Welche Währung ist die richtige, um den Papstauftritt im Fernsehen zu beurteilen? Welche Kollegen fanden "Das Blaue Sofa" wie schlimm genau? Und welches Bild von Erwin Rommel zu zeichnen ist seinen Nachkommen recht genug?
Für die Bezeichnung "Medienthema des Tages" drängt sich an diesem Montag am ehesten der Erfolg der Berliner Piratenpartei bei der Landtagswahl auf – Medienthema insofern, als es sich um die Partei der Netzpolitik handelt, die ja auch Medienpolitik ist.
Hier stattdessen alles andere: Es gäbe da diverse Fernsehthemen, es beginnt etwa die Diskussion über einen Rommel-Film der ARD, dann sprach der Papst das "Wort zum Sonntag", und man sucht nach der richtigen Währung, um dem gerecht zu werden. (Na, wer hat mehr Follower? Genau: siehe Foto.) Dann das Neueste vom Talk natürlich und einen Nachschlag zu Wolfgang Herles Premiere auf dem "Blauen Sofa".
Beginnen wir aber beim, was Medienentwicklungen angeht, Wurf des Tages – genauer: Er erschien am Samstag in der FAZ, ist von Stefan Niggemeier, und der argumentiert, anders als der Verlag jener Zeitung, gegen die Argumentation der Verleger in Sachen "Was dürfen die Öffentlich-Rechtlichen im Internet?"
In diesem Fall zerlegt er die Argumentation von Springer-Vorstandschef Mathias Döpfner: "Danach sollen ARD und ZDF Audio- und Videobeiträge unbeschränkt auch im Internet anbieten dürfen, alle Arten von Texten aber nur gegen zusätzliche Bezahlung."
Niggemeier:
"Es ist bemerkenswert, wenn Döpfner einräumt: 'Man kann mit Gebühren andere Dinge machen, anspruchsvollere Projekte realisieren.' Wenn sich ARD und ZDF von ihren Gebühren Dinge leisten, die sich private Anbieter nicht leisten können, und zwar in einem Bereich, in dem es um journalistische Inhalte geht und nicht etwa um den überteuerten Kauf von Sportrechten – dann mag das schlecht sein für die Verlage. Aber es ist im Interesse der Allgemeinheit. ARD und ZDF wird vorgeworfen, mit ihren Angeboten den Markt zu verzerren. Das ist richtig, aber es ist gewollt. Die Idee der Öffentlich-Rechtlichen beruht darauf, ein Angebot zu schaffen, das den Mechanismen des Marktes und seinen negativen Wirkungen weitgehend entzogen ist. Es spricht Bände, wie wenig diese Selbstverständlichkeit als solche wahrgenommen wird – und als Chance."
Machen wir gleich bei der FAZ weiter: An den Montagen streut sie, die montags ihre Medienseite auf einen Dreispalter mitten in den Fernsehprogrammangaben reduziert, ihre medienjournalistischen Texte bisweilen übers Feuilleton. So auch heute: Ein Beitrag über einen entstehenden SWR-Film (Produzent: Nico Hofmann, Drehbuch: Niki Stein, Hauptdarsteller: Ulrich Tukur) über Erwin Rommel findet sich auf dem Aufmacherplatz – was mit dem Autor des Textes zu tun haben dürfte, Herausgeber Frank Schirrmacher. Dessen Einlassung zu früher Zeit legt die Vermutung nahe, dass uns das Thema zu gegebener Zeit – spätestens zur Ausstrahlung – noch umfassend beschäftigen wird.
Zunächst aber die Süddeutsche Zeitung, die auf der Medienseite (S. 15) von Briefen an Peter Boudgoust, Intendant des Südwestrundfunks (SWR), berichtet: "Das eine Schreiben verfasste Lieselotte Rommel, das andere Catherine Rommel. (...) (Sie) beklagten nach Lektüre des Drehbuches, dass Erwin Rommel zu negativ bewertet ('Günstling, Emporkömmling, Naziverbrecher') werde. Ihre Kritik nimmt sich auch Details an: So habe es in Rommels Hauptquartier in Frankreich auf Schloss La Roche Guyon keine Comtesse gegeben." Der Spiegel zählt zu den Kritikern des Drehbuchs auch den "langjährige(n) Stuttgarter Oberbürgermeister Manfred Rommel, 82".
