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Meinungen zur Talkshowflut: a) Zu viele Sendungen mindern die Bedeutung des Formats! b) Konkurrenz belebt das Geschäft! Außerdem: Warum das deutschsprachige Feuilleton das beste der Welt ist. Neues von der 9/11-Fernsehfilmfront. Und: Die Zeit hat jetzt ein Investigativressort und eine Kinderbeilage


Das Wichtigste zuerst Neueste von den Talkshows: Der Spiegel hat ARD-Talk-Dingsgestein Sabine Christiansen gesprochen und zitiert sie in einem längeren Fließtext (These: ein Talk – unter Umständen bedeutend; viele Talks – machen die einzelnen Sendungen unbedeutend) mit einer Kritik an der sog. Talkshowflut: "Wir haben zu viel vom Gleichen".

Was irgendwie eine originelle Talkkritik ist: Wenn jemand noch einmal das Gleiche wie alle anderen sagen darf, dann ja wohl ein ARD-Talk-Dingsgestein.

So allmählich drängt sich dem Feuilletonisten allerdings dann doch mal die Frage auf, ob es nicht auch etwas Gutes über die steigende Zahl von Talkshows zu sagen gäbe – eine Gegenthese gehört ja nicht nur aus Ritualgründen dazu, sondern tatsächlich kann man ja ein und dieselbe Sache immer unterschiedlich sehen, wie Welt und Welt kompakt zeigen (worauf das Bildblog verweist). Unter anderem Sascha Lobo, der in einer Talkshowgaststimmensammlung des Tagesspiegels auftaucht, ist tatsächlich auch nichts etwas eingefallen:

"Eine schlechte Talkshow die Woche wäre zu viel, sieben tolle zu wenig. Mehr Konkurrenz wird die Qualität der Talkshows eher noch steigern – auch deshalb sind fünf Talkshows in der ARD nicht zu viel."

Die seriösere Befürwortung vieler Talkshows bietet allerdings Harald Staun im bisweilen ziemlich witzigen Pro-und-Contra der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung an, das diesmal die jüngst an dieser Stelle noch etwas unbefriedigend beantwortete Frage behandelte: "Sind Talkshows überhaupt noch tragbar?" Antwort: Ja, weil die Wochentage bisher so beknackte Namen hatten. Das wird jetzt anders.

"Die inoffizielle Kommission für die Normierung gesellschaftlicher Diskurse, die ARD, hat sich nun endlich zeitgemäße Bezeichnungen für die Wochentage einfallen lassen: Ab sofort ersetzen einfach die Namen bekannter Fernsehmoderatoren die bisherigen nichtssagenden Begriffe."

Also: Sonntag heißt jetzt Jauch, Montag Plasberg, Dienstag Maischberger, Mittwoch Will, Donnerstag Beckmann. Freitag is' eher ungünstig, namenstechnisch. Und am Samstag kommt immer noch das Sams.

"Ab sofort bekommen die neuen Paten jeden Abend eine etwa einstündige Sendung. Das klingt ein wenig wahnsinnig, muss aber sein, um die neue Regelung bekanntzumachen."

Klingt vernünftig. Allerdings dachten wir eigentlich, wenn sie schon bei Wikipedia herumstehen, dass mal jemand die Rekreations-, Gratifikations-, Eskapismus- oder regenerative Funktion der Massenmedien ins Spiel bringen könnte, die doch – dieser Aspekt ist wissenschaftlich eventuell noch nicht abschließend belegt – gerade von den Talksendungen so wunderbar erfüllt werden. Wikipedia:

"Dadurch ermöglichen es Medien den Menschen, sich zu erholen und von der Arbeit abzulenken. Durch Unterhaltung und Entspannung sind wir wieder in der Lage, unsere Arbeit zu leisten, mit unseren Problemen fertig zu werden und unser Leben zu bewältigen (...), die Sorgen des Alltags zu vergessen und vor der eigenen Realität zu flüchten."

Aber kann ja noch kommen. Günther Jauchs Premiere steht bekanntlich erst am 11. September (einem Jauch) an.

