Das FAZ-Digitalfeuilleton löst sich mit einem Remix aus dem Schatten des menschlichen Genoms, Nico "Ich mag Bio" Hofmann will Guttenbergs Vita verschtonken, und Karola Wille ist nun doch die Kandidatin für die MDR-Intendanz
Die traditionelle Medienseite der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung fiel diesmal aus. Das hatte nicht – oder nicht nur – damit zu tun, dass es sich um die Buchmessen-Ausgabe handelte. Sondern damit, dass man für große Erzählungen halt einfach Platz braucht.
Fünf Seiten eines Codes druckte die FAS in extragroßen Zeichen ab, den Teil jenes Codes, der dem Chaos Computer Club bei der "Obduktion des Staatstrojaners besonders" aufgefallen war. CCC-Sprecher und FAZ-Kolumnist Frank Riegers eineinhalb Zeitungsseiten umfassender Text darüber dürfte zu den meistgelesenen Zeitungstexten des Sonntags gehören. Zu den meistkommentierten und -weitergeleiteten gehört er jedenfalls.
Um zusammenzufassen, worum es geht: Tierkenner dietmar dath veranschaulicht es auf der FAZ-Feuilleton-1 vom Montag (S. 27) so: "Fahnder, so hat die Republik am Sonntag erfahren," – der CCC selbst rückte bereits am Samstagabend damit heraus – "haben Ratten losgelassen, um Zombies zu züchten. Staatliche Hoheitsträger haben damit gegen Direktiven des Bundesverfassungsgerichts verstoßen."
Was uns Metamedientextern an den Entdeckungen aus Gründen unserer eigenen Tradition vorrangig interessiert, ist freilich der publizistische Aspekt: Das FAZ-Feuilleton hat jedenfalls wieder mal einen Coup gelandet. (Zeit Online war ebenfalls dran, hat sich aber, im direkten Vergleich, nicht so gut verkauft, sicher auch weil die direkte Beteiligung eines Beteiligten vom CCC fehlte.)
Die Frankfurter Allgemeine hat damit ihren Status als, irgendwie, "Nerd-Zentralorgan" (Christoph Bieber bei Carta 2010 in einem Text, der am Sonntag wieder in die Liste der drei "meistgelesenen" auf der Plattform hochgeklickt wurde) reloaded. (Großzügig sehen wir bei dieser Einschätzung darüber hinweg, dass in derselben FAS-Ausgabe von "tiefgründigen Tweeds" die Rede ist. Oder ist das Absicht, das d, aus Gründen der Tradition?) Und das Digital-Debatten-Feuilleton, das Herausgeber Frank Schirrmacher einführte, hat sich mit einem Remix eines großen Vorgängerwerk endgültigst aus dem Schatten des ebenfalls schirrmacherschen Genom-Feuilletons gelöst.
Besagtes große Werk, wir Älteren erinnern uns (und die anderen wissen ja, wie man googelt), begründete jenes Genom-Feuilleton: Im Jahr 2000 druckte das FAZ-Feuilleton über sechs Seiten einen Auszug aus dem Code des menschlichen GATC. "Wer weiß", schrieb Christoph Bieber im oben verlinkten Nerd-Zentralorgan-Text 2010, als er den digital turn beschrieb: "vielleicht folgt demnächst ja noch eine Doppelseite im Binärcode."
Aber Doppelseite! Ha! Sechs Seiten Genom, fünf Seiten Spionagesoftware – so sieht's halt mal aus. Wer unbedingt will, kann das als Dystopie verstehen: Die Maschine rückt immer näher heran an den Menschen. Wer nicht will, hebt die fünf Seiten einfach für seine Enkel auf, wie ein @oschni bei Twitter einräumte: "Ich habe ein historisches FAS Exemplar. Ich habe eines. Ich habe eines. 8-)".
Ein klein wenig spontane Irritation bei der an sich frühstückskonversationslähmenden Lektüre ließ sich allerdings dann doch schwer vermeiden: warum diese fünf Seiten jetzt eigentlich wirklich? "Für Informatiker ist der Code trivial. Für die Bürger, also auch für Richter, Journalisten, Politiker, ist es ein unverständliches Idiom. Aber diese Sprache regelt unser Leben", moderierte die FAS selbst an, weshalb man sagen kann, dass der Code ein Informationsinteresse befriedigt, das niemand hat.
Die Antwort dann hier: "Wir drucken ihn, um den neuen Analphabetismus der Freiheit anschaulich zu machen", heißt es. Man kann vielleicht sagen, dass der Abdruck des Codes dem Bedürfnis nach etwas anderem nachkommt, das mit großfeuilletonistisch beschrieben werden kann: dem Bedürfnis nach einer großen Erzählung, indem der Code rückwirkend die Digitalisierungs-Hauptthesen der FAZ der vergangenen Jahre bebildert und beglaubigt. Kurz zusammengefasst sind einige von ihnen in Schirrmachers FAS-Leitartikel:
"Computer sind nicht nur Kommunikations-, sie sind Denkwerkzeuge. Die sekundengenaue und lückenlose Dokumentation des Bildschirminhalts (weitergeleitet in die Vereinigten Staaten und von dort wieder nach Deutschland) überwacht das Denken selbst, als Entstehungsstufen eines Textes: niemals verschickte Mails, digitale Selbstgespräche. Was hier technologisch geschieht, ist wirklich das nackte Grauen. In Zeiten einer 'Piratenpartei' kann der Fund des Chaos Computer Clubs die politische Geographie nachhaltig ändern."
Und die anderen? #ozapftis, der vom CCC gewählte Titel des Analyseprojekts, war als Hashtag nicht gerade untrending bei Twitter. Zahlreiche Blogs griffen das Thema auf, es war auf Platz zwei in den öffentlich-rechtlichen Nachrichtensendungen. Bei Spiegel Online war der Fund den Sonntag hindurch bis etwa 23 Uhr mit mindestens drei Texten Aufmacherthema, am Montagmorgen wieder.
