Sarrazin prahlt mit früheren Liebschaften!

Sarrazin prahlt mit früheren Liebschaften!

Das neue Buntegate und die Affäre um den suspendierten MDR-Unterhaltungschef werfen noch viele Fragen auf. Außerdem: Die FAZ adelt Blogger; DAB+ startet.

Sollten Sie zu den regelmäßigen Zuschauern des öffentich-rechtlichen Fernsehens gehören, geht es Ihnen gerade gut. Das liegt daran, dass all die Talkshowleute derzeit Urlaub machen, weshalb wir uns zum Beispiel den Massenmord von Norwegen nicht „in einer gemeinsamen Talkrunde von Arnulf Baring, Hajo Schumacher und Wencke Myhre erklären lassen“ mussten, wie Stefan Niggemeier in der FAS bemerkt. Selten sei der Begriff Sommerpause „irreführender“ gewesen als heute:?

„In Wahrheit ist der Sommer, wenn all die Talkshows pausieren, eine Zeit geworden, die eine Ahnung davon gibt, wie aufregend und relevant öffentlich-rechtliches Fernsehen sein könnte. Zu keiner anderen Jahreszeit kann es einem so leicht passieren, noch vor Mitternacht auf eine aktuelle, sehenswerte Dokumentation oder einen besonderen Film zu stoßen. (...) Wenn die Menschen aus dem Alltag ausbrechen, macht sich auch das öffentlich-rechtliche Fernsehen locker, was paradoxerweise bedeutet, dass auch schwerere Stoffe ins Programm kommen können.“

Positiv erwähnt Niggemeier auch die „offenkundige Relevanz und Brisanz“ der am Mittwoch startenden Sommerstaffel von „ARD-exclusiv“. Einer der fünf Filme der Reportagereihe, „Das System Wiesenhof, Wie ein Geflügelkonzern Tiere, Menschen und Umwelt ausbeutet“, sorgt bereits vorab für Wirbel. Die Firma Wiesenhof scheint das zwischenzeitliche Qualitäts-Hoch bei der ARD nicht zu würdigen zu wissen, jedenfalls berichtet der Spiegel auf S. 131 über eine Unterlassungsaufforderung gegen den Titel des Films, der der verantwortliche SWR aber nicht nachkommen will. Den Film (Ausstrahlungstermin: 31. August) können die Wiesenhof-Leute und ihre Advokaten gar nicht kennen, denn der ist noch nicht fertig. Bestens vertraut sein düfte dem Geflügelkonzern aber der Beitrag „Tierquälerei bei Wiesenhof? Wie Hühner leiden müssen“, den die Autoren der Reportage, Monika Anthes und Edgar Verheyen, für das Magazin „Report“ gedreht haben (abrufbar im ARD You Tube Channel, siehe Screenshot). 

Da das öffentlich-rechtliche Programm nicht immer so gut ist wie im Sommer, sei es dem Medienrechtler Karl-Heinz Ladeur zu wünschen, dass ein Gedanke aus seinem in der Funkkorrespondenz erschienenen Grundsatzartikel „Der hybride Charakter. Das Fernsehen im multimedialen Netzwerk der Netzwerke“ Gehör findet. Darin geht um die „in Zeiten von multimedialer und hybrider Medienentwicklung“ notwendig gewordenen Reformen bei der Medienregulierung:

„Dass die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanbieter heute weniger denn je verzichtbar sind, ist eine Sache. Eine andere ist die Gewährleistung der Qualität der Sendungen insbesondere im Ersten und im Zweiten Programm in der Primetime. Es wäre rundfunkrechtlich unbedingt erforderlich, eine neues Verfahren zu entwickeln, in dem das Verhältnis des normativ definierten Programmauftrags zu seiner faktischen programmlichen Erfüllung in diesem Zeitfenster unter Beteiligung externen Sachverstandes – auch mit Öffnung für Minderheitsvoten – analysiert und bewertet wird.

So etwas sei bisher „nie genauer geprüft worden. Man hat sich (fast) allein auf die Binnenkontrolle der Anstalten selbst verlassen“.

Mit einer anderen These liegt Ladeur aber daneben. Es werde heute

„nicht zu Unrecht vermutet (...), dass die skandalösen Abhöraktionen der jüngst genau deswegen eingestellten englischen Boulevardzeitung News of the World (...) durch das Internet und seine rüden Formen der Veröffentlichung jenseits der tradierten professionellen Selbstkontrolle der alten Medien ermöglicht worden seien“.

