer der Humoristen. Das Wort "Raubkopie" ist die Wurzel des Elends der Urheberrechtsdiskussion. Die Aufräumarbeiten beim MDR kommen voran. Und die aserbaidschanischen Journalisten in Deutschland scheinen zahlreich zu sein – so wirkte es jedenfalls bei einer Pressekonferenz von Reporter ohne Grenzen in Berlin
Das ZDF hat sein angelaufenes Tafelsilber verscheuert: Markus Lanz übernimmt, "wie die 'Bild'-Zeitung in ihrer Montagsausgabe berichtet" (Welt Online) beziehungsweise wie der Sender am Sonntagabend noch bekannt gab, die nicht ganz unbekannte Fernsehshow "Wetten, dass..?". Lanz' erste Sendung sei am 6. Oktober, heißt es, aus der heimlichen Eventhauptstadt Düsseldorf und ohne Komoderation.
Das ist die Medientopmeldung des Tages, die so top ist, wie eine Meldung nur sein kann, die, wenn auch unbestätigt, im Grunde längst raus war. Über die Personalie hinaus gibt es heute dazu eigentlich gar nicht allzuviel zu wissen. Denn, so der Tagesspiegel: "Nach der Einigung kommt jetzt die Entwicklungsarbeit."
Man sollte für alle, die in ihrer Mediennutzung nicht so breit aufgestellt sind und die sich jetzt verwundert die Augen reiben – Lanz? Ist das nicht der Typ von RTL, der mit dem "buttrigen Talkshowstil"? – vielleicht noch festhalten, dass es "Verstehen Sie Spaß?" ja angeblich auch immer noch gibt.
Aber man kann sich natürlich schon mal mit Vermutungen, Interpretationen und Details eingrooven und Bier kaufen, es sind ja kaum noch sechseinhalb Monate, bis es losgeht. Also:
"Dass Lanz als Dritter gefragt wurde, bedeutet nicht, dass er dritte Wahl ist",
schreibt zum Beispiel Christopher Keil auf Seite 1 der Süddeutschen Zeitung, in einem ausführlicheren Text – ergänzt etwa um den kurzen Einspalter auf der gedruckten Medienseite – auch online. Ob der ZDF-Zuständige Thomas Bellut wirklich zunächst zwei Kandidaten fragte, die er gar nicht lieber als Lanz wollte, darf vielleicht als fraglich gelten. Aber gut.
Dass der Misserfolg programmiert ist, kann man dennoch nicht behaupten; denkbar ist schließlich, dass Lanz zunächst einmal auf die Unterstützung von Bild zählen kann, deren ranghohes Redaktionsmitglied Martin Heidemanns einen Bruder hat, der Lanz' Sendung produziert; jenen, der auch von Kerner ein Begriff ist (siehe auch Impressum von mhoch2.tv). Wer mag, ich zum Beispiel, kann diese Hintergrundgeschichte als den interessantesten Aspekt der "Wetten, dass..?"-Übernahme durch Lanz betrachten. Die SZ online nochmal:
"Zu den getroffenen Vereinbarungen zwischen Lanz und Bellut gehört auch, dass 'Wetten, dass ..?' zwar eine Produktion des ZDF bleibt, doch künftig wird zusätzlich die Firma mhoch2 beteiligt. mhoch2 geht auf die Vornamen seiner Gesellschafter zurück, Markus Lanz und Markus Heidemanns. Mit dem Unternehmen stellen beide seit 2008 die ZDF-Talkshow 'Lanz' her. Heidemanns ist der frühere Geschäftspartner von Johannes B. Kerner und leitet die Redaktion 'Lanz'. Sein Anteil am Erfolg der späten Plaudereien von Dienstag bis Donnerstag ist erheblich. Heidemanns mit mhoch2 in die Gestaltung von 'Wetten, dass ..?' einzubeziehen, soll eine der wenigen Bedingungen gewesen sein, die Lanz stellte."
Bild hat schon mal ein paar besonders detaillierte Detailkenntnisse, wenn auch mit einem L zu wenig: Nicht nur dass es eine Winter- statt einer Sommerausgabe gebe (eine These, die die SZ nur im Futur potentialis aufschreibt), sondern zudem:
"Der Talkmaster und ZDF-Programmdirektor Thomas Bellut einigten sich am vergangenen Donnerstag im Restaurant 'La Galeria' in Mainz darauf, dass Lanz die nächsten drei Jahre 'Wetten, dass..?' moderiert."
