Ein Bundestagsausschuss sperrt Journalisten aus, und wichtige Personalwechsel in der Medienpolitik stehen an. Außerdem: Brauchen wir eine öffentlich-rechtliche „Stiftung Journalismus“?
Wenn Cicero, Mike Naumanns Coffeetable-Käseblatt, auf dem Cover der November-Ausgabe im zackigen Dreischritt fragt: „Deutsches Fernsehen / Deutsche Bildung / Verblödet die Nation?“ - dann möchte man plötzlich unbedingt das deutsche Fernsehen verteidigen und sämtliche Volker-Herres- und Anke-Schäferkordt-Fanartikel aufkaufen. Erst recht, nachdem man festgstellt hat, dass der Artikel über die Verblödung durchs Fernsehen von Reinhard Mohr stammt, der früher Redakteur beim Spiegel war und einst der taz derart auf die Nerven ging, dass sie ihm regelmäßig ein Kolümnchen widmete (siehe zum Beispiel hier sowie ein ein zehn Jahre altes Altpapier).
Es geht auf Seite 128 ff. aber nicht nur um das Fernsehen, um zu viel Talk und all das, sondern auch um die Folgen „unseres pausenlosen Medienkonsums“:
„Verblöden wir allmählich? Was macht die immer rasanter werdende virtuelle Echtzeitkommunikation mit unserem echten Leben?“
Die Fragen deuten bereits an, dass in dem Artikel alles zu finden ist, was auf dem Grabbeltisch des Kulturpessimismus herumliegt. Putzig ist natürlich unter anderem, dass Mohr davon ausgeht, die „virtuelle“ Echtzeitkommunikation finde in einem unechten Leben statt. Ein besonderes Übel ist für ihn der „revolutionäre ‚Liveticker‘“, der im Zuge des arabischen Frühlings aufkam und für den, wie Mohr herausgefunden hat, auch „anonmye Twitter-Meldungen durchforstet werden“. Dass jemand, der bei Twitter nicht unter seinem bürgerlichen Namen, sondern unter einem anderen auftritt, keineswegs „anonym“ agiert, ist offenbar niemandem in der Cicero-Redaktion aufgefallen. Außerdem schreibt Mohr:
„Dass die Welt schlecht, böse, gefährlich und weitestgehend wahnsinnig ist, erfahen wir inzwischen im Minutentakt. Unentwegt spucken die digitalen Staliorgeln ihre ‚Breaking News‘ aus.
Nun ist es ja verständlich, dass Mohr seinen Titel als Meister der martialischen Metaphorik verteidigen will, aber, sagen wir mal: Klaus Theweleit oder Georg Seeßlen würde bestimmt noch einiges dazu einfallen, dass ein deutscher Journalist einen im Zweiten Weltkrieg von der Sowjetunion eingesetzten Raketenwerfer in Verbindung mit einer Nachrichtenform bringt, die aus einem Land stammt, das ebenfalls ein deutscher Weltkriegsgegner war.
Seltsamerweise nicht vor kommt in Mohrs Artikel über Verblödung die Sendung „Bauer sucht Frau“, die Lukas Heinser bei Coffee And TV verteidigt (um es verkürzt zu formulieren). Aber dass Heinser - dessen Text in erster Linie eine Replik auf Nina Pauers Zeit-Artikel über den „Zwang" zur Ironie und die „Flucht ins Extrapeinliche“ ist - die RTL-Kuppelsendung beinahe in einem Atemzug mit Aristoteles nennt, wird Mohr vielleicht zu weiteren Texten inspirieren:
„Wenn sich heute Menschen auf der Couch oder im Internet versammeln, um gemeinsam ‚Bauer sucht Frau‘ zu schauen (und vor allem zu besprechen), dann machen sie dabei Dinge, die Menschen seit Jahrtausenden tun: So hoffen sie auf den kathartischen Effekt von ‚Jammer und Schauder‘, den schon Aristoteles in seiner ‚Poetik‘ beschrieben hat — nur, dass sich Aristoteles unter ‚Jammer und Schauder‘ etwas anderes vorgestellt hat als gelbe Pullover und Zungenwurstbrote. Auch war es in früheren Jahrhunderten ein beliebter Zeitvertreib der Oberschicht, sich die Leute, die in einem damals so genannten ‚Irrenhaus‘ einsaßen, anzusehen wie Tiere im Zoo.“
Er sei „öfters“ Teil von Runden, die dabei zuschauen,