Mit der Historie des Boulevardjournalismus Murdochscher Machart scheint Ladeur nur am Rande vertraut zu sein. Auf den geht der Sudelblatt-Experte Gerhard Henschel in der August-Ausgabe von konkret ein (S. 59). Abgesehen davon ging die skandalöseste aller skandalösen Abhöraktionen 2002 über die Bühne, als das Internet noch nicht die Rolle spielte, die es heute spielt. Zum Thema äußert sich auch David Wooding, Ex-Politikredakteur bei News of the World, in einem Interview mit der taz: „Wir sind der Kollateralschaden.“

Mit der Münchener Miniatur-Version des News-of-the-World-Skandals, der den Politikressortchef der Bunten und eine von ihm instruierte Redakteurin den Job gekostet hat (siehe auch Altpapier vom Freitag) beschäftigen sich Hans Leyendecker in der Süddeutschen (S. 17) und der Spiegel auf S. 132 (Kurzversion hier). Man erfährt aus beiden Texten Details über den sog. Informanten, mit dem sich die geschassten Burda-Journalisten eingelassen haben, weil sie heiß waren auf Details über die Sexpartys und den Drogenkonsum eines Politikers. Als

„einen jungen Mann mit etwas teigigem Allerweltsgesicht, der sich mal nur ‚Stefan S.‘ nennt, mal „Dr. Dr. Stefan Stein‘“,

beschreiben Alexander Kühn und Martin U. Müller im Spiegel den Auslöser des neuen Buntegates. Und was hatte der mutmaßliche Akademiker im Sinn?

„Es sei ihm vor allem darum gegangen, den Drogenkonsum des Politikers öffentlich zu machen."

Darüber hinaus werfen die Spiegel-Atoren die Frage auf, ob die vor die Tür gesetzten Burda-Redakteure „nur Täter oder auch Opfer“ gewesen seien. Hintergründe dazu findet man bei Leyendecker:

„Im Burda-Verlag (...) hält sich der Verdacht, dass der Tippgeber (...) ein Provokateur oder ein Erpresser war. Angeblich im Auftrag des Blattes hatte er den Politiker mit einer anonymen Anzeige überzogen. Und als er das zweite Mal um 1000 Euro Honorar bat, hieß es, er brauche Geld für eine Kamera, um Bilder von einer privaten Sexparty des Politikers machen zu können. (...) Viele Fragen drängen sich auf: Wollte er der Bunten zeigen, dass die Bunte manchmal unsaubere Methoden einsetzt? Darauf deutet eine Mail von Anfang Juli an die Redaktionsspitze hin. (...) Gaga? Ein Wichtigtuer? Und warum verwies er in dieser Mail auf das angebliche Interesse der Konkurrenz an einem solchen Vorgang? Warum meinte er, die Bunte könne die Geschichte über die merkwürdige Beziehung zwischen Redaktion und Informant exklusiv erwerben? Die Bunte kauft eine Geschichte über die Bunte? Und warum hat das Blatt auf einen solch dubiosen Vorgang reagiert, als ginge es plötzlich um alles oder nichts?“

Das Thema könnte uns noch länger erhalten bleiben, deutet Leyendecker an:

„Die Versager werden gefeuert, alle anderen sind rein und haben nichts gewusst. Diese Strategie kann aufgehen, wenn sie in Einklang mit der Wirklichkeit steht. Falls nicht, könnte es noch größere Turbulenzen geben.“

Während dieser Text noch nicht auf sueddeutsche.de steht, ist dort Leyendeckers samstäglicher Text zum Thema verfügbar. Er endet mit den Worten: „was für ein Dilettantismus“.

Wir wissen nicht, ob Burda-Vorstandsmitglied Philipp Welte „fassungslos“ ist wegen der Vorgänge rund um „Dr. Dr. Stefan S.“, wir wissen aber dank Spiegel, dass er „fassungslos“ ist angesichts der Enthüllungen über den beurlaubten MDR-Unterhaltungschef Udo Foht, der sich bei ihm, Welte, Geld „gepumpt“ hatte:

„Man ist fassungslos, wenn man einem langjährigen Freund in einer für ihn schwierigen finanziellen Situation privat finanziell hilft und plötzlich merken muss, dass man offenbar Objekt eines dubiosen Systems geworden ist."

