Rettet Super-Bernd die FDP?

Rettet Super-Bernd die FDP?

Die Wikileaks-Krise, das prima Klima bei Gruner + Jahr, diverse 9/11-Jahrestagsfilme sowie Interpretaionshilfen für im Bereich der Literaturkritik noch entwicklungsfähige Journalisten beschäftigen heute die Medienbeobachter.

Zu spontanen Jubeldemonstrationen kam es gestern in mehreren deutschen Medienstädten. Freie Mitarbeiter des globalen Qualitätsmediengiganten Gruner + Jahr reagierten beglückt, nachdem Bernd Buchholz, der Vorstandsvorsitzende des Hauses, die glänzende wirtschaftliche Lage zum Anlass genommen hatte, üppige Honorarerhöhungen in Aussicht zu stellen. Mancherorts sollen Freudentränen geflossen sein. So ähnlich jedenfalls könnte es gewesen sein. Gesichert ist allerdings nur, dass Buchholz Folgendes sagte, und zwar in einem sehr langen Interview mit meedia.de:

„Wir haben uns nach den schweren Zeiten 2009 nicht nur auf das Vorkrisenniveau zurückbewegt, sondern uns noch gesteigert und halten das jetzt im ersten Halbjahr 2011 stabil auf der Ergebnislinie.“

Neben vielem anderen beschäftigt sich Buchholz auch mit der Situation in China, „wo wir mit unserem Joint-Venture-Partner bereits der größte Frauenzeitschriften-Verlag sind“:

„Ich glaube, dass wir dort mit unserem Engagement auch einen kleinen Beitrag dazu leisten, dass sich die Gesellschaft ein Stückchen weiter liberalisiert und öffnet.“

Das Gespräch beginnt Interviewer Georg Altrogge im Übrigen auf der Befindlichkeitsebene:

„Sind Sie schon 50 oder werden Sie es?" 

„Ich werde dieses Jahr 50, im November.“

„Ich auch. Schlimm!“

Besser hätte uns allerdings folgende Variante gefallen: „Sie sind seit 1981 in der FDP. Haben Sie den 30. Jahrestag Ihres Parteibeitritts schon gefeiert oder kommt das noch?“ Immerhin schneidet das Handelsblatt (das es offenbar nicht schön fand, dass die Kollegen von meedia.de ihr Interview als „exklusiv“ deklarierten, und deshalb ein ähnlich langes Gespräch online stellte) dieses Thema auf andere Weise an:

„Politiker wollen Sie nicht wieder werden?“

„Das würde ich so nicht sagen. (...)“

„Braucht Ihre FDP nicht aber gerade jetzt in dem Drei-Prozent-Tal dringend tatkräftigen Beistand?“

„Meine Herren, ich danke Ihnen für das Gespräch.“

Buchholz hat dafür gesorgt, dass es G+J offenbar so gut geht, dass der treffende Superlativ noch erfunden werden muss, und in China sieht es dank der Frauenzeitschriftenkompetenz seines Hauses auch schon „ein Stückchen“ besser aus. Sollte es für ihn da nicht ein Leichtes sein, seine Splitterpartei „stabil auf die Ergebnislinie“ zu bringen?

Der aktuelle Aufmerksamkeitserreger aus Buchholz‘ Laden sind die Augmented-Reality-Elemente im Stern (siehe Abbildung). meedia.de erwähnt in diesem Zusammenhang, dass beispielsweise das SZ-Magazin im vergangenen Jahr bereits mit Augmented Reality experimentierte, aber nicht, dass dessen Chefredakteur damals der kürzlich erst beim Stern als Vize-Chef angetretene Dominik Wichmann war.

Nachdem es gestern an dieser Stelle noch das „langweiligste Interview des Jahres“ aufzuarbeiten galt, gibt es heute auffälllig viele nicht langweilige. Dank meedia.de und Handelsblatt liegt von Bernd Buchholz heute sogar mehr Interviewstoff vor als von Charlotte Roche, die im Freitag im Gespräch mit Antonia Baum „Interpretationshilfe“ für Journalisten gibt, die Romanautoren mit ihren Figuren verwechseln:

„Hast Du gerade viel damit zu tun, dich von dem Bild zu distanzieren, dass Du von deiner Roman­figur, von Elizabeth Kiehl, entworfen hast?

Total. Es war schon bei ‚Feuchtgebiete‘ absurd, dass man das autobiografisch interpretierte. Es gibt minimale Details in ‚Feuchtgebiete‘, die ich als Jugendliche selbst gemacht habe. (...) Bei ‚Feuchtgebiete‘ fand ich das lustig, jetzt nicht mehr. Je dümmer ein Medium oder der Interviewpartner ist, desto mehr will er über das ‚Echte‘ reden. So reduziert man einen Roman auf den Wert: Er gilt nur, wenn viel echt ist. Was schon mal eine Beleidigung ist, an jemanden, der einen Roman schreibt.“

Mindestens so weise wie Buchholz und Roche ist der Hürriyet-Chefredakteur Ahmet Külahci, den Cigdem Akyol in der taz zur (Nicht-)Berichterstattung seiner Zeitung über Thilo Sarrazin interviewt:

„Die Sarrazin-Debatte war hierzulande ein großes Thema. Haben Ihre Leser nicht ein Recht darauf, dass sich das auch in Ihrer Zeitung widerspiegelt?“

„Ach, er ist doch überhaupt nicht interessant. Ich habe ihn nicht ernstgenommen, und in der Türkei interessiert sich niemand für ihn. Es ist eine innerdeutsche Debatte, die wir deswegen auch kaum auf unseren Türkeiseiten gemeldet haben. Wir legen keinen Wert auf ihn und seine dummen Thesen.“

Die Berliner Zeitung interviewt „10 Jahre nach 9/11“ (Filme zu diesem Anlass siehe Altpapierkorb) den Islamwissenschaftler und Islamkritik-Kritiker Thomas Bauer:

„Herr Professor Bauer, haben die Attentäter damals den Islam verraten?“

?„Sie haben sich des Islams bedient, und im Westen ist man prompt darauf hereingefallen. Schon im Juni (!) 2001 behauptete der Spiegel in einer Titelgeschichte, keine Weltreligion sei uns so ‚fremd‘ wie der Islam. Und eine so ‚fremde‘ Religion ist natürlich zu allem fähig. (...)“

„Was ist für Sie eigentlich sinnvolle Islamkritik?“

„ (...) Der Islam mit seinen zahlreichen Ausrichtungen und historischen Erscheinungsformen (ist) viel zu heterogen, um insgesamt ‚kritisiert‘ zu werden. Darum geht es den sogenannten Islamkritikern allerdings auch nicht, die unter der Überschrift ‚Islamkritik‘ nur ihre Ressentiments ausleben (...).“

[listbox:title=Artikel/Videos des Tages[Zwei fast 50-jährige unterhalten sich (meedia.de)##Martin Sonneborn im Wahlkampf (RBB)##Das Leck im Leck (Süddeutsche)]]

Weiterhin kein Mangel herrscht an Zwischenbilanzen zu den Folgen des Lecks bei Wikileaks, Betrachtungen zu den Soap-Aspekten rund um die Plattform sowie Prognosen zur Zukunft des Whistleblowing. Andrian Kreye schreibt in der Süddeutschen (Seite 2):

„Es ist keine Frage, dass Julian Assange Weltgeschichte geschrieben hat. Die Frage ist nur, ob die Enthüllungen von 2010 ein einmaliges Ereignis bleiben werden. Von der Kultur der radikalen Transparenz, die Assange und seine Mitstreiter einforderten, ist bisher noch nichts zu spüren. (...) Was dem Projekt Wikileaks fehlt, ist die Kraft, den Schritt von einer Untergrundaktion zu einer richtigen Bewegung zu bewältigen. Assange mag viele Anhänger im Netz haben. Was ihm fehlt sind Mitstreiter, eine Bewegung.“

Der Freitag hat unter anderem ein Statement des „Weblog-Pioniers“ Dave Winer eingeholt:

„Wäre es besser gewesen, wenn sie (die Wikileaks-Aktivisten) verantwortungsvoller gewesen wären? Ja. Hätte so etwas auch beim Spiegel, der Times, dem Guardian geschehen können? Ja! Natürlich.“

Spiegel Online beantwortet die selbst gestellte Frage „Ist die Idee der Enthüllungsplattform insgesamt gescheitert?"

„Eines kann man mit Sicherheit sagen: Das Veröffentlichen geheimer Informationen im Netz wird durch die aktuelle Schlappe von WikiLeaks nicht unterbunden werden. (...) Leaking (...) ist beinahe auf dem Weg zum Volkssport. Das wird es nicht einfacher machen, zwischen relevanten und irrelevanten Dokumenten zu unterscheiden." 

Teilweise in eine ähnliche Richtung geht Reiner Metzgers Kommentar in der taz:

„Sollten wir (...) die Finger vom Leaken lassen? Nein. Denn die Technik hat viel gebracht und offensichtlich ganz neue Kreise von Informanten erschlossen.“


Altpapierkorb

+++ Den gestern begonnenen Überblick zu TV-Filmen rund um zehn Jahre 9/11 gilt es fortzusetzen mit Hinweisen auf Rezensionen zu „Die Guantanamo-Falle“, eine 90-minütige Dokumentation, zu deren Protagonisten Murat Kurnaz gehört (siehe Altpapier). Michael Hanfeld bespricht den Film in der FAZ (S. 35): Regisseur Thomas Selim Wallner „verfolgt und kombiniert die Lebensläufe seiner Protagonisten, filmt sie in ähnlichen Alltagssituationen und erreicht es, dass sie ihr Innerstes nach außen kehren (...) Ohne eigenen Kommentar macht Wallner deutlich, dass nicht nur das Leben von Murat Kurnaz durch Guantanamo und durch die als ‚aggressives Verhör‘ benannten Methoden auf immer belastet ist.“ Auch die taz lobt den Film (Disclosure: Der Text ist von mir). 

