Knifflige Fragen: Was hat Broder mit Breivik zu tun? Wie gehen Medien mit Breiviks Selbstinszenierung um? Wie arbeitet die Justiz?
Gerade in der FAZ gelesen, Seite 6, "Staat und Recht":
"Die von der Staatsanwaltschaft vorzunehmenden Bewertungen des Verdachtsgrades unterliegen wegen der in der Natur von Prognoseentscheidungen liegenden Unsicherheiten gerichtlicher Überprüfung in mehreren Instanzen."
Schreibt Christoph Frank, Oberstaatsanwalt in Freiburg und Vorsitzender des deutschen Richterbundes, um sich gegen eine Wiederholung des medialen Ballyhoo wie beim Kachelmann-Prozess auszusprechen.
Fast ein wenig rührend, wie Frank da ungeachtet von einer Wirklichkeit aus Bild, Zeit, Fernsehen, Echtzeit, Twitter und dem ganzen Scheiß auf die Prozessordnungen der juristischen Sphäre insistiert.
Das unterscheidet ihn von Henryk M. Broder, dem "Tag und Nacht hämmernde(n) Polemikroboter der deutschen Publizistik". So nennt den Vorzeigekabarettisten des besseren Lebensgefühls Christian Bommarius in der Berliner.
Bommarius legt den Zusammenhang von Broder und Breivik, in dessen Manifest der Dieter Hildebrandt des total inkorrekten Denkens mit seinen islamophoben Äußerungen auftaucht, nüchterner dar, als das etwa Robert Misik gestern in der TAZ getan hat.
"Es wäre falsch, denn es wäre demagogisch, Broder und andere deutsche Islamophoben zu geistigen Brandstiftern zu erklären und für die Verbrechen Breiviks in Mithaftung zu nehmen. Aber richtig ist eben auch, dass Schriften, wie sie Broder verbreitet, das Entrebillet für den aggressiven Antiislamismus bilden, der nicht nur in Deutschland, sondern in fast allen europäischen Gesellschaften immer stärkere Verbreitung findet. Spätestens nach den Morden Breiviks empfiehlt sich dringend verbale Abrüstung."
Der Text ist bislang noch nicht auf der Achse des Guten verlinkt, wo in Ermangelung einer anderen möglichen Reaktion alle Broder-Kritik – verlinkt wird. Aber wenn Micha Miersch erst die Maschine hochgefahren hat, wird Bommarius dort bald unter "5" einlaufen.
Diese Geste gehört zur Grundausstattung von Broders Inszenierung, viel Feind, viel Ehr' und so. Was bei unterkomplexen und vor allem antisemitischen Zuschriften ein Mittel sein mag, dem man journalistische "Relevanz" (Wolfram Weimer) zugestehen kann, erschöpft sich hier in toter Ironie. Insofern ist das Bild vom "Roboter" treffend, basiert die klugscheißende Maxi-M.-Miersch-Rhetorik doch auf nichts anderem als Automatismus.
Schon verlinkt ist die schöne Empörung von Josef Winkler in der TAZ – und zwar genau dieser Ausschnitt:
"Herr Broder, ein Vorschlag zur Güte: Tun Sie sich Ihren Morris Traveller aus dem Jahre 1971 doch hinten rein, bis nur noch die Stoßstange rausschaut und dann lassen Sie sich auf den Mond schießen; dann werden die Teile hier unten noch knapper, und keiner wird sich darüber Sorgen machen außer einer zynischen Kanaille, die nicht mehr weiß, was sie noch für einen 'provokanten' Mist verzapfen soll, um sich interessant zu machen auf dem, ganz recht: Mond."
Die Lektüre des gesamten Textes lohnt aber schon allein wegen des digressierenden Einstiegs.
Eine andere Frage, die man sich mit Blick auf Norwegen stellen kann, lautet, wie viel medialer Raum der Eigen-PR von Breivik gegeben werden kann. Mit Blick auf die Exegesen von Breiviks Manifest und die von ihm bereitgestellten, hochaufgelösten Bilder bei Facebook kann man durchaus zu dem Schluss kommen, dass Breiviks Morden, medial gesprochen, eine wahnsinnige PR-Aktion war, um die Welt dazuzukriegen, ein ellenlanges Elaborat zu studieren, dass kein Lektor oder Redakteur freiwillig angeschaut hätte.
Wie man es nicht machen sollte, beschreibt Jörg Thomann sehr schön in der FAZ-Medienglosse (Seite 33):
"Den Gipfel des Grotesken erreicht mit dem Titelfoto ihrer gestrigen Ausgabe die 'Welt', die ein Kinderfoto Breiviks präsentiert und das, wenn wir den Bildtext recht verstehen, als Akt des Widerstands versteht: 'Bisher gab es nur Fotos, die Breivik ins Netz gestellt hatte – so, wie er sich sehen wollte. Inzwischen sind Kinderfotos aufgetaucht.'"