Schirrmacher hält Rommels Nachkommen mit ihrer Kritik allerdings für "schlecht beraten" – die SZ deutet das ebenfalls mit Verweis auf prüfende Historiker an. Die FAZ:
"(D)ieses Drehbuch zeigt Rommel so, wie ihn die Forschung mehr oder minder heute beurteilt. Ein Mann, der sich keineswegs direkt zum Widerstand bekennt, sondern ihn eher durch Duldung und leise Sympathie befördert. Auch die Motive zum gedanklichen Widerstandsakt verschweigt das Drehbuch nicht. Es sind weniger die Verbrechen des Regimes als die Tatsache, dass Hitler zunehmend militärisch sinnlose Befehle erlässt. Man hätte, was den früheren Rommel angeht, noch ein ganz anderes, wirklich vernichtendes Drehbuch schreiben können."
[listbox:title=Artikel des Tages[Für Öffentlich-Rechtliches im Netz (FAZ)##Papst weniger Jauch (FTD)##Talkkoordinator Westrowski II (taz)]]
Und damit zu etwas völlig anderem: Das "Wort zum Sonntag" wurde gesprochen vom Papst, der das Homeland der Piratenpartei und weitere deutsche Städte dieser Tage mit seiner Anwesenheit beglückt. Der Tagesspiegel lässt sich davon nicht aus dem Medienseitenkonzept bringen und liefert im zentralen Teil des Textes brav die Quoten ab:
"Kurz vor seiner Deutschlandreise hat Papst Benedikt XVI. das Wort ergriffen und bei seiner Ansprache in der ARD-Sendung um 23 Uhr immerhin 2,36 Millionen Zuschauer erreicht. Das entspricht einem Marktanteil von 12,2 Prozent – für eine kirchliche Sendung eine gute Quote. Der durchschnittliche Marktanteil für das 'Wort zum Sonntag' liegt bei sieben Prozent, im Schnitt sind es 1,62 Millionen Zuschauer."
Überhaupt sind die Währungen, mit denen der Papst eingeordnet wird, das eigentliche Thema der Papst-Fernsehberichterstattung. Da wäre also die Währung 1) Quote (siehe oben), dann gibt es die Einschätzung des 2) Stellenwerts im Programmablauf ("Er musste warten, der 'Musikantenstadl' hatte überzogen" – Berliner Zeitung), schließlich 3) die exakte Rededauer (eine "Skizze in 3:37 Minuten" – Kölner Stadt-Anzeiger; in "3:38 Minuten" – FTD; eine "Vier-Minuten-Ansprache" – Berliner Zeitung) oder 4) die Größe des Plakats, das man ihm auszurollen gedenkt (45 x 64 Meter – Bild). Um den 5) Geldwert geht es bei der Financial Times Deutschland, in einer Wirtschaftsglosse.
"500 Euro hat die ARD dem Pontifex Maximus dafür überwiesen, dass er das 'Wort zum Sonntag' gehalten hat – für drei Minuten und 38 Sekunden. Bei einer Frequenz von einem Wort pro Sekunde wäre jedes Papstwort nur 2,29 Euro wert."
Und Der Spiegel (S. 126 ff.), in dem Alexander Kühn die Aneignung von Twitter durch Prominente wie Reiner Calmund (siehe Screenshot oben) in die Geschichte des People-Journalismus einordnet, bringt noch 6) eine weitere Währung zur Einordnung der medialen Größe des Papstes ins Spiel:
"Nach letztem Stand erreicht der englischsprachige Account der Vatikan-Botschaften nur 72000 Follower. 6000 weniger als Calmund."
Der Vergleichswert, ohne den alle Zahlen nur Gewäsch sind, fehlt allerdings auch in der FTD nicht:
"Die neue sonntägliche Talkshow von Günther Jauch übrigens kostet pro Sekunde angeblich 74,80 Euro – sie wäre damit 32-mal teurer als das Papstwort. Damit hat die ARD ein für alle mal klargestellt, wer von beiden für sie der Höherrangigere ist."
Jauch übrigens am Sonntagabend: Euro-Rettung, und ob die Bundesregierung das noch kann. (Hier gibt es eine – aber auch wirklich nur eine, Stand 7:51 Uhr – aktuelle Nachtkritik.)
Bei Zeit Online gab es dieser Tage noch die Talkshow-Kompletteinordnung von Lutz Hachmeister, genau wie am Samstag in der FAZ von Jochen Hieber, der sich die Studiofarben vornahm – auch wichtig – und über die erste Woche mit Jauch schreibt: "Die Euro-Krise kam zwar ausnahmsweise nicht vor." Aber dafür gibt's dann ja die zweite. Und Steffen Grimberg setzt in der taz heute seine Fiktion über den Talkkoordinator Westrowski fort: "Als hätten sie sich alle abgesprochen, hatte es überall gemenschelt."
