Die erste von 139 Sendungen "Gottschalk live" ist geschafft. Wird danach das Internet in Deutschland durchgesetzt sein? Der ARD-Vorabend gerettet? Gottschalk nur noch Selbstgespräch führen? Die ersten Kritiken
Stefan Niggemeier macht sich einen Spaß. Und transkribiert in seinem Blog, was der medienpolitische Sprecher der FDP, Burkhardt Müller-Sönksen, vergangene Woche im Kulturausschuss des Bundestags bei der – was es nicht alles gibt – "Expertenanhörung zum Thema 'Zukunft des Qualitätsjournalismus'" gesagt hat.
Dabei kann man sich fragen, ob der DDR-Vergleich mit dem Qualitätsjournalismus zulässig ist ("wobei Zukunft nicht heißen soll, dass in der Vergangenheit alles schlecht war"). Vor allem aber lernt man dazu:
"Und das ganz neue Thema, man könnte fast von fünfter Gewalt sprechen, das sind die Social Media."
Womit wir Thomas Gottschalk wären, dessen neue Sendung "Gottschalk live" bekanntlich auch Social Media hat. Darüber gerät Thomas Knüwer aus dem Häuschen. Knüwer hat sich mittlerweile so weit in die Schmollecke seiner Internet-Begeisterung zurückgezogen, dass er immer schon glücklich ist, wenn seine Internet-Begeisterung irgendwo vorkommt, ohne das gleich darauf eingeschlagen wird.
"Er hält das, was an Ich-erkläre-Euch-das-Netz nötig ist, auf einem erträglichen Niveau. Zitat: 'Was ein Hashtag ist, erklär ich Ihnen später mal.' Dahinter steckt, so scheint es, ein größerer Plan: Gottschalk will Medienkompetenz schaffen. Seine Zuschauer sollen lernen – und zwar mit ihm. Denn natürlich ist er selbst kein großer Web-Kenner."
Was umgehend zu dem Schluss führt:
"Vielleicht werden wir Viel-Nutzer einmal Gottschalk danken, weil er einen Gegenpol geschaffen hat zu den Anfeindungen der Totholz-Redakteure. Weil es normal ist, das Internet gut zu finden, wenn Thomas Gottschalk es klasse findet."
Oh, Selbstbewusstsein, was ist nur aus dir geworden! Thomas Gottschalk als Internetdurchsetzer – darauf muss man erstmal kommen. Nächstliegend scheint da doch die Idee zu sein, dass Gottschalk sich einfach nur dem anwanzt, was sein Redaktionsleiter für zeitgemäß hält. Immerhin verbindet Knüwer mit Tommy "Keine Ausländer" Gottschalk der Drang, immerfort "Deutschland" zu sagen, wo es nur um persönliche Belange geht, wie das außer den beiden nur Guido Westerwelle macht.
Aber wie war nun die Sendung, die Knüwer aus den genannten Gründen "nicht schlecht" fand?
Stefan Winterbauer, "der Blinde unter den Einäugigen" (Niggemeier) beim Top-Qualitätsjournalismusportal Meedia.de, von dem man sich schon wegen seiner Bild-Affinität nur Gutes einiges erwartet hätte, versagt leider den Dienst ("beim besten Willen nicht zu bewerten"). Winterbauer ist überdies wieder einmal mit dem Kampf gegen die deutsche Sprache ("Wegen dem Wetter. Wegens des Wetters?") und den Korrekturen an der eigenen Top-Qualitätsrecherche beschäftigt:
"Update: In einer frühreren Fassung des Textes war zu lesen, Thomas Gottschalk sei nicht im Facebook-Chat gewesen. Er war aber im Chat, die Redaktion hatte zum Start der Sendung eine eigene Chat App gestartet, die wir zunächst übersehen hatten. Sorry!"
Zur Sendung. Peer Schader schreibt in der Berliner:
"Am größten Manko von 'Gottschalk live' ist der Gastgeber gar nicht selbst schuld. Es ist jedenfalls eine ziemlich beknackte Idee der ARD, die nicht einmal 30 Minuten dauernde Sendung gleich mehrere Male durch Werbung zu unterbrechen."