„wenn RTL (wie aktuell) wieder einmal Schwiegertöchter und Bauernfrauen sucht. Alle Teilnehmer würde ich als durchaus aufgeklärte Menschen mit einem reinen Herzen bezeichnen, Zyniker sind keine dabei. (...) Der Reiz entsteht aus dem Gemeinschaftsgefühl heraus, was man als billiges Mittel zur Fraternisierung abtun, aber auch neutral oder positiv werten kann. Kaum jemand möchte oder kann so eine Sendung alleine sehen.“
Machen wir an dieser Stelle mal einen harten Cut und blenden uns ein ins medienpolitische Geschehen: Die KEF, die die Höhe der Rundfunkgebühr festlegt, wird heute „in weiten Teilen neu besetzt“, berichtet Claudia Tieschky in der SZ. Bemerkenswert sei unter andem die Personalie Norbert Holzer (siehe auch taz von neulich). Ihn will die „schwarz-grün-gelb regierte Saarbrücken in der KEF sehen“. Tieschky schreibt, Holzer, bislang Verwaltungsdirektor des Saarländischen Rundfunks, sei
„ein Mann mit passender Parteifarbe. Der Jurist war unter anderem zehn Jahre lang CDU-Bürgermeister im saarländischen Riegelsberg. (...) An Kenntnis der Anstalten fehlt es Holzer, der beim SR viel sparen ließ, (...) nicht. Problematischer ist, dass der Jurist, der unter anderem den Vorsitz in der Finanzkommission von ARD und ZDF führte sowie im Verwaltungsrat der Gebührenzentrale GEZ saß, nun von der Senderseite direkt in das Gremium wechselt, das die Finanzen für die Anstalten bewilligt.“
[listbox:title=Artikel des Tages[Wutbürger Weinreich über einen pressefreiheitsfeindlichen Bundestags-Ausschuss##Coffee And TV über aufgeklärte "Bauer sucht Frau"-Gucker##Die SZ über die Architektur des neuen Spiegel-Hauses]]
Zur Zukunft der Medienpolitik äußert sich in einem mittlerweile online verfügbaren Artikel aus der aktuellen Doppelausgabe der Funkkorrespondenz Leonard Novy, der, auch nicht schlecht, als „Director for Development and Research am Institut für die Wissenschaft vom Menschen (IWM) in Wien“ firmiert:
„Eines der faktisch wie symbolisch wichtigsten Potenziale für eine revitalisierte Medienpolitik liegt (...) in der Förderung des gemeinnützigen Journalismus.“
Novy erwähnt in den Beitrag, der Teil einer im Altpapier schon mehrfach gewürdigten Reihe ist, den Erfolg stiftungsfinanzierter „nicht-kommerzieller, gemeinnütziger Journalismusprojekte“ in den USA. Daher sei hier zu Lande
„zu überlegen (..), die öffentliche Förderung von Vielfalt und Innovation offensiv und öffentlichkeitswirksam auszubauen – etwa durch die Gründung einer ‚Stiftung Journalismus‘ zur Förderung journalistischer Projekte. Mit den Mittel der Stiftung könnten unterfinanzierte Segmente wie der Recherchejournalismus (insbesondere auf lokaler und regionaler Ebene), aber auch medienkritische Initiativen gefördert werden. Schon mit einem kleinen Prozentsatz des öffentlich-rechtlichen Gebührenaufkommens (0,5 Prozent ergäben ein jährliches Budget von zirka 35 Millionen Euro) – ein Anteil, der sich aus der Umwidmung von Gebührenmitteln für die Landesmedienanstalten erschließen ließe –, wäre es möglich, viel zu erreichen.“
Nicht um Medienpolitik, sondern um das Verhalten der Politik gegenüber den Medien geht es in der taz, allerdings weder im Politikteil noch auf der Medienseite, sondern im Sportressort. Anlass des Beitrags ist nämlich die pressefreiheitsfeindliche Haltung des Bundestags-Sportausschusses:
„Zur Beratung der Sportförderung für 2012 waren in der letzten Woche nur zwei der zehn Abgeordneten der Regierungskoalition erschienen. Schließlich ging es nur um läppische Beträge jenseits der 100-Millionen-Euro-Marke. Eigentlich uninteressant. Doch weil böse Journalisten sich erdreisteten, darüber (...) zu berichten, fühlten sich die Parlamentarier ungerecht behandelt. (....) Die Abgeordneten machten ernst und gingen gegen die ihnen widerfahrene Ungerechtigkeit vor. Sie haben in ihrer 39. Sitzung - mit zehn Stimmen von Union und FDP gegen acht der Opposition - beschlossen, Journalisten und interessierte Bürger ab sofort von ihren Sitzungen auszuschließen.“