Neue Einblicke in dieses „System“ (siehe auch Altpapier vom Freitag) liefert Welt Online:

„Foht soll in mindestens einem halben Dutzend Fällen auf MDR-Briefbögen Geldzahlungen von Dritten angefordert haben, die nicht an den Sender gingen. (...) Im MDR geht man davon aus, dass die Innenrevision mehrere Monate brauchen wird, um die Machenschaften des Unterhaltungschefs aufzuklären. Foht verwaltete einen Jahresetat von geschätzten 40 Millionen Euro. Hinter diesem Globalbetrag stecken Tausende Einzelvorgänge: Künstlerverträge, Rechtevereinbarungen, Produktionskostenvorschüsse, Vergütungen für Auftragsproduktionen Allein das ARD-Quotenspektakel ‚Feste der Volksmusik‘, für das MDR-Mann Foht verantwortlich zeichnete, ist ein hoch komplexes Zahlengebilde. Doch schon jetzt wissen die Prüfer, worauf sie bei Sichtung der Unterlagen achten müssen: auf die Firma Just for Fun. (...) Allein aus internen Unterlagen des MDR, die Welt Online vorliegen, und aus der vom Sender bestätigten Aussage eines von Fohts Geschäftspartnern geht hervor, dass der geschasste MDR-Manager über die Just for Fun mindestens zweimal fragwürdige Geldgeschäfte abgewickelt hat oder abwickeln ließ. Eine Zahlung über 20.000 Euro und eine über 30.000 Euro.“

[listbox:title=Artikel des Tages[Der hybride Charakter - einige medienrechtliche Reformgedanken (Funkkorrespondenz)##Udo Fohts fragwürdige Geldgeschäfte (Welt Online)##Eine Art Nachruf auf einen frisch geadelten Blog (Weissgarnix)]]

Der dritte Aufreger im hiesigen Medienbetrieb bleibt nach Buntegate 2 (wer das erste nicht mehr präsent hat, klicke hier) und den mutmaßlichen Machenschaften des MDR-Manns Foht die Diskussion rund um die vom RBB gecancelte Dokumentation Güner Balcis über Thilo Sarrazin. Während in der Wochenend-taz RBB-Sprecher Justus Demmer bekräftigt, der Sender habe „dieses Projekt aus rein journalistischen Gründen beendet“, wobei „politische oder gar persönliche Motive keine Rolle" gespielt hätten, entgegnet dort der in die Causa involvierte FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher (siehe Altpapier vom Donnerstag), der Film sei ja gar kein herkömmliches journalistisches Projekt gewesen:

„In diesem Film war Balci von Anfang an als Subjekt, nicht nur als Berichterstatterin vorgesehen. Man tut so, als habe man einfach eine Produktionsfirma gewählt. Nein, man hat, auch wenn Frau Balci das vielleicht nicht gerne hört, einen türkischen Namen gesucht, der eine bestimmte Tendenz verspricht. Und der RBB, wenn er schon nichts anderes tut, hat das gewusst und muss es gewollt haben. Wenn man das tut, hat man eine andere Verantwortung, weil man nicht journalistisch gehandelt hat, sondern bewusst Protagonisten aus dem clash of civilizations, also Konfliktteilnehmer, engagiert.“

Für die heutige Süddeutsche hat Torsten Schmitz Balci in ihrer „geräumigen Berliner Wohnküche mit viel Platz für Freunde und Familie“ besucht „Wenn sie von Szenen erzählt, die sie gedreht hat, möchte man den Film sofort sehen.“ Vorkommen werden darin demnach wohl

„Szenen, die einen Sarrazin zeigen, der Misstrauen gegenüber Döner hegt, weil man nie wissen könne, was darin steckt (der sich aber gerne beim Currywurst-Essen auf seinem Golfplatz filmen lässt). (...) Einen, der in Neukölln von Türken freundlich begrüßt wird und von zwei Kopftuchfrauen um ein gemeinsames Foto gebeten wird. Einen Sarrazin, der so sehr mit seinen früheren Liebschaften prahlt, dass die Filmemacherin ihm sagt, das Prahlen sei jetzt aber sehr 'orientalisch'. Woraufhin Sarrazin (womöglich geschmeichelt) lächelt. Und sie zeigen schließlich auch einen Vater Sarrazin, der es vermeidet, über seinen psychisch kranken Sohn zu reden, der von Hartz IV lebt, und einen Bürger Sarrazin, der von Furcht erfüllt sein muss, wenn er im eigenen Auto durch Deutschland fährt und sagt: ‚Deutschland ist ein Paradies auf Erden, von Menschen geschaffen. Es kann auch von Menschen zerstört werden.‘“