Reinhard Wolff berichtet in der TAZ aus Norwegen:
"'Alle Informationen, die die Printmedien am 23. Juli über ihn veröffentlichten, stammten von seiner eigenen Facebok-Seite', kritisiert der schwedische Journalist Emanuel Karlsten: 'Wir haben alles geschluckt. Wir haben unser Bild von ihm ausgehend von den Prämissen gezeichnet, die dieser kaltblütige Mörder selbst im Detail vorbereitet hatte.' Diese Bilder und diese Informationen hätten eigentlich nicht direkt weiterkommuniziert werden dürfen, meint Tore Slaatta, Professor für Kommunikation an der Universität Oslo."
Dass diese Position nicht haltbar ist, weiß Nils E. Øy, Generalsekretär der Redakteursvereinigung Norsk Redaktørforening.
[listbox:title=Die Artikel des Tages[Polemikroboters Wirken (Berliner)##Morris Traveller hinten rein (TAZ)##Sarrazin, Balci, RBB (FAZ)##Scientology bezahlt Reporter (Berliner)##]]
"Er verstehe auch das Unbehagen von Journalisten, die Botschaften Breiviks zu verbreiten. Bei früheren Debatten über die Veröffentlichung rassistischer Äußerungen sei man aber zu dem Schluss gekommen, dass es falsch sei, solche Aussagen vollständig zu verschweigen: 'Man sollte sie lieber ans Licht kommen lassen, um ihnen dann mit Worten und Argumenten zu begegnen.'"
Diesem medialen Dilemma widmet sich in der SZ (Seite 11) auch Chefredakteur Kurt Kister, der im ersten konzediert:
"In gewisser Weise hat der Massenmörder erreicht, was er wollte."
Und dann aber zu dem salomonischen Schluss zu kommen:
"Sähe man als Institution, als Zeitung zum Beispiel, davon ab, ein Foto zu zeigen oder einen Namen zu nennen, dann hätte das nicht mehr als Symbolcharakter für eine relativ kleine Zahl von Lesern - zumal dann, wenn es um ein Verbrechen von weltweiter Bedeutung geht. Nichts würde ungeschehen dadurch, und nichts würde besser werden. Man kann es aber trotzdem machen, und sei es nur in einem Artikel."
Altpapierkorb
+++ Auf der gesamten Medienseite der warnstreikbedingten Rumpf-SZ geht es um die Tarifauseinandersetzungen im eigenen Feld. Caspar Busse und Detlef Esslinger beschreiben recht umfassend die Lage: "Setzten die Zeitungen im Jahr 2000 noch 6,5 Milliarden Euro mit Anzeigen um, so waren es im vergangenen Jahr nur noch 3,6 Milliarden." Wissen um den eigenen Berufsstand: "Journalisten gelten normalerweise als wenig kämpferisch, wenn es um sie selbst geht." Kommen dann aber zu einem merkwürdigen Schluss: "Nun aber fürchten sie nicht nur um ihr Geld – sondern auch, dass kaum noch jemand Journalist werden will, bei den Aussichten." Wirklich? +++
+++ Sarrazin und kein Ende. Frank Schirrmacher erzählt, passend zu den Breivik-Bedenken, in der FAZ eine Räuberpistole über eine gekippte RBB-Dokumentation von Güner Balci über ein Jahr Sarrazin: "Schon vor Monaten erkundigte sie sich, ob man bereit sei, mit ihr für eine im Auftrag des RBB verfasste Dokumentation vor der Kamera zu reden. Jakob Augstein fragte sie offenbar, Thilo Sarrazin und auch mich. Ein Jahr ist ein guter Rezeptionsparameter. Der Pulverrauch hat sich verzogen, und man könnte noch einmal feststellen, dass Sarrazins Buch kein Buch im klassischen Sinn ist, sondern ein Trojaner, geeignet, die Codes des öffentlichen Diskurses zu hacken." Es geht um angeblich gestohlene Interviews, Notlügen, und wenn das alles stimmt, dann kann man sich einmal mehr fragen, warum das öffentlich-rechtliche Fernsehen die Hosen eigentlich so voll haben muss. +++
+++ Außerdem: In der FAZ (Seite 33) erkennt Frank Lübberding in Lutz Hachmeisters SPD-Film der wenig "hilfreichen" (Angela Merkel) Blick des Berliner Establishments auf die Politik. +++ Beim MDR schon wieder Ärger: Unterhaltungschef suspendiert (TSP, Meedia). +++ Der Tagesspiegel erfährt von denen, die nicht im Urlaub sind, dass bei der Programmdirektorbestallung im Deutschlandradio (Altpapier von Dienstag), dass alles so war, wie es sein sollte. +++ In der Berliner berichtet Thomas Schuler, dass Scientology Reporter engagiert, um gegen Kritiker vorzugehen. +++ Die FAZ (Seite 33) informiert, dass der Moderator Piers Morgan in der NoW-Affäre von Sachen nichts weiß, von denen er mal wusste. +++ Schließlich wird in der Berliner der neue Extra-3-Moderator Christian Ehring vorgestellt. +++
Neues Altpapier gibt's morgen wieder ab 9 Uhr.