[listbox:title=Artikel des Tages[9/11-Film (BLZ)##9/11-Filme (FAZ)##Im Online-Archiv: der Fernsehtag des 11.9.2001 (via SZ)##"Weg van Nederland" – was dabei rumkam (taz)]]

Bei 9/11 kommen ja anderen erstmal ganz andere Gedanken. Google zum Beispiel rechnet naheliegenderweise erstmal aus: 9/11 = 0,818181818 – danke auch –, kommt aber dann doch noch auf 2001 (Screenshot): Nach den Besprechungen von Stefan-Aust-9/11-Film (siehe Tagesspiegel vom Samstag und Altpapierkorb vom Donnerstag) und anderer Filme zum Thema (siehe Altpapierkorb vom Freitag) werden wir nun Augen- und Ohrenzeuge des neuen Lamby ("Fischer, Schily: Mein 11. September", ARD), den die FAZ im Paket mit dem Aust-Film würdigt und den die Süddeutsche Zeitung (S. 19) unter Verweis auf einige Schwächen lobt: Die Macher, Stephan Lamby und Michael Wech,

"sind gründliche Rechercheure und pointierte Erzähler. Es ist beachtlich, wie schlüssig sie in der Kürze der Zeit den Bogen ziehen vom Terror in New York und Washington bis zum Terror, der nur noch den Vorwand bot für den amerikanischen Einmarsch im Irak; den Bogen von der uneingeschränkten Solidarität Schröders bis zur strikten Verweigerung der Bundesregierung, den USA nach Bagdad zu folgen."

Während die Berliner Zeitung / Frankfurter Rundschau am "dennoch sehenswerten Film" kritisiert:

"Die Autoren zeichnen die Entwicklung chronologisch nach, verfallen aber zuweilen in den Duktus und die Bilder eines Politthrillers. Das führt zu einer völlig unnötigen Überdramatisierung der ja ohnehin dramatischen Ereignisse".

Und dann wäre da auch noch das Fernseharchiv unter www.archive.org/911, dessen Nutzung die SZ in den "Nachrichten aus dem Netz" (S. 15) empfiehlt:

"Den Fernsehtag des 11. September kann man nun in einem neuen, beispiellos umfassenden Online-Archiv rekapitulieren. Mehr als 3000 Stunden Programm von 20 Kanälen hat das Internet-Archive zum zehnten Jahrestag der Anschläge auf einer Seite mit dem Namen 'Understanding 9/11' aufbereitet."

Warum empfehlenswert? Niklas Hofmann schreibt: Vor allem

"gewinnen in ihrem originalen Kontext von Verwirrung, Unglauben und Entsetzen all jene Bilder, die in zehn Jahren so unendlich wiederholt worden sind, etwas von ihrem ursprünglichen Schrecken zurück."

Die FAZ lobt dagegen die Aufbereitung der 2001er-Berichterstattung bei RTL, wo nach einer weiteren 9/11-Reportage "von 0.55 Uhr an eine dreistündige, kommentierte Zusammenfassung der Berichterstattung vom 11. September 2001" läuft. Michael Hanfeld:

"Im Nachhinein, zehn Jahre später, erscheint, was (Peter; AP) Kloeppel und seine Kollegen damals leisteten – und nicht nur sie, sondern in der ARD genauso Ulrich Wickert und Steffen Seibert im ZDF – sehr beachtlich. Anders als wir es zuletzt bei dem Massenmord in Norwegen gesehen haben, als vermeintliche Experten im Nu mit Erklärungen bei der Hand waren, die sich binnen kürzester Zeit in Schall und Rauch auflösten, hielten sich Kloeppel und mit ihm im Zwiegespräch der Amerika-Korrespondent Christof Lang (der heute das RTL-'Nachtjournal' moderiert) an das, was sie sahen und wussten, gaben Informationen vorsichtig weiter und wahrten die Fassung."