Tja, möchte „man“ das wirklich sehen (und hören)? Was hat das mit Sarrazins Ideologie zu tun? Würde es etwas ändern, wenn Sarrazin so viel Döner mampfen würde, bis der Arzt kommt? Wenn er über „frühere Liebschaften“ schweigen würde?


Altpapierkorb

+++ Geadelt fühlen können sich die Blogger Frank Lübberding, Thomas Strobl (beide vom Wirtschafts- und Politikblog Weissgarnix) und Jochen Venus, die am Sonnabend gemeinsam mit Frank Schirrmacher in der FAZ (Teaser) auf einer Feuilleton-Doppelseite mit Ex-Finanzminister Peer Steinbrück u.a. über „das Primat des ökonomischen Diskurses" (Schirrmacher) debattieren durften. Begründung: „Ihre Thesen sind steil, ihre Ansprüche hoch, ihre Kritik an den routinierten Fragen des Journalismus ist scharf. Wir dachten: Die Blogger müssen die Macht treffen. Auch Peer Steinbrück sah das so.“ Abgesehen davon, dass Steinbrück derzeit nicht an der Macht ist, hat es eine gewisse Ironie, dass die FAZ jetzt ein Blog preist, dessen „beste Zeiten bereits einige Monate zurückliegen“. So sieht es jedenfalls Gründer Strobl, der deshalb bereits angekündigt hat, Weissgarnix in Kürze einzustellen. Lübberding verbindet eine kurze Einschätzung des Gesprächs mit Steinbrück mit einer Art Nachruf auf den Blog.

+++ Was man zum heutigen Start des neuen digitalen Radiostandards DAB+ wissen muss - skeptische Einschätzungen einiger Brancheninsider inklusive -, findet man bei Welt Online. Ekkehard Kern geht unter anderem darauf ein, was sich für den Fußballradiosender 90elf ändert, der bis dato nur online zu empfangen war: „Mit dem Start von DAB+ erhoffen sich die Leipziger mehr Hörer. Jetzt kann auch überall dort Fußball gehört werden, wo keine Verbindung ins Internet besteht. Dank derzeit fünf Unterkanälen lässt sich zwischen parallel stattfindenden Partien hin- und herschalten.“ Wer den bisherigen Internet-only-Sender offline hören will, muss mindestes 50 Euro investieren. So viel kostet „ein klassisches Küchenradio mit der neuen Technik“.

+++ Mehr Neuigkeiten rund um den Fußball: Oliver Pocher moderiert schon sehr bald die Sendung „Samstag Live“ bei Sky, und zwar auf „seriöse“ Weise (dwdl.de, Focus Online).

+++ Mit den zunehemden Forderungen nach einer Klarnamen-Pflicht im Netz beschäftigt sich der Spiegel (S. 134). Warum Aktivisten in China „pissed off“ sind wegen der entsprechenden Politik bei Google+, steht hier.

+++ Die FAZ (S. 25) berichtet derweil von einer „abrupten Kehrtwende“ in der „Propagandaabteilung“ der chinesischen KP in Sachen aktueller Katastrophenberichterstattung: „Nach einer Woche zunehmend kritischer und investigativer Berichterstattung über das Zugunglück von Wenzhou“ habe sie „in einer Eilverfügung“ sämtlichen eigenständigen Berichte über den Fall untersagt. Deshalb mussten „mehrere Zeitungen ihre für den Samstag geplanten Sonderseiten austauschen“.

+++ Ein Reporter der New York Times muss vor Gericht nicht die Quelle einer Recherche über ein gegen den Iran gerichtetes CIA-Programm preis geben, berichtet Politico.

+++ Ein TV-Magazin über Comics gibt es zwar nicht im richtigen Fernsehen, aber immerhin im Netz. Der Tagesspiegel empfiehlt das heute startende aufgezeichnet.tv.

Neues Altpapier gibt es wieder am Dienstag.

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