Es gibt sie also noch, die gute alte Gutsherrart. Bei der Entscheidung, die Medien auszusperren, dürfte auch eine Rolle gespielt haben, dass diese darüber berichtet hatten, dass allzu viele Ausschussmitglieder während der Sitzungen sich allzu ausgiebig ihren digitalen Geräten widmeten (wenn das der Mohr wüsste!). Während die taz das Thema eher launig angeht, gibt sich der Sportpolitikexperte Jens Weinreich in seinem Blog diesbezüglich als Wutbürger zu erkennen:
„Es ist halt schwierig, Lobbyisten und Steinzeitmenschen, die ein fürstliches Abgeordnetensalär beziehen, demokratische Gepflogenheiten beizubringen.“
Neben derart knackigen Einordnungen (siehe auch die SZ, die sich an weißrussische Verhältnisse erinnert fühlt) findet man bei Weinreich auch Links zu allen Beiträgen, die zum Ausschluss aus dem Ausschuss beigetragen haben.
Altpapierkorb
+++ Eine komplette Seite nimmt im Feuilleton der FAZ ein Gespräch mit Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger zum Staatstrojaner ein, und weil zwei der vier Interviewer, nämlich die FAZ-Autoren Constanze Kurz und Frank Rieger, Mitglieder des Chaos Computer Clubs sind, der den Trojaner enthüllt hat, wird der Text unter unter anderem angeteasert mit den etwas kindischen, Plasbergschen Worten: „Politik trifft auf digitale Wirklichkeit.“ Rieger sagt unter anderem: „Man kann (...) nicht sagen, ich infiltriere diesen Computer (...), und gleichzeitig will man dann die Festplatten hinterher noch verwerten. Die forensische Integrität dieser Festplatten ist in dem Augenblick der Infiltration nicht mehr sicherzustellen. (...) Das Problem mit Software ist, dass sie nicht nur das tut, was man möchte. Software hat Fehler. Und man kann Fehler an einer Software nicht von einem absichtlich gemachten Fehler, der bestimmte Nebenwirkungen hat, unterscheiden.“
+++ Heute erscheint „Post-Privacy“, das erste Buch des Datenschützer-Kritikers Christian Heller, auch bekannt als @plomlompom (siehe ein Altpapier aus dem Juni). Im Interview mit Spiegel Online sagt Heller: „Kann sein, dass sich Post-Privacy nicht mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung verträgt. Ich habe für mein Denken keinen Schwur auf das Grundgesetz geleistet. Ich kann nur feststellen: Es gibt einen machtvollen Trend hin zur Anarchie der Daten, zumindest zu ihrem ungezügelten Fluss. (....) Wir sollten uns natürlich überlegen, wo wir mit unserem Verhalten Anderen schaden könnten. Aber zwischen diesen Überlegungen und der Weltanschauung des deutschen Datenschutzes mitsamt seinem Freiheitsbegriff muss keine Übereinstimmung bestehen.“
+++ Im SZ-Feuilleton (online aber unter Medien rubriziert) beschäftigt sich Till Briegleb unter architektonischen und innenarchitektonischen Aspekten mit der neuen Spiegel-Hütte am Eingang der Hamburger Hafencity: „Das hohe Atrium mit seinen gleichmäßigen weißen Balustraden auf 13 Stockwerken ruft sofort John Portmans Erfindung der offenen Hotel-Lobby wach. Die Kommunikationsbrücken, die kreuz und quer durch den Luftraum führen, finden ihr Vorbild in Ralph Erskines Büro-Prototyp ‚The Ark‘ in London, nur in ordentlich.“ Ulrike Simon schreibt in der Berliner Zeitung auch über die Architektur, aber nicht nur.
+++ Fortsetzung unseres Überblicks über die in dieser Woche ausführliche Berichterstattung zu medienrechtlichen Angelegenheiten (siehe vor allem Altpapier von Mittwoch): Der Bundesrechnugshof „muss der Presse Einsicht in seine Prüfungsunterlagen erteilen“ (Spiegel Online), und die taz hat sich erfolgreich gegen fünf Bremer Gerichtspräsidenten und zwei weitere hochrangige Juristen der Stadt gewehrt, die die Zeitung nicht zu einer Pressekonferenz eingeladen hatten (meedia.de).