Ob damit La Gallerie in Mainz-Oberstadt (was wahrscheinlich ist) oder La Gallerie in Mainz-Kastel/Wiesbaden gemeint ist, gehört zu den ganz großen Geheimnissen der Fernsehgeschichte, die es nun alsbald noch investigativ zu lüften gilt. Vielleicht durch Interviews mit den WirtInnen beider Lokale. Die sicher beide gerne über ihre Beteiligung an diesem historischen Ereignis sprechen, so wie seinerzeit Joachim Gaucks zwei Taxifahrer über dessen Präsidentwerdung auf ihren Rücksitzen***.
Was Lanz' Vorgänger Thomas Gottschalk treibt, soll der Vollständigkeit halber auch noch erwähnt werden: Er wünsche sich für seine Vorabendsendung in der ARD "eine möglichst unbekannte, freche, kluge Frau", berichtet der Spiegel, und zwar als "Sparringspartnerin", auch bekannt als Sidekick. Wenn's der Wahrheitsfindung dient.
[listbox:title=Artikel des Tages [Offiziell: Lanz is the man (heute.de)##Wie, was, wann, warum etc. (SZ)##Die Kritik an Nuhr (irights)##Der MDR, transparent (FK)##Die NY Times und das Kriegsnarrativ (NYT)]]
[+++] Derweil geht die Wahrheitsfindung an anderer Front etwas schleppend voran: Dieter Nuhr, der Moderator des "Reals Satire Gipfels", hat auf seine charmant-humorvolle Art das Grab des politischen Kabaretts ein freilich nur kleines Stückchen weiter ausgehoben. Seine Witze über die Piratenpartei, die er in quasi allen Sendungen, die ich selbst gesehen habe, lustigerweise mit Karl-Theodor zu Guttenberg gleichgesetzt hat, sind oll; seine jüngsten Einlassungen zu ACTA aber sind noch ein bisschen oller.
Ein Posting im irights-Blog über Nuhrs Fernsehkommentar zu "Filesharing, Urheberrecht und Shitstorms" machte am Wochenende in Social Media die Runde, wobei neben Argumenten auch – und da hat Nuhr dann ja mit seinen Shitstorm-Verweisen lustigerweise ein bisschen recht – Empörung anklingt. Doch das Posting bringt nur bedingt auf den Punkt, was an Nuhrs Polemik nervt. Die Tatsache etwa, dass es sich dabei um eine "Polemik" handelt, macht sie ja nun noch nicht wirklich schlecht.
Allerdings ist es tatsächlich nicht unterhaltsam, wenn jemand mit dem janfleischhaueresken Furor eines Megacheckers etwas satirisch bearbeitet, das er offensichtlich nicht einmal ansatzweise durchdrungen hat. Wie lange es noch dauert, bis sich herumgesprochen hat, dass man einen Text oder ein Musikstück nicht so klauen kann wie man eine Jeans klaut, weil Text oder Musikstück hinterher ja immer noch da sind, bleibt, neutral ausgedrückt, spannend.
Stefan Niggemeier nennt den Begriff des "geistigen Eigentums" im Spiegel (S. 82 f.) "interessengesteuerte Metapher”:
"Der Inbegriff des Eigentums ist seine Exklusivität: Mein Auto gehört mir und nicht anderen. Ideen und Inhalte aber vervielfältigen sich beim Teilen."
Die Wurzel des "Elend(s) der Urheberrechts-Diskussion", so die Unterzeile, sieht er jedoch in der ebenso schwachsinnigen Lobby-Begrifflichkeit "Raubkopie":
"Das Bild von der Raubkopie ist falsch. Ein Raub ist im Grundsatz das gewaltsame Wegnehmen fremder Sachen. Es lässt sich schon darüber streiten, ob beim ungenehmigten Kopieren jemandem tatsächlich eine Sache weggenommen wird. Ganz sicher aber lässt sich feststellen, dass ihm dabei keine Gewalt angetan wird. Wenn wir von Raubkopierern sprechen, machen wir aus Menschen, die einen Inhalt ungenehmigt nutzen, Gewalttäter."