Hachmeister aber fand vorab den Dreh zur tagesaktuellen Lage nach der Wahl:
"Die Ausweitung der Talkzone ist eine Form bürgerlicher Beruhigung, eine mediale Spielart der Establishment-Reproduktion. Solange über die Welt mit all ihren Krisen noch rituell geredet werden kann, ist sie nicht untergegangen. Auf der anderen Seite klinken sich jüngere Leute aus diesem Modell der sedativen Suada aus, wie die Umfrageergebnisse für die Piratenpartei in Berlin gerade zeigen. Der Fernsehtalk steht damit auf der Höhe seines Erfolgs für eine politisch-mediale Konfiguration, die selbst bedroht ist."
Und zwar demnach zu etwa 8,9 Prozent bedroht.
Altpapierkorb
+++ Kommen wir zu Wolfgang Herles und seiner Büchersendung im ZDF, die schon vergangene Woche vorabbesprochen worden war (siehe Altpapierkorb vom Freitag): Der Spiegel notiert ähnliche Lachnummern wie zuvor schon Spiegel Online ("furchtbar komisch") und lobt, wie auch die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, vor allem Josef Bierbichler dafür, dass er sich nicht auf das bekloppte blaue Sofa setzen wollte, das der Sendung den Namen gab ("nachdem der Blaue Klaus abgesagt hatte" – FAS). Außerdem: Vergleiche mit dem "Literarischen Quartett", mal direkt, mal indirekt. Direkt im Spiegel, direkt in der taz: "Was spricht eigentlich gegen die Idee, vier belesene, intelligente Menschen über aktuelle Romane diskutieren zu lassen?" Indirekt in der FAS: "Sowas müsste mal jemand erfinden: Eine Literatursendung, in der drei, sagen wir vier, Menschen einfach über Bücher reden; Sofa optional" +++ Die SZ findet speziell das Mitschleppen des Sofas "als Konzept schon brauchbar" (S. 15) +++ Und die FAZ (S. 27) hat offenbar tatsächlich eine gute Sendung gesehen: "'Das blaue Sofa' kommt nicht so frech wie Dennis Schecks 'Druckfrisch' daher. Und die Motivbesuche mit Autoren hat der ARD-Mann seit Jahren im Programm. Gegen den intellektuellen Dampfplauderer ist der 1950 in Tittling geborene Herles unhektisch, manchmal etwas oberlehrerhaft. Und doch folgte man der Sendung gern und aufmerksam. Den Themen wie den Gästen tritt Herles souverän entgegen" +++
+++ Unterhaltung: In der SZ wird die Unterhaltungschefin des BR; Annette Siebenbürger, porträtiert – super Idee, schau an, sie plane, heißt es, eine Talent- und eine Talkshow +++ Die Emmys wurden vergeben (SpOn et al.) +++
+++ Prozesse: Auch der MDR beschäftigt die Kollegen heute wieder: Der "Volksmusikpapst" Hans R. Beierlein sei nicht nur unter denen, deren Namen auch schon vor Monaten schon fielen, sondern auch unter den "Beschuldigten" (Spiegel), auch fällt der Name des Eventmanagers Michael Ecker (welt.de) +++ Der Guardian soll im Abhörskandal um News of the World seine Quellen offenlegen. SZ: "Die britische Polizei beruft sich auf den sogenannten Official Secrets Act von 1989, ein Gesetz gegen Geheimnisverrat, und will die Herausgabe der Quellen am 23. September vor Gericht erzwingen" (S. 15) +++ "Die Landesregierung von Rheinland-Pfalz rechnet mit Klagen gegen die neue Rundfunkabgabe", die von 2013 an gelten soll, aber von den Landtagen beschlossen werden muss – so die FAZ (S. 29) +++
+++ Die MDR-Geschichte aus epd Medien und seine eigene aus der Funkkorrespondenz greift Steffen Grimberg für die taz auf: "Politiker drücken ihren Kandidaten als Intendanten des MDR durch – und fast niemand stört das"; na ja, außer epd Medien, Funkkorrespondenz, taz und das Altpapier schon auch ein wenig +++
+++ Der ZDF-Film heute heißt "Mein Bruder, sein Erbe und ich" und wird rezensiert als "leichtfüßig" (TSP), "verzwickt-hintergründig" (BLZ), und Lob auch von der FAZ (S. 29): "Kuschelige Genremerkmale des Heimatfilms wie Alpenglühen und männliches Naturburschengehabe sind noch vorhanden, doch statt die Gefühlslagen ihrer Protagonisten auf Zugspitzenhöhe hochzudrehen, verankert die Drehbuchautorin Judith Angerbauer sie im Hier und Jetzt" +++
Das Altpapier stapelt sich wieder am Dienstag