Flaschen, Kuchen, Kirmes

Flaschen, Kuchen, Kirmes

Keiner weiß mehr – und vor allem was das Leistungsschutzrecht nun genau wie regeln soll. Eine Zeit, in der es hoch her geht, und die Metaphern blühen. Und entpuppt sich am Ende das wahre Urheberrecht noch als Bumerang?

Tag zwei nach dem Koalitionsausschuss, dessen Sitzung – vielleicht eine interessante Volte in der Praxis politischer Prozesse – doch auch oder vor allem dem innerkoalitionären Frieden dienen sollte, nach Frosch, Gauck, Verärgerung und so. (Für die Verschwörungstheoretiker unter uns: Ist Wulffs Insuffizienz im Amt der Grund, dass sich jetzt in der Regierung aufs Leistungsschutzrecht geeinigt wird, weil sich damit Einigkeit statt Streit performen lässt?)

Anyway. In den weitläufigen Auseinandersetzungen zur "Lex Google" (Googles Chef, Erich Schmidt, im Bild links), hier eine Übersicht in der TAZ, lassen sich immerhin interessante Beobachtungen machen. So ist allen beteiligten Exegeten unklar, was aus der durch den Ausschuss formulierten Entscheidung zum Leistungsschutzrecht –

"Gewerbliche Anbieter im Netz, wie Suchmaschinenbetreiber und News-Aggregatoren, sollen künftig für die Verbreitung von Presseerzeugnissen (wie Zeitungsartikel) im Internet ein Entgelt an die Verlage zahlen. Damit werden die Presseverlage an den Gewinnen gewerblicher Internet-Dienste beteiligt, die diese – mit der bisher unentgeltlichen – Nutzung der Verlagserzeugnisse erzielen. Auch die Urheber sollen eine angemessene finanzielle Beteiligung an der Verwertung des Leistungsschutzrechts erhalten."

– theoretisch folgt und wie sie sich praktisch umsetzen lässt.

Das Wort "Chaos" fällt nicht nur in der Überschrift des SpOn-Texts. Eine schöne Ironie sind die Kommentare auf Welt-Online: Der Text zum Thema tut betont sachlich, als habe das alles nichts mit den Interessen von Springer zu tun, und die Kommentatoren, die sich von der Welt zumindest manchmal einen Kampf gegen die von ihnen stark empfundene Bevormundung durch Staat, Linke und weiß der Deibel was noch erhoffen, die Kommentatoren kriegen's in den falschen Hals! Statt Springers Rettung zu feiern, mault etwa "Hardy621"

"Die Politdilletanten, Zwangsabgaben für was, Zeitungs Propaganda, die keiner liest, propagande für die Grünradikalen"

Zurück zu den ernsthaften Fragen, die etwa Konrad Lischka auf SpOn stellt:

"Verletzen die von Facebook beim Posten von Links automatisch übernommenen Textauszüge Leistungsschutzrechte? Würde ein in einem Blog eingebundener RSS-Feed mit aktuellen Schlagzeilen einer Nachrichtenseite deren Leistungsschutzrecht berühren? Wie lang darf ein Textauszug unter einem Link sein?"

Vermutlich weiß darauf nicht einmal Springers Großwesir Konzerngeschäftsführer PR Christoph Keese eine Antwort, auch wenn der sich auf seiner Öffentlichkeitsarbeitsplattform am Text des Zeit-Online-Digital-Ressortleiters Kai Biermann abarbeitet und der, also Keese, wenn auch auf eine andere konkrete Frage antwortet:

"Ich kenne den Gesetzestext noch nicht. Deswegen kann ich diese Frage noch nicht beantworten."

Keese ist übrigens einer der wenigen, der relativ nassforsch erfreut ist über den Beschluss ("Unbegründete Sorgen anlässlich des Leistungsschutzrechts"). Spaßvögel würden zur Begründung die Überschrift von Markus Beckedahls Eintrag auf Netzpolitik.org lesen:

"Axel Springer kauft Leistungsschutzrecht bei Koalition"

Im diesem Zusammenhang ist der Twitter-Dialog von CDUs Peter Altmaier und Blogger Mario Sixtus vergnüglich. Der Titel im irights-blog trägt dagegen Trauer ("Schwarzer Tag für das Urheberrecht – Lobbyismus setzt sich vorerst durch")

Die Texte von Michael Hanfeld in der FAZ (Seite 31) oder Christopher Keil in der SZ (Seite 15) lassen derweil nicht die Sektkorken knallen. Die FAZ:

"Es geht allein um eine Regelung des Verhältnisses zwischen den Internetgiganten, die bis dato nach Belieben über die Verteilung von Werbeeinnahmen entscheiden, und den Verlagen. Das muss allerdings rechtlich noch ausformuliert und so angelegt werden, dass die weltweit operierenden Online-Konzerne auch daran gebunden sind."

