Vorhang zu

Vorhang zu

... und wer wird gewinnen? Ein Prozess, als Theaterstück betrachtet: Das Ende des "Falls Kachelmann" steht bevor. Zudem: der Rücktritt von MDR-Intendant Udo Reiter, ein Plagiatsfall und eine Monica-Lierhaus-Meldung im Spiegel inklusive unverzüglichem Stimmt-doch-gar-nicht

Zwei Prozesse beschäftigen die Medienredaktionen: a) der morgen vermutlich endende im "Fall Kachelmann" und b) der bevorstehende zum "Fall Kika".

Beginnen wir mit der mutmaßlich ein paar Klicks weniger generierenden Kika-Korruptionsaffäre, die vor allem deswegen in den Wochenendausgaben Medienthema war, weil MDR-Intendant Udo Reiter überraschend seinen Rücktritt erklärt hat (siehe Altpapierkorb vom Freitag).

Die Frage, die sich da stellt, lautet: Warum zum Fernsehballett das denn, so kurz vor dem 20-jährigen Senderjubiläum? Gibt es einen Zusammenhang mit der Kika-Korruptionsskandal-bedingten "Krise des MDR", die Reiter im FAS-Interview mit FAZ-Medienredakteur Michael Hanfeld allerdings für beendet erklärt?

Reiter: "Ich wollte es" – also den Rücktritt – "schon im Januar verkünden. Aber dann kam die Kinderkanal-Geschichte dazwischen. In einer solchen Phase geht man nicht von der Kommandobrücke."

Also: nein, kein Zusammenhang. Im Gegenteil sogar. Sagt er ähnlich auch im Spiegel-Interview (S. 131). In Reiters Rücktrittsbegründungs- und -presseschreiben heißt es: "Ich bin im März dieses Jahres 67 Jahre alt geworden und lebe seit 45 Jahren im Rollstuhl. Das hat einige gesundheitliche Spuren hinterlassen."

"Offizielle Lesart" nennt das allerdings in der Wochenendausgabe die taz, die darin auch den Kontextparagraphen zum Kika-Skandal liefert. Schnell zusammengefasst, worum es geht:

Kika = Kinderkanal von ARD und ZDF – Mitarbeiter Marco K. – Scheinrechnungen – 8 Millionen Euro abgezweigt – MDR federführend für Kika zuständig – Kontrollpflichten vernachlässigt – EIL EIL EIL: 6. Juni Prozessbeginn, Saal 1405 Erfurter Landgericht – Cliffhanger

"Offizielle Lesart" bedeutet ziemlich eindeutig, dass es eine inoffizielle Lesart gibt, und während Michael Hanfeld diese in der Samstags-FAZ (S. 38) nicht in Erwägung zog ("Wenn er jetzt gesundheitliche Gründe für seinen vorzeitigen Rückzug nennt, wird auch dies niemand bezweifeln"), hat Ulrike Simon für die Berliner Zeitung mit der inoffiziellen Brille gelesen und gelangt damit zu einer ähnlichen Interpretation wie Steffen Grimberg in der taz: Beiden fällt prompt der bevorstehende Prozess ein. Simon:

"(W)omöglich kommen in diesem Prozess, den er diesmal nicht verhindern konnte, auch Dinge zum Vorschein, die darauf hätten schließen lassen, dass es doch ein System MDR gibt."

Und Steffen Grimberg kommentiert auf der Meinungsseite: Es sei "leicht zu durchschauen, dass Udo Reiter eine gute Woche vor Prozessbeginn in Erfurt nun die Konsequenzen aus dem Millionenbetrug zieht". Grimberg gewinnt der Geschichte jedoch etwas Positives ab:

"Der Sender steht zum 20. Geburtstag ganz unverhofft vor einem Neuanfang, fast eine komplette Anstaltsführung ist frisch zu besetzen."

Was eindeutig bedeutet, dass es eine Art Gewinner geben kann.