Die Unterbrechungen schauen sich übrigens auch noch in der Mediathek ganz schön, wo sie einfach nur Unterbrechungen sein dürfen, weil dort keine Werbung mehr gesendet wird. Stefan Kuzmany agiert seinen Überdruss auf SpOn performativ aus:
"Garantiert kein Rettungsschirm, keine Fernsehköche, pure Erholung am Feierabend kurz vor der Tagesschau, und, zur Zeit ganz wichtig, eine Wulff-freie Zone versprach Thomas Gottschalk in der ersten Ausgabe seiner neuen...
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...ähm, wo waren wir stehen geblieben?"
Die Werbung nervt.
"Aber nein, die Sendung nervt nicht."
Schreibt Thorsten Thissen auf Welt-Online. Und ehe man sich fragt, ob Springer der unbestechlichen Unabhängigkeit seiner Skribenten einen pfleglichen Umgang gestattet hat mit Darling Tommy – der auf seinem, äh, Schreibtisch neben TAZ (wie Kuzmany bemerkt hat) auch das von Kristina Schröder beobachtete "Neue Deutschland" liegen hat, ganz groß aber nur Bild in die Kamera hält –, liest man, dass Thissen an sein Lob knallharte Forderungen knüpft.
"Sie kann sogar ein nettes halbes Plauderstündchen werden. Wenn es dem Meister denn gelingt, sich mehr in das Format reinzuwurschteln und seine Gäste eben ein bisschen mehr erzählen, als in den halbseidenen Prominentenformaten der anderen Sender."
Michael Hanfeld kritisiert in der FAZ ebenfalls mit angezogener Handbremse, wie es uns scheinen will:
"Dem Intro seiner Sendung muss Thomas Gottschalk noch etwas mehr Taten folgen lassen. Etwas mehr 'Haltung und Relevanz', die der verantwortliche Redakteur Carsten Wiese in der Redaktionskonferenz forderte, der wir beiwohnen durften, wäre ganz schön. Oder überhaupt etwas Relevanz."
[listbox:title=Die Artikel des Tages[Gottschalk live: Zuviel Werbung (Berliner)##Gottschalk live: Zuviel Werbung (SpOn)##Gottschalk live: Überhaupt Relevanz (FAZ)##Gottschalk live: Hackepeter TV (TSP)##]]
Was die "Haltung" betrifft – dass dieser Terminus technicus aus dem Super-Top-Qualitätsjournalismus nun selbst bei Gottschalk glaubt angekommen sein zu müssen, ist der schönste Witz von allen. "Haltung" von jemandem zu verlangen, der es schafft, sich in einem Interview, das er eigentlich mit Bully Herbig führt, über Paparazzi aufregen zu wollen, um im nächsten Satz damit anzugeben, dass er mehr hat als Bully – das ist so würdelos. Immerhin können die Studenten von Prof. Lilienthal hier für ihre Seminararbeiten lernen, dass "Haltung" garantiert nicht hat, wer davon reden muss – und ansonsten Moral auf einem Niveau ausgibt, auf das Margot Käßmann nicht kommen würde.
"Und brach Rekorde mit hässlichem Gepose über Gottschalks Nähe zu den Stars ('Ich habe Heidi Klum entdeckt'), weshalb er sich befugt sah, die anstehende Scheidung des Supermodels zu bewerten."
Notiert eine spürbar erzürnte Sophie Albers auf stern.de. Die auch das "Ich ich ich" bei Gottschalk kaum aushält, das auf Sueddeutsche.de "Ich und Ich" heißt.
Gottschalk kokettiert mit seiner eigenen Prominenz und mit den Kontakten, die er in die Welt der Reichen und Schönen hat.
Meint Hanno Terbuyken auf evangelisch.de. Not amused ist Joachim Huber im Tagesspiegel, der auf "Hackepeter TV" entscheidet:
"Aber ach, Gottschalk wusste außer Fotos, die ihn mit Heidi zeigen, nur die schmale Erkenntnis zu transportieren: die Ehe hätte nicht halten können. Wenn zwei Showkarrieren machen wollen, könne das nicht gutgehen. Echt?"
Christopher Keil bemerkt in der SZ (Seite 15):
"In seiner Branche und bei den lieben Kollegen wird jetzt geraunt: bestenfalls Luft nach oben."