Neu ist das zwar nicht. Doch dass das Wort benutzt wird, als wäre es neutral, wäre durchaus auch ein Fall für Medienjournalisten, ganz im Geist eines Artikels aus der New York Times, der vom "Kriegsnarrativ" handelt und von der Frage, welche Rolle Journalisten, auch die der Times, bei seiner Implementierung spielen.
Altpapierkorb
+++ Es gibt ein drittes zeitungsübergreifendes Thema: den Eurovision Song Contest. Er taucht nach einer Pressekonferenz von Reporter ohne Grenzen in Berlin in der Süddeutsche Zeitung auf, die von einem vollen Saal und diversen kritischen Fragen an Reporter ohne Grenzen berichtet: "Die deutschen Reporter im Saal – klar in der Minderzahl – stellten derweil fest, dass von ihnen bislang unbemerkt eine riesige Gemeinde aserbaidschanischer Korrespondenten in Berlin tätig zu sein scheint." (S. 15) Außerdem ist der ESC taz-Thema: Osteuropa-Redakteurin Barbara Oertel, ebenfalls bei der Konferenz dabei, berichtet über die Situation für kritische Journalisten in Aserbaidschan +++
+++ Beim MDR scheint Intendantin Karola Wille tatsächlich Ordnung zu machen, ebenso beim Kika. Die Funkkorrespondenz schreibt: "fu?r den gesamten Mitteldeutschen Rundfunk wurde eine neue, verscha?rfte Beschaffungs- und Herstellungsordnung verabschiedet – dabei aber nicht, wie die Intendantin hervor hebt, 'top down' von der Senderfu?hrung auferlegt. Das neue Regelwerk sei in enger Absprache mit den Abteilungen entwickelt worden, die es ku?nftig umzusetzen ha?tten. Anfang Mai sollen die u?berarbeiteten Bestimmungen auch formal in Kraft treten". Zudem sei "eine Transparenz- und Antikorruptionsklausel nun Bestandteil aller Produktionsvertra?ge" +++
+++ Axel Springer wäre im Mai 100 geworden: Die SZ bespricht ein neues Buch, das von seinem Aufstieg handelt (Tim von Arnim, "Und dann werde ich das größte Zeitungshaus Europas bauen: Der Unternehmer Axel Springer". Campus Verlag, 410 Seiten, 34,90 Euro): "Es ergibt sich das Bild eines ökonomisch zusehends glücklosen Verlegers, für dessen wachsende Umsätze aber ein effizientes Organisationssystem sorgt, das zum Beispiel nach den Prinzipien von General Motors funktioniert. Als 'großer Journalist, Patriot und Gottsucher' solle man ihn in Erinnerung behalten, hat Springer einem Vertrauten gesagt. Vom 'Unternehmer' war nicht die Rede. Aber es ist ja Jubiläumsjahr, und da wird noch manches wiederentdeckt werden. Der nächste Buchtitel ist schon angekündigt: Axel Cäsar Springer – ein deutsches Feindbild von Tilman Jens" +++ Die Klage eines von Bild als "halbkriminell" bezeichneten griechischen Politikers gegen die beliebte Publikation greift die taz auf +++
+++ Pay-TV-Sender Sky hat einen Vertrag mit dem für seine Serien berühmten US-Sender HBO geschlossen (SZ, S. 15) – was Pay-TV möglicherweise interessant auch für die Internetgeneration macht. Siehe online auch DWDL +++
+++ Sport und Medien: Ein weiterer Text zur am Freitag hier verhandelten Causa Berliner Zeitung/FC Union (siehe Altpapier) stand im Tagesspiegel +++ "Es ist ja das Problem in unserer Gesellschaft, dass die Medien denken, sie haben alles im Griff. Ich sage nur: Wehret den Anfängen." Rock'n'Roll, Uli Hoeneß, da hat der alte Dampfkanonenschütze des FC Bayern München mal wieder alles gesagt, was zu sagen ist aus Sicht eines Interessenvertreters +++
+++ Und im Fernsehen: Die FAZ bespricht wieder den ZDF-Montagsfilm ("Unter anderen Umständen – Spiel mit dem Feuer", S. 29), ebenfalls besprochen ist er drüben bei evangelisch.de +++ Der Tagesspiegel bespricht drei "Verbotene Filme" auf Arte +++
Das Altpapier stapelt sich wieder am Dienstag.