Wie gering, allerdings nur im Vergleich zum gewaltigen, an Sonntag und Montag 13 Seiten überspannenden Auftritt von FAZ/FAS, die Berichterstattung zur CCC-Entdeckung etwa heute in anderen Zeitungen ausfällt, lässt zwar eigentlich gar keine Schlüsse zu – es soll aber nicht unerwähnt bleiben. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit: Die taz etwa behandelt das Thema auf Seite Eins und einer dreiviertel Schwerpunktseite, der Tagesspiegel macht damit auf, die Berliner Zeitung ebenfalls, FR und Welt nehmen es randständig auf die Eins, Welt Kompakt stellt die richtigste Folgefrage: "Wer hat den Trojaner gebastelt?" (ebenso wichtig: Wer hat ihn eingesetzt?), und die Süddeutsche Zeitung berichtet im Keller der Titelseite und konzentriert sich ganz auf die (partei)politischen Aspekte.
In den "Nachrichten aus dem Netz" im Feuilleton (S. 13), das ansonsten keinen Text zum Thema vorhält, geht es angesichts der Nutzerdiskussionen über Facebook-Timeline um den gestalterischen Einfluss der "Konzerne auf die digitale Umwelt". Michael Moorstedt zitiert dort Alexis Madrigal, Technik-Blogger von The Atlantic:
"Madrigal vergleicht die Situation mit der eines Jugendlichen, dessen Mutter ungefragt sein Zimmer aufräumt. Das mag komfortabel sein – wild herumfliegende Schmutzwäsche ist plötzlich verschwunden, der Schreibtisch nicht mehr wiederzuerkennen –, bedeutet aber auch eine nicht zu unterschätzende Bevormundung."
Und er endet mit einem Satz, der dann auch zum nächsten Thema überleitet: "Was man an Freiheit verliert, das gewinnt man in Form von Bequemlichkeit."
Genau: Freiheitsverlust, Bequemlichkeit, das passt auch auf Steve Jobs. Der Apple-Gründer ist, einige Tage nach seinem Tod, auf dem Titel des Spiegels abgebildet – der Grund dürfte sein, dass ihm Auszüge aus Jobs' autorisierter Biografie von Walter Isaacson vorliegen, die er abdruckt, hinter einem langen Nachruf (Titel, ganz ganz ganz exquisite Idee: "i"). Und auch die FAZ holt im Feuilleton noch einmal aus (S. 29), mit David Gelernter, der allerdings auch nur herum-i-t und dem auch sonst so viel mehr als den zu vielen anderen nicht einfällt: "Was hat Jobs letztlich bewirkt? Indem er schöne Geräte baute, machte er die Welt schöner. Das ist eine wunderbare Leistung."
[listbox:title=Artikel des Tages[Frank Rieger über den Trojaner (FAS)##Frank Schirrmacher über den Code (ebd.)##Die Funkkorrespondenz über "Günther Jauch"]]
[+++] Größer ist nur noch Karl-Theodor zu Guttenberg – sein Leben will jedenfalls von Nico "Ich mag Bio" Hofmann verfilmt werden. Sagte letzterer Guttenbergs Parteiblatt:
"Als Satire – mit viel Humor. Die Drehbuchautorin Dorothee Schön, die wunderbare Komödien schreibt, hat einen großartigen Text geliefert. Wir drehen das ein bisschen im Helmut-Dietl-Stil . . ."
Diese Drohung wird a) Dietl, den alten Perfektionisten, sicher begeistern, b) veranlasst die SZ wiederum zur Seite-1-Berichterstattung: "Der Film mit dem Arbeitstitel 'Der große Bruder' wird zeigen müssen, was Satire leisten kann." Und inspiriert c) die taz zur Füllung der Rubrik "Gurke des Tages". Manche Einordnungen sind einfach angemessener als andere.
Altpapierkorb
+++ Auf den eigentlichen Medienseiten findet auch was statt. Wichtigste Medienseitenmeldung im engeren Sinn: Karola Wille ist nun doch noch Kandidatin für die MDR-Intendanz (TSP, taz-Meldung, SZ, S. 15 und Porträt auf S. 4, FAZ, S. 31, auch online) +++
+++ Print im erweiterten Sinn: Die DuMonts – der Spiegel nimmt sich einer Dynastie an +++ Die SZ berichtet über das Projekt der Tages-Woche aus Basel – Wochenzeitung mit täglicher Online-Aktualisierung +++ Und die taz schreibt über das Schwulenmagazin Horst +++
+++ Außerdem wäre da dieses Fernsehen: "Wetten, dass..?" beschert uns diverse Kritiken +++ Die Gremienvorsitzendenkonferenz, das oberste Aufsichtsgremium der ARD, beklage das Fehlen einer Jugendstrategie, so der Spiegel +++ Die FAZ lobt den ZDF-Film "Amigo – Bei Ankunft Tod": "Besseres Fernsehspiel gibt es nicht" +++ Die SZ bespricht "Tatort Ausland" bei RTL2 +++ Die taz thematisiert eine zunehmende Hinterfragung von Respektspersonen auch im deutschen Fernsehen, einen "tiefgreifenden Wandel, was die Darstellung von Institutionen und Menschen angeht, die früher der Gesellschaft Vertrauen vermitteln sollten: darunter auch die Bereiche Politik, Gewerkschaft, Wirtschaft und Kirchen" +++ Und die Funkkorrespondenz zieht eine erste Bilanz nach vier Sendungen "Günther Jauch" +++
Das Altpapier stapelt sich wieder am Dienstag.