Und Anne Burgmer tut ihm im KSTA den Gefallen:
"Noch ist viel Luft nach oben und es gibt eine Menge Kinderkrankheiten zu beheben, wenn das Experiment in der „Todeszone“ Vorabend erfolgreich sein soll."
Unter den Twitter-Kritikern ragt einmal mehr Frank Elstner heraus, der, ganz Fernsehproffi, feststellt:
"Bauchbinden: Unterzeile Schrift zu klein."
Ein Hinweis, der in die richtige Richtung geht: Über den Erfolg von "Gottschalk live" wird nicht das Feuilleton entscheiden, dessen Vorstellungen von gutem Fernsehen die Sendung im Leben nicht gerecht werden wird, sondern die älteren Fernsehzuschauer der ARD, die damit zufrieden sein werden, ihren Tommy zu sehen.
Ruth Schneeberger fasst auf Sueddeutsche.de die Qualität der Sendung in einer rhetorischen Frage zusammen:
"Was tun diese Menschen dort, außer telegen zu sein, inklusive Gottschalk?"
Eben. Und die Traurigkeit, einen 61-jährigen Mann zu sehen, der als großer Fernsehmoderator gilt, sich aber benimmt wie ein Praktikant, der es allen recht machen will, spielt dabei keine Rolle.
Altpapierkorb
+++ Was sonst noch geschah: Jürg Altwegg orientiert in der FAZ (Seite 33) angesichts der französischen Huffington Post unter DSK-Gattin Anne Sinclair auf die Arbeitsbedingungen in dem Laden: "Während der Feiertage hatte Anne Sinclair ihren bekannten und berühmten Freunden eine Mail geschickt: Sie forderte sie auf, bei der geplanten Pariser Online-Zeitung als Blogger mitzumachen. Eine Bezahlung gebe es nicht – aber dank des Renommees des Portals und der anderen Mitarbeiter ein 'Maximum an Beachtung'." +++ Tanja Kuchenbecker lässt im HB den Kooperationspartner nicht unerwähnt: "Partner der Huffington Post ist die Tageszeitung 'Le Monde' mit einem Anteil von 34 Prozent. Dort zeigten sich Journalisten beunruhigt über die Wahl von Sinclair. Sie befürchten, dass diese 'Le Monde' als Imageaufwertung benutzt." +++ Steffen Grimberg schreibt in der TAZ von der geglückten WAZ-Stämme-Trennung. Nach der Ausbezahlung der Brost-Erben ist allerdings vor der Einigkeit unter den Funke-Nachfolgern: "Bevor die Grotkamps mit ihrer rechnerisch bald übergroßen Anteilsmehrheit aber nach Belieben schalten und walten können, müssen auch noch die komplizierten Gesellschafter- und Entscheidungsstrukturen innerhalb der Funke-Erben neu sortiert werden. Sonst droht dem Konzern wie bisher weitgehende Selbstblockade." +++
+++ Grimberg findet in der TAZ auch den zweiten Testballon für eine mögliche Sat.1-Serie mit dem griffigen Namen "Hannah Mangold und Lucy Palm" (heute, 20.15 Uhr) gut: "Gleichzeitig schafft 'Hannah Mangold und Lucy Palm' auch noch locker den Spagat zwischen psychologisierendem Kommissarinnenkrimi und gefälligem Thrillergrusel." +++ Eine Fortsetzung? "Verdient hätte es das Stück, in dem Anja Kling und Britta Hammelstein die Hauptrollen spielen", meint Michael Hanfeld in der FAZ (Seite 33). +++ Christopher Keil in der SZ (Seite 15): "Aus der Konstellation des labilen Cops, der auf die Menschheit losgelassen wird, ist ein netter Unterhaltungsfilm geworden." +++ "Fortsetzung erwünscht", bescheidet Markus Ehrenberg im Tagesspiegel. +++ In der Berliner bekennt derweil Klaudia Wick mit Blick aufs Dschungelcamp: "Ein bisschen traurig bin ich schon, dass Jazzy heute ihre Sachen packen musste. Sie war doch immerhin für den einen oder anderen Twist gut gewesen. Aber auch Jazzy gehörte, da muss ich dem Publikum Recht geben, zur schniefenden und meckernden 'Ich-finds-hier-scheiße'- Jammerfraktion." +++
Neues Altpapier gibt's morgen wieder gegen 9 Uhr.