Das Internet ist ein Unterleib

Das Internet ist ein Unterleib

Burda und ein Schunkelkönig, der in einem ARD-Sender einen „Staat im Staat“ errichtet hat, stehen im Zwielicht. News of the Word natürlich sowieso.

Um es gleich mal klar zu sagen. Zwischen Rupert Murdoch und Anders Breivik gibt es keine Gemeinsamkeiten, aber man kann heute zumindest konstatieren, dass Murdoch und sein Unternehmen erstmals seit rund einer Woche wieder stärker im Fokus der Medienbeobachter stehen als Breivik. Das hat auch damit zu tun, dass der Guardian einen Fall recherchiert hat, der eine ähnliche Dimension hat wie jener, der den Phone-Hacking-Skandal Anfang Juli eskalieren ließ. Die Zeitung berichtet, dass auch das Mobiltelefon Sarah Paynes, der Mutter eines 2000 von einem pädophilen Täter ermordeten Mädchens, im Auftrag des mittlerweile eingestellten Krawallblatts News of the World abgehört worden sei. Ausgerechnet Payne, die mit der Zeitung bei einer Kampagne gegen Pädophile kooperiert hatte. Spiegel Online fasst den Guardian-Artikel zusammen und erwähnt, dass Rebekah Brooks, die damalige Chefredakteurin, das Telefon gegeben haben soll,

„um im Zuge der Kampagne leichter mit Unterstützern in Kontakt bleiben zu können. (...) Brooks hatte im Medienskandal um News of the World stets auf den ‚Fall Sarah‘ verwiesen, um zu zeigen, dass die Zeitung viel Gutes bewirkt habe.“

Eine weitere Pointe: Payne hatte, wie der Guardian erwähnt, in der letzten Ausgabe der News of the World noch eine Abschiedskolumne für ihre „good and trusted friends" beim Revolverblatt geschrieben. Der New Statesman zitiert eine andere Zeile aus diesem Text: „It feels like a friend had just died."

Ab nach Sibirien, lautet möglicherweise die Devise für einige Ex-Redakteure der News of the World. Dort hat Murdochs generöser Konzern ihnen Arbeitsplätze angeboten. Auch Jobs in Südafrika, Finnland und Dubai sind im Angebot. Darüber berichtet ebenfalls der Guardian.

Dass der Phone-Hacking-Skandal „auf lange Sicht eine Wende zum Besseren im Journalismus einleiten“ könnte, schreibt Marlis Prinzing, Leiterin des Studiengang Journalistik an der Macromedia Hochschule für Medien und Kommunikation in Köln, im dortigen Stadt-Anzeiger:

„Es scheint, als neige sich nun die Zeit der modernen Mogule, der Medienmogule, dem Ende zu. Hans Dichand (Wien) und Leo Kirch sind tot, Berlusconi kämpft ums politische Überleben, Murdoch senior (und junior) schaufeln mit Aussagen, von nichts etwas gewusst zu haben, ihr eigenes Grab. Wie Phönix aus der Asche wird hieraus eine neue Generation aufsteigen von im Journalismus-Handwerk und in journalistischer Ethik gut ausgebildeten Menschen. Es werden Bewegungen wachsen wie ‚Media Reform‘ in den USA, die durch Finanzierungen über Stiftungen und andere Modelle den Journalismus aus den Fängen fast nur noch profitorientierter Mechanismen befreien, der informellen Gleichschaltung entreißen und neuer Relevanz und Aktualität zuführen.“

Einen Bogen von Murdoch zum Thema Rettung des Journalismus schlug, jedenfalls auf Großbritannien bezogen, gestern Abend Murdoch-Biograph Michael Wolff in der London School of Economics: News Corp, so der US-Journalist, sollte The Sun verkaufen und die Times und Sunday Times in eine Stiftung überführen - dann wäre fast alles in Butter (Kurzbericht hier).

Die Monatszeitschrift konkret verwendet in einer Anzeige für ihr aktuelles Heft im Freitag das Wortspiel „Rupert Burda“, und der Werbetexter hatte diesbezüglich eine gute Intuition, denn einen Hauch des Skandals, der Murdoch seit eigen Wochen zu schaffen macht, spürt wohl gerade auch Burdas Bunte. Die Zeitschrift - die in ihrer aktuellen Ausgabe bei einem Artikel über den Sozialdemokraten Frank-Walter Steinmeier mit einer Überschrift auffällt, über die man angesichts der aktuellen Ereignisse in Norwegen vielleicht ein bisschen länger hätte nachdenken können - hat sich von einem Ressortleiter getrennt. Darüber berichtete meedia.de. [Anm. d. Red. vom 22.11.2011: dazu gibt es ein Statement von Burda vom Oktober 2011].