[listbox:title=Artikel des Tages[Reiters Abgang (taz)##Reiters Abgang (BLZ)##Der Fall Kachelmann, mit Ruhe betrachtet (BLZ vom 7. Mai)##Journalist abgeschrieben (sueddeutsche.de)##Stefan Aust über "Panorama" (BLZ)]]

Das allerdings wird im "Fall Kachelmann" schon mal vorsorglich ausgeschlossen; in diversen Medien, nicht nur in der Schweiz, kommt das Gegenteil zum Ausdruck: "Gewinner wird es nicht geben" (NZZ), "es gibt in dieser Angelegenheit nur Verlierer" (Tagesanzeiger), "Richtig glücklich wird mit dem Urteil keiner werden" (FAS, Gesellschaftsteil, derzeit nicht frei abrufbar)

Womit die aktuell vorgenommenen Kachelmann-Betrachtungen allerdings nicht hinreichend dokumentiert sind. Medial von Interesse sind vor allem zwei Aspekte: erstens die mehrfach aufgegriffene Theater-Analogie – der Prozess als Bühnenstück (die Fußballvergleiche mit Theater sind wohl abgegriffen, jetzt also Gerichtsprozesse). Und zweitens die Folgen und Bedingungen der Medialisierung von Prozessen.

Ein Prozess als Theater – im Vergleich selbst steckt Medienkritik, jene Kritik an der Gesellschaft des Spektakels. Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (Medienseite) aber liest den Vergleich anders: "Die Kritik an einer solchen Show übersieht die wesentliche Verwandtschaft von Gericht und Theater", schreibt Harald Staun, und er zitiert aus dem Buch "Medien der Rechtsprechung": "'Gerichthalten heißt Theater veranstalten'" – "was keinesfalls abwertend gemeint ist."

Den Theatervergleich selbst hat wohl der Richter höchstselbst in weniger theatergeschichtlichem Zusammenhang aufgebracht. Die NZZ schreibt über das Schlussplädoyer von Kachelmanns Verteidigerin:

"Das Bild der durchtriebenen Rächerin, das die Verteidigung zeichnet, ist mit demjenigen der niedergeschlagenen Simone W." – gemeint ist das mutmaßliche Opfer – "nicht vereinbar. Trotzdem applaudiert das Publikum. Worauf der Richter mahnt: 'Wir sind hier nicht im Theater.' Doch genau so fühlt es sich an."

Wobei auf Gefühle auch, wiederum, die FAS (auch Gerichte greifen "zu einem Mittel, von dem Journalisten oft genug glauben, es trage zur Aufklärung bei: zur Empathie") und Der Spiegel zu sprechen kommen: "Fehlurteile" sind dessen Titelthema, und durch die Hintertür der Allgemeingültigkeit kommt das fünfköpfige Autorenteam – darunter Gerichtsreporterin Gisela Friedrichsen – auch auf den Anlass, den Kachelmann-Prozess.

"So ungerecht es klingt: Strafe soll nicht dem Opfer nutzen, sondern der Glaubwürdigkeit der Rechtsordnung. Und so hart es klingt: Darum ist Mitleid mit dem mutmaßlichen Opfer der Wahrheitsfindung nicht zuträglich."

Was, da Friedrichsen zu den Autoren gehört, in inoffizieller Lesart auch als Beitrag zur persönlichen Fehde mit Alice Schwarzer interpretiert werden kann (die auch im oben verlinkten Tagesanzeiger-Text heftig kritisiert wird: "Neben Kachelmann selbst dürfte vor allem die Sache der Frau gelitten haben – dank Vorzeigefeministin Alice Schwarzer"). Im für die Medienbetrachtung interessantesten Absatz des Spiegel-Aufmachertextes wird Schwarzer denn auch ins Spiel gebracht, herbeizitiert durch einen Kommentar von Kachelmann-Verteidiger Johann Schwenn:

"'Falsch verstandener Opferschutz', so Schwenn, verzerre im Kopf der Richter den Prozess der Wahrheitsfindung: Gerade 'deutliche Hinweise auf die Unwahrheit einschlägiger Bezichtigungen' in Missbrauchsprozessen würden vor Gericht 'überhört und überlesen'. Schwenns Zuspitzung zur Beweislage wegen Sexualdelikten: 'Je katholischer die Region, desto verbohrter die Staatsanwaltschaft und desto größer deren Bereitschaft zur überraschenden Allianz mit Ausläufern der Frauenbewegung.'"