+++ Harald Keller wird in seiner Funkkorrespondenz-Kritik zu „Die Falle 9/11“ (Ausstrahlung: Sonntag) und „Nine Eleven - Der Tag, der die Welt veränderte“ (zweiter Teil heute) grundsätzlich: „Die Generation, die vor zehn Jahren noch in den Kinderschuhen steckte, kann die Erschütterungen dieses Datums, das tatsächlich die Weltgeschichte in vielleicht noch gar nicht absehbarem Maß veränderte, nur mehr über mediale Rekonstruktionen erfahren.“ Deshalb müsse man „die Bilder der einstürzenden Türme immer wieder zeigen“. 

+++ „Das Schlawinerische, das ist das Orientalische im Süddeutschen, das Schlawinerische ist das, was Bayern vom Rest Deutschlands trennt, das ist das, was die Österreicher und die Bayern vereint.“ Wer sich durch diesen Satz des Regisseurs und Produzenten Paul Harather angesprochen fühlt. dem dürfte die von Claudia Tieschky in der Süddeutschen gewürdigte Sitcom „Schlawiner“ zusagen (S. 15)

+++ Am anderen TV-Ereignis des Tages ist jener Mann beteiligt, der es geschafft hat, die Echtheitswahn-Kritikerin Charlotte Roche (siehe oben) von der Spitze der Bestsellerliste zu verdrängen (jedenfalls bei Amazon). Vielleicht sollten Roche und Philipp Lahm gemeinsam ein Buch über Fußballtrainer im Bordell schreiben.

 +++ Von Lahms Kollegen David Simon - Kollege insofern, als beide im selben Verlag veröffentlichen - ist in dieser Woche der rund 830 Seiten dicke True-Crime-Roman „Homicide - Ein Jahr auf mörderischen Straßen“ erscheinen, der in gewisser Hinsicht die Basis war für die von Simon geschaffene Serie „The Wire“. Der Regisseur Marc Ottiker beschäftigt sich im Freitag mit dem Buch (siehe auch Die Zeit, S. 56).

+++ Veronica Ferres absolvierte nach Beobachtung von stern.de in der ersten Mittwoch-Sendung von „Anne Will“ „innerhalb weniger Minuten einen gedankliche Parforceritt“: „Von Winnenden über friedliche tibetische Mönche kommt sie umstandslos es zu den ‚Riots‘ in London. Ihr Fazit: ‚Wir züchten uns eine Generation, die in den Mülleimer fällt.‘“ Eine Weitere Nachbetrachtung gibt es von Martin Weber (ksta.de).

+++ Dass es immer noch Journalisten gibt, die entweder witziger sein wollen als Die Partei oder diese „entlarven“ wollen, stellen zwei RBB-Kollegen im Gespräch mit Parteichef Martin „Ich bedanke mich für diese Frage“ Sonneborn unter Beweis.

+++ Der MDR-Skandal um Udo Foht „könnte sich auf die ganze ARD ausweiten“, meint die taz. „Zumindest der SWR hängt schon mit drin“, und zwar, weil Foht die vom SWR verantwortete „ARD-Schunkelsendung ‚Immer wieder sonntags‘“ beriet. Siehe auch „Saustall Leipzig“ in der Süddeutschen.

+++ Zuletzt zwar etwas aus dem Fokus geraten, aber weiterhin aktuell: der Phone-Hacking-Skandal. Nach neuestem Stand gibt es 3870 Opfer (The Daily Beast).

+++ Der FAZ-Theaterkritiker Gerhard Stadelmaier hat einen Nachruf auf die Theater-, Film- und TV-Schauspielerin Rosel Zech geschrieben (S. 32): „Wäre das deutsche Theater ein bisschen mehr als nur der Durchlauferhitzer mehr oder weniger schnell verglühender schauspielerischer Mode-Sternschnuppen (...), hätte es sich gierig auf diese Schauspielerin stürzen müssen. Rosel Zech war in den letzten Jahren so ziemlich von den Bühnen verschwunden. Das Schnell-weg!-Theater hatte für sie und ihre wunderbar zivile, human autonome kühle Größe keine Verwendung mehr. Die eine der Oberspielerinnen im Regie-Reich eines Zadek gewesen war, wich ins Fernsehen aus, wo sie in ‚Um Himmels willen‘ eine Schwester Oberin mimte.“

+++ Besser gar kein Job als einer bei fr-online.de? Näheres dazu in der September-Nummer des journalist.

 +++ „Die fieseste und die fairste Redaktion Deutschlands“ will die Journalistenorganisation Freischreiber ermitteln, die zu diesem Zweck zwei Preise ausgeschrieben hat.

+++ Wie die Geflügelfirma Wiesenhof ihre gespenstische Anti-ARD-PR organisiert, berichtet mit gespenstischer Nüchternheit W&V. Die ARD-Doku „Das System Wiesenhof“ gibt es noch hier zu sehen.

+++ Lady Gaga kann auch Medienkritik! Darüber berichtet die Washington Post

Neues Altpapier gibt es wieder am Montag.

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