Chefredakteurin Riekel habe versichert, es sei für den von der angebotenen unlauteren Recherche betroffenen Politiker „kein Schaden" entstanden beziehungsweise, wie es in der Version der FAZ heißt, „niemand zu Schaden gekommen“. Schließlich habe „die Chefredaktion die Recherche in der Vorbereitungsphase gestoppt“. Das mit dem Schaden dürfte der „namhafte Bundespolitiker“, um den es laut meedia.de geht, durchaus anders sehen. Sein Name wird bisher zwar nicht genannt, aber es ist nur eine Frage der Zeit, bis die auf Sexparty- und Drogenkonsumbeobachtung spezialisierten Qualitätsjournalisten der Republik ihn ins Spiel bringen werden. Bemerkenswert ist im übrigen auch Burdas Kunststück, rund zwei Tage nach der Abservierung des Focus-Chefredakteurs Wolfram Weimer (siehe Altpapier vom Mittwoch) schon wieder mit einer wenig image-förderlichen Personalie aufzufallen.

Michael Hanfeld weist in der FAZ darauf hin, dass man diesen Fall in einem größeren Zusammenhang sehen sollte, nämlich mit der Politiker-Bespitzelungsaktion der Bunten, über die der Stern im Februar 2010 berichtete. Die juristische Auseinandersetzung dazu endete erst kürzlich. Eine größere Medienskandalfigur als der gefeuerte Redakteur ist hier zu Lande derzeit noch Udo Foht, den der MDR gerade als Unterhaltungschef suspendiert hat. Auch hier gibt es einen größeren Zusammenhang, den alle Chronisten heute erwähnen: Nach dem Skandal um den Kinderkanal (bei dem der MDR die Federführung hat) steht schon wieder der MDR im Zwielicht. Christiane Kohl berichtet in der Süddeutschen:

„Konkret geht es um ein Schreiben mit offiziellem MDR-Briefkopf, in dem der Leiter der MDR-Unterhaltung eine Firma zur Zahlung einer fünfstelligen Summe aufgefordert haben soll. (...) Unterdessen erklärte der MDR, es sei ‚noch unklar', ob sich der Unterhaltungschef durch sein Vorgehen ‚einen persönlichen Vorteil verschafft hat'. Ins Visier der hausinternen Ermittlungen war er durch die Kontrollen geraten, die als Folge des Kika-Skandals angeordnet worden waren. (...) So wurden nicht nur das Rechnungswesen wie auch die Zahlungsmodalitäten durch eine Gruppe von Revisionsmitarbeitern des ZDF und des MDR unter die Lupe genommen. Zusätzlich bat MDR-Intendant Udo Reiter den ehemaligen LKA-Chef von Mecklenburg-Vorpommern, Ingmar Weitemeier, und sein Team, die Arbeitsabläufe in dem Sender auf mögliche Schwachpunkte hin zu durchleuchten. Das Weitemeier-Team (...) ist jetzt ebenso eingebunden in die Aufklärung der aktuellen Affäre um den Unterhaltungschef Foht wie die hausinterne Revision.“

Am ausführlichsten widmet sich Welt Online dem „König der Schunkelmusik“, dem wir auch die Geburtstagsgrußsshow „Alles Gute“ (siehe Screenshot) verdanken. Dieser König habe „offenbar einen Staat im Staat errichtet“, schreiben Uwe Müller und Marc Neller, denen wir auch die Information verdanken, dass es einen Link gibt zwischen jenen beiden Medienhäusern, die gerade einen vermeintlichen Missetäter abgestraft haben. Foht habe

„vor gut zwei Jahren Philipp Welte, Vorstand des Burda-Konzerns, zu dem Magazine wie Focus oder Bunte gehören, um 30.000 Euro gebeten. Das Geld ist offenbar auf das Geschäftskonto eines alten Weggefährten Fohts überwiesen worden, und zwar am 30. März 2009 – von einem privaten Konto des Burda-Managers. Pikant daran: Mit Burda ist Foht geschäftlich eng verbandelt. So produziert Foht seit vielen Jahren die Verleihung des Bambi, eines der renommiertesten deutschen Medien- und Fernsehpreise. Doch das war nur ein Teil einer komplizierten Kette von Transaktionen, von der der MDR offenbar schon seit längerer Zeit weiß. In seiner Erklärung vom 14. Juni 2011 rechtfertigt Foht die Zahlung als ‚Produktionskostenvorschuss‘ für eine 12-teilige Sendereihe, eines ‚ungewöhnlichen und aufwendigen Vorhabens‘. So wie Foht es darstellt, hätte Welte, der Manager eines privaten Medienkonzerns, ein öffentlich-rechtliches Projekt aus seiner Privatschatulle vorfinanziert. Das wäre, vorsichtig gesagt, mindestens ein ungewöhnlicher Vorgang.“