Wie, ist wieder so eine Frage. In der SZ fokussiert Keil einen Punkt (den auch Hanfeld erwähnt), dass nämlich die wahren Urheber der Leistungen, mit deren Rechten in der Debatte gerne argumentiert wird, nicht nur als Pappkameraden in der Auseinandersetzung herhalten dürfen. Um mal fantasievoll zu sein: Womöglich wird das Urheberrecht im langen Leistungsschutzrechtskampf noch das, was der gestrichene Bahncard-Journalistenrabatt der Hetz-den-Wulff-Meute nun ist. Die SZ:

"Wenn Verleger eines lernen mussten, dann wohl, dass alles unvergleichlich anders ist beim Geschäft mit publizistischen Produkten in der digitalen Zone. Ein Leistungsschutzrecht wird ihnen auch Pflichten gegenüber den Urhebern abverlangen, nicht nur möglicherweise Erlöse sichern."

Kai Biermann, der auf Zeit-Online an Sinn und Begriff von Leistungsschutzrecht nicht glauben kann, sieht das nicht so positiv:

"Es wird gelogen. Es geht bei der ganzen Debatte nicht um die Urheber und nicht darum, dass Texte und damit Medien besser werden würden. Auch wenn Vertreter von Verlagen das immer wieder behaupten. Denn die Autoren haben von einem solchen Recht nichts und sollen auch gar nichts davon haben. Wenn überhaupt, bekommen sie vom Erlös höchstens ein paar Krümel. Oder, wie es in der Koalitionsvereinbarung heißt: 'Auch die Urheber sollen eine angemessene finanzielle Beteiligung an der Verwertung des Leistungsschutzrechts erhalten.'"

[+++] Was ist angemessen, noch so eine Frage. Wo viele Fragen herrschen, da blüht die Metapher. Schon die Tatsache, dass jetzt alle über ein "Orchideenthema" reden müssen, spricht Bände.

Stefan Niggemeier hatte als erster Vorschläge zur Anschaulichmachung verbreitet (Altpapier von gestern):

"Das [die Verbreitung von kostenlosen Inhalten im Netz durch Google und Aggregaten, AP] ist etwa, als müssten die Gelben Seiten den Unternehmen dafür zahlen, dass sie ihre Informationen aufnehmen dürfen. Als müsste der Busfahrer dem Kirmesbetreiber Geld dafür geben, dass er die Kunden zu ihm bringt."

Christopher Keil merkt dazu an:

"Ein sympathischer und, bezogen auf den technischen Vorgang des Verlinkens, guter Vergleich, weil er eine komplexe rechtsstaatliche Frage, die in der digitalen Welt viel zu lange unbeantwortet ist, einfach auflöst. Aber stimmt er? Ist es nicht eher so, dass Google News ein Kiosk ist, der sich Texte ohne zu bezahlen liefern lässt, aber quasi an ihrer Weiterreichung verdient?"

Sympathische Vergleiche, die womöglich nicht stimmen, finden sich auch anderswo. Springer-Keese wählt folgendes Bild:

[listbox:title=Die Artikel des Tages[Schwamminges Leistungschutzrecht (SpOn)## ##Innovationsverhinderung (Zeit-Online)##Die kleine Lösung (TAZ)##Erfolgversprechende Fragen (Carta)##Unbegründete Sorgen (Presseschauer.de)##]]

"Verlage stellen den Wein her, nicht die Flaschen. Es hat sich heraus gestellt, dass mit Flaschen derzeit mehr Geld zu verdienen ist als mit Wein. Sollte man deswegen den Wein aufgeben und auf Flaschen umsatteln? Ich fände das falsch. Besser ist es, weiter zu versuchen, mit Wein Geld zu verdienen. Dazu gehört auch, aber natürlich nicht nur, vom Flaschenhersteller etwas Geld für den Wein zu bekommen."

Rein ökonomisch interessierte Betrachter könnten vor dem "Ich fände das falsch" vielleicht "ja" sagen.

Kommentator Kozu meint dazu:

"Bei Google News handelt es sich nämlich gerade eben nicht um das KOPIEREN journalistisch aufbereiteter Informationen, sondern um das VERWEISEN AUF journalistisch aufbereitete Informationen. Deshalb hinkt auch der Wein-Flaschen-Vergleich. Google News ist nicht der Flaschenverkäufer. Google News ist der Berater, der dem Kunden gegen eine Bezahlung (also Anschauen von Werbung) empfiehlt, wo er guten Wein kaufen kann."