Altpapierkorb

+++ Hans Ulrich Gumbrecht ernennt in einem Beitrag für die FAS das deutschsprachige Feuilleton zum "besten der Welt unter neuen Bedingungen", womit er Frank Fischers im Deutschlandfunk aufgestellte These verfeinert: In den Feuilletons von NZZ, SZ, FAZ und der Zeit, "aber seit einiger Zeit auch zunehmend wieder bei der 'Welt'" ergibt sich "ein Effekt eines laufenden Kommentars zur kulturellen Produktion der Gegenwart mit nationaler Konzentration und zugleich mit einer bemerkenswerten Reichweite, die langsam auch die europäischen Grenzen zu überschreiten beginnt und zischen den verschiedenen Zeitungen in einer flexiblen politischen, thematischen und stilistischen Nuancierung (eher als in einer ideologischen Spannung) gebrochen ist". Und stilistisch tritt er den Beweis ja gleich selbst an +++

+++ Die besagte Welt kritisierte derweil am Freitag angesichts der Feuilletondebatte über linke Gesellschaftskritik: "Das kritische Feuilleton, das in diesem Sommer eine Sternstunde nach der anderen feiert, präsentiert Gemeinplätze des linken Denkens, als hätten die jahrelang in gepanzerten Aktenschränken gelegen" +++

+++ Die Zeit führt ein Investigativressort ein, das von Herbst an aus Berlin arbeiten soll; es "soll von Stephan Lebert geführt werden" (SZ). "Chefredakteur di Lorenzo, 52, hatte das Projekt seinem Verleger Dieter von Holtzbrinck, 69, vorgestellt, der drei neue Stellen bewilligte." +++ Nicht zu verwechseln hiermit: Die Zeit legt von Dienstag an das neue Kindermagazin "Zeit Leo" an den Kiosk (Dieter von Holtzbrincks Tagesspiegel) +++

+++ Der Spiegel erzählt im Wirtschaftsressort von der WAZ, und für den Medienteil hat Wikileaks-Fachmann Holger Stark den fußgefesselten Julian Assange aufgesucht und rekapituliert die jüngsten Ereignisse um Wikileaks und die Kooperation des Spiegels mit der Enthüllungsplattform – wobei er zurecht erklärt, durch die Veröffentlichungen im Spiegel seien Informanten nicht gefährdet worden +++

+++ "Spät am Nachmittag" will der MDR heute nach einer "Marathonsitzung" die Personalie MDR-Intendantin/-Intendant bekannt geben (SZ, S. 19): "Der neue Intendant oder die neue Intendantin wird tatsächlich komplett von vorne beginnen müssen, personell wie strukturell. Eigentlich müsste der MDR ein zweites Mal gegründet werden" +++ Ebd.: James Murdoch – Stichwort Affäre um News of the World – verzichtet auf einen Bonus, verdient aber ja trotzdem nicht ganz schlecht, und von Rücktritt ist nicht die Rede. Online dazu: Vater Rupert genehmigt sich "satte Gehaltserhöhung" +++

+++ Die taz stellt eine neue Plattform vor, die "ausgewählte Radio-Hörspiele" vorhalte +++ Und rekapituliert das Ergebnis der niederländischen Quizshow "Weg van Nederland", in der abgeschobene Asylbewerber Fragen zur Niederlande beantworten mussten: "Ziel der Verantwortlichen war es, mit der Gratwanderung zwischen Zynismus und Entertainment auf die Schicksale junger Asylbewerber aufmerksam zu machen. Das Konzept ging nicht auf. Knapp 2 Prozent der niederländischen Haushalte schaute zu, und auch die mediale Debatte hielt sich in Grenzen" +++ Die Berliner Zeitung schreibt über ZDFinfo +++

+++ Spiegel Online hat den israelischen Historiker Tom Segev angerufen, der Günter Grass für Haaretz interviewt hat. Das Ergebnis war eine Debatte über Grass in Deutschland, weil der darin den Holocaust relativiert habe, während Segev sich über die empörten Reaktionen wundert: "Ironischerweise scheinen die Menschen in Israel vernünftiger mit Grass umgehen zu können als die Deutschen" +++

+++ Die Funkkorrespondenz setzt ihre Medienpolitikserie fort +++

+++ Berliner Zeitung und Kölner Stadt-Anzeiger wetten, erstere explizit, letzterer eher zwischen den Zeilen, dass Hape Kerkeling demnächst "Wetten, dass..?" moderiert +++

+++ Im Fernsehen: "Simon Templar" mit Roger Moore wird bei Arte wiederholt (TSP) – "ein tolles Stück Vergangenheit: 21 schwarz-weiße Folgen der britischen Gentleman-Detektivserie Simon Templar von 1962" (SZ) +++

Das Altpapier stapelt sich wieder am Dienstag.

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