David Denk malt sich in der taz aus, wem er denn schreiben würde,

„wenn ich betrügerisch veranlagt wäre und MDR-Briefpapier mit meinem Namen drauf zur Verfügung hätte? Vielleicht: ‚Sehr geehrte Betreiber des Pflegeheims Haus der Geborgenheit in Borna, als Unterhaltungschef des MDR erlaube ich mir, Ihnen für den aus der von mir verantworteten Sendung ,Alles Gute' gezogenen neuen Lebensmut Ihrer Insassen Euro 6.870 für das Jahr 2010 in Rechnung zu stellen. Bitte überweisen Sie binnen zehn Werktagen auf mein Konto … Mit freundlichen Grüßen …‘“

[listbox:title=Artikel des Tages[Der Staatsanwalt und der Schunkelkönig (Welt Online)##Kausalitätszwang und reflexhafte Verknüpfungen (Freitag)##Der Tod eines BBC-Mitarbeiters (Storyful)]]

Der derzeit instruktivste Meta-Text zum Massaker von Norwgen steht im Freitag auf Seite 1. Kathrin Zinkant kritisiert einen „Kausalitätszwang“ in der Berichterstattung:

„Kürzlich etwa haben Forscher herausgefunden, dass die körperliche Misshandlung von werdenden Müttern nachhaltige Veränderungen im Erbgut der Ungeborenen veranlasst (...) Was diese (...) aber für Folgen haben, ob sie überhaupt welche haben, weiß niemand. Dennoch glaubt man, den Schluss ziehen zu können, dass zwischen den Problemen der betreffenden Kinder (...) und den Hieben auf die Mutter (...) ein Zusammenhang besteht. Der Unterleib wird zum Ort, zum Raum, in dem das Böse mit dem Individuum verknüpft wird. Auch das Internet ist so ein Unterleib, ein Raum, in dem das Schlechte gedeiht, immer wieder und derzeit ganz besonders: Völlig absehbar war die reflexhafte Verknüpfung der Gräuelgroßtat eines 32-jährigen Norwegers mit dessen Aktivitäten auf Facebook, seinen Äußerungen als Blogger und seiner Vorgehensweise als Moderator von Kommentaren. Was man weiß und als Fakt betrachten kann, ist allerdings allein, dass Anders Breivik das Internet auf außerordentlich bewusste Weise in seinen Plan integrierte, indem er es als Verteiler für seine wahnhaften Gedanken benutzte – als allgemein zugängliche Ablage für seine Wortansammlung, die allein aufgrund ihres Papiergewichts nur schwerlich per Post versendbar gewesen wäre. Dass der Mann seine Ideologie am Netz geschärft, sie mehr noch aus dem virtuellen Raum generiert hat, ist dagegen nicht nur unwahrscheinlich, es kann tatsächlich auch niemand wissen.“

Jakob Augstein, der Herausgeber des Freitag, geht bei Spiegel Online auf andere aufs Netz bezogene Reaktionen ein und verknüpft sie mit allgemeinen Betrachtungen zum 20. Geburtstag des Internets:

„In Norwegen fordert man die Stärkung der Zivilgesellschaft, in Deutschland die Überwachung des Internets. Das Netz kann daran zugrunde gehen - und die Zivilgesellschaft auch. (...) Werden sich die Bürger für ein freies Netz einsetzen? Werden sie sich gegen die Überwachung ihrer Kommunikation wehren, gegen die Speicherung ihrer Daten, gegen das Verbot des freien Diskurses? Man muss kein Pessimist sein, um das zu bezweifeln.“

Ein Optimist in Grundsatzfragen ist dagegen der 89-jährige Kabarettist Georg Kreisler. In einem Interview mit der Zeit (S. 13) sagt er:

„Heute sind die Leute klüger durch das Internet. Und deshalb wird eines Tages auch eine Revolution kommen, dann werden die Massenmedien aufwachen und ihrem Erziehungsauftrag wieder nachgehen. Erziehung kann ja durchaus unterhaltsam sein. Wie man an Erich Kästner sieht, der mich stark beeinflusst hat.“

Wobei es doch besonders erfrischend zu lesen ist, dass man vom Thema Internet aus so schnell bei Erich Kästner landen kann.