Weiter unten wird aus dem Berater Google dann noch der Freund Google, in diese Untiefen des Gefühlsmanagements in der durchrationalisierten Welt dringen wir hier aber nicht vor.

Sondern zitieren noch Justus Haucap, VWL-Professor in Düsseldorf, der auf irights zu einer "Kartellrechtsbeschwerde" der deutschen Verlage bei der EU-Kommission befragt wird, in der es um einen Anteil an Googles Gewinnen geht. Und sich am Schluss die Frage stellt, ob einem die Marktmacht Googles nicht unheimlich ist:

"Natürlich hat man da als Wettbewerbsökonom Bauchschmerzen. Aber die Beschränkung der Marktmacht ist ein zweischneidiges Schwert. Wenn ich als Unternehmen von vorneherein weiß, dass meine Marktmacht beschnitten und der Kuchen unter allen aufgeteilt wird, wenn ich sehr erfolgreich bin, dann fehlen mir schnell die Anreize, überhaupt Kuchen zu backen, also zur Leistung und zur Innovation."

Wenn man da länger drüber nachdenkt, rutscht man auf der Bahn des schiefen Bilds in einen Abgrund, in dem die Systemfrage lauert: Vielleicht gibt es überhaupt ganz andere Gründe, um einen Kuchen zu backen.


Altpapierkorb

+++ Über die Fair-Share-Google-Kartellbeschwerde-in-Brüssel-Frage gibt es auch noch eine weitere Auseinandersetzung. Auf irights hatte die Bochumer Wirtschaftsrechtsprofessorin Andrea Lohse der Klage geringe Erfolgschancen eingeräumt. +++ Der "kleine Medienrechtsanwalt" (Selbstauskunft) Timo Ehmann will auf Carta dagegen von dem Gedanken nicht lassen, dass die Idee vom fairen sharen durchaus argumentierbar ist: "Es gibt zahlreiche Anhaltspunkte, dass Google seine marktbeherrschende Stellung missbraucht, indem es Geschäftsbedingungen diktiert, die von denen abweichen, die sich bei wirksamem Wettbewerb mit hoher Wahrscheinlichkeit ergeben würden. Das ist auch wettbewerbsrechtlich vor deutschen Zivilgerichten angreifbar." +++

+++ In der FAZ (Seite 31) werden die Vorgänge um die Programmreform bei WDR3 beschrieben: "Am vergangenen Freitag hat sich auch der Rundfunkrat mit der Programmreform beschäftigt und die Pläne zurückgewiesen: 'Mögliche Änderungen müssen dem Alleinstellungsmerkmal von WDR 3 als musikgeprägtem, anspruchsvollem Kulturprogramm gerecht werden', gab die Vorsitzende, Ruth Hieronymi, so grundsätzlich wie allgemein zu bedenken, und Petra Kammerevert, Vorsitzende des Programmausschusses, machte bei Monika Piel Beratungsbedarf aus." +++ Hans Leyendecker schreibt sich in der SZ (Seite 15) aus Anlass des gestrichenen Bahncard-Rabatts für Journalisten: "Auch die Journalistenverbände wurden über die geplante Streichung des Presserabatts informiert. Einer von ihnen, der Deutsche Journalisten-Verband (DJV), unterhält einen Service-Betrieb, bei dem Mitglieder verbilligt Flüge buchen und Autos mieten können." +++ Etwas grobschlächtiger äußert sich Jakob Hein in der TAZ zu Rabatt und Wulff-Jagd. +++

+++Besprochen werden noch immer "Roche & Böhmermann". Die FAZ (Seite 31) sieht's positiv. +++ Nur Joachim Huber im Tagesspiegel geht die Begeisterung ab: "Also kein Thema, aber fünf Gäste, fünf Gäste, aber kein Thema. Von Roche wird – wahrscheinlich – erwartet, dass sie sich gibt, wie sie bei 'Feuchtgebiete' und 'Schoßgebete' geschrieben hat: versaut." +++ "Kleiner Schwanz ganz groß" heißt die Überschrift über dem TAZ-Text, der den Arte-Film "Die Herrschaft der Männer" empfiehlt. +++ Das HB meldet weiter Ungemach für Rupert Murdoch. +++ Im KSTA portraitiert Antje Hildebrandt den Darsteller Ingo Lenßen, der auch im richtigen Leben Anwalt ist und jetzt als krass gescripteter wieder bei Sat.1 zu sehen. +++

Neues Altpapier gibt's morgen wieder.

 

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