Bleibt zu erwähnen, und hier geht die Medienkritik über die Showisierung des Prozesses hinaus: der Aspekt der Veränderung der Rechtskultur, wie es der Freitag (für den ich derzeit arbeite) nennt. "Der Mannheimer Prozess ist Symptom einer Entwicklung: der Medialisierung von Justizverfahren."

Und wenn man dazu nun noch eine ebenda zitierte Studie betrachtet, könnte der geübte Beobachter des Falls Kachelmann auf die Idee kommen, ein Urteil erahnen zu können:

"42 Prozent der Staatsanwälte und 58 Prozent der Richter sagten, sie würden an die Reaktion in den Medien denken, wenn sie die Strafhöhe fordern bzw. zumessen. Auch für die Bewilligung einer Bewährung spiele die Berichterstattung eine Rolle."

Nur würde die Ahnung dann vielleicht trotzdem nicht stimmen – das ist ja das Komplizierte an Vorhersagen. Dennoch ein guter Zeitpunkt, um hier noch Malte Weldings Magazin-Text aus der Berliner Zeitung von Anfang Mai zu empfehlen. Er schrieb über den Fall K.:

"Es gibt eine Tatsache, über die wird nicht gerne berichtet, weil dann der ganze schöne Spannungsbogen, der so mühselig seit über einem Jahr gespannt wird, reißen würde. Die Tatsache lautet: Jörg Kachelmann wird nicht verurteilt werden."

Quod erit demonstrandum, wie man in der Showbranche inoffiziell sagt.


Altpapierkorb

+++ Falschmeldung im Spiegel oder Verschleierungstaktik der Beteiligten? "Das oberste Aufsichtsgremium der ARD empfiehlt, die Fernsehmoderatorin Monica Lierhaus als Werbebotschafterin bei der Fernsehlotterie auszuwechseln. Statt der Moderatorin solle man ein ebenso bekanntes Gesicht finden, das sich allerdings ohne Gage für diese Werbung zur Verfügung stelle", meldet Der Spiegel (Printmeldung auch online) +++ Die SZ berichtet aber, die Meldung werde dementiert: "Es handelt sich um eine Falschmeldung", zitiert sie Susanne Pfab von der Gremienvorsitzendenkonferenz der ARD (ausführlicher online) +++ Bild schreibt: "Die WDR-Rundfunkratsvorsitzende Hieronymi (...): 'Ich war bei der Konferenz dabei und kann das so nicht bestätigen. Wir haben in keiner Weise eine solche Empfehlung gegeben" und betätigt sich als Medien-Watchblog: "Seltsam: 'Spiegel Online' ruderte gestern Nachmittag zurück. 'Einen formalen Beschluss des Gremiums in der Causa Lierhaus' habe es nicht gegeben, heißt es" +++ Das einzige wahre Medienwatchblog, das Bildblog, vertritt in diesem Fall die Position der Bild und vergleicht zwei Spiegel-online-Meldungen (hier die jetzige) zur "Causa Lierhaus" von Sonntagmorgen und Sonntagnachmittag, die sich in zentralen Stellen unterscheiden +++

+++ Ebenfalls durch die Restmedien kreist die völlig undementierte Spiegel-Meldung, Thomas Gottschalk sei im Gespräch mit der ARD +++

+++ Jetzt endlich auch hier: ein öffentlich-rechtliches QUIZ-QUIZ-QUIZ! Ordnen Sie die folgenden drei Udo-Reiter-Interviewpassagen Spiegel / Frankfurter Allgemeiner Sonntagszeitung und Tagesspiegel zu: +++ 1) "Ich habe gesehen, dass meine alten Mitstreiter – Jobst Plog, Fritz Pleitgen, Peter Voß, Thomas Gruber, Günter Struve – alle ausgeschieden sind und dass die ersten – Jörg Klamroth, Fritz Raff – sogar schon wegsterben. Das hat mich nachdenklich gemacht. Ich wollte nicht als letzter Dinosaurier die ARD-Landschaft bereichern." +++ 2) "Meine alten Weggefährten, Intendanten wie Jobst Plog oder Fritz Pleitgen, aber auch der frühere ARD-Programmchef Günter Struve sind inzwischen alle weg. Andere sind schon gestorben. Ich muss nicht als letzter öffentlich-rechtlicher Dinosaurier durch die Landschaft ziehen." +++ 3) "Ich habe keine Lust, als der letzte Dinosaurier in der Landschaft der ARD dazustehen. Meine ganzen alten Kampfgefährten, die Intendanten Plog, Pleitgen, Voß, Gruber, der ARD-Direktor Struve, haben aufgehört. Die Ersten, denen ich verbunden war, sind schon gestorben – Fritz Raff und Jörn Klamroth." +++