Altpapierkorb

+++ Der Spielfilm „Der Mauerschütze“, den arte heute zeigt, ist eines der letzten Projekte, die die am 20. Juni verstorbene NDR-Redakteurin Jeanette Würl betreut hat. Würl hatte unter anderem maßgeblichen Anteil an den vom NDR cofinanzierten Filme Fatih Akins. Beim aktuellen Film würdigt Tilmann P. Gangloff (nebenan) die „zurückhaltende, fast schon betont um Neutralität bemühte Inszenierung“ von Regisseur Jan Ruzicka. Der Tagesspiegel lobt Hauptdarsteller Benno Fürmann. Die FAZ indes findet, dass „der Film nicht funktioniert, nicht funktionieren kann“ (S. 37), und die Süddeutsche kritisiert unter anderem „Anleihen an eine Schmonzette, die man eher bei einer Degeto-Produktion vermuten würde. Der nötige Realismus, der für ein solches Thema nötig wäre, wird einem dadurch verwehrt“ (S. 12).

+++ Ahmed Omaid Khaplwak, ein 25-jähriger BBC-Mitarbeiter, wurde in Südafghanistan getötet, als Taliban einen lokalen Fernsehsender angriffen und es zu Gefechten mit NATO-Kräften kam. Im Raum steht der Vorwurf, Khaplwak sei von NATO-Kugeln getroffen worden. Storyful und das Committee to Protect Journalists berichten.

+++ Wie die „Medienmeute“ eine unzutreffende Agenturmeldung über Plagiatsvorwürfe gegen den sächsischen Kultusminister Roland Wöller verbreitete, rekapituliert der Flurfunk Dresden.

+++ Über „offenbar missbräuchliche Öffentlichkeitsarbeit der Berliner Staatsanwaltschaft“ berichtet der Beck-Blog. Aufgedeckt wurde der Fall von der „Abendschau“ des RBB.

+++ Dieser Sender bleibt heute aber vor allem im Gespräch, weil er der Autorin Güner Balci unter teilweise undurchsichtigen Umständen einen Auftrag für eine Dokumentation über Thilo Sarrazin absagte (siehe Altpapier von gestern). Damit beschäftigt sich heute noch einmal der Tagesspiegel. In der FAZ, die die Sache ins Rollen gebracht hatte, vermerkt Michael Hanfeld, dass sich RBB-Intendantin Dagmar Reim „auf Anfrage dieser Zeitung zu dem Vorgang nicht äußern wollte“. Der RBB steht nun wenig souverän da. Wirklich souverän wäre es natürlich gewesen, einen Film über den Sachbuch-Hooligan von der SPD, der auch Coverboy des neuen SZ-Magazins ist, gar nicht erst in Auftrag zu geben.

+++ Bleiben wir im sozialdemokratischen Milieu: In der Funkkorrespondenz widmet sich Torsten Körner unter dem Titel „Ikonografie einer Partei“ Lutz Hachmeisters Dokumentarfilm „Sozialdemokraten – Achtzehn Monate unter Genossen“, den die ARD am Dienstag zeigte (siehe Altpapier). Rund 14.000 Zeichen ist seine Nachbetrachtung lang, aber die Langform ist nachvollziehbar, weil sich Körner der Bildsprache des Films widmet, die in den sonstigen Besprechungen allenfalls eine kleine Rolle spielte. „Was diesen Film so unbedingt sehenswert macht, sind die vielen kleinen Ein- und Seitenblicke, die Beobachtungen aus dem Hintergrund, die gegenläufigen Bild- und Tonmontagen“, schreibt er. Der Film bringe „die Körper und Partei-Physiognomien zum Sprechen“ bzw. versuche, „sich an einem Gesamtkörperbild der Partei und ihres Vorsitzenden, für den jedes Bier, jede Pellkartoffel auch ein politisches Zeichen sein kann“.

+++ Mit dem Journalistenbild, das die Comicstrips in Kinderzeitschriften wie Geolino und Dein Spiegel transportieren, beschäftigt sich Der Umblätterer: „Diese Zeitschriften bringen ständig Comics über Journalisten und solche, die es werden wollen. Ist das Zufall? Oder Strategie, im Sinne positiver Nachwuchs- und Imagewerbung für ein eigentlich ramponiertes Berufsbild?“

+++ „Gegenstimme“, „Dschungelbuch“, „Beruhigungsmittel“ - so heißen einige Rubriken des auf berufstätige Mütter zugeschnittenen Brigitte-Ablegers Mom, der Mitte September erscheint (text intern berichtet „exklusiv“, S. 2). Bereits erhältlich ist die neue Literaturzeitschrift [Lautschrift], hinter der zwei Tübinger Studentinnen stecken. Die FAZ stellt das Heft auf S. 32 vor.

Neues Altpapier gibt es wieder am Montag. 

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