+++ Zwar nicht um ein Gerichtsverfahren, aber um ein rechtiches Thema geht es im taz-Hausblog: Drei Mitarbeiter der taz Hamburg, die heute Abend ihren 30. Geburtstag feiert, äußern sich über ihren Umgang und ihre Erfahrungen mit Bekennerschreiben: „Ein Bekennerschreiben, das meist nicht von den Akteuren selbst stammt, hat rechtlich die gleiche Qualität wie von Informanten zugespieltes Material – es unterliegt dem Redaktionsgeheimnis.“
+++ Die Geschichte der illegalen Piratenradios, also der „Piraten 1.0“, erzählt der Tagesspiegel.
+++ Empfehlungen zum ganz legalen Radioprogamm vom Wochenende: Katrin Schuster lobt im Freitag (S. 18) das ARD-Radiofeature „Mein Name ist: BND“, das „von der so schwierigen wie zwefelhaften Rolle“ des Geheimdienstes „nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und nach 1989 handelt“ (siehe auch taz). Und Michael Wuliger weist in der Jüdischen Allgemeinen auf ein heute Abend im Deutschlandfunk zu hörendes Feature hin, das eine „traurige Köpenickiade“ erzählt, nämlich die wahre Geschichte einer „nichtjüdischen Tochter eines SS-Manns“, die „von der SED zur Vorsitzenden einer jüdischen Gemeinde gemacht“ wurde.
+++ Am Anfang waren die Medien, jedenfalls am Anfang von Occupy Wall Street. Der Freitag hat mit Kalle Lasn gesprochen, den Gründer der Zeitschrift Adbusters, die die Bewegung initiiert hat.
+++ Die FAZ würdigt die japanische Tageszeitung Hibi shinbun, deren Redakteure nach dem Erdbeben im Frühjahr rund eine Woche lang handschriftlich verfasste Ausgaben herausbrachten (S. 41). Anlass: Das Internationalen Presseinstitut hat die Zeitung kürzlich ausgezeichnet, außerdem ist ein Buch über sie erschienen.
+++ Ebenfalls auf der FAZ-Medienseite: ein Artikel über den Dauerstreik beim Schwarzwälder Boten, der sich gegen ?Verleger Richard Rebmann richtet. „Mir ist egal, wie der Platz zwischen den Anzeigen gefüllt wird“, soll der „schon vor Jahr und Tag“ einem Redakteur gesagt haben, und das ist einer Hinsicht durchaus in Ordnung, denn das denken ja viele Verlegerkollegen, sie sagen es bloß nicht. Genüsslich wird man im Frankfurter Verlagshause heute wohl jene nüchtern formulierte Spitze gegen die Konkurrenz aus München lesen: „Inzwischen ist Rebmann in Personalunion auch Geschäftsführer der Stuttgarter Medienholding SWMH, die unter anderem auch die Stuttgarter Zeitung, die Stuttgarter Nachrichten sowie die Süddeutsche Zeitung herausgibt und damit knapp eine Milliarde Euro erlöst.“
+++ Dass es auch im Schweizer Kanton Schaffhausen einen Berlusconi gibt, weiß die WoZ. Sie porträtiert Giorgio Behr, den Verleger des Schaffhauser Bock.
+++ „Die Leistungsschutzgelderpresser“ ist ein Text in konkret überschrieben, in dem Berthold Seliger en passant die rechtlich fragwürdigen Buyout-Verträge von Gruner + Jahr erwähnt. Hauptsächlich geht es um die Musikindustrie, für die, wie wir aus dem Text erfahren, dasselbe gilt wie für die Medienbranche: Diejenigen, die am lautesten nach dem Urheberrecht schreien, interessieren sich für die Rechte der Urheber herzlich wenig.
+++ Für Slate hat die Schriftstellerin Katie Roiphe aus durchaus nicht nur uneigennützigen Gründen eine Kritik an dem populären Klatsch-Blog Gawker formuliert, die auch über dieses hinaus relevant ist: „Pumping out autopilot schadenfreude all day long“ beziehungsweise ständig mit Bösartigkeiten in kaum variierter bis ritualisierter Form aufzuwarten, sei auf die Dauer kein funktionierendes Konzept.