+++ Womit wir auch schon beinahe beim Fernsehprogramm wären: "Mensch, Reiter!" läuft heute um 22.05 Uhr im MDR, die taz weist darauf hin – der Intendant ziehe dann in einer Sondersendung Bilanz +++

+++ Nochn Rechtsstreit: Bunte gegen Stern. Worum es geht, im bewährten Ticker-Stil: Stern schreibt über Bunte – Paparazzi auf Politiker angesetzt – Einschätzungen von Medienbeobachtern folgen – schmierige Methoden – Outsourcing von Drecksarbeit an nicht-journalistische Rechercheagenturen – usw. – jetzt das Urteil: Stern darf nicht mehr behaupten, dass Bunte von unlauteren Methoden gewusst habe +++ Die Süddeutsche schrieb am Samstag im "Panorama"-Ressort darüber, dort wohl der Buntheit der Parteien wegen, die FAZ hat heute eine Meldung auf der Fernsehprogrammseite und mehr schon seit Freitag online +++ Die Berliner schreibt, was auch in SZ und FAZ im Kern steht: "Das Problem des Stern war, dass er keinen Nachweis liefern konnte, dass Bunte in den benannten Fällen von den unlauteren Methoden gewusst hat. (...) Der Kern der Stern-Geschichte, die Aufdeckung der zweifelhaften CMK-Methoden, blieb vor Gericht jedoch unbestritten" +++

+++ Ein Plagiatsfall sorgt für Personalneuplanungen bei den Wirtschaftsmedien von Gruner+Jahr (sueddeutsche.de, kurz auch im Blatt): Der Journalist, um den es geht, "hat abgeschrieben, und zwar massiv"; er selbst spricht von einem "Riesenfehler" +++ Eine Einschätzung des sog. Beermann-Papiers: im Aufmacher der Funkkorrespondenz +++

+++ Fernsehen – wie häufig an einem Montag vielfach thematisiert: er Zweiteiler "Kleider machen Deutsche" läuft an diesen Termin jeweils um 21 Uhr in der ARD, besprochen heute von der FAZ (S. 29) und der Berliner Zeitung +++ Pegah Ferydoni moderiert den "ZDFkulturpalast" (TSP) +++ Über "Willkommen in Wien" (20.15 Uhr, ZDF) schreiben die taz und die Süddeutsche +++ Und auch das Kino findet heute Erwähnung auf einer Medienseite: Am 24. Juni (gut, dass wir jetzt schon informiert sind) läuft in den USA (na gut, dann ist es auch wurscht) ein Film über die New York Times an, "Page One", über den die Süddeutsche im Medienseitenaufmacher schreibt: "Ein Blick in die redaktionelle Maschinerie der New York Times wäre zu jeder Zeit faszinierend gewesen, doch die Monate, die Regisseur Andrew Rossi in den Jahren 2009 und 2010 in der Redaktion verbracht hat, gehörten zu den brisantesten Phasen ihrer Geschichte" +++ Muss das sein? Kalkofe soll wieder ran – hier der Service aus der SZ: "Zapping – Die Show" am 4. Juni (20.15 Uhr) bei Sky Cinema HD und Sky Cinema. Die wochentägliche Sendung "Zapping" startet am 6. Juni (20.10 Uhr) +++

+++ Und dann noch das: Das "Panorama"-Archiv steht online – 50 Jahre +++ Und Stefan Aust schreibt für die Berliner Zeitung über "Panorama" einen Text, in dem er das ewige "Früher war es aber besser" karikiert +++

Das Altpapier stapelt sich wieder am Dienstag.

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